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Helen Fricker

«Die Zukunft ist nicht weiblich, sondern divers»

Helen Fricker hat per 1. November 2020 die Leitung des Departements Raiffeisenbank Services übernommen. Sie folgt auf Philippe Lienhard, der sich aus persönlichen Gründen entschieden hat, die Raiffeisen Schweiz zu verlassen. Mit Fricker zieht eine erfahrene Ostschweizerin in die Geschäftsleitung der Raiffeisenbank.

Seit 2011 ist sie in verschiedenen Funktionen tätig und war davor als Marktmanagerin für die Ostschweiz zuständig. Mit der 53-Jährigen erhöht sich der Frauenanteil in der Raiffeisen-Geschäftsleitung auf einen Viertel. Die Mutter von zwei Kindern hat mit dem LEADER über Frauenquoten, Zukunftsvisionen und Krisenresistenz gesprochen.

Helen Fricker, Sie hatten am 1. November Ihren ersten Tag in der Raiffeisen-Geschäftsleitung. Wie haben Sie diesen erlebt: Im Home Office oder im Büro?

Im Büro. Aufgrund der Pandemie befinden sich zwar die meisten Mitarbeiter im Home Office, aber mir war es wichtig, am ersten Tag als neues Mitglied der Geschäftsleitung für die wenigen, die im Büro anwesend sein müssen, physisch präsent zu sein.

Sie sind ja schon seit bald zehn Jahren bei der Raiffeisen. Ursprünglich haben Sie als Primarlehrerin in Abtwil gearbeitet. Wie kam es zu dieser Neuausrichtung?

Dass ich zwei Jahre in Abtwil unterrichtet habe, ist schon fast dreissig Jahre her. Danach habe ich Betriebs- und Organisationspsychologie am Institut für Angewandte Psychologie in Zürich studiert und den Executive MBA an der Universität St.Gallen absolviert. Seit 2011 bin in verschiedenen Funktionen bei Raiffeisen Schweiz tätig. Zuletzt verantwortete ich als Leiterin Bankenbetreuung die Strategieberatung und Vertriebsunterstützung für die Raiffeisenbanken. Vorher, als Marktmanagerin für die Ostschweiz, war ich Ansprechpartnerin in allen operativen und strategischen Fragestellungen der Bankführung. Bevor ich zu Raiffeisen gekommen bin, war ich beim Bankenberatungszentrum St.Gallen AG und bei der Zürcher Kantonalbank in der Managementberatung sowie der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Ich war immer wieder auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Ich arbeite gerne mit Menschen und will Verantwortung übernehmen. Ausserdem ist es mir sehr wichtig, dass ich Gestaltungsspielraum habe.

Hatten Sie die Nachfolge von Philippe Lienhard schon länger im Visier?

Nein, überhaupt nicht. Ich freue mich aber sehr über diese Möglichkeit und die Herausforderung.

Sie waren als Marktmanagerin für die Ostschweiz zuständig und später als Leiterin Bankenbetreuung Ansprechpartnerin in allen operativen und strategischen Fragestellungen der Bankführung. Inwiefern nützt Ihnen die Erfahrung nun in der Geschäftsleitung?

Auch in meiner neuen Position als Mitglied der Geschäftsleitung gehören strategische Themen zum Alltagsgeschäft. Ausserdem war es immer Teil meiner Arbeit, Problemstellungen zu erkennen und tragfähige Lösungen zu suchen und umzusetzen. Ich denke auch, dass es von Vorteil ist, dass ich die Anliegen der Raiffeisenbanken durch die Bankenbetreuung aus erster Hand kenne.

Und welche Inputs wollen Sie vor allem in die GL tragen?

Ich möchte auf jeden Fall die Perspektive der Banken in die Geschäftsleitung bringen. Das ist unter anderem bei der Umsetzung der neuen Raiffeisen-Gruppenstrategie besonders wichtig.

Können Sie uns die Aufgaben des Departements Raiffeisenbank Services erläutern?

Unsere Kunden sind die selbstständigen Raiffeisenbanken und Niederlassungen von Raiffeisen Schweiz. Wir sind Ansprechpartner in allen operativen und strategischen Fragestellungen und erbringen Marketingleistungen für die ganze Gruppe. Die persönliche Kundenbeziehung ist dabei – wie zwischen den Raiffeisenbanken und ihren Kunden – das Wichtigste. Vertrauen spielt auch hier eine zentrale Rolle. Darum ist Raiffeisen Schweiz auch in Lausanne und Bellinzona vertreten. Wir betreiben zudem ein Kundenservicecenter, in dem wir Dienstleistungen für die Kunden der Banken erbringen.

Helen Fricker:

Aus erster Hand.

Trotz Corona-Krise ist die Raiffeisengruppe auf Erfolgskurs. Worauf führen Sie das zurück?

Ich glaube, dass es Raiffeisen gelungen ist, nicht nur ihre volkswirtschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, sondern auch in schwierigen Zeiten wie der Corona-Krise ein verlässlicher Partner zu sein. Viele KMU-Kunden haben sich positiv über die aktive Begleitung durch die Raiffeisenbanken geäussert. Gerade in schwierigen Zeiten sind diese Nähe und das individuelle Engagement für die Kunden sehr wichtig.

So gut geht es nicht allen. Viele KMU stehen vor wirtschaftlichen Herausforderungen und konnten nur durch Überbrückungskredite liquid bleiben.

Priorität hat für uns, ein verlässlicher Partner für unsere KMU zu sein. Raiffeisen hat durch ihre regionale und lokale Verankerung den grossen Vorteil der Kundennähe, das erlaubt rasche und individuelle Lösungen. Dabei geht es auf individueller Basis darum, die einzelnen Betriebe zu stabilisieren und Massnahmen für die Zukunft zu diskutieren. Ausserdem haben wir unsere Crowdfunding-Plattform lokalhelden.ch für KMU geöffnet, damit sie zusätzliche Unterstützung erhalten können.

Sie sind die zweite Frau in der Geschäftsleitung der Raiffeisen. Haben es Frauen tendenziell schwerer in der Bankenwelt als Männer?

Ich habe in meiner Laufbahn unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In meiner Beratungsfunktion hatte ich nie das Gefühl, dass ich es schwerer als meine männlichen Kollegen habe. Spitzenpositionen bei Banken sind historisch gesehen hingegen eher eine Männerdomäne.

Was raten Sie Frauen da?

Es ist wichtig, einen klaren Wertekompass zu haben und sich daran zu orientieren. Dieser ist nicht verhandelbar. Zudem sollte man seine Meinung und seine Anliegen klar äussern, auch wenn man Gefahr läuft, sich einmal unbeliebt zu machen.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei Raiffeisen insgesamt?

Gut 50 Prozent, im Kader bei über einem Viertel. Da gibt es sicher noch Luft nach oben, aber wir sind auf einem guten Weg. Raiffeisen hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um Frauen in Kaderpositionen zu fördern.

«Die Zukunft ist weiblich», heisst es in vielen Businesszeitschriften für Frauen. Sehen Sie das auch so?

Für mich ist die Zukunft nicht weiblich, sondern divers. Das Ziel sollte eine ausgeglichene Organisation sein.

Und last, but not least: Sind Sie für oder gegen Frauenquoten in grösseren Unternehmen?

Eher dagegen. Für mich wäre es nicht attraktiv, wenn ich aufgrund einer Quote für eine Aufgabe ausgewählt würde. Auf der anderen Seite sind die erzielten Fortschritte in Bezug auf diversifizierte Führungsgremien eher überschaubar. Es ist wichtig, dass sich Unternehmungen diesbezüglich klare Ambitionen setzen – und diese dann auch verfolgen.

Text: Miryam Koc Bild: Marlies Thurnheer