Marketing Digest - Ausgabe 56 - SS 2011

Page 7

110.000-Einwohnerstadt verantwortlich sind, kann man, wenn sie sich schon auf hochspekulative Geschäfte einlassen, erwarten, dass sie sie auch verstehen. Oder, wie es Dr. Hanno Beck, Professor an der Hochschule Pforzheim, in einem Artikel der Financial Times Deutschland treffend beschreibt: „Wer keine Hitze verträgt, sollte der Küche fernbleiben“. Die Geschichte scheint vorerst kein Happy-End zu haben, denn der vermeintliche Goldtopf hat sich als teurer Blecheimer mit belastetem Altmetall herausgestellt und in der Stadtkasse machen sich weiterhin eher Rechnungen als Geld breit. Die Berichterstattung in den Medien war in Folge dessen nicht besonders positiv. Zuträglich für das Selbstvertrauen der Bürger waren diese Entwicklungen sicher nicht. Vor allem auch nicht für das Vertrauen in die Stadtführung. Aber wenn von oben schon nichts Gutes zu hören ist, besinnt man sich eben auf Bodenständiges und versucht das Leben im Nordschwarzwald abseits der Probleme zu genießen.

Aber, auch hier findet sich ein Haar in der Suppe. Schon wenn man mit dem Auto nach Pforzheim fährt, wirken die Außenbezirke nicht sehr einladend. Aber das kennt man ja auch von anderen Städten dieser Größe. Meistens liegt die wahre Schönheit ja doch im Inneren, im Zentrum.

Tja, wenn man aber durch die Innenstadt von Pforzheim schlendert, mag sich das Gefühl nach purer Lebenslust nicht so recht breit machen. Kaum einladende Plätze um mal ein wenig auszuruhen von einer Bummeltour, die hier auch nicht so recht gelingen mag. Die Innenstadt wirkt unruhig, zerfurcht und auf den ersten Blick architektonisch nicht sehr attraktiv. Es scheint ein Gesamtkonzept zu fehlen. Doch wie kommt es zu solch einer Struktur, die wie Stückwerk wirkt, zu den Versuchen, einzelne Highlights zu setzten um von der Gesamttristesse etwas abzulenken? Um dieses Phänomen verstehen zu können, muss man sich einem der schwärzesten Tage in der Geschichte der Stadt widmen. Es ist der 23. Februar 1945. Leuchtfeuer, so genannte „Christbäume“, erhellen den Nachthimmel über der Stadt. Viele Menschen ahnen was das bedeutet. Wenig später folgt die Gewissheit. Unter dem Decknamen Yellofin beginnt die Royal Air Force gegen 20:00 Uhr das Bombardement der Goldstadt. Mehr als 370 Flugzeuge entladen ihre tödliche Fracht aus Spreng- und Brandbomben, Luftminen und Brandkanistern. Nach 22 Minuten drehen die Bomber ab. In der, aus hauptsächlich Fachwerkhäusern bestehenden Altstadt entbrennt ein regelrechter Feuersturm. Mehr als 17.000 Menschen verlieren in dieser Nacht ihr Leben. Pforzheim ist nahezu komplett zerstört. Ein Ereignis dessen Ausmaße und Schrecken man sich heute kaum noch vorstellen kann. Doch die Bürger beginnen ihre Stadt wieder aufzubauen. Es wird dringend Wohnraum benötigt, der nicht besonders schön sein muss, sondern vor allem ein Dach über Kopf bieten sollte. Öffentliche Gebäude werden wieder aufgebaut und gelten in dieser Zeit als architektonisch wegweisend. Es entsteht das heute noch erkennbare Stadtbild im Stil der fünfziger Jahre. Was damals sowohl zweckmäßig als auch optisch ansprechend war entspricht heute nicht mehr dem Ideal. Aber eine Stadt entwickelt sich weiter. Der Weg, der in Pforzheim allerdings eingeschlagen wurde, wirkt nicht schlüssig. Ein Stilmix von alten und neuen Gebäuden, die sich nicht wirklich ergänzen. Versuche Modernität einfließen zu lassen enden in toten Anzeigentafeln und einem riesigen Busbahnhof im Herzen der Stadt, der die Menschen vielmehr ausgrenzt als ihnen zu nutzen. Es drängt sich fast der Eindruck auf, als wäre der Bus und nicht der Mensch die beherrschende Lebensform. Ist es nicht furchtbar? Mit Geld kann man nicht umgehen und dann auch noch diese Innenstadt! Darauf kann man doch nicht stolz sein! Der Lack der Goldstadt ist einfach ab. Der goldene Porsche scheint mit Vollgas an die Wand zu fahren. Probleme wo man nur hinschaut und wenn wir noch ein wenig weitersuchen, finden wir bestimmt noch weitere. Doch genau hier liegt das Problem. Dieser Ka-

MD 56 7


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.