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12. Die medizinische Behandlung aus der Sicht des Arztes
Als medizinische Behandlung gilt jede von einem Arzt oder auf seine Anordnung hin vorgenommene diagnostische, therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende oder geburtshilfliche Maßnahme an der volljährigen Person (§ 252 Abs. 1 ABGB).
Alle medizinischen Behandlungen bedürfen einer Einwilligung der behandelten Person, sofern nicht Gefahr in Verzug vorliegt. Die Einwilligung setzt die Entscheidungsfähigkeit der einwilligenden Person voraus.
Was ist die Entscheidungsfähigkeit:
Die Entscheidungsfähigkeit liegt vor, wenn jemand „die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann“.
Die Entscheidungsfähigkeit ist vom behandelnden Arzt jeweils im Hinblick auf die konkret vorzunehmende Behandlung zu beurteilen.
Die betroffene Person ist entscheidungsfähig:
Ist die betroffene Person im Hinblick auf eine konkrete medizinische Behandlung entscheidungsfähig, kann nur sie einer Behandlung zustimmen. Der Arzt muss also die betroffene Person aufklären und nach ihrer Einwilligung fragen.
Die betroffene Person ist nicht alleine entscheidungsfähig:
Im neuen Erwachsenenschutzrecht wird der Grundsatz der Selbstbestimmung stärker als bisher forciert. Auch in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkte Personen sollen möglichst selbstständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, ihre Angelegenheiten selbst besorgen können.
Hält der Arzt die betroffene Person also hinsichtlich einer konkreten Behandlung für nicht entscheidungsfähig, so muss er sie bei der Erlangung ihrer Entscheidungsfähigkeit unterstützen.
Dazu hat der Arzt • Angehörige (z. B. Eltern, Kinder, Ehegatte, Geschwister,
Nichten und Neffen, …), • nahe stehende Personen (z. B. Freunde, Nachbarn,
Mitbewohner eines Heims, …), • Vertrauenspersonen (Personen, die in einer Vorsorgevollmacht,
ErwachsenenvertreterVerfügung oder Vereinbarung über die gewählte Erwachsenenvertretung genannt sind) oder • Fachleute, die über Wissen und Erfahrung in der Begleitung von Menschen in schwierigen Lebenssituation verfügen (z. B. Hospizbegleiter, Krankenhausseelsorger, …),
beizuziehen. Diese sollen der betroffenen Person dabei helfen, eine eigene Entscheidung zu treffen. Über die Einbeziehung dieser Personen muss der Arzt die betroffene Person informieren.
Als beispielhafte Unterstützungsmaßnahme nennt das Gesetz explizit das von Hospiz Österreich entwickelte Institut des Vorsorgedialogs. Dieses bereits in Alten- und Pflegeheimen zur Anwendung kommende Instrument wird auch im Anwendungsbereich der medizinischen Behandlung eingesetzt. Es handelt sich dabei um einen strukturierten Kommunikationsprozess für die Durchführung von Gesprächen mit Betroffenen.
Kann kein „Unterstützer“ gefunden werden oder kann dieser die betroffene Person nicht unterstützen, so kann die betroffene Person selbst
TIPP FÜR ÄRZTE
Dokumentieren Sie, ob Sie die betroffene Person für entscheidungsfähig halten und welche Maßnahmen sie gesetzt haben, um die betroffene Person bei der Erlangung ihrer Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen (z. B. welche Angehörigen, nahe stehenden Personen etc. Sie beigezogen haben).
in die Behandlung einwilligen, wenn mehr für das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit spricht. Überwiegen die Zweifel am Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit, so muss ein Vertreter für sie entscheiden.
Die betroffene Person ist nicht entscheidungsfähig:
Ist die betroffene Person trotz Unterstützung nicht entscheidungsfähig, so muss der Arzt eruieren, ob bereits ein Vertreter vorhanden ist.
Der Arzt erfährt entweder vom Patienten selbst oder von seinem Vertreter, ob eine Erwachsenenvertretung oder Vorsorgevollmacht besteht. Im Zweifel kann der Arzt vom zuständigen Pflegschaftsgericht Auskunft über das Vorliegen eines Vertretungsverhältnisses verlangen. Das Gericht hat nämlich jeder Person, die ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, auf schriftliche Anfrage über die Person eines Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters und – soweit dies dem Gericht bekannt ist – über dessen Wirkungsbereich Auskunft zu erteilen. Ein rechtliches Interesse wird i.d.R. dann vorliegen, wenn die vertretene Person in Behandlung steht oder behandelt werden soll und Zweifel am Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit bestehen.
Ist für die betroffene Person bereits ein Vorsorgebevollmächtigter oder Erwachsenenvertreter bestellt, so hat der Arzt den Vorsorgebevollmächtigten oder den Erwachsenenvertreter nach der Zustimmung zu einer Behandlung zu fragen, sofern dessen Wirkungsbereich medizinische Entscheidungen umfasst.
ACHTUNG:
Die betroffene Person kann eine Behandlung auch nach Verlust ihrer Entscheidungsfähigkeit ablehnen (Behandlungsdissens). Der Arzt darf die betroffene Person dann nur behandeln, wenn der Vorsorgebevollmächtigte oder der Erwachsenenvertreter der Behandlung zustimmt und dies vom Gericht genehmigt wurde. Der Vertreter kann also nicht allein Entscheidungen gegen den Willen der betroffenen Person treffen.
TIPP FÜR ÄRZTE
Eine Vorsorgevollmacht/Erwachsenenvertretung (mit Ausnahme der gerichtlichen Erwachsenenvertretung) ist nur dann wirksam, wenn sie im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) eingetragen ist.
Ob der Vertreter medizinische Entscheidungen treffen darf, ergibt sich • bei Vorsorgebevollmächtigten aus der Vorsorgevollmacht, • bei gewählten Erwachsenenvertretern aus der Vereinbarung über die gewählte Erwachsenenvertretung und • bei gesetzlichen Erwachsenenvertretern aus der
Registrierungsbestätigung • bei gerichtlichen Erwachsenenvertretern aus dem
Bestellungsbeschluss
Lassen Sie sich diese Dokumente und die Registrierungsbestätigung zeigen. Nur wenn auch medizinische Entscheidungen dort genannt werden, darf der Vorsorgebevollmächtigte/ Erwachsenenvertreter der Behandlung zustimmen.
Wenn keine wirksame Vertretungsbefugnis besteht, hat der Arzt, außer in Akutsituationen, die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters bei Gericht anzuregen.
Vorgangsweise bei Gefahr in Verzug:
In Akutsituationen kann mit einer Behandlung oft nicht so lange zugewartet werden, bis die Zustimmung eines Vorsorgebevollmächtigten oder eines Erwachsenenvertreters eingeholt werden kann.
Gefahr in Verzug liegt vor, wenn der Zustand des Patienten so kritisch ist, dass keine Zeit bleibt, die Einwilligung des Patienten oder seines Vertreters einzuholen. Es käme sonst zu einer Verzögerung, die mit • einer Gefährdung des Lebens, • der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit oder • starken Schmerzen
verbunden wäre.
Bei Gefahr in Verzug darf mit einer medizinischen Behandlung auch ohne Aufklärung und Einholung der Einwilligung begonnen werden. Die Beurteilung, wann Gefahr in Verzug vorliegt, obliegt dem Arzt.
Die Broschüre wurde sorgfältig erstellt. Sie spiegelt die Rechtslage zum Februar 2021 wieder. Ausdrücklich festgehalten wird dennoch, dass keine Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit übernommen wird. Beispielsweise durch Druckfehler, Gesetzesänderungen oder neue Judikatur können hier getroffene Aussagen unrichtig sein oder werden. Diese Broschüre versteht sich lediglich als erste Informationsquelle und Gedankenanstoß.
Die erste Rechtsauskunft ist bei jedem Kärntner Notar kostenfrei.
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Amt der Kärntner Landesregierung
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