Die Oberösterreicherin April 2022

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Menschen Text: Ulli Wright Übersetzung: Ana Mrvelj Fotos: I. Cepurkovski, privat

LAUF!

Warte nicht auf mich ... Bojana Meandžija war 13 Jahre alt, als sie der Krieg in Kroatien mitten im Spiel traf. Vier Jahre verbrachte sie mit ihrer Familie im feuchten Luftschutzkeller, wo sie begann, Tagebuch zu schreiben. Heraus kam ihr autobiografischer Roman „Lauf! Warte nicht auf mich ...“

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ie ersten Sätze ihres autobiografischen Romans „Lauf! Warte nicht auf mich ...“ schrieb Bojana Meandžija nachts auf kleine Holzlatten eines Schuppens, während die Detonationen der Granaten über der Stadt niedergingen. „Damals habe ich nicht im Geringsten daran gedacht, dass ich tatsächlich den ersten Satz von etwas geschrieben habe, das auf 240 Seiten enden wird“, so die Autorin. Das Buch ist in Kroatien in 16 Auflagen erschienen, Bojana Meandžija hat seither mehr als 1.000 Lesungen in Schulen in Kroatien, Slowenien und Bosnien gehalten. Wie sie die Zeit des Erwachsenwerdens während des Krieges erlebt hat und wie es ihr heute geht, wenn sie die Bilder vom Krieg in der Ukraine in den Medien sieht, hat uns die Autorin im Interview erzählt. OBERÖSTERREICHERIN: Bojana, Ihr Leben zwischen 13 und 17 Jahren haben Sie großteils im Schutzkeller verbracht. Was war während dieser Zeit das Schlimmste für Sie? Bojana Meandžija: Das ist die Zeit des Erwachsenwerdens, wo man beginnt, die Welt zu entdecken und der ersten Liebe mit all ihren Freuden und Enttäu-

schungen begegnet. Ich musste von einem Tag auf den anderen erwachsen werden und war plötzlich für mein eigenes Leben und das meiner Familie verantwortlich. Sich dieser Erkenntnis zu stellen, war am Anfang das Schwierigste, weil ich ja erst 13 Jahre alt war. Zu erkennen und zu akzeptieren, dass ich keine unbeschwer-

„Wenn dir als Kind so etwas wie ein Krieg passiert, dann hast du das verinnerlicht.“ Bojana Meandžija

te Kindheit mehr hatte, war einer der schlimmsten Gedanken, die mir und meinen Freunden damals durch den Kopf gingen. Man ist kein Kind mehr, sondern jemand, der ums Überleben kämpft. Gab es in dieser Zeit auch schöne Ereignisse? Natürlich gab es die :) Wenn ein Fahr22

radkeller, der bis zum Krieg ein Abstellraum war, in dem Papa die Winterreifen vom Auto gelagert hat, auf einmal dein Zuhause wird, fängst du an, dich auch dementsprechend zu benehmen. Es war kalt und feucht. Neben mir waren circa 200 Leute, Privatsphäre gab es keine. In „ruhigeren“ Momenten, wenn keine Explosionen zu hören waren, haben meine Freunde und ich all das gemacht, was Teenager halt so machen. Wir haben Liebesbriefe an die Jungs geschrieben und unter der Decke des Nachbarn Verstecken gespielt. Wir haben auch Weihnachten und Silvester gefeiert. Anstatt zum Fest, gingen wir in den Keller. Es war uns egal, wohin wir gingen, es war wichtig, uns schick zu machen, uns zu schminken und mit unseren Freunden zusammen zu sein. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie Bilder des Krieges, der im Moment in der Ukraine tobt, sehen? An jenem Morgen, als die Medien den Sirenenton ausstrahlten, der die Gefahr eines Angriffs in der Ukraine signalisierte, habe ich den größten „Flashback“ erlebt. Ich zitterte von Kopf bis Fuß und war wie gelähmt. Ich kann immer noch nicht glauben, dass so etwas im 21. Jahrhundert im Herzen Europas passiert. Die Bilder sind schrecklich und wo Krieg ist,


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