
11 minute read
Bereich Abhängigkeiten
Interwiev mit Manuela Gius
von Harald Kunkel
Advertisement
Zur Person: Erzähle uns etwas über deine Ausbildung, deinen Werdegang
Ich habe 1997 in Innsbruck nach der alten Studienordnung fünf Jahre Klinische Psychologie studiert. Mit meiner Diplomarbeit zum Thema Angehörige von Suizidopfern, eine empirische Studie, erhielt ich den österreichischen Magistertitel.
Wie war deine erste Begegnung mit La Strada, wie wurde dein Interesse für den Verein geweckt?
Nach dem Studium begann ich ein Praktikum post lauream in Teilzeit bei der Familienberatungsstelle in Bruneck. Dennoch hatte ich viel Freizeit, die ich besser nutzen wollte. Zu dieser Zeit hat meine Freundin Uli Oberlechner schon - und bis heute - bei La Strada-Der Weg gearbeitet. Sie machte mich darauf aufmerksam, dass La Strada auch in Bruneck aktiv ist. Ich habe mich gleich dafür interessiert und konnte bei der damaligen Tagesgruppe GRISU Bruneck ein Volontariat beginnen. Zwei oder drei Mal in der Woche war ich dann nachmittags dort beschäftigt. Als ein Mitarbeiter krank wurde, bin ich für ihn spontan zwei Monate als Vertretung eingesprungen. Später wurde ein Arbeitsplatz als Erzieherin frei und man fragte mich, ob ich die Stelle übernehmen wolle. Gerne habe ich die Chance genutzt und bin in der Einrichtung in eine zeitlich befristete Festanstellung in Teilzeit gewechselt. So konnte ich nebenbei die Staatsprüfung und Abschlussprüfungen machen.
Wie war dein Einstieg in den Beruf?
Im Jahre 2005 begann ich bei La Strada in der Einrichtung GRISU in Bruneck fest zu arbeiten. Da kurz
darauf eine Kollegin dort in die Mutterschaftszeit wechselte, konnte ich in Vertretung als Koordinatorin im Bereich Kinder- und Jugendarbeit in der Tagesstätte arbeiten. Als die Kollegin aus ihrem Mutterschutz an den Arbeitsplatz zurückkehrte, war Claudio Ansaloni so sensibel, dass er bemerkte, dass mir die Rückkehr an den Erzieherinnen Arbeitsplatz nicht mehr genügte, weil mir der Bereich Koordination sehr gefallen hat. Er bot mir an, die Koordination in Eppan von meiner Freundin Uli zu übernehmen, allerdings auch wieder für sie nur als Mutterschaftsvertretung. Zum Glück konnte ich in dieser Zeit privat sehr flexibel reagieren und sagt zu. Nach einigen Monaten meiner Arbeit dort hat die Koordinatorin der Tagesgruppe LANZ in Meran ihren Arbeitsplatz gekündigt. Die frei gewordene Stelle wurde mir angeboten. Da ich in Eppan ja ohnehin nur vertretungsweise eingestellt war, in Meran meinen Wohnsitz hatte und die freie Stelle lockte, sagte ich natürlich zu. Dort bin ich dann sechs Jahre in der Koordination tätig gewesen. Im Laufe dieser Zeit habe ich zusätzlich die Zuständigkeit für die Nachmittagsbetreuung „Qui per te“ und fürs betreute Wohnen in Meran übertragen bekommen. Danach habe ich ein privates Projekt begonnen, ein Hausbau im Pustertal stand an und wollte bewerkstelligt werden, somit folgte auch mein privater Umzug ins Tal in dem ich aufgewachsen bin. Um beides - Arbeit und das Privatprojekt Hausbau - besser koordinieren zu können, fragte ich, ob es eine Chance gibt nach Bozen versetzt zu werden, da von dort aus das Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Wohnort einfacher war. Tatsächlich konnte ich vorübergehend die Koordination von ARIANNA in Bozen übernehmen, konnte im Dienst EXIT als Psychologin arbeiten und im damals sogenannten Dienst MEDIATION JUGENSTRAFBEREICH tätig sein. Die vielen Bereiche, die ich auf diese Art kennenlernte, verhalfen mir auch zu einem guten Ein- und Überblick in das La Strada Angebot. So war es bei EXIT die selektive Prävention Sucht, im anderen Bereich ging es um Justizfälle mit Jugendlichen und Heranwachsenden. Nach einiger Zeit in dieser Position wurde die Stelle der Koordinatorin in der Einrichtung ST. ISIDOR, eine Reha-Gemeinschaft für Menschen mit Doppeldiagnose, frei. Das Angebot, die Vakanz in Vollzeit auszufüllen habe ich gerne angenommen, denn
es war wieder eine Herausforderung für mich, einen neuen und für mich sehr spannenden Bereich kennenzulernen. Inhaltlich konnte ich in der neuen Aufgabe Parallelen zu meiner Arbeit bei EXIT erkennen, der Bereich Doppeldiagnose war auf Grund meiner Ausbildung ja kein ganz neues Thema. Personalmanagement und Koordination hatte ich ja lange schon praktiziert. Neu waren für mich lediglich die Zielgruppe und das Netzwerk rund um ST. ISIDOR. Die dortigen Mitarbeiter haben mir vieles erklärt, ja sogar beigebracht und mir immer geholfen. Es galt neue Aufgaben anzunehmen, es kam für mich die forensische Psychiatrie hinzu. Nach sieben Jahren Arbeit für St. Isidor hatte ich den Wunsch mich weiter zu entwickeln. Es war eine sehr lehrreiche und schöne Zeit bei St. Isidor, aber ich wollte etwas für meine Weiterbildung tun. So kam es, dass ich der Vereinsleitung den Vorschlag und die Bitte vorgetragen habe, doch den Master im Personalmanagement machen zu können. Der Verein ist schnell groß geworden, es gab aber zum damaligen Zeitpunkt niemand der sich um das Personal Recruiting gekümmert hat. Bisher konnte jeder Bereichsleiter im Personalwesen alleine agieren, das war im kleinen Verein ja auch machbar. Mein Vorschlag wurde angenommen, ich habe dann ein Jahr lang den Master gemacht und abgeschlossen und bin seit 2020 wöchentlich 17 Wochenstunden im Büro für die La Strada Unternehmenspolitik und das Personalwesen tätig. Nach dem Weggang von St. Isidor habe ich die Projekte EX-IN (Genesungsbegleiter im Bereich Psychiatrie) und PAIT (Individualprojekte für Menschen mit Suchterkrankungen) als Koordinatorin übernommen, 2021 kam noch die Wohngemeinschaft für psychisch kranke Menschen dazu. Die Mediation im Jugendstrafbereich habe ich immer beibehalten und stundenweise weiterhin gemacht.
Vor der jetzigen Position gab es für Dich andere Aufgaben, vor diesen war es aber schon einmal der jetzige Arbeitsplatz mit den gleichen Pflichten. Wie kam es zur Rückkehr?
Manuela Gius: Offiziell war es so eigentlich nie. In der Vergangenheit habe ich ja schon öfter die Bereichsverantwortlichen vertreten. Meine Vorgängerin im Bereich Abhängigkeit, also dem jetzigen
Arbeitsplatz, war eine Zeit lang im Krankenstand und ich habe sie vertreten. Als sie sich später entschlossen hatte nach Rom umzuziehen, war die Stelle danach für ein paar Monate nicht besetzt. Zusammen mit meiner Kollegin der klinischen Psychiatrie haben wir die Stelle dann zwischen uns aufgeteilt. Ich habe dabei den Part der Bereichsleitung allerdings wieder nur als Interimslösung übernommen. In den vergangenen zirka neun Monaten habe ich die Bereichsleiterin in Ihrer Arbeit, die durch die Pandemie Situation zusätzlich schwerer wurde, unterstützen können.
Gab es eine offizielle Ausschreibung für die zu besetzende Stelle?
Nein, davon ist mir nichts bekannt, die Stelle wurde nur intern ausgeschrieben
Wie kam es zur Trennung der Verantwortung für die Bereiche psychische und klinische Aufgaben?
Es war ursprünglich immer so, dass im Umfeld Abhängigkeit zwei Verantwortungsbereich gab. Einmal den klinischen Bereich und zum anderen die eigentliche Projektarbeit. Man hat dann versucht, beide Bereiche einer Person zu übertragen, auch um die Kompetenz zu bündeln. Dieses Berufsfeld war intern eigentlich klar, von außen aber eher nicht so verständlich wahrzunehmen. In den letzten Jahren musste Carlotta Ficco, die ja Psychiaterin ist, viel Zeit und Ressourcen in die medizinischen Themen investieren. Wegen Carlottas Konzentration auf die beiden Therapiegemeinschaften kam die eigentliche Projektarbeit zu kurz. Auch auf Grund der vergeblichen Suche nach Ärzten und Psychiatern, welche die Arbeit unterstützen könnten, war es klar, dass das Pensum für eine Person auf Dauer nicht zu schaffen ist. So wurde der Bereich wieder auf zwei Bereiche und somit zwei Personen aufgeteilt. Carlotta ist die klinische Leiterin und ich bin nun die Bereichsleiterin. Ich denke, meine psychologische Ausbildung kommt mir jetzt nicht nur in der Zusammenarbeit mit Carlotta entgegen, sie hilft mir auch bei der Arbeit als Projektleiterin.
Dein jetziger Aufgabenbereich als kurze Übersicht:
Es gibt ja eine Arbeitsplatzbeschreibung für meine Stelle, aber da unser Verein sehr groß ist und viele Bereiche bedient, ist es schwierig eine starre Aufgabenteilung einzuhalten,
zumal jeder Bereich seine Eigenheiten hat. Außerdem müssen Carlotta Ficco und ich in der neuen Situation erst einmal schauen, wie es sich entwickelt und wir müssen noch flexi-
bel sein. Das Personalwesen gehört aber immer noch dazu, auch die 17 Stunden Personalentwicklung, Stellenausschreibung und Bewerbungen, 17 Stunden Bereichsleitung, vier Stunden Arbeit in der Wiedergutmachungsjustiz, sind immer bezogen auf die Arbeitswoche noch mir zugeordnet. Ich bewege mich auch immer noch nach draußen und persönlich in meinen Diensten oder ich schaue auch in der WG für psychisch Kranke vorbei einfach um den Kontakt zur Praxis nicht zu verlieren. Ich hatte bis vor ein paar Wochen noch drei
Koordinationen, die ich jetzt aber abgeben werde. Außerdem sehe ich ja meine minderjährigen Klienten zum Beispiel in der Wiedergutmachungsjustiz persönlich und oft vor Ort.
Ist im neuen Aufgabengebiet das Thema Sucht auch vordergründig?
Ja, in meinem Bereich ist die Sucht,
aber auch Psychiatrie das Hauptthema. Da sind einmal die zwei Therapiegemeinschaften für Doppeldiagnose, im Dienst PAIT arbeiten wir mit Suchtkranken und in EX IN, im Treffpunkt Spaziosissimo/T-Raumschiff und der Wohngemeinschaft arbeiten wir mit psychisch Kranken. Auch NATURALMENTE beschäftigt sich mit Suchtkranken.
Gibst du deine Erfahrungen und dein Wissen auch außerhalb La Strada weiter? Hältst Du Vorträge, arbeitest Du mit anderen Gruppen, Einrichtungen als La Strada?
Ich war gerade gestern in einem Arbeitskreis, in dem zum Beispiel auch festgestellt wurde, dass die Jugendlichen im Alter bis 25 Jahren sehr aktiv viele verschiedene Drogen konsumieren. Sie haben eine viel geringere Frustrationstoleranz. Sie greifen oft schon aus Neugierde oder um bestimmte Zustände erreichen zu wollen auf alle möglichen Drogen zurück. Früher hat man sich auf eine Substanz konzentriert, heute wird alles probiert und konsumiert. Dabei ist auffällig, dass immer mehr Jugendliche aus den Südtiroler Tälern mit dem Thema Sucht und Drogen Hilfe brauchen. Neu ist eine Klientel von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Erwachsene ohne Dokumente, also scheinbar anonyme Personen Eines meiner vielen Netzwerktreffen war der Sozialdienst der Gemeinde Bozen, der Dienst für Abhängigkeitskranke der Stadt Bozen und die Caritas. Es ist auch ein wenig meine Aufgabe als Bereichsleiterin präsent zu sein, sich mit anderen Netzwerken auszutauschen, Synergien zu schaffen. Wir bieten auch den Schulen viele unterschiedliche Workshops an, in diesem Umfeld war ich auch früher schon aktiv vor Ort.
Wie stellen sich für dich die Klienten von La Strada dar? (Alter, sozialer Hintergrund, Chancen der Entwöhnung usw.)
Das Alter unserer Klienten im Bereich Abhängigkeit ist zwischen 18 und 70 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 40 und 50 Jahren. Kinder und Jugendliche werden ebenfalls von La Strada, aber nicht in meinem Bereich betreut. Wir haben aber auch Klienten in unserem Bereich, die vorher im Jugendbereich schon in La Strada Diensten betreut wurden.
Welche beruflichen und vielleicht privaten Erkenntnisse gewinnst Du aus der täglichen Arbeit?
Nun, als ich noch in der direkten Arbeit mit den Klienten war, bemerkte ich, dass es für mich nicht immer leicht war abzuschalten, die beruflichen Erlebnisse im privaten Leben außen vor zu lassen. Die damals gehörten Lebensgeschichten haben mich mental oft sehr beindruckt. Jetzt habe ich etwas mehr Abstand, außerdem merke ich, dass mir die Arbeit mit den Erwachsenen mittlerweile besser gefällt, als die mit Kindern und Jugendlichen. Ich habe jetzt das Gefühl, dass man bei der Arbeit mit Kindern erfolgreicher sein kann. Bei Erwachsenen arbeitet man oft nur in Richtung Schadensminimierung, Akzeptanz der Krankheit, oder rehabilitativ, bei Kindern hatte ich immer den Anspruch sie quasi retten zu müssen, sie auf einen guten Weg zu bringen. Bei Erwachsenen ist es eher das Ziel den chronisch Kranken zu helfen, sie zu begleiten, um deren Lebensqualität zu verbessern.
Wie willst Du deine Position, deine Arbeit künftig gestalten? Was willst Du tun und was willst Du lassen?
Ich will auf jeden Fall die gute Zusammenarbeit fördern, unsere Identität bewahren. Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun. Ich möchte Dinge die mir in früheren untergeordneten Tätigkeiten aufgefallen sind verbessern oder verändern. Ich möchte für meine Mitarbeiter immer erreichbar sein. Ich will neue Kollegen besser kennenlernen.
Wie stellt sich die aktuelle Situation in Südtirol für die tägliche Arbeit dar? Ist es „draußen“ besser oder schlechter geworden?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir bei La Strada in einer Blase sind, in der die Menschen von Problemen geprägt sind. Aber ich bin überzeugt, dass es auch schöne Seiten gibt, dass es gesunde und engagierte Jugendliche und Erwachsene gibt. In meiner Situation habe ich es nun mal mehr mit den Krankheiten zu tun, wenn wir aber zum Beispiel in Schulen gehen, sehen wir schon, dass auch das positive, gesunde Leben sehr präsent ist.
Gibt es italienweite Kontakte, Zusammenarbeit oder sogar über Italien hinaus?
Ja, wir sind ein unter anderem auch Mitglied und ein Teil von FICT, der
Federazione Italiana delle Comunità Terapeutiche, über EX IN haben wir Kontakte nach Deutschland. Es gab früher Kontakte nach Österreich, allerdings stellt sich dort die Thematik Sucht anders dar als bei uns und ist nicht vergleichbar.
Was sind Deine Erfahrungen über das Image von La Strada?
Gemischt, aber es fällt im Gespräch mit Jugendlichen auf, dass sie La Strada wegen der Jugendarbeit mit Minderjährigen gut kennen. Wenn man dann mit deren Eltern redet, kennen sie La Strada oft nur aus dem Suchtbereich. Also sind wir über die Generationen schon bekannt, aber mit dem Alter der Außenstehenden wechseln die draußen bekannte Schwerpunkte. Auf jeden Fall haben wir in der Wahrnehmung in der Bevölkerung ein gutes, positives Image
Was kannst Du zur Privatperson Manuela Gius sagen? Welchen Ausgleich zur Arbeit schaffst Du für dich?
Da ich einen Partner in Bozen habe, muss ich nicht mehr täglich pendeln. So gewinne ich Freizeit und habe ein angenehmes Privatleben. Ich habe aber auch noch meine Wohnung im Pustertal, wir sind wir am Wochenende oft dort. Ich klettere sehr gerne in den Bergen, Klettersteige sind mein Hobby, außerdem das Reisen im Großen aber auch mit dem VW-Bus im kleinen Umfeld. Ich bin schon sehr viel gereist, ich liebe es zu Reisen, habe aber noch Traumziele: ganz oben stehen die Nordlichter, Südamerika und Afrika will ich auch noch einmal besuchen.
Gibt es ein Schlusswort? Eine Lebensweisheit, Ein Credo?
Mein Familienmotto lautet: Mache dir keine Sorgen über Dinge die nicht anstehen. Sinngemäß bedeutet das für mich, das hier und jetzt zu genießen und zuversichtlich zu sein.