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Blind, Stock, mit Kind
Es vergeht kein Tag mehr, an dem ich nicht wünsche wieder jung zu sein. Die Kraft zu verspüren meinen Visionen und Träumen nachzuhecheln, selbst wenn diese sinnlos sind, ganze Bäume ausreißen zu wollen, vielleicht sogar die Welt zu ändern. Eine Kraft, die
durch alle meine Adern fließt und meinen Körper und Geist mit Energie erfüllt, wie man sie nur aus dämlichen Redewendungen kennt, voll im Saft zu stehen, sozusagen. Sehen zu können wie ein Adler; gehen zu können, stolz wie ein junger Spanier; hören zu können wie ein Luchs; riechen wie ein Spürhund auf der Fährte nach Wild; schmecken, ja schmecken, einfach schmecken und das Leben in vollen Zügen aufsaugen. Frauen nachzujagen, einfach so zum Spaß. Ohne dabei rot zu werden, wenn man einen Korb bekommt, denn es gibt ja noch reichlich andere, Frauen meine ich und Körbe sicher auch. Andererseits, wieder jung zu sein würde auch nichts daran ändern. Was habe ich mir damals nur angetan und Gedanken gemacht, wegen nichts und wieder nichts? Es erginge mir sicherlich wieder gleich. Eigentlich sinnlos sich da nachträglich etwas vorzumachen. Heute schwinden mir die Sinne. Es schmerzt, nicht mehr mit dem Auto fahren zu können, da ich ja nicht mehr vernünftig sehe und höre. Ich stelle eine Gefahr für andere dar, man führe sich das einmal vor Augen. Tja, können vor lachen. Bus fahren muss ich jetzt, abhängig bin ich von anderen, allen falle ich zur Last. Das ganze Leben besteht nur mehr aus Erinnerungen. Die Realität ist verschwommen, nicht einmal Straßenschilder sehe ich noch klar. Ein Spaziergang bringt nur kurzfristige Erleichterung. Zu sehr bin ich abgelenkt von den Geräuschen der Umgebung. Vogelgezwitscher kann nicht mehr als solches wahrgenommen werden, es schrillt nur irgendwie so im Gehör und ermüdet mich. Und das im Frühling! Überhaupt, alles ermüdet mich so furchtbar, dabei bin ich voll von Energie,
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weiß gar nicht, wo ich hin soll damit. Aber vielleicht ist es gerade das, was mich so auslaugt, zu wollen, aber nicht zu können. Ich war Geschäftsmann, besaß eine Firma, trug Verantwortung, war angesehen. Und jetzt, ich will noch immer aktiv sein, doch kann ich nicht mehr. Alt bin ich geworden, und meine Sinne versagen mir sogar, meinen Lebensabend würdig zu bestreiten. Warum ist das so? Bezahlt man im Alter für die Sünden seines Lebens? Vielleicht, wahrscheinlich sogar. Alles ist ja irgendwie ein steter Kreislauf. Wie auch immer, ich kann nichts mehr daran ändern. Nur am Stock gehen möchte ich nie, sollte ich auch blind werden und nichts mehr hören, völlig abgeschnitten sein von der Außenwelt, so bin ich doch zu stolz um meinen schwächelnden Körper über meinen Willen siegen zu lassen. Ich bin fünfundsiebzig, was soll mir das Leben schon noch Großartiges bringen? Viel zu viel habe ich
v o n G r e g o r G r a t s c h n e r bereits erlebt und durchlitten um nochmals jung sein zu wollen, ehrlich gesagt. Trotzdem, es wäre schön zu wissen, was aus meinen Kindern und Enkeln letztendlich wird. Meine Kinder, die haben ihren Weg schon gefunden, doch meine Enkel. Sie sehen sich jetzt gerade konfrontiert damit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Weiß Gott nicht einfach. Beweisen möchte man sich, Idealen folgt man, die dann doch nicht zum E r w ü n s c h t e n führen. Manch einer schafft es doch, sich einen Traum zu erfüllen. Wie sehr ich ihnen das doch wünsche. Zu kämpfen für etwas, das sich lohnt. Sie werden das schon machen. Die Dinge regeln sich meist ohnehin von selbst, lächerlich zu glauben, man könnte sie beeinflussen. Nein, eigentlich möchte ich nicht noch einmal jung sein; ich hätte viel zu große Angst zu versagen. Oder vielleicht doch? Der Intensität und Brutalität des Lebens noch einmal von Neuem ausgeliefert sein? Ich glaube, so oder so passt es ohnehin nie. Weder jung noch alt zu sein ist einfach. Was soll ich mich darüber aufregen, dass die kleine Kröte mir nicht den Sitzplatz freimacht, obwohl das Schild ihn sogar darauf hinweist und er mich frech anglotzt, so gut sehe ich immerhin noch. Zwar gehe ich nicht am Stock, trage auch kein Kind auf dem Arm und bin noch nicht ganz blind, doch könnte der Bursche seinen Hausverstand dem armseligen Schild anpassen und mir seinen Platz anbieten, wo er doch sieht, dass ich mich schwer tue beim Stehen während der Fahrt. Der Fahrer glaubt offensichtlich auch, er wäre Schuhmacher, so wie der die Haltestellen anbremst. Aber was juckt mich das, wozu darüber aufregen? Ich schaffe das schon. „Und außerdem, der Kleine wird auch noch einmal alt werden!“, dachte der reife Herr bei sich und lächelte den Jungen ungeniert an, mit der gelassenen Überlegenheit eines Mannes, der es bereits besser weiß. ■
Foto: OÖ Tourismus/Erber Picknick im Steinernen Meer im Böhmerwald, mit beeindruckendem Blick ins Land.

Grenzenloses Naturvergnügen zwischen Böhmerwald und Maltsch Auf Stifters Spuren mit GPS
Vorhang auf zum Walken und Biken mit GPS -mit Countdowns und Powerpoints im Nordic-Fitnesspark Schöneben/Ulrichsberg und im Info-Naturcenter Leopoldschlag zwischen dem Oberen
Mühlviertel und Südböhmen. „Nicht Genügend, setzen“, hätte Adalbert Stifter, der große Dichter des Böhm e r w a l d e s , Kunstfreund und Lehrer für dieses coole „Werbedeutsch“ ausgeteilt. Er setzte seine Worte nach unzähligen Wanderungen rund um seinen Geburtsort Horni Plana/Oberplan am Moldaustausee und dem Mühlviertel anders: „Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen des Getreides, das Wogen des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels, das Schimmern der Gestirne halte ich für groß …“ (Roman „Bunte Steine“). Heuer feiert Stifter seinen 200. Geburtstag. Vieles spielt sich dabei in seinen Spuren ab, und der Zufall wollte es, dass gleichzeitig auch mehrere Grenzübergänge zwischen dem Mühlviertel und Südböhmen speziell für Wanderer und Radler aufgemacht wurden und noch werden. Traumspuren für Genießer von Natur, Kultur, Bewegung, Essen und Trinken. Während rund um Leopoldschlag Österreichs einziges Natura-2000-Infocenter, das Europaschutzgebiet Maltsch, und seine Naturund Landschaftsführer die Grenzgänger in Staunen versetzen, „stiftert“ es im Böhmerwald überall. Für den Gourmand besonders erfreulich: 22 Wirte widmen sich speziell der Kulinarik Stifters – und diese stand seiner schriftstellerischen Kunst kaum nach. Dazu mussten die Stifterwirte die Schulbank drücken, sich den Gaumen Stifters zulegen, G’schichterln zu Menüs und Lebenslauf des Jubilars lernen. Stifter-Kochworkshops nannten die Wirte ihr Studium. Warum nicht einfach „Apfelstrudel und Powidltatschkerl“? Um diesen „Schmankerl-Wettstreit“, die Natur, Kultur und Stifter genauer kennen zu lernen, gibt es viele Spuren. Einige davon führen von Ulrichsberg oder dem europaweit bekannten Nordic Fitnesspark Schöneben weg. Fünf Tage, zwei davon in Südböhmen mit einer Übernachtung in Horni Plana/Oberplan, dem Geburtsort Stifters. Geführt oder individuell; als Walker oder Biker (bitte, keine sensiblen Räder!!); mit Karte oder GPS-Gerät oder virtuell; mit dem Grenzberg Plöckenstein/Plechy (1379 m) oder gemütlicher auf Forstwegen. Mit den Glanzpunkten Moldaublick-Warte, Moldaustausee, weltberühmter Schwarzenberg-Holzschwemmkanal, Auge Gottes (Plöckensteinsee), Stift Schlägl, Sumava-Nationalpark, Museen, heuer wieder eröffnete alte Grenzübergänge … und Stifter-Wirten. Originelle Speisen wie Katharrsuppe, Grießpflanzl, Reiswanneln, Millirostbraten, gestürztes Grießko, Forelle in Himbeeressig, Oaknödl, Stubenküken,
v o n G u n t h e r D r e s s n a n d t
Foto: OÖ Landesgalerie Adalbert Stifter, der große Dichter des Böhmerwaldes.
Taube, Wachtel, Tatschkerl verführen zum Ausprobieren. Übersetzungen und Rezepte dazu fassten Georg Friedl („Stifter kulinarisch“) und Kurt Palm („Suppe Taube Spargel sehr sehr gut“) aus Stifters Tagesbüchern und Briefen in ihren Büchern zusammen. Und die Wirte wissen natürlich Bescheid! Mit GPS-Gerät (Global Positioning System) im Rucksack dürfte auch die Heimkehr mit Promillen kein Problem sein. Leihgerät, Karte und die Bedienungsanleitung mit zehn einfachen Geboten gibt es im Tourismusbüro Aigen Schlägl. Eine coole Sache, die zu Stifters Zeiten Science Fiction war. Ohne GPS-Gerät kommen die Landschaftsführer des Natur-Infocenters in Leopoldschlag aus. Ihnen folgen die Wanderer auf Schritt und Tritt, um den interessanten Erzählungen zu zu hören. Oft bewegt man sich bei ihren Ausflügen entlang des Grenzflusses Maltsch und kreuzt immer wieder den ehemaligen „Eisernen Vorhang“, nun umbenannt in „Europas Grünes Band“ oder „Lebenslinie“. Ein Naturjuwel, denn die unmenschliche Grenze verhalf der Natur zu einer jahrzehntelangen Verschnaufpause, schaffte damit ungewollt einen Rückzugsraum für seltene Tier- und Pflanzenarten und eine Naturschutzzone mit Perlmuscheln, Fischottern, Luchsen, Wachtelkönigen und Mooren. Der Maltsch-Töpferweg mit sieben Stationen, die über die Hafnerkunst informieren, gehört zur „Walkerpflicht“, eine Tour von Maria Schnee nach Maria Schnee und retour zur „Bikerpflicht“. Aus Südböhmen Vertriebene errichteten in Hiltschen eine Maria SchneeKirche, um von ihr aus ihre Heimatkirche Maria Schnee bei Rychnov nad Malsi/Reichenau an der Maltsch sehen zu können. Alles bestens mit gelben Tafeln ausgeschildert! Ein Ausflug nach Cetviny/Zettwing mit ihrer gotischen Kirche lohnt sich. Eine Spezialradroute führt zum Grenzübergang Eisenhut, zur alten Pferdeeisenbahnstation Kerschbaum, zum modernen Wettershuttle an der europäischen Wasserscheide, weiter nach Windhaag mit seinen sieben Museen und zurück nach Leopoldschlag, wo das Hafnerhaus über die 300 Jahre alte Töpfertradition Auskunft gibt. Nicht vergessen, sich vorher im Infocenter zu erkundigen, welche kleinen Grenzübergänge geöffnet sind! Landschaftsführer Wolfgang Sollberger weiß über sein 348 Hektar großes Schutzgebiet Bescheid: „Schlapfen und Rennräder sind hier fehl am Platz! Wer will, kann mit mir schon um vier Uhr morgens zur Vogelschau unterwegs sein und bei Dämmerung das Brautwerben des Wachtelkönigs hören“. Hüben oder Drüben – die Grenzen zwischen dem Oberen Mühlviertel und Südböhmen beginnen sich immer mehr zu verwischen und öffnen den Freunden der Natur, Kultur, Kulinarik und Bewegung wieder viele neue, aber auch seit Jahrhunderten gemeinsame Spuren. Wo einst Pferde Waggons zogen, Holz geschwemmt wurde, Schmuggler schlichen oder Stacheldrahtzäune Wege versperrten zieht nun der neugierige Gast als Biker oder Walker mit GPS-Gerät dahin, zu Naturschätzen, Sehenswürdigkeiten oder Gastwirten. Oder, er lässt sich wie Adalbert Stifter einfach grenzenlos dahintreiben. ■

Das granitene Mühlviertel ist ein Paradies für Nordic Walker.
Foto: OÖ Tourismus/Kapfer

Foto: OÖ Tourismus Erber

Das Wandervergnügen im oberösterreichischen Mühlviertel kennt keine Grenzen. BildtextSpeisen auf den Spuren Adalbert Stifters erfreut Leib und Seele.