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Unterwegs am Camino
Beeindruckende Weite
Dem Phänomen Jakobsweg auf der Spur Unterwegs am Camino
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Auf dem Weg zur Einsiedelei San Juan Gleich vorweg: Das Endziel des Jakobswegs (Camino), Santiago de Compostela in Nordspanien, erreichten wir nicht. Es stand diesmal auch nicht im „Marschbefehl“.
Selbst mit dem Fahrrad wäre die knapp 800 km lange Strecke in einer Woche nicht leicht zu bewältigen. Unser Ziel war daher auf halbem Wege die ehemalige Königsstadt Leon. 450 km radelten wir mit allen Umwegen dorthin. Dabei gab es auch eine TopLeistung: Karl Polzhofer, bekannter steirischer Möbelerzeuger aus Pöllau, schaffte diese Strecke mit seinem „HandBike“. Er verlor bei einem schweren Motorradunfall vor einem Jahr ein Bein.
E r s t e H ü r d e n : P o l i z e i u n d P y r e n ä e n
Mit diesem Zulassungsschein dürfe man in Frankreich nicht fahren, wollte uns der Polizist bei einer Fahrzeugkontrolle auf der Anfahrt nach St. Jean Pied Du Port (Hafen der Fußgänger) am Fuße der Pyrenäen klarmachen. Unwirsch reagierte er auf unseren Hinweis, dieser gelte für die gesamte EU. Ganz Nationalist: „Ici France.“ (Hier sind Sie in Frankreich, wo ist die EU ...?) Erst nach längerer Debatte ließ er uns gnädig weiterfahren, nachdem seine Kollegen auf ihn einredeten. Wohltuend freundlich und höflich hingegen seine Landsleute im Pilgerbüro in St. Jean Pied Du Port. Dort holten wir uns die Pässe, die man bei der Durchfahrt oder Nächtigung in jedem Ort stempeln lässt.
S t a r t i n 1 . 0 5 7 M e t e r
Um uns nicht schon zu Beginn völlig zu verausgaben, starteten wir am Ibaneta-Pass auf 1057 Meter Seehöhe. Von da an ging’s fürs Erste einmal bergab, doch folgten bald wieder klei-

Am Ibaneta-Pass in den Pyrenäen: Franz Wuthe, Karl Polzhofer, Jürgen Lehner, Wolfgang Bertl.


Pilgerpass und Jakobsmuschel sind wichtige Ausweisschilder. Stehen geblieben scheint die Zeit in diesem Dorf auf der galizischen Hochebene auf Spanisch Meseta.

nere und mittlere Anstiege, die uns gehörig zum Schwitzen brachten. Unser erstes EtappenZiel war die baskische Hauptstadt Pamplona. Dazwischen lagen knapp 70 km inmitten einer beeindruckenden Landschaft. Es war fast nicht zu glauben, wie Karl Polzhofer mit seinem Handicap schon auf der ersten Etappe sein Bike nur mit den Händen kurbelnd zügig vorantrieb. Nur bei starken Steigungen benötigte er Hilfe, oder wenn es die Kehren hinaufging, nahm in Profi-Abschlepper Franz Wuthe ins Schlepptau. Mit dieser „Rollenverteilung“ kamen wir bis ins Ziel nach Leon blendend voran.
I n d i e G e s c h i c h t e e i n t a u c h e n
Als Zweck unserer Reise hatten wir im Pilgerpass auch Kultur angekreuzt und die kann man am Camino in Hülle und Fülle konsumieren: Schlösser, Klöster, Einsiedeleien, vergessene Ortschaften und römische Siedlungen gibt es an der Strecke in großer Zahl. Eine reichhaltige Beschreibungsliteratur erklärt den Pilgern praktisch jede Sehenswürdigkeit. Wie überhaupt die Dokumentation und die Information über den Pilgerweg bestens aufbereitet ist und wirklich nichts zu wünschen übrig lässt.
H e r b e r g e n u n d H o t e l s
Traditionell übernachten die Pilger (Pelegrinos auf Spanisch) –zu Fuß oder per Rad – in einfachen, aber reinen Herbergen, die es am Jakobsweg in einer Vielzahl gibt. Je früher man eine solche Herberge ansteuert, desto größer ist die Chance auf ein Bettlager. Wir hatten uns für eine etwas bequemere und luxuriösere Variante entschieden. Da wir an unserer Seite ein Begleitfahrzeug wussten, übernachteten wir meist in Paradores. Dies sind staatliche Drei- und Vier-SterneHotels, die man meist in historischen Gebäuden vorfindet. Der

Über die römische Brücke von Punta La Reina geht’s weiter nach Leon. So klein ist die Welt: Zufällig trafen wir Hans Mitteregger aus Pöllau; schon zum zweiten Mal tut er sich die Strapaze an. Eigenwillige, sechseckige Kirche bei Estella, früher auch Grabstätte für Pilger.



Die Ruinen der Jakobsburg – uneinnehmbar und eindrucksvoll. Der Legende nach begann hier alles. Eine olympiareife Leistung von Pilger Karl Polzhofer: 450 km mit dem Hand-Bike. Fachmann Franz Wuthe und Wolfgang Bertl: Reifenpanne vor der Einfahrt in den Zielort Leon im Rekordtempo behoben.



Pilger brachten diesen Jesus aus Holz aus dem Rheinland nach Nordspanien.
Erste wurde im Jahr 1928 eröffnet und mittlerweile gibt es in Spanien knapp 100 davon. Da die meisten Paradores auch eine lange Geschichte hinter sich haben, erlebt der Gast auch sehr direkt das historische Ambiente.
G e g e n d e n Wi n d u n d b e r g a u f
Über weite Strecken verläuft der Camino – jener für Fußgänger und jener für Radfahrer – nebeneinander. Geübte Mountainbiker meiden sogar die AlternativRoute, doch wir nicht. Es ist aber ratsam, die Hauptverkehrswege auf der Strecke Pamplona nach Santiago, sooft es ohne größere Umwege geht, zu meiden. Denn dann erlebt man – so wie wir – weitab von Hauptstraßen die unglaubliche Vielfalt und den Reiz der spanischen Landschaft. Kilometerlang verläuft die Straße völlig flach, schnurgerade am Horizont sich verengend, bis dann wieder recht kraftfordernde, seichte, aber lange Anstiege folgen. Verschärfend kommt starker Gegenwind hinzu, der einem oft sogar bei der Bergab-Fahrt das Gefühl gibt, auf der Stelle zu treten. Mit Pausen und Unterbrechungen saßen wir Tag für Tag zwischen fünf und sieben Stunden im Sattel. Und ich will nicht verschweigen, dass der eine oder andere von uns in so manchen Minuten seinen Drahtesel am liebsten zur Seite gestellt hätte, weil ihm zwischendurch fast die Luft wegblieb und die Kraft ausging. Doch nach einer Labung schöpfte man wieder Mut, das nächste Etappenziel vor Augen. In unserem Fall verbunden mit einem guten Essen und Wein und einem recht komfortablen Bett. Das klassische Pilgervolk verzichtet sogar auf dieses.
Ta u s e n d e l a t s c h e n n a c h S a n t i a g o
Zwischen 25 und 40 km – manche schaffen auch 50 km – spulen die Pilger täglich zu Fuß herunter. Fünf bis sechs Wochen sind sie am Camino unterwegs. „Wir machen jedes Jahr einen Abschnitt“, erklärt uns ein Quartett aus dem Elsass, „bis zum Jahr 2007 haben wir es dann bis Santiago geschafft.“ Die einen mit leichtem Gepäck, auch leichtfüßig, andere wieder schwer bepackt und sich dahinschleppend. Mit einem ordentlichen Wimmerl auf dem Rücken, Blasen an den Füßen und anderen Wehwehchen schleppen sie sich dahin und büßen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Sünden ab. Die Welt ist klein, das gilt auch für den Camino, wo wir zufällig auf den Oststeirer Hans Mitteregger trafen. Er, ebenfalls aus Pöllau, geht den Jakobsweg bereits zum zweiten Mal. Es dauert Tage, bis die Pilger ihren Geh-Rhythmus gefunden haben und sich an die Strapazen gewöhnen. Nur ein freundliches „Ola“ durchbricht oft die Stille am Jakobsweg, aber auch in den Orten gilt dieser Gruß. In den Sommermonaten trifft man am Jakobsweg auch viele junge Menschen, über das
Der Jakobsweg wurde 1993 von der UNESCO zum Kulturerbe der Menschheit erklärt. Er geht auf die Entdeckung der sterblichen Überreste des Apostels Jakobus des Älteren im Wald von Libredón im 9. Jahrhundert zurück, wo sich heute die Stadt Santiago de Compostela befindet. Zum Grab des Apostels gelangt man auf sieben Wegen, obwohl die meisten Pilger den so genannten „Französischen Weg“ benutzen. Er führt in Spanien von dem in den Pyrenäen gelegenen Ort Roncesvalles durch die Autonomiegemeinschaften Aragon, Navarra, La Rioja, Kastilien-León und Galicien. Unter den Pilgern ist eine Reihe von illustren Persönlichkeiten zu finden. Dazu gehören der spanische Nationalheld El Cid Campeador, Philipp II., die heutige spanische Königin Sofía, aber auch Shirley MacLaine und Anthony Quinn. Die Jakobswallfahrt wurde zum Symbol für die Völkerverständigung und brachte eine außergewöhnliche spirituelle, gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Vitalität mit sich, die bis heute anhält. Das diesjährige Heilige Jahr bringt für Galicien durch die Einkünfte aus dem Tourismussektor eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 0,4% mit sich. Man verzeichnete in Galicien bis Ende des Jahres 2004 rund sechs Millionen Besucher. In den ersten acht Monaten schlugen allein 572.830 Pilger in den hunderten Herbergen des Jakobsweges ihr Quartier auf, mehr als doppelt so viele wie im selben Zeitraum des letzten Heiligen Jahres von 1999. Hinzu kommen noch rund 150.000 Pilger, die in Hotels, ländlichen Unterkünften oder privat übernachteten. Der Jakobsweg/Jakobusweg ist ein ganzes Wege-System. Wie die Verästelungen von Bachläufen und Flüsschen zu einem Flusssystem führen, durchqueren verschiedenste Wege ganz Europa nach Spanien. Es ist deshalb auch richtig, von den Jakobswegen in Mehrzahl zu sprechen. In Spanien führt ein Hauptweg, der camino francés, von den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela in Nordwestspanien und noch weiter bis ans Cap Finisterre am Atlantik.
Jahr bevölkert diesen meist die Generation der Eltern. Für die unzähligen Orte und Städte auf dem Jakobsweg bedeuten die Pilger einen eminenten Wirtschaftsfaktor. Auch wenn die Preise in den Herbergen – ab vier, fünf, sechs Euro pro Nacht – günstig sind, in vielen Herbergen auch ein PilgerMenü für sieben Euro angeboten wird: die Menge macht es in diesem Fall. Ganz abgesehen davon, dass abseits von den Routen viele Touristen unterwegs sind, manche nur den einen oder anderen Abschnitt durchwandern und damit ebenfalls viel Geld im Lande lassen.
L e o n i n S i c h t
Doch kommen wir nach diesem Ausflug zurück zu unserer Radler-Gruppe. Diese kam von Tag zu Tag besser mit dem Pilgerweg zurecht, weil man sich ebenfalls an die anstrengende Radlerei gewöhnt hatte. Nur eines war wichtig: das Ziel in Leon zu erreichen. Wobei ich eines nicht verschweigen will: Bei der Fahrt in den großen Städten am Camino muss man gehörig auf der Hut sein, weil die Spanier nicht gerade die langsamsten Autofahrer sind. So manche enge Situation erlebten wir und waren heilfroh, letztendlich völlig unbeschadet in Leon die Ziellinie zu überqueren. Wobei danach sofort die Frage kam: „Und wann knöpfen wir uns auch den zweiten Abschnitt bis nach Santiago de Compostela vor?“ ■


Rund 800 beschwerliche Kilometer warten auf die Pilger bis nach Santiago.

Damit unsere Betreuer Ivan, Franz und Wolfgang am nächsten Tag wieder bei Kräften sind, laben sie sich bei guter spanischer Kost und einem guten Tropfen Wein. Unser Zielort Leon mit dem 5-Sterne-Paradore. Die Paradores

Spanien-Kenner schätzen sie und Erst-Besucher sind überrascht von ihrem historischen Ambiente und der Qualität – den Paradores.
Bereits 1928 eröffnete König Alfons XIII. den ersten Parador in der Sierra Gredos. Mittlerweile gibt es knapp 100 dieser staatlichen Hotel-Organisationen, verstreut auf alle Regionen Spaniens. 1926 gab der Marquis de la Vega Inclán über das Königliche Kommissariat für Tourismus, das im Jahr 1911 gegründet worden war, den Anstoß für ein Projekt, das Einrichtungen für Übernachtungen in der Sierra de Gredos vorsah. Dieses Hotel sollte dem Tourismus die Schönheiten der dortigen Landschaft erschließen. Der Vorschlag begeisterte den König Alfons XIII. so sehr, dass er persönlich den Standort für das Hotel auswählte. Nach der Eröffnung des Paradore de Gredos wurde die „Vereinigung der Paradores und Unterkünfte des Königreichs“ ins Leben gerufen. Diese Hotels sollten Unterkünfte für Ausflügler bieten, das internationale Ansehen Spaniens heben und für den Tourismus die Schönheiten der dortigen Landschaft erschließen. Alle Anstrengungen waren von nun an darauf gerichtet, die ursprüngliche Idee umzusetzen und ausgewählte historische Bauwerke und besonders schöne Landstriche zu nutzen, um in diesen weitere Paradores einzurichten. Weitere Eröffnungen der Paradores in Oropesa (Toledo, 1930), Úbeda (Jaén, 1930), Ciudad Rodrigo (Salamanca, 1931) und Mérida (Badajoz, 1933) sind deutliche Beispiele dafür, wie die besonderen Ansprüche von Übernachtungsmöglichkeiten mit der Instandsetzung von Schlössern, Palästen und Klöstern in Einklang gebracht werden können. Durch den Einsatz von Paradores können Bauwerke und Sehenswürdigkeiten von besonderer Bedeutung für die Geschichte und Kultur Spaniens vor dem Verfall und dem Vergessen gerettet werden. 1928 konnte sich niemand vorstellen, welche Auswirkungen diese einfachen Eröffnungsfeierlichkeiten des ersten Paradors haben würden. Mit diesem Gebäude wurde der Grundstein gelegt für
Eintauchen in die Vergangenheit … Eintauchen in die Vergangenheit …
eine einzigartige Hotelkette, die nicht nur wegen der Anzahl ihrer Einrichtungen und Bettenzahl als herausragend zu verstehen ist, sondern auch aufgrund der durchgreifenden Innovationen, die dem spanischen Hotelgewerbe im Allgemeinen permanent durch das Unternehmen vermittelt werden. Einer der Grundpfeiler der Unternehmensstrategie beruht darauf, immer an erster Stelle bei der Servicequalität zu bleiben. Eine Voraussetzung dafür besteht darin, ein Gebäude mit jahrhundertealter Geschichte oder eine wunderschöne Landschaft genießen zu können und gleichzeitig auf die Bequemlichkeiten unserer Zeit nicht verzichten zu müssen. Aus diesem Grund erneuert Paradores ständig seine Arbeitsprozesse und nimmt in seine Einrichtungen neue Technologien auf, um den Aufenthalt seiner Gäste oder eine Geschäftsbesprechung zu einem unvergesslichen Erlebnis werden zu lassen.