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KLIPP COVERSTORY
So kennen wir die Speedqueen: Volle Pulle, hopp oder tropp
Speed-Queen Renate Götschl – die steirische Ausnahmesportlerin
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Die Frau ohne Bremse will’s noch mal wissen

Sie ist Österreichs beste Titelstory Alpine: Renate Götschl. Ihre Welt sind die internationalen Weltcuphänge, ihre Stärke: am Start das Hirn ausschalten, ihr Gegner: die Zeit, die Hundertstel Sekunden, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Meist steht sie ganz oben am Podest. Renate Götschl ist aber auch das natürliche Bauernmädel geblieben, hilft am elterlichen Bergbauernhof mit. Wenngleich, stolz ist sie schon, mit bisher 37 Siegen Dritte in der ewigen Bestenliste zu sein. Bei Olympia 2006 in Italien will die 29Jährige noch fehlendes Olympia- Gold einfahren.
v o n H e l m u t B a s t Es lief gar nicht gut. Wetten wurden abgeschlossen, dass sie wieder ausfallen würde. Die legendären Sturzorgien der Renate Götschl in der Saison 1994/95 und 1995/96 sind noch vielen interessierten Fernsehzuschauern in guter Erinnerung. Die Frau ohne Bremse, immer volle Pulle, war in aller Munde. Bis auf einen in allen Riesentorläufen hinausgeflogen. Auch im Slalom oft die sich gleichenden Sturzbilder: Renate Götschl ausgefallen. War ihr Slalom-Sieg (mit hoher Startnummer) gleich in ihrem zweiten Weltcuprennen in Hafjell 1993, den die erst 17Jährige in ihrem ersten Weltcuprennen eingefahren hat, doch nur eine Eintagsfliege? Bald hatte man den unrühmlichen Titel für sie parat: Die Sturzqueen. Ihr Motto: Volle Pulle, hopp oder tropp wurde ihr zum Verhängnis. Und das meist schon nach wenigen Toren. Etwas Trost spendeten damals zumindest die Speedbewerbe, Abfahrt und Super G, wo sie in dieser Zeit zumindest im guten Feld landete, viel seltener ausfiel. Beim Weltcupfinale in Bormio 1995 ist sie mit bester Zwischenzeit unterwegs zum ersten Weltcupsieg in der Abfahrt: Fünf Fahrsekunden



Mit Mutter Elfriede vor dem allerersten Rennen (1978)
vor dem Ziel landet sie im Schnee. Hopp oder tropp. Noch ein Jahr zuvor nannte sie der große Karl Schranz „die frechste Aufsteigerin der Saison“. War es das gewesen? Ging es die junge Steirerin einfach zu wild an? Kann sie das Dosieren nicht lernen? Wie ist das zu erklären?
H a r t e s A r b e i t e n a m E r f o l g
Renate Götschl selber vermutet im KLIPP-Interview über diese Zeit 1993–1996: „Ich habe jung schnell Erfolg gehabt und daran anschließend zu hohe Erwartungen gehabt. Letztlich war das eine Lernphase. Vielleicht hat auch der Trainer nicht gepasst. Es hat einiges nicht zusammengepasst. Es hat die Konstanz gefehlt. Daran habe ich dann gearbeitet.“ Daran arbeiten, ein Markenzeichen der Renate Götschl. Hin und wieder ist ein Sieg, ein guter Platz gelungen, im Gedächtnis bleiben die schlimmen und vielen, die „dummen“ Ausfälle. Hoffnungen, die Trainer, die Öffentlichkeit und die Fans in sie gesetzt hatten, wurden immer wieder enttäuscht. Es wäre nicht die Renate Götschl, die später als die sensationelle Speedqueen für Begeisterung sorgte, hätte sie nicht auch dieses hartnäckige Tief mit ihren beharrlichen Tugenden, die das „Geheimnis“ ihrer späteren Erfolge ausmachen, überwunden: „Das Geheimnis! Es heißt wahrscheinlich konsequent sein und standfest. Es gibt nicht immer rosige Tage. Man muss weiterarbeiten, darf nicht aufgeben, muss schlechte Tage nutzen, um aus den Fehlern zu lernen“, bekennt Götschl. Hinzu kommt vielleicht eine den Bewohnern des steirischen Zirbenlands, wo sie herkommt, zugeeignete Sturheit. Denn an ihrem ultimativen Fahrstil – immer volle Pulle – wird sich auch in den kommenden Zeiten des Erfolges nichts ändern. Das wäre nicht die Renate Götschl. Sie ist nur gereifter.
Foto: Archiv R. Götschl
In Köflach wurde Renate 1986 zum zweiten Mal steirische Kindermeisterin. Eine schwere Knieverletzung kostet Götschl 2002 den Gesamtsieg.
Vo n d e r S t u r z - z u r S p e e d q u e e n
Kontinuierlich arbeitet sich die Sturz-Queen in allen Disziplinen nach vorn. Die Abfahrt wird ihre neue Stärke. In der Saison 1997/1998 erfährt sich Renate Götschl hier durchwegs erste und zweite Plätze. Der Bann ist endgültig gebrochen. Es war die Wiedergeburt einer neuen Renate Götschl. In den zwei folgenden Jahren ist es nicht anders. Sie ist in allen Disziplinen immer wieder vorne dabei. 1998/1999 wird sie noch Dritte im Gesamtweltcup. 1999/2000 passt alles, vor allem im Super G. Sie gewinnt überlegen mit 325 Punkten Vorsprung den Gesamtweltcup vor der weiteren Österreicherin Michaela Dorfmeister. Seither ist ihre Fangemeinde enorm angewachsen. Sie ist mit Abstand die beliebteste und auch erfolgreichste steirische Sportlerin, und das wegen ihrer Geradlinigkeit und Bescheidenheit. Auch in den folgenden Saisonen war Götschl immer vorne dabei, immer beste Österreicherin: 2000/ 2001 und 2001/2002: jeweils 2. im Gesamtweltcup und auch heuer errang die Speed-Queen im Gesamtweltcup den dritten Platz, hinter der starken Schwedin Anja Persson und der Kroatin Janica Kostelic. Immerhin wird Götschl Beste in der Abfahrt und im Super-G.
E i n K i n d d e s s t e i r i s c h e n Z i r b e n l a n d e s
Eigentlich sind die Berge um das obersteirische Aichfeld nicht so hoch. Der höchste Berg in der nahen Umgebung der Götschl-Gemeinde Schwarzenbach-Eppenstein, das Kickerloch, ist gerade mal 1.659 m hoch. Es gibt auch kein klassisches Skigebiet. Judenburg, Zeltweg und Fohnsdorf unten im Tal, wo Industrie, Eisen und Stahl das Sagen haben. Dass in der Gemeinde Eppenstein auf über 1000 Meter Seehöhe, wo der Bergbauernhof der Götschls liegt, dennoch eine Ausnahmesportlerin heranwächst, ist mehr als überraschend. Die Eltern Elfriede und Anton haben vier Kinder: Harald (1967), Manfred (1968), Peter (1970) und die Nachzüglerin Renate. Der Schnee und Ski fahren sind bald ihr Element. Ski fahren lernt sich die zweieinhalbjährige selber,
D i e g r o ß e n E r f o l g e d e r R e n a t e G ö t s c h l
EWIGE BESTENLISTE: Annemarie Moser-Pröll: 62 Siege. Vreni Schneider (SUI): 55 Siege. Renate Götschl: 37 Siege. Katja Seizinger (GER): 36 Siege
WELTCUP: Ab 1996 geht es endgültig hinauf an die Spitze. 1996/97: 8. im Gesamtweltcup, beste Abfahrerin; 1997/98: 7. im Gesamtweltcup, 2. in der Abfahrt und im Super-G; 1998/99: Gesamtdritte, 1. in der Abfahrt; 1999/2000: 1. im Gesamtweltcup, 2. in der Abfahrt, 1. im Super-G; 2000/ 2001: 2. im Gesamtweltcup, 2. jeweils in der Abfahrt und im Super-G; 2001/2002: wegen Verletzung ab März 2002 nur 2. im Gesamtweltcup, 4. im SuperG, 5. in der Abfahrt; 2002/2003: 7. im Gesamtweltcup, jeweils 2. in der Abfahrt und im Super-G. 2003/2004: 2. im Gesamtweltcup, 1. jeweils in der Abfahrt und im Super-G; 2004/2005: 3. im Gesamtweltcup, 1. in der Abfahrt, 2. im Super-G.
WELTMEISTERSCHAFTEN: 2000/2001 St. Anton: Silber in der Abfahrt 1998/99 Vail: Gold in der Abfahrt, Silber im Super-G, Silber in der Kombination 1996/97 Sestriere: Gold in der Kombination
OLYMPISCHE WINTERSPIELE: 2002 Salt Lake City: Silber in der Kombination, Bronze in der Abfahrt
Stolz auf seine Jüngste: Vater Anton freut sich mit Renate Götschl.

Techniktipps geben die älteren Brüder. Renate Götschl hat schon mit drei gewusst, dass sie Skirennen nicht nur fahren, sondern auch gewinnen will. Im ersten Knirpsrennen heißt bereits die Siegerin Renate Götschl. Renate Götschl, das Naturtalent. Später den weiten Schulweg hinunter ins Tal und wieder herauf hat sie schon früh als Konditionstraining fürs Skifahren gesehen. Beim ersten Skikurs ihres Skiklubs SC Weißenstein, zu dem sie mitgenommen wird, ist sie enttäuscht, weil sie bei den Kleineren, Langsameren mitfahren muss. Bei Kindermeisterschaften ist es endlich so weit: Den ersten Titel holt sie in der Kinderklasse I, sie geht in die erste Klasse. In der Schule ein braves Kind, lässt sie bei den Skirennen die Sau raus. Immer „volle Pulle“. Und sie gewinnt so gut wie immer.
I m O l y m p d e r S k i r e n n l ä u f e r
„Nun wird das Gewinnen schon normal für mich“, schreibt die Elfeinhalbjährige in ihr Renntagebuch. Die Geschwindigkeit übt schon immer einen unglaublichen Reiz auf das Mädchen aus. Die Seriensiegerin, erste Zeitungsberichte verkünden schon das „Supertalent“, fällt natürlich auch den Talentesuchern des Österreichischen Skiverbandes auf. Der Weg ist vorgezeichnet: Sie übersiedelt mit 14 in die Skihandelsschule nach Schladming, kommt vom Jugend- in den Europacup-Kader. Mit 16 ist sie im ÖSV-Nachwuchskader, dem Olymp aller jungen Skirennläufer. Bald bezeichnet sie ein Trainer als „Jahrzehnt-Talent“. 1993 bringt ihren Durchbruch. Da ist der „historische“ Slalomsieg in Hafjell (Lillehammer): Noch nie hatte jemand im Slalom beim zweiten Weltcupstart gewonnen, noch nie hatte man eine Slalomsiegerin mit der hohen Startnummer 42 gesehen. Die Zeitungen staunen: „Die 17-Jährige tauchte aus dem Nichts auf.“ Sie ist die Heldin, erhält erstmals ein Preisgeld: 80.000,– Schilling. Es sollten noch viele mehr werden. Vergleiche mit Anneliese MoserPröll werden angestellt. Die Familie kann die ganze Nacht nicht schlafen. Renate Götschl freut sich riesig, bleibt aber am Boden, unbekümmert. Sie will Ski fahren und gewinnen.

Die Gemeinden des steirischen Zirbenlandes empfangen die Weltcupsiegerin von 2000. Auch Hannes Kargl ist stolz auf seine berühmte Freundin.

L e t z t e s Z i e l O l y m p i a g o l d ?
Der Rummel um sie rührt sie nicht. Ihre oft nichts sagenden Statements gegenüber der Presse kommentiert sie kaltschnäuzig: Die müssen mich halt nehmen, wie ich bin. Sie hat kein Showtalent, erfindet keine griffigen Formulierungen, ist geradlinig wie die Leute aus der Gegend, aus der sie kommt. Das ist bis heute so geblieben. Was ist nun ihr Erfolgsrezept? Ihr damaliger Trainer Walter Hubmann formuliert es etwas ruppig: „Ich habe den Eindruck, dass sie oben, am Start, einfach ihr Hirn ausschaltet.“ Sie ist tatsächlich keine, die sich eine Rennstrecke allzu genau anschaut. In den Trainingsläufen immer sehr zurückhaltend, explodiert sie bei den Rennen. Wenn Renate Götschl am Start eines Rennens steht, schaltet sie ab. Sie nimmt die Tore, wie sie kommen, eins mit Ski und Schnee, instinktiv. Findet sie den „Schalter“ nicht, läufts bei den Rennen auch nicht so gut. Längst findet sie den Schalter so gut wie immer. Über ihre nächsten Ziele weiß Renate Götschl ganz genau Bescheid: Eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in San Sicario 2006. Die fehlt noch in ihrer großen Medaillensammlung. Ob die dann 30Jährige danach noch weiterfährt, entscheidet sie nachher.
Hilfreiche Quelle: Werner Kopacka: Renate Götschl. Das Erfolgsgeheimnis der SpeedQueen aus der Steiermark. Steirische Verlagsanstalt, Graz 2000. (Das Buch ist nur noch im modernen Antiquariat erhältlich) ■

Der Zirbengeist: die ganze Region ist stolz auf die Speedqueen.
Siegerpose: 37 Siege hat Renate Götschl in ihrer bisherigen Karriere eingefahren – Dritte in der ewigen Bestenliste. Olympiagold fehlt noch.
Ein Traum meiner Kindheit hat sich erfüllt

Noch bevor Renate Götschl nach der Hektik der Skisaison und dem anschließenden Skitesten in Sölden mit Freund Hannes Kargl zum Ausspannen für zwei Wochen ins warme mittelamerikanische Belize entfloh, gab sie KLIPP ein ausführliches Interview.
KLIPP: Wie schätzen Sie selbst das „Geheimnis“ Ihres Erfolges ein? Götschl: Ich habe ja mit der Technik angefangen. Dann bin ich in die schnellen Disziplinen hineingewachsen. Das hat mir getaugt. Es haben sich Erfolge eingestellt, ich habe viele Abfahrten gewonnen. Das Geheimnis! Es heißt wahrscheinlich konsequent sein und standfest. Es gibt nicht immer rosige Tage. Man muss weiterarbeiten, darf nicht aufgeben, muss schlechte Tage nutzen, um aus den Fehlern zu lernen. Dazu kommt das Material, das Zusammenspiel von Kopf und Körper, der Trainer spielt eine wichtige Rolle. Das Umfeld muss passen. KLIPP: Was bedeutet Erfolg für Sie? Götschl: Das ist im Sport das oberste Ziel. Man arbeitet das ganze Jahr darauf hin, Erfolg zu haben. Man fährt bei den Rennen die Ernte ein für ein ganzes Jahr Arbeit. Man trainiert, um es in den 40 bis 50 Schneetagen umzusetzen. KLIPP: Was war der schönste Moment in Ihrem Leben? Götschl: Es gibt viele schöne Sachen: Dass nach meiner Knieverletzung der Erfolg wieder gekommen ist, ich gewonnen habe. Das war mein schönster Erfolg. Aber auch der erste Weltcupsieg in meinem zweiten Rennen. Da hat sich ein Traum meiner Kindheit erfüllt. KLIPP: Wie gehen Sie mit Niederlagen um? Götschl: Ich bin ein Mensch, der da mal zwei Stunden sehr grantig ist. Da bin ich schwer ansprechbar, ärgere mich, suche nach Gründen. Dann folgt die Zeit der Analyse, um aus den Fehlern zu lernen. KLIPP: Was zählt im Leben der Renate Götschl? Götschl: Gesundheit ist ein ganz wichtiger Faktor, die Familie, der Freund. KLIPP: Was bedeutet es für Sie, die Erfolgreichste zu sein? Götschl: Es macht mich stolz, auf eine solche Karriere zurückschauen zu können: Dritte in der Bestenliste! Man freut sich auf seinem Lebensweg viel erreicht zu haben, wenn man unter den Besten aufscheint. KLIPP: Als erfolgreiche Sportlerin verdient man viel Geld. Wie viel haben Sie bisher verdient. Götschl: Das sage ich nicht. Wenn man erfolgreich ist, kann man auch was verdienen. Das ist schön, dass es dazu kommt. Aber ich gehe nicht an den Start, dass ich Geld verdiene. KLIPP: Was werden Sie mit dem Geld machen? Götschl: Ich mache das, was mir Spaß macht. Das Geld ist gut angelegt. KLIPP: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Werden Sie nach den Olympischen Spielen in San Sicario 2006 noch weiter. fahren? Götschl: Ich habe noch keine Pläne. Die Olympischen Spiele mache ich schon. Da ist ja noch eine goldene Medaille ausständig. Das ist mein Ziel. In der Abfahrt oder im Super G bestehen große Chancen. Je nachdem, wie ich dann körperlich beieinander bin, entscheide ich, ob ich nachher noch weiterfahre. KLIPP: Wie schaut die Lebensplanung nach dem aktiven Rennfahren aus? Götschl: Jetzt bin ich noch mittendrin. Kinder will ich schon, wenn ich fertig bin mit dem Rennfahren, eine Familie gründen. Sonst muss ich schauen, was mich interessiert. KLIPP: Sie haben vor fünf Jahren von den Zirbenlandgemeinden einen Grund geschenkt bekommen. Was werden Sie damit tun? Götschl: Ich wohne noch zuhause bei meinen Eltern. Was ich mit dem Grund tue? Mal sehen. KLIPP: Hannes Kargl, Chefredakteur der Murtaler Zeitung, ist ihr Lebensgefährte. Steht da bald eine Hochzeit ins Haus? Götschl: Er ist mein Freund und Partner, wir leben gut miteinander. Wir kennen uns vier Jahre und sind seit drei Jahren zusammen und passen auch gut zusammen. Über eine Hochzeit will ich noch nichts sagen.