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Gemordet wurde bis zuletzt

O p f e r d e r l e t z t e n K r i e g s t a g e

Hunderte Menschen fanden in den SS-Hinrichtungsstätten am Feliferhof und in der „SS-Kaserne Wetzelsdorf“ (heute Belgierkaserne) zwischen 1941 und 1945 den Tod: Hingerichtet oft ohne Gerichtsurteil.

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Im großen österreichischen Gedenkjahr 2005 wird vielfach von der Stunde null an gedacht: Gründung der 2. Republik, Besatzungszeit, Staatsvertrag 1955 ... Doch vor genau 60 Jahren geschahen hier Gräuel, die viele in der Nachkriegszeit gemäß der Opfer-These gerne vergessen wollten. Denn bis in die letzten Kriegstage mordete die SS, trotz der Sinnlosigkeit angesichts der nahenden Sowjetarmee. Noch heute – so lässt die Forschung vermuten – liegen Ermordete in Massengräbern in der Belgierkaserne begraben. KLIPP berichtete in der letzten Ausgabe. Heftig

waren die Reaktionen des steirischen Militärkommandos. Ein Mahnmal im Gedenken an die ermordeten Widerstandskämpfer wird nun von Minister Platter doch erwogen.

v o n H e l m u t B a s t

S S z e i g t k e i n e G n a d e , d o c h Ve r b r e c h e n b l i e b e n u n g e s ü h n t

Das Nazi-Regime war bereits in Auflösung, tausende Soldaten hatten ihre Uniformen ausgezogen und hielten sich versteckt, doch die SS wütete nach wie vor. In diesen Tagen ist es 60 Jahre her, dass die Grazer SS mehrere Personengruppen aus dem Polizeigefangenenhaus Paulustor abholte und in der Folge liquidierte. Treibende Kraft war dabei ein gewisser

Kriminalkommissar und SSObersturmführer Adolf Herz, der auf Anordnung von Gauleiter Dr. Siegfried Uiberreither die Menschen auf den Feliferhof oder in die SS-Kaserne in Wetzelsdorf brachte, wo sie die SS erschoss. Adolf Herz lebte, nach nur 10-jähriger Gefängnisstrafe, relativ ungeniert bis in die 80er-Jahre in Deutschland.

Fritz Marsch. Von der SS am 3. April 1945 ermordet. Am Grazer Hauptplatz: Was im März 1938 mit großer Begeisterung begann, endete bald in der Katastrophe.

Maximilian Haitzmann. Am 7. April 1945 hingerichtet. Josef Logar. Am 7. April 1945 in der SSKaserne erschossen.

Vo r g e n a u 6 0 J a h r e n i n d e r S t e i e r m a r k a m P r ä b i c h l

Noch am 22. April 1945 titelt die „Tagespost“ „Widerstand um jeden Preis“. Die fürchterliche Konsequenz: So trieb man in so genannten „Judenmärschen“ tausende ungarische Juden durch das Land zum KZ Mauthausen und ermordete diese in zahlreichen Massakern. Auch am Präbichl war das der Fall, als eine Eisenerzer SA-Einheit in eine marschierende Kolonne schoß und 200 Menschen ermordete. Als Anfang April die SS auch die Konzentrationslager-Außenstellen Peggau und Aflenz/Leinitz evakuierte, erschoss sie Marschunfähige gleich vor Ort oder brachte sie nach Graz ins Polizeigefängnis, worauf man sie schließlich in der SS-Kaserne oder am Feliferhof ermordete.

K r e i s k y - G e f o l g s m a n n e r i n n e r t s i c h

Am Samstagmorgen des 24. Februar 1945 rissen fünf Gestapo-Männer Fritz Marsch in seiner Wohnung in der Fellingerstraße 3 aus dem Schlaf, verhafteten ihn ohne Angabe von Gründen. Seine Kinder und seine Frau glaubten zunächst an einen Irrtum. Weil die SS bei ihm ein Mitgliedsbuch der Sozialdemokratischen Partei, einige Flugzettel, Mitgliedsbücher der Naturfreunde fand, war sein Schicksal trotz der Einschaltung zweier Rechtsanwälte besiegelt. Wenige Wochen später, am 3. April 1945, ließ Adolf Herz 12 Männer und zwei Frauen des Widerstandskreises Fritz Marsch und Julie Pongracic aus dem Gefängnis am Paulustor abholen, um sie in der „SS-Kaserne“ dem Erschießungskommando zu „übergeben“. Fritz Marsch, Jahrgang 1926, unter Bruno Kreisky Zentralsekretär der SPÖ, erinnert sich: „Mein Vater, der bis 1939 als Direktor des Konsumverbandes in Rottenmann tätig war, dann aber von der NSDAP-Kreisleitung wegen seiner politischen Einstellung dort abgesetzt wurde, hat über Fritz Matzner Kontakte zu Kommunisten und slowenischen Partisanen gehabt und diese aktiv unterstützt. Sie waren die Kontaktstelle und haben Medikamente und Stadtkarten von Graz besorgt und nach Slowenien gebracht.“ Auf einer Fahrt nach Slowenien ist der Mann, der die Medikamente und Karten überbringen sollte, erwischt worden und die ganze Sache ist aufgeflogen. „Ich habe dann die Leichen des Massengrabs vom Feliferhof anschauen müssen. Meinen Vater habe ich da nicht gesehen. Die Leichen waren ja kaum mehr zu erkennen.“

Foto: Bild- und Tonarchiv

A k t e n w u r d e n v e r n i c h t e t , M a h n m a l g e f o r d e r t

Karl Haitzmann. Regt ein Mahnmal für die ermordeten Widerstandskämpfer an. Karl Haitzmann, der Sohn des ermordeten Maximilian Haitzmann, weiß nicht viel über die Gründe, warum sein Vater in die Fänge von Gestapo und SS geraten ist und am 7. April hingerichtet wurde: „Die Akten wurden ja von der SS vernichtet. Einer namens Moretti, der sich als Widerstandskämpfer ausgegeben hat, wurde von der Gestapo in die Widerstandsgruppe Heuberger in Kapfenberg eingeschleust. Soviel ich weiß, hat die Gruppe, in der mein Vater tätig war, Fremdarbeiter runtergeschleust zu den Partisanen.“ In Briefen an Minister Günter Platter und an G e n e r a l m a j o r W i n k l m a y e r vom Militärkommando Steiermark hat er ein Mahnmal angeregt. Anders als im KLIPP-BeErnst Logar setzt Kunst richt der letzten zur Auseinandersetzung Ausgabe dargemit dem Vergessen ein: stellt (wir bedau„Den Blick hinrichten.“ ern diesen Feh-

ler), haben sowohl Minister Platter als auch Generalmajor Winklmayr sehr wohl auf Haitzmanns Briefe geantwortet. Die Zeit ist reif dafür. 50 Jahre hat das Bundesheer Zeit gehabt. Die militärhistorische Denkmalkommission unter Vorsitz des Grazer Historikers Prof. Dieter Binder, an die Haitzmanns Vorschlag zur Prüfung weitergeleitet wurde, hat laut Prof. Binder diese Idee „in einem offenen Diskurs wohlwollend aufgenommen, aber es sind noch Fragen zu klären“. Nun entscheidet der Minister.

D e n B l i c k h i n r i c h t e n

Josef Logar (1915 in Vellach, Kärnten, geboren) wurde ebenfalls mit Maximilian Haitzmann zum Tode verurteilt. Der Grund: Als Magazineur bei der Wehrmacht in Klagenfurt hat er Verbindung zu den Partisanen gehabt und soll ihnen kriegswichtige Anlagepläne zugespielt haben. Mit den Mitteln der Kunst und der Recherche hat sich Enkel Ernst Logar mit dem Thema der Morde im Nationalsozialismus auseinander gesetzt. „Den Blick hinrichten“ nennt er sein Projekt, das eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema „Gedenken“ und den Auswirkungen des Verlustes für die Familie ist. Und belegt auch, wie mühsam sich Josef Logars Frau Johanna nach dem Krieg durchschlagen musste. Durch die Ermordung ihres Mannes „seelisch gebrochen“, musste sie mit zwei kleinen Kindern bei den Behörden um „Wiedergutmachung“ kämpfen. Zwar hat sie als „Opfer“-Witwe eine Trafik zugesprochen bekommen, doch die Tatsache, dass auch ihre drei Brüder als Partisanen umkamen und die Schwester im KZ Ravensbrück war, „zeigt bis heute Auswirkungen auf die Familie“, so Ernst Logar. Indem die Familie ein vermeintlich „schützendes Schweigen“ über die Ereignisse hüllte und noch immer keinen gedenkenden Umgang mit den Ereignissen findet. Ernst Logar: „In Kärnten schweigt man bis heute zu den Ereignissen des Krieges.“ Immerhin macht Logar in einer Ausstellung in Villach seine persönliche Betroffenheit als Nachgeborener anschaulich. (Info: www.denblickhinrichten.at)

L a n g e s Ve r g e s s e n u n d Ve r s c h w e i g e n

Dass der Nazi-Mordwahn auch vor nahen Mitarbeitern nicht Halt machte, zeigt der Fall der Dr. Julie Pongracic: Die Sekretärin des Gauleiters Siegfried Uiberreither war von Bekannten „verraten“ worden: Ihr Freund wäre als Sozialdemokrat bei einer Widerstandsbewegung gegen die NSDAP. Ohne weitere Beweisführung reichte das für das Todesurteil, ohne dass je ein reguläres Gerichtsurteil ausgesprochen wurde. Aber nicht nur Insassen des Landesgerichts waren der SSWillkür über Leben und Tod ausgesetzt. Allein in der Nacht vom 3. auf den 4. April 1945 erschoss die SS in ihrer Kaserne in Wetzelsdorf 80 bis 150 ungarische Juden. Es sind vermutlich jene Leichen, die dann im Massengrab am Feliferhof aufgefunden wurden. Nach heftigen internen Widerständen erwirkte der engagierte Offizier Oberst Manfred Oswald Anfang der achtziger Jahre eine Gedenktafel für die Ermordeten auf dem Feliferhof. In der Grazer Belgierkaserne (der ehemaligen SS-Kaserne), die heute überwiegend Bundesheer-Verwaltungseinheiten beherbergt, wurden über Jahrzehnte Grundwehrdiener des Bundesheeres ausgebildet, die keine Ahnung von den Gräueln während der NS-Zeit in ihrer Kaserne hatten. Über 50 Jahre verabsäumte es das Militärkommando, darauf hinzuweisen. Es herrschte auch dort das Verschweigen und Vergessen. Das Bundesheer vermied damit seit seiner Etablierung im Jahr 1955 als „Gewalt“ eines demokratischen Staates die notwendige, auch symbolische Abgrenzung zum Schreckensregime bis 1945. Das heurige Gedenkjahr und das Agieren einer neuen, unbefangeneren Offiziersgeneration, die als entschiedene Demokraten deren Werte hochhalten, sollten Anstoß genug sein, auch auf die Mordstätte „SS-Kaserne Wetzelsdorf“ hinzuweisen.

Erschießungen werden im Prozess nicht wichtig genommen

Die hauptverantwortlichen Täter, alle führenden SS-Männer, erhielten angesichts der begangenen Gräuel nur geringe Strafen oder konnten wie im Fall Uiberreither untertauchen. Gauleiter Siegfried Uiberreither ordnete bis zuletzt Ermordungen an. Er konnte mit neuer Identität als Friedrich Schönharting untertauchen und lebte bis 1984 in Sindelfingen bei Stuttgart (siehe KLIPP März 2005). Während sein Grab am dortigen „Burghaldenfriedhof“ sehr wohl bekannt ist: Block G, Reihe 2, Nr. 7, sind viele seiner Opfer unbekannt in Grazer Massengräbern gelegen. Kriminalkommissar und SS-Obersturmführer Adolf Herz war als leitender Gestapobeamter in seinem Vorgehen äußerst brutal: Terror, Misshandlungen und Folterungen standen bei ihm auf der Tagesordnung. Er vollführte die Transporte zum Feliferhof und zur SS-Kaserne. Die Erschießungen gegen Kriegsende nehmen im Prozess gegen Herz keine besondere Stelle ein, er wird nur wegen Misshandlungen von Gefangenen angeklagt und zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. SS-Sturmbannführer Willi Schweitzer hat laut Zeugenaussagen die „ganzen Erschießungen“ sowohl am Feliferhof als auch in der SS-Kaserne geleitet und wird vom US Court for War Crimes für Kriegsverbrechen im Warschauer Ghetto im April 1943 lediglich zu einigen Jahren Gefängnis verurteilt. Er starb am 04.04.1993 in Minden/Westfalen.

D i e To t e n i n d e n B o m b e n t r i c h t e r n d e r S S - K a s e r n e

Hingerichtet in der SS-Kaserne oder am Feliferhof, verscharrt entweder in einem der Bombentrichter der SS-Kaserne Wetzelsdorf, im Massengrab am Feliferhof oder in einem Wald in Mariagrün. Der Verbleib und die Identität der meisten Opfer ist unklar. Sicher ist, dass sie trotz des nahen Kriegsendes diesen sinnlosen Tod starben. Bei den Exhumierungen nach Kriegsende vom 18. bis 21. Mai 1945 barg man in einem Massengrab am Feliferhof insgesamt 142 Leichen, die die SS noch Anfang Mai 1945 von Häftlingen aus den Bombentrichtern der SSKaserne ausgraben ließ und in mehreren Nachttransporten auf den entlegeneren Feliferhof verbrachte. Am 24. Mai 1945 wurden die Opfer am Zentralfriedhof feierlich beigesetzt. Doch schon damals wurden Zweifel laut, ob dieses Massengrab alle zu Kriegsende erschossenen Personen enthielt und nicht noch mehr Leichen am Gelände der Belgierkaserne begraben liegen, dass also die „Räumung“ der Bombentrichter nicht vollständig durchgeführt werden konnte. Angesichts der nahenden russischen Armee, des Chaos der sich auflösenden Einheiten von Wehrmacht und SS, die sich wohl nicht mehr viel darum kümmerten, wo „ihre“ Toten verscharrt werden sollten, nahe liegend.

PS: Ab 22. April zeigt das Bildund Tonarchiv mit der Ausstellung „Wo keine Steiermark, da kein Österreich“ in Graz eine kritische Auseinandersetzung mit der Besatzungszeit. Ort: Joanneum, Neutorgasse 45 ■

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