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Der Semmering hat zwei Seiten

Die Steirer sagen Ja zum Tunnel, namhafte Experten bezweifeln seine Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Der Semmering hat zwei Seiten

Es ist verständlich, dass die Steirer sich für den Bau des Semmeringtunnels stark machen, soll er doch eine noch raschere Verkehrsanbindung an den Zentralraum Wien bewirken. Die vor wenigen Monaten für den Verkehr freigegebene Straßentunnelanlage wird logischerweise von den Verkehrsteilnehmern als Segen empfunden. Vergangenheit ist die Quälerei im Stau über die Berghöhe des Semmering. Damit erhöht sich der Erholungswert der Feriengäste im Traditionskurort schlagartig. Doch bei so viel Engagement verengt sich nicht selten der Blick und wichtige Argumente, die das Riesenprojekt in Zweifel stellen oder zumindest kritisch hinterfragen, kommen zu kurz. Daher ist es angebracht, sich auch mit der Beurteilung von Experten auseinander zu setzen, die von der anderen Seite den Semmering unter die Lupe nehmen. Einer davon ist Univ.-Prof. DI Dr. Friedrich Zibuschka. Er ist Leiter der Gruppe Raumordnung, Umwelt und Verkehr im Amt der NÖ Landesregierung. Als Mitglied der SüdbahnExpertenarbeitsgruppe im Verkehrsministerium hat er die Gutachten mehrerer Kollegen zur Problemlösung „Semmering“ in eine Kurzform gebracht. KLIPP gibt diese im Folgenden wieder:

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E n t s c h e i d u n g s g r u n d l a g e n z u r P r o b l e m l ö s u n g „ S e m m e r i n g “

Die Semmering-Bergstrecke hat nach erfolgter Sanierung eine langfristig ausreichende Leistungsfähigkeit (Univ.-Prof. Dr. W. Schwanhäußer, Lehrstuhl für Verkehrswirtschaft, Eisenbahnbau und -Betrieb, TH-Aachen). Heute: ca. 200 Züge täglich Möglich: 492 Züge täglich Davon Güterverkehr: Heute: rund 100 Züge täglich Möglich: 344 Züge täglich Eine vom Verkehrsministerium im Einvernehmen mit den ÖBB beauftragte Studie (Univ.-Prof. DI Dr. Engel, Institut für Eisenbahnen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen, TU-Wien) ergibt: ● Sanierung der gesamten Bergstrecke unter Vergrößerung der engen Radien auf mind. 300 m ist möglich. ● Einsatz von Neigezügen möglich. ● Kostenaufwand ca. 0,15 Mrd. Euro (Basistunnel mind. 1 Mrd. Euro). ● Fahrzeitgewinn durch Streckenverkürzung und Neigezüge am Semmering ca. 12. Min. ● Die Erhaltungskosten können um ca. 3,3 Mio. Euro pro Jahr reduziert werden. ● Sanierung mit Denkmalschutz und Weltkulturerbe vereinbar. Fazit: Der Süden (Steiermark und Kärnten) wird von internationalen Verkehrsverbindungen nicht abgeschnitten. Mit der Lösung nach Prof. Engel am Semmering und dem Einsatz von Neigezügen sind kurzfristig (5 Jahre) folgende Fahrzeitverkürzungen in den Süden möglich: Wien – Graz minus 23 Min. Wien – Klagenfurt minus 32 Min. Mit dem Bau der Koralmbahn ergibt sich eine Fahrzeitverkürzung Wien – Klagenfurt auf minus 56 Min. Eine aktuelle Zählung des Personenverkehrs auf Straße und Schiene Richtung Süden zeigt: 20 Prozent der Fahrgäste Wien –Graz und Wien – Klagenfurt fahren heute bereits auf der Bahn. Zum Vergleich: Der Bahnanteil auf dem gut ausgebauten Schnellbahnnetz in Wien liegt ebenfalls bei ca. 20 Prozent. Fazit: Zuwächse sind nur in sehr geringem Umfang zu erwarten. Zählungen des Straßengüterverkehrs am Semmering und Wechsel zeigen, dass es durch den Bau des Semmering-Basistunnels zu keiner Verlagerung auf die Schiene kommt (Gutachten von Univ.-Prof. DI Dr. Stickler, TU-Graz, und andere). Aktuelle Verkehrsprognosen über den künftigen Güterverkehr auf der Südbahn ergeben bis 2015 einen möglichen Zuwachs zwischen 10 und 30 Prozent. Die bestehende Reserve liegt allerdings bei 225 Prozent. Fazit: Die sanierte Bergstrecke hat langfristig ausreichende Kapazitätsreserven. Die bestehende Südbahn über den Semmering steht in Konkurrenz zur ungarischen Flachbahn und dem Korridor V, der südöstlich von Österreich Richtung Adriahäfen verläuft. An der Ertüchtigung dieser künftigen Magistrale wird laufend gearbeitet. Unbestritten ist auch die Anbindung der österreichischen Ostregion (Wien, NÖ, Bgld.) über Eisenstadt, Sopron und Szombathely an diesen Korridor. Damit erhält auch das Burgenland eine internationale Bahnanbindung, die Knotenfunktion von Wien wird gestärkt. Es ist davon auszugehen, dass damit allerdings die bestehende Südbahn etwa 30 bis 40 Prozent der internationalen Transporte verlieren wird. (Univ.-Prof. DI Dr. H. Knoflacher, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, TU-Wien) Das vorliegende Projekt entspricht nicht dem Stand der Technik (vor wenigen Wochen wurde die Idee eines zweiröhrigen Tunnels präsentiert, es gibt jedoch noch keine Planung). Die aktuelle Diskussion zur Sicherheit von Eisenbahntunneln zeigt, dass man heute einen 22 km langen Tunnel in jedem Fall zweiröhrig planen würde. Das derzeit vorliegende Selbstrettungskonzept mit Fluchtausgängen im Abstand von 1500 m auf einen 1 m breiten Gehsteig ist inakzeptabel. (Univ.Prof. DI Dr. H. Knoflacher, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, TU-Wien) Mit 11 Promille ist die Steigung des Tunnels zu groß. (Univ.-Prof. Dr. E. Engel, Institut für Eisenbahnwesen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen, TU-Wien)

Z u s a m m e n f a s s u n g :

Die Semmering-Bergstrecke kann mit unverhältnismäßig geringem finanziellen Aufwand saniert werden (ohne ökologisch negative Auswirkungen). Die Leistungsfähigkeit der Südbahn kann dadurch langfristig gewährleistet werden. Mit der Sanierung der Bergstrecke nach Prof. Engel und dem Einsatz von Neigezügen sind kurzfristig (5 Jahre) beachtliche Fahrzeitverkürzungen Wien – Graz minus 23 Min., Wien – Klagenfurt minus 32 Min. erzielbar. Damit wird die Verbindung in den Süden deutlich verbessert. ■

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