IN-direkt KW 13 April 2021

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Pflanzen, die Bibel und eine Gotteserfahrung Karin Siebert möchte mit ihrer Kunst die Vielfalt der Natur vermitteln Sie bezeichnet es als „ihren Turm“. Karin Siebert wohnt im achten (und damit obersten) Stockwerk eines Ingolstädter Hochhauses. Von dort überblickt sie weite Teile der Stadt, immer vom Sonnenschein begleitet. Seit 50 Jahren ist diese Wohnung das Zuhause, in das sie von ihren zahllosen Auslandsaufenthalten immer zurück gekehrt ist. Große Reiseabenteuer braucht die 81-Jährige heute nicht mehr: „Ich bin glücklich im Herzen Bayerns,“ erklärt Karin Siebert. Zu diesem Glück tragen zwei Dinge bei: der Verzicht auf Fernseher, Internet und Smartphone: „Ich habe nicht das Anspruchsdenken der Gesellschaft. Ich habe eine Wohnung, ich habe eine Rente, ich hab mein Radl. Und wenn Freunde sagen, mit der Technik, da kannst jeden Tag nach Südafrika telefonieren, dann brauch ich das alles nicht.“ Der zweite „Glücksfaktor“ ist die Kunst. Karin Siebert, geboren in Traunstein, ist gelernte technische Zeichnerin, arbeitete für kurze Zeit auch bei Audi in Ingolstadt, lebte mehrere Jahre in Frankreich (dort arbeitete ihr Mann, von dem sie sich später scheiden ließ), sie war zwei Monate lang in einem buddhistischen Zentrum in Ladakh, sie verkaufte Uhren in der Fußgängerzone von Nürnberg und half bei der Hopfenernte auf einem Hof in Geisenfeld („der härteste Job“). Aber ihre zweite Heimat fand sie auf Kreta in dem kleinen Ort Xerokambos. Dort startete sie mit Mitte Vierzig einen neuen Lebensabschnitt. Sie erwarb ein kleines, heruntergekommenes Haus, das zunächst nicht einmal über Wasser und Strom verfügte. Sie packte schließlich eine La4 - GESELLSCHAFT

Immer kreativ: Karin Siebert (Fotos: Arzenheimer)

dung Caravan-Kühlschränke und mehr in einem großen Transport zusammen, der über Athen schließlich nach Xerokambos gelangte: „Jeder Dübel ist angekommen,“ erinnert sich Karin Siebert. Als sie aber mit Sack und Pack vor ihrer Hütte stand, zog ein Sturm auf. Windstärke zwölf: „Das war eine Gotteserfahrung. Da habe ich gewusst, wo die Kraft ist. Gott wollte mich dort haben und der Auftrag war, ich sollte den Menschen zeigen, wie schön und wie vielfältig die Natur ist.“ Was anfangs als

Urlaubsdomizil gedacht war, wurde zum Atelier, in dem sie nun die Wintermonate verbrachte. 25 Jahre lang. Und sie befasste sich intensiv mit der örtlichen Flora, was sie letztendlich zu den Pflanzen der Bibel führte: „Ich bin ja nicht nach Kreta gekommen, um biblische Pflanzen zu sammeln. Ich habe gar nicht gewusst, das das botanisch zum östlichen Mittelmeer gehört.“ Das Buch „Pflanzen der Bibel“ von Michael Zohary wurde zu ihrem Wegweiser und so entstand das, was sie als eigene

Art der Pflanzengestaltung, ja als „experimentelle Botanik“ bezeichnet. Die Pflanzen wurden von ihr getrocknet, gepresst und in den Kopierer gepackt. Roggen, Oleander, Feige, Raute, Palme, die wilde Narzisse, die Alraune, der Maulbeerbaum, die dornige Becherblume und viele mehr werden in der Bibel erwähnt und sind nun die „Akteure“ in der Kunst von Karin Siebert. Was auf den ersten Blick wie eine Zeichnung oder ein Foto aussieht, entpuppt sich also als Kopie, die nun in den unterschiedlichsten Größen reproduzierbar ist. Aus ihrem Beruf heraus hat sie viel über Strukturen, Linien und grafische Elemente gelernt, die sie in ihre Kunst mit einbringt: „Die Gesellschaft ist so oberflächlich. Die Leute möchten immer nur alles dekorieren. Ich möchte aber mehr den Charakter der Pflanze zeigen.“ Kraft schöpft die gläubige Christin aus der Bibel, aber sie befasst sich auch intensiv mit der Freimaurerei und der griechischen Mythologie. Außerdem möchte sie ihrer Technikfeindlichkeit weiter nachspüren und dazu auch mehr über die Amish-People lernen. Ihrer Sammlung hat sie nun den Titel „Die ewig grüne Offenbarung – mein Herbarium“ gegeben. Gerne gibt sie ihre Kunst auch an Kinder weiter, die nach ihrer Meinung den Bezug zur Natur oft gänzlich verloren haben. „Meine Inspiration ist die Natur,“ betont Karin Siebert. Und die Ideen, die gingen ihr nie aus, versichert sie. (ma)


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