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Krankheit mit Variationen
SeriePSYCHE
Krankheit mit Variationen

Die typischen Erscheinungsformen der Depression bei Männern, Frauen, alten Menschen, saisonal und in Kombination mit einer Hypomanie oder Manie
„Depression hat viele Gesichter und erfordert daher unterschiedliche Behandlungsstrategien.“
Das Bild der Depression ist vordergründig oft ein klares: eine am Sessel sitzende oder im Bett liegende Person, ihre Hände im Gesicht, allgemein erschöpft wirkend und regungslos erstarrt. Im ICD-10 findet man als Hauptsymptome die depressive Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit sowie Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit. Als weitere Symptome können Konzentrations- und Denkstörungen, Reduktion von Selbstwertgefühl, verstärkte Schuldgefühle und körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Ap-
petitveränderungen und Sexualfunktionsstörungen auftreten. Affektive Störungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen – rund jede vierte Frau und jeder achte Mann erkrankt im Laufe des Lebens daran und etwa 20 % aller Depressionen verlaufen chronisch. Zwischen 40 % und 70 % der depressiven Patient:innen berichten über suizidale Gedanken. 10-15 % aller Patient:innen mit einer schweren rezidivierenden Depression sterben durch Suizid.
Die männliche Variation

Frauen unternehmen Suizidversuche dreimal häufiger als Männer, jedoch ist bei Männern die Suizidrate dreimal so hoch. Das Testosteron des Mannes ist hierfür u. a. verantwortlich. Es führt zu Dysphorie, zu erhöhter Aggression und zu Sucht- und Risikoverhalten. Diese Darstellungen sind aber nur bedingt kompatibel mit unserer klassischen Vorstellung von einer Depression. Die bestehenden Diagnostikmanuale sind weniger gut in der Erfassung dieser externalisierenden Faktoren und die Depression wird dadurch von den Behandelnden schwerer erkannt. Die „Gotland Scale for Male Depression“ berücksichtigt männliche genderspezifische Depressionsdarstellungen und greift insbesondere Indikatoren wie Stress, Suchtverhalten oder Aggression auf. Auch unterliegt der Mann weiterhin einem männlichen Rollenstereotyp. Er geht weniger in Behandlung – Depressivität wird als Schwäche und eher als eine weiblich konnotierte Erkrankung angesehen. Beim Verlust des Arbeitsplatzes und auf anderen leistungs- oder statusbezogenen Ebenen steigt beim Mann das Depressions- und Suizidrisiko, ebenso nach einer Trennung. Bei Männern zeigen sich als Symptome einer Depression oftmals auch somatische Probleme, etwa ein Druckgefühl im Brustbereich, Kopfschmerzen oder verstärktes Schwitzen sowie allgemeine Unruhe. Auch Sport ist für Männer oft „überlebensnotwendig“ , um innere Anspannungen zu reduzieren, aber auch, um leistungsorientiertes Verhalten in der Freizeit fortzuführen. Von Angehörigen oder Behandelnden als behandlungsbedürftig eingeschätzt zu werden, untergräbt die Vorstellungen, was es bedeutet, autonom und ein Mann zu sein. Um den Zugang zu seelischen Hilfen annehmbarer zu machen, sind entstigmatisierende Maßnahmen in männlich dominierten Lebensbereichen notwendig, z. B. stimmige Rollenvorbilder oder Kampagnen in den unterschiedlichsten Medien.
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GASTAUTOR:INNEN-TEAM:
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Dr. Gerald Grundschober
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Chefarzt PSD & Club der PSZ gGmbH
DSAin Mag.a Marlene Mayrhofer, MBA
Geschäftsführerin der PSZ gGmbH „Die Gründe für das vermehrte Auftreten der Depression bei Frauen zeigen, dass die Betrachtung des sozialen Umfeldes bei der Behandlung und Prävention eine große Rolle spielt.“
Die weibliche Variante
Es gibt verschiedene Hypothesen, warum Frauen doppelt so oft an De- > pression leiden: Mehr Östrogen und Progesteron führt zu einer anderen Emotionsverarbeitung, vermehrte Monoaminooxidasen bewirken einen stärkeren Abbau von Neurotransmittern und die allgemeinen Hormonschwankungen einer Frau (Menstruation, Schwangerschaft, Menopause) bedingen eine erhöhte Vulnerabilität. Dies wird sichtbar, wenn sich der Testosteronspiegel des Mannes im Alter reduziert, es kommt dann zu einem Anstieg der Depressionsrate beim männlichen Geschlecht (Late-OnsetHypogonadismus). Starke hormonelle Veränderungen sowie multifaktorielle Gründe wie Erwartungs- und Verantwortungsdruck oder körperliche Veränderungen bringt auch eine Schwangerschaft mit sich. Die sogenannte Schwangerschaftsdepression oder postpartale Depression tritt bei bis zu 10 % der Frauen auf. Stress und die damit verbundene chronisch erhöhte Kortisolausschüttung sind ein Hauptauslöser psychischer Erkrankungen. Stress ist bei Frauen mit Doppel- und Dreifachbelastung (Haushalt, Berufstätigkeit, Kinderbetreuung bis hin zur Pflege und Betreuung von erkrankten Familienmitgliedern) umso relevanter. Dazu kommt der Druck, außerdem dynamisch, sportlich, erfolgDie Österr. Gesellschaft für Arbeitsmedizin und die Österr. Gesellschaft für Pneumologie laden Sie ein
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reich und attraktiv zu sein. Das können viele nicht mehr erfüllen. Frauen sind zudem häufiger Opfer von seelischem, körperlichem und sexuellem Missbrauch und dies verändert das eigene Sicherheitsgefühl und das Kohärenzgefühl in Bezug auf das Leben.
Weitere Erscheinungsformen
Depression im Alter (bei rund 20 %) ist oft geprägt von zunehmenden körperlichen Einschränkungen, chronischen Schmerzen, reduzierter Autonomie, Verlust von Partner:innen und Freund:innen sowie Konfrontation mit dem eigenen Sterben. Die unterdiagnostizierte Altersdepression kann als Demenz verkannt werden, fördert indirekt aber auch eine demenzielle Entwicklung. Die saisonale Depression tritt besonders in den Herbst- und Wintermonaten auf. Oft wird sie durch weniger Tageslicht getriggert, präsentiert sich mit vermehrtem Drang nach Schlaf, erhöhtem Appetit (mehr Kohlenhydrate) und einer Gewichtszunahme. Therapeutisch ist die Anwendung einer Tageslichtlampe (z. B. 10.000 Lux für 30 Min.) als Erstes zu empfehlen, aber auch ein täglicher Spaziergang im Tageslicht kann hilfreich sein. Bei der bipolar affektiven Erkrankung äußert sich die Depression in Kombination mit einer Hypomanie oder Manie. Diese Krankheitsdualität wird leider häufig übersehen, weil die Menschen im Höhenflug einer (Hypo-) Manie nicht als Patient:innen in der Ordination erscheinen. Die Behandlung einer bipolaren Erkrankung erfordert pharmakologisch eine andere Strategie. Psychoedukation ist beispielsweise ein wichtiger Behandlungsbaustein, damit die Patient:innen ihre Erkrankung besser wahrnehmen und schnell Gegenstrategien einleiten können – wie u. a. die Adaption der antidepressiven Therapie, die Beachtung der Stressfaktoren und eine rasche Kontaktaufnahme mit behandelnden Ärzt:innen.
Fazit
Die Depression – oder besser die affektive Störung – hat viele Variationen: Reden wir darüber, lassen wir uns von unseren Patient:innen ihre persönliche Variante erzählen und entwickeln wir persönliche Behandlungsmodelle! Grundpfeiler der Behandlung sind: Pharmakotherapie und Psychotherapie, psychosoziale Interventionen wie die Veränderung von Lebens- und Umweltbedingungen, Bewegung und Kontakt zu Mitmenschen, eventuell auch zu anderen Betroffenen. <
Online-Tipp:
buendnis-depression.at, psz.co.at
Vorschau: Lesen Sie in der Februar-Ausgabe der Hausärzt:in mehr zum Thema Schwangerschaftsdepression.