7 minute read

DFP Praxiswissen Kardiologie

LITERATUR

© shutterstock.com/Carolina K. Smith MD

Praxiswissen: ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herztod

State of the Art – die ESC-Guidelines 2022

Die neuen Guidelines für ventrikuläre Tachykardien (VT) und die Prävention des plötzlichen Herztodes („sudden cardiac arrest – SCA“) wurden im Rahmen des diesjährigen ESCKongresses in Barcelona präsentiert.1 Sie sind sehr umfangreich, da auch viele Empfehlungen bezüglich genetischer Herzerkrankungen implementiert wurden. Nichtsdestotrotz sind die Empfehlungen sehr praxisrelevant und wurden durch viele Abklärungs- und Entscheidungsbäume auch überaus anwenderfreundlich gestaltet. Da die Abhandlung aller Krankheitsentitäten [ischämische Kardiomyopathie (CMP), nichtischämische CMP, extrasystolieinduzierte CMP, hypertrophe CMP, arrhythmogene CMP, inflammatorische CMP oder primäre elektrische Herzerkrankungen] zu umfangreich wäre, werden in diesem Artikel die koronare Herzerkrankung (KHK) als häufigste Entität und die extrasystolieinduzierte CMP herausgegriffen, zudem wird auf die Neuerungen in den Guidelines eingegangen.

DFP-Punktesammler

Indikationen zur Katheterablation

Bezüglich der Katheterablation bei Patientinnen und Patienten mit KHK und symptomatischen VT- bzw. ICD-Schocks (ICD = implantierbarer KardioverterDefibrillator) besteht eine Klasse-I-Indikation. Zusätzlich sollte die Ablation der Eskalation einer medikamentösen antiarrhythmischen Therapie (z. B. neuerliche Aufsättigung mit Amiodaron) vorgezogen werden. Auch können Personen mit einer hämodynamisch tolerierten VT und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) von ≥ 40 % nun – als Alternative zu einer ICD-Versorgung – primär einer Ablation unterzogen werden (IIa). Eine prophylaktische Katheterablation bei KHK kann (nach ICD-Versorgung) erwogen werden, wurde aber auf eine IIb-Indikation herabgestuft.

Wann mit ICD versorgen?

Die Indikation einer ICD-Versorgung bei KHK war bisher nur bei einer LVEF von ≤ 35 % und einem NYHA(„New York Heart Association“)-Stadium II-III gegeben. Gemäß den neuen Guidelines sollte man Patientinnen und Patienten mit ischämischer CMP auch im NYHA-Stadium I mit einem primärprophylaktischen ICD versorgen, GASTAUTOR: Prim. Priv.-Doz. Dr. wenn die LVEF ≤ 30 % Martin Martinek, beträgt (IIa). Überdies sollten MBA, FESC, FHRS Leiter der Abteilung für Betroffene, die nach dreimo- Innere Medizin 2 mit natiger optimaler medika- Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin, mentöser Therapie eine LVEF Ordensklinikum Linz zwischen 36 und 40 % und Elisabethinen nichtanhaltende VT im Langzeit-EKG zeigen, einer elektrophysiologischen Untersuchung unterzogen werden. Sind hier VT auslösbar, ist eine ICD-Versorgung indiziert (IIa). Im Fall einer Synkope bei einem vorangegangenen Myokardinfarkt wird ebenso eine elektrophysiologische Untersuchung empfohlen, wenn die nichtinvasiven Tests zur Synkopenabklärung unauffällig waren (IIa). Bei Patientinnen und DFP-Pflichtinformation Patienten mit Koronarspasmen als Genese eines SCA besteht nun ebenfalls Fortbildungsanbieter: eine IIa-Indikation zur ICD-ImplantaÖsterreichische Gesellschaft für tion. Als Beispiel für einen Algorithmus Allgemeinmedizin (ÖGAM) der neuen Guidelines sei hier die Abklä- Lecture Board: rung und Behandlung bei stabiler KHK OA Mag. Dr. Lukas Fiedler gezeigt (siehe Abb. 1, S.22). Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie, Landesklinikum Wr. Neustadt

Weitere Neuerungen der ESC-Guidelines

Im Themenfeld der idiopathischen ventrikulären Extrasystolie (VES) und der VES-induzierten CMP gab es folgende Neuerungen: Prinzipiell sollte eine VES-induzierte CMP angenommen werden, wenn die VES-Last im HolterEKG über 10 % liegt (IIa). Bei diesen Patientinnen und Patienten ist auch eine kardiale MRT empfohlen, um die idiopathische (nicht strukturelle) Genese der Erkrankung zu bestätigen (IIa). Therapeutisch wird für die symptomatische VES/VT oder die VES-induzierte CMP die Katheterablation als KlasseI-Indikation empfohlen, wenn der Ursprungsort der VES der rechte Ausflusstrakt oder der linke Faszikel ist. Im EKG zeigt sich hier typischerweise bei der rechtsventrikulären Ausflusstrakttachykardie (RVOT) ein Linksschenkelblock mit inferiorer Achse und Überganszone V4 (siehe Abb. 2, S. 22) – oder bei Ursprung im linksposterioren Faszikel ein Rechtsschenkelblock mit superiorer Achse und relativ schmalem Kammerkomplex um 130 ms (siehe Abb. 3, S. 22). Bei einem VES-Ursprung in anderen Regionen besteht eine IIa-Indikation zur Ablation. Alternativ können Betablocker oder – bei symptomatischen Patienten ohne CMP – Kalziumantagonisten vom Nichtdihydropyridin-Typ bzw. Flecainid versucht werden (IIa). Auch bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mit > 20 % VES-Last kann eine Katheterablation erwogen werden, um einer CMP vorzubeugen (IIb). Personen, die mit einem biventri-

Dr.in Johanna Holzhaider 2. Vizepräsidentin der OBGAM Gruppenpraxis Sandl, Oberösterreich

ABBILDUNG 1

Algorithmus zur Risikostratifizierung und Primärprävention des plötzlichen Herztodes bei Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit und reduzierter Ejektionsfraktion.

Patient:in mit chronischer koronarer Herzkrankheit

Nein

Follow-up LVEF-Evaluation 6-12 Wochen nach akutem MI bei Patient:innen mit LVEF von ≤ 40 % bei der Entlassung (Klasse I)

LVEF 36-40 % LVEF ≤ 35 %

Nichtanhaltende VT oder unklare Synkope

Ja

PES (Klasse I)

Nein

NYHA-Klasse ≥ II

Ja

Nein

ICD (Klasse I)

LVEF ≤ 30 %

Ja

Keine SMVT auslösbar und unklare Synkope SMVT auslösbar

ILR-Implantation* (Klasse I) ICD-Implantation (Klasse IIa) ICD-Implantation (Klasse IIa)

Abkürzungen: KHK (koronare Herzkrankheit), ICD (implantierbarer Kardioverter-Defibrillator), ILR (implantierbarer LoopRekorder), LVEF (linksventrikuläre Ejektionsfraktion, MI (Myokardinfarkt), VT (ventrikuläre Tachykardie), NYHA (New York Heart Association), PES (programmierte elektrische Stimulation), SMVT (anhaltende monomorphe ventrikuläre Tachykardie). * Brignole M et al. 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Eur Heart J 2018;39:1883–1948.

Übersetzter Nachbau der Abbildung 15 aus den ESC-Guidelines1

Fazit

Zusammenfassend wurde die Katheterablation bei beiden Entitäten – ischämische CMP und VES-induzierte CMP – in den ESC-Guidelines 2022 deutlich aufgewertet. Die Indikation zur primärprophylaktischen ICD-Implantation bei KHK wurde nachgeschärft. Es finden sich grafische Darstellungen aller Algorithmen, die sehr hilfreich für die Abklärung und Behandlung aller Krankheitsentitäten mit Bezug zu VT und SCA sind. Der letzte Teil der Guidelines beinhaltet zusätzlich alltagstaugliche Algorithmen für häufige klinische Situationen wie nichtanhaltende VT im Holter, erstes Auftreten einer VT, Vorgehen nach SCA und Evaluierung bei Verdacht auf SCA als Todesursache inklusive Diagnostik bei Verwandten. Ebenso sind Algorithmen für die Akutbehandlung bei rhythmologischen Notfällen vorgegeben, die für Notaufnahmen und Intensivstationen sicherlich sehr sinnvoll sind. <

kulären Schrittmacher versorgt sind und davon aufgrund vermehrter VES nicht profitieren (Stimulationsanteil < 95 %) sollten ebenso einer Katheterablation oder alternativ einer antiarrhythmischen Therapie unterzogen werden (IIa). Amiodaron sollte bei idiopathischer Extrasystolie nicht als Erstlinientherapie eingesetzt werden (III).

ABBILDUNG 2

EKG einer rechtsventrikulären Ausflusstrakttachykardie (RVOT), Linksschenkelblock mit inferiorer Achse und Überganszone V4.

Referenz: 1 Zeppenfeld K et al., 2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death: Developed by the task force for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death of the European Society of Cardiology (ESC) Endorsed by the Association for European Paediatric and Congenital Cardiology (AEPC),

European Heart Journal, Volume 43, Issue 40, 21 October 2022, Pages 3997–4126, doi.org/10.1093/ eurheartj/ehac262 by permission of Oxford University Press/European Society of Cardiology 2022.

ABBILDUNG 3

EKG: VT mit Ursprung im linksposterioren Faszikel, Rechtsschenkelblock mit superiorer Achse, QRS 130 ms.

Übersetzter Nachbau der Abbildung 3 aus den ESC-Guidelines1: typische idiopathische ventrikuläre Tachykardie-Morphologien. Übersetzter Nachbau der Abbildung 3 aus den ESC-Guidelines1: typische idiopathische ventrikuläre Tachykardie-Morphologien.

Hausärzt:in DFP – Das Wichtigste in Kürze

Die neuen ESC-Guidelines bieten strukturierte Abklärungs- und Behandlungspfade für Patientinnen und Patienten mit Kammertachykardien und für die Prävention des plötzlichen Herztodes. Die Katheterablation bei ischämischer Kardiomyopathie hat eine Aufwertung erfahren. Erweiterung der ICD-Indikation bei ischämischer Kardiomyopathie um NYHA-I-Patienten mit LVEF von < 30 %. Aufwertung der Katheterablation bei idiopathischer ventrikulärer Extrasystolie und VES-induzierter Kardiomyopathie. Indikation zur elektrophysiologischen Untersuchung bei ischämischer Kardiomyopathie und LVEF von 36-40 % sowie bei unklaren Synkopen nach Myokardinfarkt.

DFP-Literaturstudium HAUSÄRZT:IN

LITERATUR

So machen Sie mit: Entsprechend den Richtlinien der ÖÄK finden Sie im Anschluss an den Fortbildungsartikel Multiple-Choice-Fragen. Eine Frage gilt dann als richtig beantwortet, wenn Sie von den vorgegebenen Antworten alle richtigen angekreuzt haben. Für eine positive Bewertung ist erforderlich, dass Sie 2 der 3 Fragen richtig beantworten. In diesem Fall wird 1 DFP-Fachpunkt angerechnet. Online lesen und beantworten: Dieser Fortbildungsartikel inkl. Test steht online auf meindfp.at noch 2 Jahre zur Verfügung. Wenn Sie dieses elektronische Angebot nutzen, erhalten Sie auch die Teilnahmebestätigung elektronisch. Per E-Mail oder Post: Schicken Sie den beantworteten Fragebogen bitte per Mail als Scan-Dokument an office@gesund.at oder per Post an Redaktion HAUSÄRZT:IN/RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien. Einsendeschluss: 31. Juli 2023.

Die Anzahl der richtigen Antworten ist nach jeder Frage in Klammern angegeben.

Ab > 10 %. Ab > 20 %.

Ab > 30 %.

DFP-Fragen zu „Praxiswissen: ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herztod“

1

Ab welcher ventrikulären Extrasystolie(VES)-Last im Holter kann man eine VES-induzierte Kardiomyopathie annehmen? (1 richtige Antwort)

2

Unter welchen Voraussetzungen ist bei einer ischämischen Kardiomyopathie eine primärprophylaktische ICD-Indikation (Klasse-IIa-Indikation) gegeben? (1 richtige Antwort)

In welchen Fällen ist die Katheterablation als Klasse-I-Indikation bei idiopathischer ventrikulärer Extrasystolie (VES) empfohlen? (1 richtige Antwort)

LVEF ≤ 35 % und NYHA III-IV. LVEF ≤ 30 % und NYHA I. LVEF ≤ 40 % und NYHA I.

Bei allen Patientinnen und Patienten mit einer VES-Last von > 10 % zur Prävention einer VES-induzierten Kardiomyopathie. Bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mit einer VESLast von > 20 %, unabhängig vom Ursprungsort der VES. Bei Vorliegen einer symptomatischen VES oder bei einer VESinduzierten Kardiomyopathie, wenn der Ursprungsort der rechte Ausflusstrakt oder der linke Faszikel ist.

3 Sie haben ein Fortbildungskonto?

JA – dann buchen wir Ihre DFP-Punkte automatisch! Dazu brauchen wir Ihre ÖÄK-Ärztenummer und E-Mail-Adresse:

NEIN – ich möchte meine Teilnahmebestätigung per Post erhalten per E-Mail erhalten

Bitte gut leserlich ausfüllen und E-Mail-Adresse angeben:

Name

Anschrift

PLZ/Ort

E-Mail

This article is from: