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Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
Ein Weg hin zur Normalität – noch weit weg von der Selbstverständlichkeit
Das Team von queermed.at, dem Online-Verzeichnis von queer- und transfreundlichen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen.
Wieso braucht es die Sensibilisierung für Themen der sexuellen und geschlechtlichen Identität in der Primärversorgung? Einerseits gibt es für LGBTIQA*-Personen spezifische Gesundheitsbedrohungen. Andererseits sind Hausärztinnen und -ärzte bei vielen Problemen erste Ansprechpartner:innen. Ein Outing kann mitunter im Rahmen der Anamnese erfolgen, wenn diese Informationen nötig sind, um eine adäquate Behandlung sicherzustellen. Nicht immer erfolgt eine Diskriminierung hierbei wissentlich oder mit Absicht – sie könnte oft verhindert werden.
Diskriminierung schadet
Der Arztbesuch ist zum Beispiel für queere Personen und Transpersonen (siehe Glossar) häufig mit unangenehmen Erfahrungen verbunden und stellt für jene Personen, die auf gesundheitliche Unterstützung angewiesen sind, eine zusätzliche Hürde dar. Sowohl dass dieses Thema aktuell ist als auch dass großer Handlungsbedarf gegeben ist, zeigt die Entstehung der Plattform queermed.at auf. Dort finden Patient:innen Empfehlungen zu „LGBTIQA*-freundlichen“ Ärzt:innen und haben außerdem die Möglichkeit, selbst welche abzugeben. Anderen wird dadurch der Gang zum bzw. zur Ärzt:in erleichtert. Negative Erfahrungen und bereits das Antizipieren von Ablehnung oder Anfeindung können der Gesundheit schaden: Die Studienergebnisse von Kasprowski et al.1 zeigen, dass es um die psychische und die körperliche Gesundheit von LGBTIQA*-Menschen deutlich schlechter bestellt ist als um die der übrigen Bevölkerung. Gemäß diesen sind sie drei- bis viermal so häufig von psychischen Erkrankungen betroffen und leiden öfter an potenziell stressbedingten körperlichen Krankheiten wie Migräne, Herzkrankheiten, Asthma und chronischen Rückenschmerzen. Als Datengrundlage der Untersuchung dienten 23.657 Personen mit heterosexuellen und 4.511 mit LGBTIQA*-Selbstbeschreibungen ab einem Alter von 18 Jahren in Deutschland. Der Begriff LGBTIQA* (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*ident, inter*, queer und asexuell) steht für die Vielfalt von Geschlechtern und sexuellen Orientierungen – also für die gesamte Farbpalette des Regenbogens. Diese komplexe Mannigfaltigkeit sollte jedoch nicht auf die Sexualität beschränkt werden, sie umfasst auch die jeweils individuelle Identität, Lebensform und die dementsprechenden Bedürfnisse. In der medizinischen Praxis können all diese Aspekte bei der Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten Berücksichtigung finden. Auf den folgenden Seiten geben Expert:innen hierzu verschiedenste Einblicke in ihre Praxiserfahrungen.
© Tatjana Gabrielli
Mag.a Ines Pamminger, BA
1 DIW Wochenbericht, 2021/6, S. 79-88. doi.org/10.18723/diw_wb:2021-6-1
Die Diskriminierung von LGBTIQA*-Personen ist nach wie vor nicht verschwunden. Orte, an denen diese besonders häufig erlebt wird, sind Praxen Julius Jandl von Ärzt:innen. UnPlattformgründer tersuchungen bringen von queermed.at sehr oft Coming-outs mit sich, speziell bei Transpersonen, da in der Anamnese etwaige Medikationen und Operationen offengelegt werden müssen. Häufig ist es ungewiss, wie die behandelnde Person auf das Outing reagieren wird und ob eine allfällige Behandlung angepasst erfolgen kann. Dies kann beispielsweise eine entsprechende Beratung zur Verhütung bei gleichgeschlechtlichem Sex betreffen, aber auch die medizinisch korrekte Behandlung von Transpersonen, die eine Hormontherapie machen. Queere Patient:innen haben deshalb zwei spezielle Bedürfnisse, wenn ein Ärzt:innenBesuch geplant ist: Zum einen sollen diskriminierende Erfahrungen vermieden werden, zum anderen muss eine adäquate medizinische Versorgung sichergestellt werden. Um diese Unsicherheiten im Vorhinein abzubauen, wurde queermed gegründet. Es ist ein Online-Verzeichnis von queer-
© Christof Lackner und transfreundlichen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen. Queeren Personen und Transpersonen wird dadurch der Gang zum Arzt oder zur Ärztin erleichtert. Das Verzeichnis bekämpft aber klarerweise nur ein Symptom der anhaltenden Diskriminierung, die queere Personen und Transpersonen erfahren. Diskriminierung erfolgt dabei oft nicht mit böser Absicht, sondern aus Unwissen. Daher ist ein Hauptanliegen von queermed, dass medizinisches Personal besser für die Arbeit mit LGBTIQA*-Themen sensibilisiert und ausgebildet wird, um besser auf alle Patient:innen eingehen zu können.
„Die binäre Personenbezeichnung ist vorbei“
© Christoph Strom
Gender Medizin/Diversitas ist als Querschnittmaterie zu betrachten – d. h. in alle Fachbereiche der Medizin sowie in die Ausbildung aller Gesundheitsberufe Univ.-Prof.in Dr.in und in die mediziniMargarethe schen Universitäten in Hochleitner Direktorin der Forschung, Lehre und Gender Medicine Klinik zu integrieren. & Diversity Unit, FrauengesundAn der Medizinischen heitszentrum, Universität Innsbruck Med Uni Innsbruck (MUI) ist Gender Medizin/Diversitas beispielsweise in der Pflichtlehre und damit auch in den Pflichtprüfungen seit 2007 in allen unseren Studiengängen integriert – nämlich Humanmedizin, Zahnmedizin und Molekularmedizin und im klinischen PhD. Zusätzlich gibt es seit 2006 eine Gender Medizin/DiversitasRingvorlesung, daneben unterrichten wir seit 18 Jahren bei den Ärztetagen in Grado. Laut Höchstgerichtsurteil und EuGHUrteil haben Menschen das Recht, weder als Frau noch als Mann bezeichnet oder benannt zu werden – d. h., die binäre Personenbezeichnung ist vorbei. Was heißt das für uns in der Praxis? Ich würde vorschlagen, Personen, die dezidiert darauf hinweisen, zu fragen, wie sie angesprochen werden wollen. Derzeit sind laut Innenministerium offiziell die Bezeichnungen „divers“ , „inter“ , „offen“ oder „kein Eintrag“ möglich. Von Bezeichnungen wie Patienten und Patientinnen oder solchen mit Binnen-I ist abzuraten, die derzeit korrekte Bezeichnung ist Patient:innen oder Patient*innen. Für eine offizielle Geschlechtsänderung braucht es ein ärztliches Gutachten, welches Sie in Ihrer Praxis ausstellen können.
© richter-fotografie.com
Immer wieder bieten konservative, religiöse und fundamentalistische Kreise – etwa Freikirchen und Sekten – eine sogenannte „Umpolung“ bzw. „KonMag. Florian version“ von sexuelFriedrich, BA len Orientierungen Psychotherapeut in Ausbildung und Identitäten an. unter Supervision, D. h., mithilfe von Salzburg Gehirnwäsche werden LGBTIQA* genötigt und manipuliert, ihre Emotionen und Bedürfnisse zu unterdrücken, sich ihrer zu schämen, starke Schuldgefühle zu entwickeln und ein heterosexuelles, normatives Leben zu führen bzw. heterosexuell zu schauspielern. Diese Manipulation kann aus psychotherapeutischer Sicht nur als unethisch erachtet werden. Konversionstherapie ist eine Form der emotionalen Gewalt. Manche Opfer dieser Gewalt unternehmen dann Suizidversuche oder verüben Suizid. Wie kann ich LGBTIQA* unterstützen? LGBTIQA* benötigen folgende psychologische Unterstützung: Sie brauchen Menschen und Helfer:innen, die sie darin bestärken, sich selbst besser anzunehmen und zu akzeptieren. Helfende Berufsgruppen können dazu beitragen, dass lesbische, schwule, bisexuelle, trans*idente, inter*, queere und asexuelle Menschen ein solides Selbstwertgefühl aufbauen, Selbstsicherheit erlangen und Bedürfnisse authentisch und frei leben können. Helfende Berufsgruppen sollten die Bedürfnisse von LGBTIQA* immer ernst nehmen und validieren – ohne nach dem Warum zu fragen oder zu pathologisieren.
„LGBTIQA* gibt es, seit es Menschen gibt“
Die althergebrachten Normen von Sexualität haben nun endgültig ausgedient. An ihre Stelle tritt das, was man zusammenfassend mit der AbMR Dr. Georg Pfau kürzung LGBTIQA* Sexualmediziner auszudrücken verin Linz sucht – nämlich eine sehr individualisierte Vorstellung von dem, was es unter der Überschrift „Sexualität des Menschen“ gibt. Nicht ein Sittenverfall, nicht sexuelle Devianz und auch nicht die Medien sind die Urheber all dessen. Nein, ganz im Gegenteil: LGBTIQA* gibt es, seit es Menschen gibt. Nur vermochte man nicht, darüber zu reden, aus Angst, selbst stigmatisiert zu werden, oder einfach auf Grund fehlenden Wissens. Indessen hat das Wissen an Umfang zugenommen und tatsächlich lassen sich >
GLOSSAR
LGBTIQA*: Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*ident, inter*, queer und asexuell Lesbisch/schwul: gleichgeschlechtliche Orientierung von Frauen/Männern Bisexuell: sexuelles Empfinden und Verhalten in Bezug auf das eigene wie auch ein anderes Geschlecht Trans*Personen fühlen sich nicht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig. Inter*Personen sind mit genetischen, chromosomalen und/oder hormonellen Besonderheiten geboren worden, die sich nicht eindeutig dem Männlichen oder dem Weiblichen zuordnen lassen. Seit einigen Jahren sprechen sich ärztliche Richtlinien gegen rein kosmetische Eingriffe im frühen Kindesalter aus. Queere Personen fühlen sich einer anderen als der heterosexuellen Geschlechtsidentität zugehörig. Cisgender: Übereinstimmung der Geschlechtsidentität einer Person mit ihrem bei der Geburt (biologisch) zugewiesenen Geschlecht Pansexualität: geschlechtsunabhängiges Begehren Asexualität: Abwesenheit sexueller Empfindung gegenüber anderen
alle unter dieser komplizierten Abkürzung subsummierten Phänomene auf Basis der Embryologie und Endokrinologie biologisch erklären. „LG“ beschreibt die sexuelle Orientierung jedes Menschen auf ein gewisses Geschlecht hin. Die Mehrheit der Männer ist gynäphil orientiert („steht“ also auf Frauen), aber eben nicht alle – vice versa die Frauen. Auch die Transsexualität lässt sich aus der somatosexuellen Entwicklung des Menschen erklären. „Echte“ Transsexualität ist keine Marotte oder Laune, sondern der schuldlos akquirierte, unveränderbare Wunsch, in einem anderen als dem Geburtsgeschlecht durchs Leben zu gehen. Es gibt keine Therapie dafür, außer das Geschlecht des Körpers an das des Gehirns anzugleichen. Betroffene haben ein Recht auf eine faire und seriöse Behandlung – der ganze Vorgang von der Erkenntnis der eigenen Transsexualität bis hin zur Geschlechtsanpassung ist belastend genug. Eine erfüllte Sexualität ist eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen des Lebensglücks. Grundsätzlich sollten wir Ärzt:innen bereit sein, allen Formen der Sexualität unserer Patient:innen wohlwollend gegenüberzustehen und sie entsprechend affirmativ zu behandeln. Außer die gelebte Sexualität führt zu einem physischen oder psychologischen Schaden, dann ist es unsere Pflicht einzugreifen.
„Anerkennung der Identität“
Wie herausfordernd ein Coming-out-Prozess ist, hängt ganz wesentlich davon ab, wie das Umfeld – die Familie, die Freund:innen und auch Lehrer:innen oder Ärzt:innen – darauf reagiert. Je unterstützender das soziale Umfeld ist, desto geringer ist die Belastung. Es gibt sehr gelungene Prozesse, bei denen – aufgrund der Akzeptanz und Unterstützung durch Eltern, Freund:innen und Umfeld – das Coming-out insgesamt unproblematisch ist. Manche warten damit jedoch bewusst bis zum Ende der Schulzeit oder länger, um sich Anfeindungen zu ersparen. Denn: Auch wenn sich einiges verbessert hat – Diskriminierung ist keine Seltenheit. Auch das Nicht-ernstNehmen oder In-Frage-Stellen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität ist eine Form von Diskriminierung. Daher können Personen in Gesundheitsberufen durch ihre Reaktionen, ihre Fragen und Hilfestellungen unterstützend oder aber diskriminierend wirken. Was Menschen in einem Coming-outProzess vor allem brauchen, ist Respektierung und Anerkennung ihrer Identität. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind immer schon Teil des Lebens. Daher sollte auch möglichst unaufgeregt damit umgegangen und vor allem darauf geachtet werden, was die Person in ihrem individuellen Prozess gerade braucht. In manchen Fällen ist die Empfehlung von spezialisierten Beratungsstellen (z. B. Courage-Beratung1) sinnvoll. Oft ist jedoch schon ein selbstverständliches Anerkennen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt enorm entlastend. Auch durch das Auflegen von Foldern oder Aufhängen von Plakaten zum Thema LGBTIQA* kann dieses Anerkennen bereits sichtbar gemacht werden.
Mag.a Stefanie Rappersberger
Psychologin, Sexualpädagogin, FH-Campus Wien, Lehrgangsleitung Sexualpädagogik der ÖGS, Vorstandsmitglied der Plattform Sexuelle Bildung
© Barbara Mair 1 Courage ist eine anerkannte Beratungsstelle für gleichgeschlechtliche und Transgender-Lebensweisen, die
Beratung ist kostenlos und anonym: courage-beratung.at
„Minderheitenstress in Regenbogenfamilien“
Univ.-Prof.in Dr.in Martina Zemp
Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie, Universität Wien
© privat
Magdalena Siegel, BSc MSc
Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie, Universität Wien
Regenbogenfamilien sind Familien, in denen sich mindestens ein Elternteil als LGBTIQA* identifiziert. Sie sind aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität der Eltern vielfältigen Formen der Diskriminierung im rechtlichen und privaten Bereich ausgesetzt, welche die Gesundheit der Familienmitglieder beeinträchtigen können.1 Das bekannteste Modell zur Erklärung der psychischen und physischen Auswirkungen von Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität ist das Minderheitenstressmodell.2 Dieses ordnet Stressfaktoren im Zusammenhang mit dem Minderheitenstatus in ein Spektrum ein, das sich von distalen (z. B. Belästigung, Hassdelikte) bis hin zu proximalen (z. B. Verheimlichung der eigenen sexuellen Orientierung, Erwartung von Ablehnung) Faktoren erstreckt. Der individuelle Minderheitenstress kann sich in Regenbogenfamilien in analoger Weise auf der partnerschaftlichen und familiären Ebene manifestieren. Diese Stressoren reichen von rechtlicher Diskriminierung (z. B. fehlende rechtliche Absicherung der Eltern-Kind-Beziehung) über Aggressionen im Alltag (z. B. Mobbing des Kindes in der Schule) bis hin zur Internalisierung negativer gesellschaftlicher Einstellungen oder zum Verheimlichen der Partnerschaft oder der Familienform. Mittels eines aktuellen systematischen Reviews werden wir die verschiedenen Formen der Diskriminierung von Regenbogenfamilien und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Eltern und Kindern, ihre Beziehungen und das gesamte Familienleben zusammenfassen und die Befunde in einem integrativen Risiko-ResilienzFamilienmodell beschreiben.3 Diese Forschung trägt dazu bei, für die Folgen von Diskriminierungserfahrungen in Bezug auf die psychische und körperliche Gesundheit aller Familienmitglieder
LEITFADEN FÜR ÄRZT:INNEN
In Zusammenarbeit mit Queermed Deutschland hat Queermed Österreich einen Leitfaden für einen diskriminierungssensiblen Umgang mit Patient:innen entwickelt. Einerseits soll durch die dort erwähnten Maßnahmen Ungleichbehandlung verhindert werden, andererseits können Signale gesetzt werden, welche die Angst vor dieser reduzieren:
queermed-deutschland.de/leitfaden-sensibilisiertenumgang-mit-patientinnen
von Regenbogenfamilien zu sensibilisieren sowie ihnen vorzubeugen.
Literatur: 1 Siegel M et al., Front. Psychol., 2021, 12, Article 644258. doi.org/10.3389/fpsyg.2021.644258 2 Meyer IH, Psychological Bulletin, 2003, 129, 674–697. doi.org/10.1037/0033-2909.129.5.674 3 Siegel M et al., Children. 2022, 9(9), 1364. doi.org/10.3390/children9091364
„Akzeptanz in der Arztpraxis?!“
© privat
© privat Die Geschlechtsidentität einer Person ist, wie sie ist! Da gibt es nichts zu „akzeptieren“ oder zu „tolerieren“ – oder müssen Heterosexuelle danach Dr. Herbert Bachler trachten, „akzeptiert“ Hausarzt, Psychotherapeut, zu werden? Die indiTGAM-Präsident, viduelle Wahl seines Innsbruck Seins braucht aus Sicht der Psychoanalyse nur eine Grundvoraussetzung: Sie sollte nach eigenem Wunsch autonom erfolgen – und nicht durch Druck von außen, etwa durch gesellschaftliche oder soziale Normen. Seit 30 Jahren begleite ich – z. B. im Rahmen meiner hausärztlichen, aber auch meiner psychotherapeutischen Tätigkeiten – Menschen bei ihrem Comingout. Infolgedessen wurde meine Ordination als „schwulenfreundlich“ auf der HOSI-Website1 angeführt – als ob dies eine besondere Erwähnung wert sein sollte! In jüngster Zeit tritt das Transgender-Thema stärker in den Vordergrund; dutzende Menschen wurden und werden in unserer Praxis schon begleitet. Neben psychosozialen sind bei der Geschlechtsidentität auch medizinische Besonderheiten zu berücksichtigen, etwa Nebenwirkungen diverser Behandlungen, aber auch geschlechtsspezifische Risikoprofile, Krankheitshäufigkeiten und spezielle pharmakologische Behandlungen. Das fächerübergreifende Miteinander funktioniert in Tirol aus Sicht der Hausarztmedizin vollkommen friktionsfrei – z. B. mit der HIV-Ambulanz bei der Prävention von Geschlechtskrankheiten oder mit der Hormonambulanz bei der Transgender-Begleitung. Alle Beteiligten profitieren dabei von klaren Gestaltungsabläufen und einem fortlaufenden fachlichen Austausch.
„Pflege laut Ethikkodex“
Professionelle Pflege wird laut dem Ethikkodex mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur, des GeDaniel Peter Gressl, schlechts und der seDGKP xuellen Orientierung Ö-Nurse-Praxis für Gesundheits- und ausgeübt. Für PfleKrankenpflege, geberufe ergibt sich Judenburg somit auch aus beruflich-ethischem Verständnis ein Bedarf, das eigene Wissen bezüglich sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Bereich der Pflege zu prüfen und sich für dieses Thema zu sensibilisieren. Vor allem beschäftigt sich die professionelle Pflege mit den Aktivitäten des täglichen Lebens. Eine davon ist auch die Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Um bedarfsgerechte Pflegeinterventionen setzen zu können, werden zu Behandelnde in ihrer Ganzheitlichkeit betrachtet. Krankheiten sind in ihrer Entstehung auch auf Faktoren der individuellen Lebensweisen zurückzuführen, dabei spielt der Bereich der Sexualität eine wesentliche Rolle. Es ist wichtig, sich als Pflegeperson in diesem Bereich gut auszukennen, da Pflegekräfte Personen in unterschiedlichen Bereichen und Lebensphasen zu dieser Thematik begleiten. Sei es zum Beispiel … • … in der Schulgesundheitspflege, um
Gesundheitskompetenzen von Kindern und Jugendlichen im Bereich der sexuellen Gesundheit zu fördern und bei der sexuellen Entwicklung zu unterstützen. • … die professionelle Begleitung von
Männern und Frauen bei einer Geschlechtsumwandlung im stationären
Krankenhausprozess. • … die Unterstützung von älteren Menschen, die lebenslang ihre sexuellen
Bedürfnisse heimlich ausgelebt haben.
Wenn diese bei zunehmender Pflegeabhängigkeit zum Vorschein kommen, gilt es, sich der Probleme der Menschen anzunehmen und Lösungen zu finden. • … die Gewährleistung psychosozialer Betreuung bei unheilbarer sexuell übertragbarer Krankheit. • U. v. m. …
© Michael Mrkvicka
„Überzogene HIVSchutzmaßnahmen“
Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben, sind in der medizinischen Versorgung oft Vorurteilen ausgesetzt, die seitens der Behandler:innen Univ. Prof. Dr. zu besonders überAlexander Zoufaly zogenen SchutzmaßFA für Innere Medizin und Infektionahmen vor vermeintlogie, Präsident der lichen AnsteckungsÖsterreichischen AIDS-Gesellschaft gefahren führen. So gibt es Berichte, dass Personen mit einer HIV-Infektion bei endoskopischen Untersuchungen letztgereiht werden, um Kreuzkontaminationen der Gerätschaft zu verhindern, bei Alltagstätigkeiten im Spitalssetting vom Gegenüber plötzlich Handschuhe angelegt werden oder die zahnärztliche Behandlung durch vorgeschobene Erklärungen abgelehnt wird. Derart diskriminierende Maßnahmen sind nicht nur unbegründet, sondern hinterlassen auch Narben im Selbstwert der Betroffenen und können zu psychischen Problemen führen. Bei Menschen, die über ihre HIV-Infektion Bescheid wissen und regelmäßig eine moderne antivirale Medikation einnehmen, lässt sich nämlich im Normalfall kein Virus im Blut und anderen Körperflüssigkeiten nachweisen: Daher gibt es auch keine erhöhte
Ansteckungsgefahr und besondere Schutzmaßnahmen sind nicht notwendig. Eine relevante Virusmenge lässt sich übrigens auch nicht bei HIV-positiven Müttern nachweisen, die bereits in der Schwangerschaft und weiter danach regelmäßig eine moderne HIV-Medikation einnehmen. Dadurch ist eine Übertragung auf das Kind während der Geburt und auch beim Stillen praktisch ausgeschlossen. In jedem Fall ist das frühzeitige Erkennen einer Infektion durch den HIV-Test in jeder Schwangerschaft essentiell. Sollte der Test positiv ausfallen, ist unbedingt eine rasche Therapieeinleitung und deren engmaschige Überwachung durch eine:n erfahrene:n HIV-Behandler:in notwendig.