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Ein Standbein in der Onkologie

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Umwelt Sicht Sache

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Viele Mediziner:innen schwören bei ihren Krebspatient:innen auf die Misteltherapie – erste S3-Leitlinie Komplementärmedizin bestätigt Wirksamkeit

Die Heilkraft der Mistel, die oft auch als goldener Zweig bezeichnet wird, ist heute durch zahlreiche Studien und Metaanalysen dokumentiert. Dr.in Myriam Odeh, Oberärztin an der Frauenklinik im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, ist eine begeisterte Verfechterin der komplementärmedizinischen Methode. Im Webinar „Misteltherapie mit ISCADOR: Grundlagen und Anwendung“ des Fortbildungsforums Naturheilkunde berichtete sie: „Die Metaanalyse ,Quality of life in cancer patients treated with misteltoe‘1 aus dem Jahr 2020 zeigt eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der Mittelwertdifferenz bei Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zur onkologischen Standardtherapie eine Misteltherapie erhalten haben. Die Effekte waren am größten, je jünger die Teilnehmer waren und je länger sie die Behandlung beibehielten. Zudem gab es eine Subgruppenanalyse, bei der eine Verbesserung bei Schmerz, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe untersucht und dokumentiert wurde.“ Eine weitere Metaanalyse2 aus demselben Jahr deutet darauf hin, dass die adjuvante Iscador-Behandlung von Tumorpatienten mit einem längeren Überleben verbunden sein kann. Diese Metaanalyse ist ein Follow-up – bereits 2009 gab es eine Publikation dazu. „Nun sind viele aktuelle Studien hinzugekommen. Die Ergebnisse sind signifikant positiv zugunsten der Misteltherapie. Ob die einzelnen Studien randomisiert waren oder nicht, hat nichts am Ausgang geändert. Die besten Ergebnisse wurden in der Gruppe der Patientinnen mit Zervixkarzinom erzielt, die bescheidensten Ergebnisse – sie waren aber immer noch signifikant positiv – bei Patientinnen und Patienten mit Bronchialkarzinom“ , so Dr.in Odeh.

Sicher und unkompliziert

Viele Menschen haben die verständliche Sorge, dass sich eine Misteltherapie während einer Chemo- oder Antikörpertherapie störend auswirken könnte. Da die Patienten unter weniger Nebenwirkungen leiden, befürchten manche, dass auch weniger Wirksamkeit gegeben sei. Diese Thematik hat sich eine Interaktionsstudie näher angesehen.3 Dr.in Odeh: „Verschiedene Chemotherapeutika wurden an humanonkologischen Zellen untersucht. Gemessen hat man Proliferation, Apoptose, Zellzyklus sowie VEGF. Zudem wurde mit verschiedenen Dosierungen der Misteltherapie gearbeitet. Man konnte sehen, dass die Misteltherapie die Wirkung der Chemotherapie nicht herabgesetzt hat, sondern dass man sogar in höheren Dosierungen eine höhere Zytotoxität in der Kombination erreichte. Dasselbe erkennt man an einem Beispiel mit dem Antikörper Trastuzumab. Diese Kombination ist ebenso als sicher einzustufen und könnte zu einer besseren Effizienz führen. “ Die Misteltherapie wird über Spritzen subkutan gegeben. Dr.in Odeh erklärte: „Die meisten Patienten spritzen sich das Präparat dreimal die Woche in den Bauch oder Oberschenkel. “ Wichtig ist die Wahl des passenden Wirtsbaumes und der richtigen Dosierung. So werden in der Gynäkologie zumeist die Kiefer- und die Apfelmistel ausgewählt. Es besteht die Möglichkeit der kontanten oder der rhythmischen Dosierung. Im niedergelassenen Bereich hat – der Fachärztin zufolge – die rhythmische Dosierung Vorteile: „Es gibt Serienpackungen mit Ampullen in aufsteigender Reihenfolge. Die Patienten können selbst ausprobieren, bei welchen sich eine gute Reaktion zeigt. Um die Einstichstelle herum sollte eine leichte Reaktion zu sehen sein. Diese darf sich auch in Jucken oder Brennen äußern. Bleibt eine Reaktion ganz aus, kann man die Dosis erhöhen. Bei einer Überreaktion sollte sie reduziert werden. Man kann nicht wirklich etwas falsch machen.“

AKTUELL

Mistel: Evidenzbasierte Empfehlung

Die Wirkung der Misteltherapie ist klinisch belegt. So wurde von der „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“* mit 1a-Evidenzgrad bestätigt, dass der Mistelgesamtextrakt therapeutisch zur Verbesserung der Lebensqualität subkutan gegeben werden kann.

* leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/ komplementaermedizin

Gefürchtet: Cancer Related Fatigue

Patientinnen und Patienten mit einer onkologischen Erkrankung können bekanntlich an ausgeprägter körperlicher, geistiger und seelischer Erschöpfung leiden. „Während einer Systemtherapie sind rund 90 % der Betroffenen von einer akuten Fatigue betroffen, 20-50 % von einer chronischen“ , erläuterte Dr.in Daniela Paepke, Oberärztin am Brustzentrum in der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar, TU München, in einem weiteren Seminar zum Thema „Cancer Related Fatigue“ . Die Erschöpfung trete typischerweise auf, ohne dass man sagen könne, der Mensch habe sich wahnsinnig angestrengt, übernommen oder überarbeitet. Mehr Schlaf und längere Erholungsphasen wirkten nicht mehr ausgleichend. Die „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“ (siehe Kasten) rate Betroffenen zu Sport und Bewegung als Therapie. Am besten wirke eine Kombination von Ausdauer- und Kraftsport. Empfohlen werden dabei 150 Minuten moderate oder 75 Minuten anstrengende körperliche Aktivität pro Woche. Dr.in Paepke: „Die Leitlinie hat sich auch positiv zur Misteltherapie geäußert. Man kann sie unter einer Systemtherapie zur Verbesserung der Lebensqualität verabreichen. Die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologen in der Onkologie – AGO Kommission – hat das Thema schon länger aufgegriffen und vergibt eine ,KannOption‘ neben der Systemtherapie zur Reduzierung von Nebenwirkungen.“

Der Erfolg bleibt nicht aus

Dr.in Paepke ist von der Misteltherapie und der positiven Wirkung von Sport überzeugt: „Ich schließe meine Patientinnen sofort nach der Diagnose in ein integratives Gesamtkonzept ein. Wenn sie daran teilnehmen, beobachte ich nicht bei 90 % der Patientinnen eine Fatigue. Sondern vielleicht bei 20-30 %. Aber auch diese können damit umgehen, es passt für sie. Es ist wichtig, früh in das Programm einzusteigen – und nicht erst, wenn die Fatigue schon da ist.“ Auch die Metaanalyse „Cancer-related fatigue in patients treated with mistletoe extracts“4 bestätigt übrigens, dass die Misteltherapie statistisch und klinisch signifikant die Fatigue im Zusammenhang mit onkologischen Erkrankungen vermindern kann, verglichen mit der Kontrollgruppe, die keine Misteltherapie bekommen hat.

Gabriella Mühlbauer

Studien: 1 Loef M, Walach H, Quality of life in cancer patients treated with mistletoe: a systematic review and metaanalysis. BMC Complement Med There 20, 227 (2020), doi: 10.1186/s12906-020-03013-3. 2 Ostermann T et al., A Systematic Review and Meta-Analysis on the Survival of Cancer Patients Treated with a

Fermented Viscum album L. Extract (Iscador): An update of Findings, Complement Med Res 2020; 27(4):260-271, doi: 10.1159/000505202. Epub 2020 Jan 10. 3 Weissenstein U et al., Interaction of standardized mistletoe (Viscum album) extracts with chemotherapeutic drugs regarding cytostatic and cytotoxic effects in vitro.

BMC Complementary and Alternative Medicine 14, 6 (2014); 16, 271 (2016); 19, 23 (2019). doi: 10.1186/14726882-14-6. 4 Pelzer F, Loef M, Martin DD et al., Cancer-related fatigue in patients treated with mistletoe extracts: a systematic review and meta-analysis. Support Care Cancer 30, 6405–6418 (2022). doi: 10.1007/s00520-022-06921-x.

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