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Facharzttitel in Sicht

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Umwelt Sicht Sache

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Ein Meilenstein nach 30-jährigen Bemühungen erreicht – Allgemein- und Familienmedizin werden aufgewertet – noch etliche Fragen offen

„Durch die Schaffung des Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin in Österreich stellen wir die Ausbildung nach internationalem Vorbild neu auf.“

© Parlamentsdirektion/Johannes Rauch Schon 1992, im Rahmen eines Kammertages der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) in Schruns, ist der Beschluss zum Facharzt für Allgemeinmedizin gefasst worden. Nun, fast genau 30 Jahre später, soll die Einführung des entsprechenden Titels samt Ausbildung endlich RealiEXPERTE: Johannes Rauch tät werden. Eine Arbeitsgrup- Bundesminister für pe im Ministerium hat am 19. Soziales, Gesundheit, Pflege und KonsuSeptember das Positionspapier mentenschutz zum neuen „Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin“ einstimmig beschlossen. „Es waren langwierige und zum Teil sehr schwierige Verhandlungen, die jetzt Erfolg zeigen“ , freut sich ÖÄK-Präsident Dr. Johannes Steinhart. Man müsse anerkennen, dass sich Gesundheitsminister Johannes Rauch und Sektionschefin Dr.in Katharina Reich sehr für den Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eingesetzt hätten. Für Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, muss dieser Schritt „als Meilenstein und längst verdienter Ausdruck der Wertschätzung und Anerkennung der Allgemeinmedizin“ gewertet werden: „Wir sind überzeugt, dass damit wieder mehr junge Ärztinnen und Ärzte den Weg in die Allgemeinmedizin finden werden“ , sagt er.

Eine kurze Rückblende

Um die Allgemeinmedizin zu attraktivieren, hat das Gesundheitsministerium bereits im April 2018 eine Liste mit zahlreichen Maßnahmen erstellt, die nach vier Bereichen kategorisiert sind: universitäre Ausbildung, postpromotionelle Ausbildung, Berufsausübung und –

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Die Allgemeinmedizin und Familienmedizin wird ein Facharztstudium. Ein erstes

Positionspapier der wichtigsten Stakeholder wurde einstimmig beschlossen. - Die Ausbildung im Anschluss an das

Medizinstudium wird bis 2030 in mehreren Schritten von bisher drei auf fünf Jahre verlängert. - Die zwei zusätzlichen Jahre werden als Lehrpraxis und überwiegend im niedergelassenen Bereich absolviert. - Auch in der dreijährigen Grundausbildung soll es einige Änderungen geben. - Voraussetzung für die Schaffung einer

Facharztausbildung ist eine Änderung des Ärztegesetzes, die in den kommenden Monaten im Nationalrat eingebracht werden soll.

übergreifend – Image/Prestige sowie Berufsbild. Die Einführung der Fachärztin bzw. des Facharztes für Allgemeinmedizin und Familienmedizin wurde dabei als eine der wesentlichen Maßnahmen angesehen. Aus diesem Grund widmete sich seit Dezember 2021 eine eigens eingerichtete Unterarbeitsgruppe intensiv der Ausgestaltung eines solchen neuen Sonderfaches. Die betroffenen Stakeholder – Gesundheitsministerium, Ärztekammer, Krankenanstaltenträger, Bundesländer, Sozialversicherung – erarbeiteten in Kooperation mit nationalen und internationalen Expertinnen und Experten zentral auch eine genaue Definition des Aufgabengebietes, Ausbildungsinhalte und Ausbildungsdauer sowie die Übergangsbestimmungen in der Einführungsphase des neuen Sonderfaches.

Definition des Aufgabengebietes

Zentrale Neuerungen umfassen beispielsweise eine neu ausgestaltete, weiterentwickelte Ausbildung – u. a. durch Erweiterung der Lehrpraxis. So wurde die Definition des Aufgabengebietes für das Sonderfach Allgemeinmedizin und Familienmedizin erarbeitet: • Das Aufgabengebiet umfasst die primäre Gesundheitsversorgung, insbesondere die ganzheitliche, kontinuierliche und koordinative medizinische Betreuung. • Beinhaltet ist die Gesundheitsförderung, Krankheitserkennung und

Krankenbehandlung einschließlich der Einleitung von Rehabilitations- und Mobilisationsmaßnahmen aller

Personen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Art der Erkrankung – unter Berücksichtigung des Umfelds der Person, der Familie, der

Gemeinschaft und ihrer Kultur. • Die Fachärztin/der Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin soll die erste Anlaufstelle für sämtliche gesundheitliche Anliegen sein und dazu beitragen, die Gesundheitskompetenz des Einzelnen sowie spezifischer Populationsgruppen zu stärken, insbesondere durch gesundheitsfördernde Aktivitäten sowie

Beratung und Aufklärung unter Berücksichtigung des jeweiligen epidemiologischen Hintergrundes. • Als wesentlich wird zudem die Zusammenarbeit mit und Koordination von Fachärztinnen/Fachärzten anderer Sonderfächer (SF), mit Vertreterinnen/Vertretern anderer Wissenschaften, mit Angehörigen anderer

Gesundheits- und Sozialberufe (bzw. eines anderen Berufes) und mit Einrichtungen im Gesundheitswesen, insbesondere Krankenanstalten bzw.

Kuranstalten, hervorgehoben. • Auch gezielte Zuweisungen zu Spezialistinnen/Spezialisten, die federführende Koordination zwischen den Versorgungsebenen, das Zusammenführen und Bewerten/Einschätzen bzw. Umsetzen aller Ergebnisse sind Teil des Aufgabengebietes.

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• Darüber hinaus ist die Wahrnehmung von allgemeinärztlichen Tätigkeiten, insbesondere in Organisationen wie Kindergärten, Schulen,

Polizei- oder Heeresdienst sowie Behörden, inkludiert.

Sonderfachschwerpunktausbildung extramural

Die Ziele, die Ausbildungsinhalte und die Ausbildungsdauer sind ebenfalls zentrale inhaltliche Schwerpunkte des Positionspapiers. Hierzu ist z. B. schon festgehalten, dass sich die Ausgestaltung ebenso wie in den anderen Sonderfächern an der Basisausbildung, der Sonderfachgrund- sowie der Sonderfachschwerpunktausbildung orientiert. Im Gegensatz zu den übrigen SF erfolgt in der Allgemeinmedizin jedoch die Sonderfachschwerpunktausbildung in Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen, Lehrambulatorien oder Primärversorgungseinheiten (PVE), also im niedergelassenen Bereich. Wesentlich ist, dass durch die Fachärztin/den Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin die Lehrpraxis stufenweise auf insgesamt 24 Monate angehoben werden soll und durch diese Ausweitung des Praxisteils den angehenden Hausärzten ein wertvoller, umfassender Einblick in die Arbeit in der Niederlassung ermöglicht wird – und somit auch eine gezielte Vorbereitung. Jene umfasst nicht nur Faktoren wie Patientinnen- und Patientenkontakt und -behandlung, sondern ebenso Erfahrungen mit den unternehmerischen Aspekten, die eine Ordination mit sich bringt. So soll die Lehrpraxis auch dazu beitragen, dass Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner nach Abschluss der Ausbildung sich schneller zutrauen, in die Niederlassung zu gehen.

Ausbildung nach internationalem Vorbild

Im Gesundheitsministerium hofft man, dass durch diese wesentlichen Neuerungen die Ausbildung für allgemeinmedizinische Turnusärztinnen und Turnusärzte und auch fertig ausgebildete Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner optimal weiterentwickelt werden kann. Gesundheitsminister Johannes Rauch zeigt sich über den einstimmigen Beschluss der Ausbildungskommission erfreut: „Die Allgemeinmedizin ist die wichtigste Säule in der medizinischen Primärversorgung“ , hält er fest. „Durch die Schaffung des Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin in Österreich stellen wir die Ausbildung nach internationalem Vorbild neu auf. Wir kommen damit einer zentralen Forderung der jungen Ärzteschaft nach, die seit Jahren diagnostiziert, dass die Verbesserung der Ausbildungsqualität die wichtigste Maßnahme gegen den Hausärztemangel ist. Durch den neuen Fokus auf die Lehrpraxis im niedergelassenen Bereich können wichtige Inhalte weitergegeben werden, sodass sich wieder mehr junge Mediziner für eine Niederlassung entscheiden. “ Für die Patienten werde die Schaffung des „Facharztes für Allgemeinmedizin“ vermutlich nicht so wichtig sein, fügt der Minister hinzu. Für die betroffenen Ärzte jedoch schon. Sie würden damit mit den Facharztkollegen auf eine Ebene gehoben. Rauch hält das für einen wichtigen Baustein, um den Beruf der Allgemeinmediziner attraktiver zu machen.

Mag.a Karin Martin

NACHGEFRAGT: Allheilmittel Facharzttitel?

„Verlängerte Ausbildung kann sich auch negativ auswirken“

Es ist eine positive Entwicklung, wenn die Qualität der Ausbildung in der Allgemeinmedizin weiter angehoben wird und der Praxisteil im niedergelassenen Bereich mehr Platz bekommt. Eine hochwertige Ausbildung der Allgemeinmediziner:innen ist die Grundvoraussetzung für eine umfassende Behandlung der Patient:innen sowie für die Entlastung der Krankenhäuser und Fachärzte, die derzeit mit dem Ausbau der Primärversorgungszentren voranAndreas Huss, getrieben wird. Diese Erwartung einer hohen Ausbildungsqualität sollte mit der Verleihung des Facharztes für AllÖGK-Obmann gemeinmedizin tatsächlich realisiert werden, denn die Bezeichnung Facharzt allein macht die Versorgung für die Patient:innen noch nicht besser. Das wäre dann eine reine Imagepolitur.

Zu bedenken ist, dass sich die Umstellung und Verlängerung der Ausbildung um 1,5 Jahre auch negativ auswirken kann. Besonders in der Übergangszeit vom alten auf das neue System kann es zu einer Verschärfung der Nachbesetzungsproblematiken kommen, da eineinhalb Jahrgänge an Nachwuchs fehlen werden. Hier braucht es sinnvolle Begleitmaßnahmen. Zudem ist der Facharzt für Allgemeinmedizin nicht als Allheilmittel zu sehen. Die Österreichische Gesundheitskasse arbeitet derzeit intensiv an allen Ecken des Systems, um die Versorgungssicherheit für die Patient:innen zu gewährleisten. Neben besagtem Ausbau der Primärversorgung werden verschiedenste Zusammenarbeitsformen und flexible Arbeitszeitmodelle für Ärzt:innen realisiert, die in der Kassenversorgung mithelfen wollen. Neben den attraktiven Einkommensmöglichkeiten in der Allgemeinmedizinpraxis wollen wir mit dem sogenannten Sorglos-

Paket auch schon in der Planung und beim Einstieg in die freiberufliche Tätigkeit unterstützen. Hier wollen wir Interessent:innen früher abholen und Pakete schnüren, die dann auch in der Umsetzung nachhaltig und gut für Patient:innen und Ärzt:innen funktionieren. Mit diesem Anspruch gehen wir zusätzliche Wege, die noch viel eher ansetzen, nämlich an der Universität. Hier wollen wir mit gezielten

Hausarztquoten und Stipendienmodellen frühzeitig junge Menschen finden, die gerne mithelfen, eine gute Versorgung für alle zur

Verfügung zu stellen. Ich bin überzeugt: Davon gibt es eine ganze Menge, einerlei ob Facharzt oder nicht.

© ÄK Wien Anna Rauchenberger

© ÄK Tirol Wolfgang Lackner

MR Dr. Johannes Steinhart,

ÖÄK-Präsident

Dr. Edgar Wutscher,

Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzt:innen

„Ein Meilenstein ist gesetzt, weitere müssen folgen“

Die Gremien der Österreichischen Ärztekammer haben einstimmig die Einführung des Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin beschlossen. In Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie einer Untergruppe der § 44-Kommission, einem beratenden Organ des Bundesministers, konnte nun die Einführung fixiert werden. Damit steht das Grundgerüst. 30 Jahre voller langwieriger und schwieriger Verhandlungen sind nun erfolgreich zu einem Abschluss gekommen. Mit der Umsetzung wird eine jahrelange Forderung der Österreichischen Ärztekammer erfüllt. Weitere Gespräche sind noch offen, da für die Umsetzung Änderungen im Ärztegesetz durchgeführt werden müssen. Sobald die Gespräche mit dem Ministerium abgeschlossen sind und die Änderung des Ärztegesetzes im Parlament beschlossen ist, kann bei der Österreichischen Ärztekammer der Antrag auf Facharztzuerkennung gestellt werden. Der Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin ist ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung. Wichtig ist auch, dass die Ausbildung gleichzeitig weiterentwickelt wird. Sie wird zukünftig fünf Jahre dauern, wobei die zusätzlichen zwei Jahre in der Lehrpraxis verbracht werden. Damit steigt die Ausbildungsqualität, weil die Allgemeinmedizin dort vermittelt wird, wo sie gemacht wird. Die Ausbildungsdauer erlaubt es, die Zeit in der Lehrpraxis auch flexibler zu gestalten. So kann etwa ein Teil im urbanen und einer im ländlichen Bereich absolviert werden. Ein Meilenstein ist nun gesetzt, aber weitere müssen folgen, Stichwort Kassenärztemangel. Zudem muss die Gesprächsmedizin anerkannt und ein einheitlicher Leistungskatalog endlich tatsächlich umgesetzt werden. Und man darf nicht auf die Wahlärzte vergessen, die ihren Beitrag für die Versorgung leisten.

© Martin Wiesner

„Bessere und einheitlichere Entlohnung in der Lehrpraxis“

Das Gesundheitsministerium hat die Facharztausbildung für Allgemein- und Familienmedizin zugesagt und schafft somit eine zukunftsträchtige Chance, die Allgemeinmedizin nachhaltig aufzuwerten und für die kommenden Generationen zu attraktivieren. Einerseits ermöglicht der Titel eine lang überfällige Gleichstellung mit anderen Fächern, die mit Ausbildungsende einen Facharzttitel erhalten, andererseits kann im Zuge der längeren Ausbildung endlich die Lehrpraxis, der Dr. Richard Ort, an dem Allgemein- und Familienmedizin praktiziert wird, ausgebaut werden. Brodnig, BSc, Die Lehrpraxis ist nachweislich der Ausbildungsabschnitt, der Begeisterung für die Allgemeinmedizin weckt. Nur Obmann der hier können die Prinzipien der Allgemein- und Familienmedizin wirklich verinnerlicht werden. Die Kontinuität der Jungen Allgemein- Patient:innenversorgung, die fächerübergreifende Symptombehandlung, die Erfassung des Menschen in seiner Mehrmedizin (JAMÖ) dimensionalität sowie die Betreuung von Mehrfacherkrankten sind die Kernaspekte der Allgemein- und Familienmedizin, welche nur in der Lehrpraxis vermittelt werden können.

Eine Verlängerung der Lehrpraxisdauer auf zwei Jahre stellt hier im internationalen Vergleich das Minimum dar. Es muss österreichweit zu einer besseren und einheitlichen Entlohnung in der Lehrpraxis kommen. Aus einigen Bundesländern wurde von Kolleg:innen geäußert, dass sie eine Lehrpraxis mit derart schlechter Bezahlung keinesfalls länger als sechs Monate absolviert hätten und aus finanziellen Gründen sonst in ein anderes Fach gewechselt wären. Hierfür müssen die Entscheidungsträger Lösungen finden, damit es nicht zum Wechsel eigentlich motivierter Kolleg:innen in andere Ausbildungen kommt. Mit allen noch offenen Aspekten ist das Zugeständnis zum Facharzt für

Allgemein- und Familienmedizin der richtige Schritt zur Aufwertung der Allgemeinmedizin und damit der Gesundheitsversorgung Österreichs. Wir von der JAMÖ haben ein österreichweites Netzwerk von Ärzt:innen in allgemeinmedizinischer Ausbildung und hoffen, uns mit dem Wissen hieraus nachhaltig einbringen zu können. In diesem Sinne stehen wir den Entscheidungsträger:innen gerne für Diskussionen und konstruktive Zusammenarbeit zur Verfügung.

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