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Die Hüfte als muskuloske lettales Kongressthema
Serie SCHMERZ
Die Hüfte als muskuloskelettales Kongressthema

Schmerzen reduzieren, Mobilität wiederherstellen, Belastbarkeit erhöhen
© shutterstock.com/Monika Wisniewska
Von 6. bis 8. Oktober fand heuer die 58. ÖGU und 3. ÖGOuT Jahrestagung zum Thema „Traumatologie und Orthopädie der Hüfte“ statt. Nach zwei virtuellen Jahrestagungen war dies – nach den Einschränkungen des täglichen Lebens während der letzten Jahre in der Coronapandemie – die erste Jahrestagung mit persönlichem Kontakt. Trotz des Vormarsches der Digitalisierung war das Interesse ungebrochen hoch. Insgesamt nahmen 862 Personen am Kongress teil, davon 620 Orthopädinnen, Orthopäden, Unfallchirurginnen und Unfallchirurgen. Das Kongressthema war als muskuloskelettales Konzept zu verstehen. Thematisiert wurde die Region als Ganzes – und sie wurde von den jeweiligen Expertinnen und Experten aus den Fachgruppen „Orthopädie und Orthopädische Chirurgie“ , „Unfallchirurgie“ und „Orthopädie und Traumatologie“ innerhalb der drei Tage intensiv diskutiert.
Stadiengerechte Therapie bei Erkrankungen der Hüfte
Die einfache Beschreibung der Hüfte als Kugelgelenk mit einem „single center of rotation“ ist zwar konzeptionell anerkannt, die Abweichungen der Kopf- und Pfannenform („out of round“) und deren Einfluss auf die mögliche Entwicklung von Coxarthrose sind allerdings Gegenstand der Wissenschaft. Vor allem in der gelenkerhaltenden Behandlung sind derzeit viele Fragen offen. Die Anatomie und die Biomechanik der Hüfte als Grundlage für die Konzeption neuer Therapieansätze werden intensiv beforscht. Auf Basis der Interpretation der Ergebnisse klinischer, anatomischer und biomechanischer Studien fließen dabei neue Erkenntnisse in unsere Behandlungskonzepte ein. In der gelenkerhaltenden Therapie reicht das Spektrum von der konservativen Behandlung bei Kindern mit Morbus Perthes und Hüftdysplasie bis hin zu den Osteotomien des Beckens und des hüftgelenknahen Oberschenkels. Während die Hüftdysplasie eine angeborene Fehlstellung ist, stellt der Morbus Perthes eine Entwicklungsstörung dar, die mit einer verminderten Durchblutung des Hüftkopfes – vorwiegend zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr – einhergeht. Sowohl bei M. Perthes als auch bei der Hüftdysplasie sind Abklärungen, Beobachtung und stadiengerechte Behandlung durch eine Kinderorthopädin bzw. einen Kinderorthopäden unerlässlich. Als Warnsignale sind Leisten-, Oberschenkel- und Knieschmerzen, Hinken und vor allem Bewegungsverlust in der Hüfte zu werten. Als letzte Maßnahme zur Wiederherstellung der Hüftgelenkfunktion sind in den Spätstadien der Erkrankung – nach Fragmentierung des Hüftkopfes mit Verlust des Hüftkopfzentrums – die operativen Therapien notwendig. Dazu müssen Osteotomien (Knochenschnitte) am Oberschenkel oder Becken zur Zentrierung des Hüftkopfes durchgeführt werden. Bei der Hüftdysplasie sind zur Gelenkerhaltung ebenfalls Osteotomien des Beckens zwecks einer besseren Überdachung und der Normalisierung der biomechanischen Verhältnisse des Hüftgelenkes erforderlich. Ziel ist dabei die Ausheilung der Deformität. Das femoroazetabuläre Impingement – ein pathologischer Kontakt zwischen Schenkelhals und Pfannendach bei bestimmten Bewegungsexkursionen – ist auf eine angeborene Formvariante des Hüftkopfes oder der Pfanne zurückzuführen. Diese Formvariante bewirkt im Rahmen repetitiver Aktivitäten die
© Patrick Connor Klopf vermehrte Beanspruchung der Gelenklippe an der Pfanne und konsekutiv Risse. Die Abnützung leitet dann die Entwicklung einer Hüftarthrose ein. Hier führen mitunter scharfe oder dumpfe Schmerzen im Leistenbereich bis hin zu Steifheit – vor allem nach längerem Stehen und Sitzen – zu Einschränkungen der sportlichen und alltäglichen Aktivität. In diesem Fall hat, neben der offenen Chirurgie, insbesondere die Hüftarthroskopie in der Behandlung von funktionellen Beschwerden wie Leistenschmerzen einen immer höheren Stellenwert. Ihre Rolle in der Arthroseprävention ist jedoch noch als hypothetisch zu erachten.
Altersgerechte Therapie bei Verletzungen
Ein besonderer Schwerpunkt der Tagung waren die Verletzungen und Brüche der Hüfte. Dabei wurden Frakturen der Gelenkpfanne von hüftnahen Oberschenkel- und solche von Schenkelhalsbrüchen unterschieden. Insbesondere wurden die unterschiedlichen Behandlungskonzepte in Abhängigkeit von Unfallmechanismus und Alter beleuchtet. Während bei jungen Patienten alle Anstrengungen zum Hüfterhalt unternommen werden sollten, spielt bei alten und geriatrischen Patienten der primäre Gelenkersatz eine immer bedeutendere Rolle. Diese sind zumeist von einer begleitenden Multimorbidität, einer Polypharmazie, der Sarkopenie und einer Osteoporose gezeichnet. Sie benötigen ein geriatrisches Co-Management zur optimalen Behandlung. Das oberste Ziel ist die möglichst rasche Mobilisation. Sie erfordert ein Co-Management im Sinne eines multidisziplinär abgestimmten Konzeptes aus den Bereichen Geria-
trie, Innere Medizin, Unfallchirurgie, Orthopädie, Anästhesie, Physiotherapie und Pflege zur Deckung der Bedürfnisse betagter Patienten. Auch biomechanische Untersuchungen von unterschiedlichen Implantaten und ihren Positionierungen im Knochen zur Erhöhung der Belastbarkeit sowie die Vermeidung von Osteosyntheseversagen – vor allem bei schlechter Knochenqualität – waren Inhalt zahlreicher Vorträge, GASTAUTOR: die zum Ziel hatten, die unmittelbare Prim. Priv.-Doz. Dr. Vinzenz Smekal Belastung für die Patienten sicherer zu Unfallkrankenhaus machen. Klagenfurt am Wörthersee, Abt. f. Orthopädie und Traumatologie, Präsident der ÖGU und der ÖGOuT
Gelenkersatz
Der primäre Gelenkersatz ist sowohl für Frakturen als auch für die Erkrankung, die Coxarthrose, eine etablierte Behandlungsoption. Durch die Ausdünnung des Knorpels wird das Hüftgelenk immer weniger belastbar. Der Krankheitsverlauf beginnt zumeist mit Leistenschmerzen nach Belastung und einer Bewegungseinschränkung, vor allem der Innenrotation der Hüfte, die >
„In der gelenkerhaltenden Behandlung sind viele Fragen offen. Neue Therapieansätze werden derzeit intensiv beforscht.“
Betroffene vorerst zu einer Anpassung des Aktivitätsprofils zwingt. Zunehmende funktionelle Einschränkung und dauernder Belastungsschmerz machen in der Folge einen Hüftgelenkersatz notwendig. Vorgestellt wurden klinische Ergebnisse von Implantaten mit unterschiedlicher Verankerungsstrecke im Oberschenkelschaft sowie unterschiedliche minimalinvasive Zugangswege zum Hüftgelenk.
Die schwierige Hüfte
Die schwierige Hüfte und das Komplikationsmanagement wurden im letzten Drittel der Jahrestagung thematisiert. Dadurch war es möglich, die Spannung der Veranstaltung bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Darunter fielen die Planung und Rekonstruktion des Hüftkopfzentrums bei Dysplasie, Stabilisierungsoptionen bei Instabilität nach primärer Endoprothese sowie die Diagnostik und Behandlung pathologischer Hüftfrakturen. Pathologische Brüche der Hüftknochen durch Knochenkrebs sind häufig das erste Symptom dieser Erkrankung. Selten treten zuvor Hüftschmerzen auf, die zumeist nachts beginnen und dann zum Dauerschmerz werden. Schwellungen im Hüftbereich sind zusammen mit Gewichtsverlust und ungewöhnlicher Müdigkeit schon als späte Symptome zu werten. Bei Frakturen, die ohne adäquate Gewalteinwirkung vor allem bei jungen Patienten entstehen, sollte der operierende Unfallchirurg deshalb zum Ausschluss einer malignen Erkrankung immer eine Biopsie vornehmen. Als operative Lösungen für spezifische Probleme nach primärem Hüftgelenkersatz – beispielsweise für periprothetische Brüche, Infektionen oder Lockerungen, die mit fehlenden Verankerungsmöglichkeiten einer herkömmlichen Prothese einhergehen – wurden die derzeit verfügbaren Hardware-Lösungen vorgestellt, die von Metallaugmentationen bis hin zu Megaprothesen zwecks Erhaltung der Mobilität und Integrität des Körperstammes reichen.
Fazit
Besonders freudig erinnern werden wir uns auch an die Spendenübergaben an die Organisationen „Hilfe für die Ukraine“ und „Ärzte ohne Grenzen“ , die sich mit beeindruckenden Festvorträgen inklusive einer Videobotschaft über „Surgery on the Frontline“ und mit einem Längs- und Querschnitt über „50 Jahre Ärzte ohne Grenzen“ bei den Gesellschaften bedankten. Insgesamt blicken wir zufrieden auf eine geglückte und spannende Jahrestagung zurück. Ich bin sicher, dass alle Teilnehmer Wissenswertes für ihre tägliche Arbeit mit den Patienten mitnehmen konnten. <
Medizinische Cannabinoide
Wundermittel oder Teufelszeug?
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© Fotostudio Bichler
In Österreich erhältlich sind:

THC-basiert: Wirkstoff Dronabinol: magistrale Zubereitung als ölige Lösung oder Kapseln der Gelben Box (RE1) des EKO zugeordnet, Erstattung nach Vorabbewilligung Nabilon – Canemes®: Kapseln nicht im EKO gelistet, Erstattung bei chemotherapiebedingter Emesis und Nausea
THC-CBD-Gemisch: Nabiximols – Sativex®: Mundspray seit Herbst 2019 im gelben Bereich des EKO gelistet, Kostenübernahme bei mittelschwerer und schwerer Spastik bei MS
Cannabinoide wurden schon 3000 vor Christus in China als Heilpflanze beschrieben, in Europa hatten sie eine echte Blütezeit zwischen 1880 und 1900. In dieser Zeit wurden Cannabispräparate, wie Tinkturen, u. a. zur Behandlung von Schmerzen, Spasmen, Asthma, Schlafstörungen, aber auch Rheuma, Cholera und Tetanus eingesetzt. Dies hatte 1898 mit der erstmaligen Entwicklung von synthetischen Arzneimitteln (beispielsweise Aspirin) und mit den rechtlichen Einschränkungen durch die Opiumkonvention ein jähes Ende. Das Interesse am Medizinalhanf erwachte in den 1960er Jahren wieder, als THC (Tetrahydrocannabinol, Dronabinol) in Israel erstmals isoliert wurde. Der zweite, medizinisch am meisten erforschte Inhaltsstoff ist CBD (Cannabidiol). THC wird vor allem in der Palliativ- und Schmerzmedizin zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt, während CBD medizinisch in der antikonvulsiven/antiepileptischen Therapie zur Anwendung kommt, allerdings in einer deutlich höheren Dosierung (Faktor 1 : 100 im Verhältnis zu THC). CBD-basiert: Wirkstoff Cannabidiol: magistral als ölige Lösung, nicht gelistet, Erstattung bei therapierefraktären Epilepsien möglich Epidyolex®: ölige Lösung seit 2021 im gelben Bereich des EKO gelistet, Erstattung bei therapierefraktären Epilepsien möglich
Dronabinol in der Allgemeinpraxis
Der Wirkstoff Dronabinol hat heute in der allgemeinmedizinischen Praxis vor allem durch seine Clusterwirkung in der Symptombehandlung von onkologischen, geriatrischen und Palliativpatienten sowie bei chronischen Schmerzzuständen einen wesentlichen Stellenwert. Die Clusterwirkung ergibt sich aus dem Wirkmuster von Dronabinol: Es ist zentral muskelrelaxierend, antikachektisch, antiemetisch, analgetisch, anxiolytisch, sedierend und antiphlogistisch. Dronabinol wird über das CYP450-System verstoffwechselt – Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, die über jenes abgebaut werden, sind theoretisch möglich. Im Wesentlichen muss man jedoch keine Interaktionen befürchten, es sind keine relevanten Probleme bekannt.
Wesentlich sind hingegen die Kontraindikationen. An erster Stelle sind psychiatrische Vorerkrankungen wie Schizophrenien oder Panikattacken zu nennen, da Psychosen ausgelöst werden können. Weitere Kontraindikationen sind Schwangerschaft und Stillzeit sowie eine manifeste KHK. Das Nebenwirkungsprofil von Dronabinol ist dosisabhängig und mit den psychotropen Eigenschaften sowie der verstärkenden Wirkung auf den Sympathikus assoziiert. Zu den häufigsten beschriebenen Nebenwirkungen zählen Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit sowie Mundtrockenheit. Wird Dronabinol über mehrere Tage langsam aufdosiert, kann die Verträglichkeit wesentlich verbessert werden – ganz nach dem Motto: start low – go slow. Nach langsam erfolgter Auftitrierung sollte der Effekt nach maximal zwei Wochen einsetzen. Es können bis zu drei Monate vergehen, bis die optimale Erhaltungsdosis erreicht ist. Es treten keine Toleranzentwicklungen auf.
Bereicherung der potenziellen Medikation
Immer wieder haben die Patient:innen bzw. ihre Angehörigen Vorurteile bezüglich der Einnahme des Wirkstoffes Dronabinol, sei es eine vermutete Abhängigkeit oder ein befürchteter rauschähnlicher Zustand. Beides tritt im Rahmen des medizinischen oralen Gebrauches nicht auf. Andererseits kann man als Behandler:in auch in schwierigen Arzt-Patienten-Beziehungen die „Mystik“ des Präparates positiv im Sinne eines Behandlungserfolges und einer Symptomlinderung einsetzen. Oft reagieGASTAUTOR: ren Patient:innen, die weitgehend mediDr. Paul Groß Arzt für Allgemeinmedi- kamentöse Therapien ablehnen, neugierig zin, Zusatzfach Geria- auf das Angebot, den Wirkstoff Dronabitrie, Spezialisierung in fachspezifischer psy- nol bei ihren Beschwerden zu probieren. chosomatischer Ist nun der Wirkstoff Dronabinol ein WunMedizin, ÖÄK-Diplom für Palliativmedizin, dermittel oder ein Teufelszeug? Meine Lehrbeauftragter der Antwort: Weder noch, er ist einfach eine FH-Campus Wien Bereicherung der potenziellen Medikation und sollte im therapeutischen Portfolio einen fixen Stellenwert innehaben.
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