
4 minute read
Künstlicher Darm ausgang muss keine Horrorvorstellung sein“
„Künstlicher Darmausgang muss keine Horrorvorstellung sein“
Leben mit Kolostoma – der Bericht einer betroffenen Patientin
SerieGASTRO
GASTAUTORIN Rita Hofmeister ist Mentorin für ganzheitliche Gesundheits- und Bewusstseinsbildung mit Praxis in Wien sowie Buchautorin. 2020 erhielt sie einen künstlichen Darmausgang.
Als ich das erste Mal von einem künstlichen Darmausgang in Zusammenhang mit meinem Körper hörte, war ich Mitte zwanzig und hatte gerade erfahren, dass ich wohl an Endometriose leide. Als Therapie schlug mein Gynäkologe
eine Operation mit möglicher vorübergehender Stoma-Anlage vor. Für mich eine schiere Horrorvision, wegen der ich mich zwei Jahre lang nicht behandeln ließ. Auch während der nächsten fünfzehn Jahre waren viele medizinische Entscheidungen, die ich traf, vor allem dadurch motiviert, ein Stoma zu vermeiden. Vor zweieinhalb Jahren – mit Anfang vierzig – gab es aber keinen Ausweg mehr. An einer durch eine Endometriose-OP verursachten alten DarmAnastomose hatte sich ein Abszess mit Fisteln gebildet. Eine chirurgische Sanierung ohne Stoma-Anlage war nicht geglückt und so hatte ich keine andere Wahl, als mich mit meinem AlbtraumThema auseinanderzusetzen.
Falsche Bilder aus dem Weg geräumt
Das Ergebnis meiner Recherchen war die plötzliche Realisierung, dass ich mir einen künstlichen Darmausgang immer vollkommen falsch vorgestellt hatte. Vor meinem geistigen Auge war er mit Schläuchen, offenen Wunden und Schmerzen verbunden gewesen. Als ich das erste Mal Bilder und Videos von einem echten Stoma sah und zuschauen konnte, wie es versorgt wurde, war ich erstaunt und fasziniert zugleich. Was für ein Wunder der menschliche Körper und die moderne Medizin doch sind! Mit jedem Bericht, jedem Bild und jedem Video wich meine Angst ein Stück mehr. Ich musste zwar intensiv recherchieren, um für Laien geeignetes Informationsmaterial zu finden, aber es war die Mühe wert. Je mehr ich sah und wusste, desto mehr kam das Stoma für mich aus der Ecke der tabuisierten Horrorvorstellungen heraus. Vor allem auf Social Media fand ich Accounts von jungen, hübschen, lebenslustigen Frauen, die ganz bereitwillig zeigten, wie sie ihr jeweiliges Stoma versorgten, und ihre Follower an ihrem meist doch recht unbeschwerten Leben mit künstlichem Darmausgang teilhaben ließen. Und irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir vorstellen konnte, das auch selbst zu schaffen: ein Leben mit Stoma hinzubekommen.
Das Stoma als neuen Körperteil akzeptieren
Im März 2020 – nach zwei Jahren voller Schmerzen, Durchfall, Stuhlinkontinenz und sozialer Isolation – bekam ich ein Kolostoma. Drei Tage nach der Anlage brauchte ich keine Schmerzmittel mehr, sechs Tage nach dem Eingriff wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen, und seither genieße ich mein Leben wieder in vollen Zügen. Klar, der Alltag mit meinem künstlichen Darmausgang ist ein wenig anders, als er vorher war. Aber all das, wovor ich jahrelang solche Angst gehabt hatte, ist nicht eingetreten. Ich kann Sport machen, schwimmen und in die Sauna gehen, verreisen – schlicht: endlich wieder alles machen, was ein Leben lebenswert macht. Nicht allein ich, sondern viele StomaTrägerinnen und -Träger denken sich oft: Hätte ich das doch alles früher gewusst! Ein Stoma zu haben ist nicht das Ende der Welt. Es ist nie so schlimm,
INFO
Was kann einen künstlichen Darmausgang erforderlich machen?
Karzinome im Bereich des Enddarms Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Darmverschluss Unfälle mit Verletzungen des Darms Angeborene anorektale Fehlbildungen Fisteln und Abszesse Endometriose Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) OP-Komplikationen Stuhlinkontinenz nach Schlaganfällen, bei
Multipler Sklerose, Alzheimer und Demenz,
Gehirntumoren, Dammrissen, Überdehnungen, Beckenbodensenkungen, aber auch nach Psychosen oder Medikamentenmissbrauch
wie man sich das vorher ausgemalt hat – insbesondere, wenn man es schafft, das Stoma anzunehmen und als neuen Körperteil zu akzeptieren. Das fällt nämlich manch einem Stoma-Neuling schwer. Doch nach einer Phase, in der man sich an das neue Körperbild gewöhnen muss – die natürlich nicht ganz einfach und oft mit unangenehmen Emotionen verbunden ist –, kann man sich entscheiden: entweder sich das ganze Leben lang grämen und für bemitleidenswert halten oder einfach das Beste aus dem Leben mit Stoma machen. Ich habe mich für Letzteres entschieden und sogar eine – mit einigen Risiken verbundene – Rückoperation abgelehnt.
Raus aus der Tabuzone
Um anderen Mut zu machen, habe ich jetzt ein Buch geschrieben. Darin kann man nicht nur meine eigene Geschichte – meine Reise zum künstlichen Darmausgang – nachlesen. Es ist auch voller Fakten, Bilder, Tipps & Tricks und beantwortet alle Fragen, die ein Stoma so mit sich bringt: Thematisiert werden unter anderem Möglichkeiten der StomaVersorgung, die Kleiderwahl, Sexualität, Partnerschaft und der positive Umgang mit dem künstlichen Darmausgang. Auch die Fragen „Wo bekommt man die StomaVersorgung her? Wer bezahlt das? Wer hilft einem im Alltag und bei Problemen?“ sowie „Wie beantragt man die Feststellung des Behindertengrades?“ werden beantwortet. „Gut leben mit Beutel am Bauch – Ein Stoma-Mutmachbuch“ ist insbesondere ein Ratgeber für all jene, die vor einer Stoma-Anlage stehen oder vor kurzem ein Stoma bekommen haben. Das Buch ist aber auch ein wertvolles und menschlich authentisches Nachschlagewerk für Medizinerinnen und Mediziner sowie für Personen aus dem Pflegebereich. Denn gerade Menschen „an der medizinischen Front“ können viel dazu beitragen, den künstlichen Darmausgang aus der Tabuzone herauszubekommen. Offen darüber zu reden, statt vermeintlich rücksichtsvoll zu schweigen, wäre der beste Weg. Patientinnen und Patienten Details zu erklären, ihnen Bilder zu zeigen und sie zum weiteren Wissenserwerb zu motivieren, anstatt sie mit ihren Sorgen und Nöten alleinzulassen, kann viele Ängste abbauen.
X HAUSÄRZT:IN-Buchtipp
Gut leben mit Beutel am Bauch
Ein Stoma-Mutmachbuch
Von Rita Hofmeister maudrich Verlag 2022
