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Mehr Unbeschwertheit bei Inkontinenz

Mit den richtigen Maßnahmen können Betroffene viele Lebenslagen leichter meistern

Laut WHO ist Inkontinenz eine der häufigsten Krankheiten. Allein in Österreich leiden etwa eine Million Menschen – vor allem Frauen – darunter, Harn oder Stuhl zu verlieren. „Viele Betroffene ziehen sich aus Angst vor einem ‚peinlichen Missgeschick’ immer mehr zurück und vereinsamen. Ein erfülltes Leben scheint kaum noch möglich“ , weiß Dr.in Michaela Lechner, Präsidentin der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) und Fachärztin für Chirurgie mit Spezialgebiet Proktologie.

Der Hausarzt als erste Adresse

Inkontinenz ist also ein Thema, mit dem Hausärzte als erste Ansprechpartner in Gesundheitsfragen häufig konfrontiert werden – so sich die Patienten getrauen, über dieses nach wie vor tabuisierte Problem zu sprechen. Doch kann mit effizienten Maßnahmen die Lebensqualität der Betroffenen wesentlich erhöht oder sogar eine Heilung erzielt werden. Oft wissen Menschen mit Inkontinenz jedoch nicht, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen. Diese sind sehr vielfältig und reichen von gezieltem Beckenbodentraining über Medikamente und bestimmte Verhaltensmaßnahmen bis hin zu einem chirurgischen Eingriff. Allerdings erfordern die unterschiedlichen Formen der Inkontinenz (s. Infobox 1) auch unterschiedliche Therapien.

Im Rahmen der diesjährigen WeltKontinenz-Woche von 21. bis 25. Juni widmeten sich die Expertinnen und Experten der MKÖ besonders aktiv verschiedenen Schwerpunktthemen rund um die Inkontinenz. Manchmal kann bereits mit einer Veränderung des Lebensstils, etwa des Ess- und Trinkverhaltens, einiges erreicht werden (siehe Infobox 2, S. 40). Ein gutes Hilfsmittel ist beispielsweise ein Miktionsprotokoll. „Je genauer diese Protokolle geführt werden, desto eher kann der behandelnde Arzt die Ursache des Problems finden und eine Kontinenz- und Stomaberaterin die betroffene Person bei entsprechenden Änderungen des Trink- und Essverhaltens anleiten“ , erklärt Heidi Anzinger, Kontinenz- und Stomaberaterin am Ordensklinikum Linz, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern.

Großes Angebot von Hilfsmitteln

Zu den saugenden Versorgungen zählen Kontinenzeinlagen. „Moderne Produkte bestehen aus einer wasserundurchlässigen Folie, einem sogenannten Superabsorber – ein Pulver, das den Harn bindet und in ein Gel verwandelt –, einem Zitratpuffer gegen die Geruchsbildung und einer schnell trocknenden Vliesschicht, die Hautreizungen verhindert“ , erläutert Sabine Harrer, Kontinenz- und Stomaberaterin am Ordensklinikum Linz, Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern. Bei einer stärker ausgeprägten Inkontinenz ist eine geschlossene Versorgung, in Form sogenannter Pants, die bessere Wahl. Spezielle Scheidentampons bieten eine gute Unterstützung vor allem bei einer Belastungsinkontinenz. Für Männer gibt es der Anatomie angepasste Einlagen in unterschiedlichen Stärken, Größen und Farben. Eine weitere Option sind waschbare Inkontinenzslips, die wie normale Unterwäsche aussehen. Zu den ableitenden Hilfsmitteln zählt das Kondomurinal, das Männern die Möglichkeit bietet, ihre Harninkontinenz einfach, sauber sowie diskret zu versorgen, und sie in ihrer Mobilität

X Infobox 1: Die wichtigsten Formen der Harninkontinenz

„ Dranginkontinenz

Unwillkürlicher Urinverlust mit gleichzeitigem Auftreten eines Harndranges, der schwer kontrolliert werden kann. „ Belastungsinkontinenz (auch Stressinkontinenz genannt)

Unfreiwilliger Harnabgang bei körperlicher Belastung (v. a. Husten, Niesen, Lachen, Heben,

Treppensteigen) infolge einer Verschlussschwäche der Harnröhre. „ Mischinkontinenz

Unwillkürlicher Harnverlust bei starkem Harndrang und bei körperlicher Belastung. „ Überlaufinkontinenz:

Unwillkürlicher Harnverlust bei hohem Restharnvolumen wegen Abflussbehinderung, neurogener Störungen oder Detrusorschwäche.

WIRKSAME THERAPIE BEI INKONTINENZ*

Sakrale Neuromodulation mit zwei neuen InterStim™ SureScan™ Systemen

Wählen Sie die geeignete Therapieoption für Ihre Patienten - ob unter- oder überaktive Blase (ÜAB) oder Stuhlinkontinenz, die sakrale Neuromodulation ist geeignet bei verschiedenen Ätiologien.

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Schrittmacher

Elektrode

Blase

Sakralnerv

Rektum

kaum einschränkt. Diese Silikonkondome werden über den Penis gestülpt. Am oberen Ende befindet sich eine selbstklebende Haftfläche, das untere Ende ist mit einem geruchs- und flüssigkeitsdichten Beinbeutel verbunden. Lässt sich die Blase nicht oder nicht vollständig entleeren, ist ein Katheter nötig, der über die Harnröhre in die Blase eingeführt wird. Es gibt Einmalkatheter, die unmittelbar nach der Entleerung wieder entfernt und entsorgt werden. Patienten können diesen intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) nach einer Einschulung selbstständig anwenden. Bei Stuhlinkontinenz stellt die transanale Irrigation (TAI), eine Darmspülung mit lauwarmem Wasser, eine Option dar. „Sie ist eine gute Lösung, wenn sich der Darm unkontrolliert bzw. nicht selbstständig entleert“ , informiert Harrer. Falls nach der Entleerung immer wieder Stuhl verloren geht, können Analtampons kleine Mengen an Stuhl abfangen. Ist der Leidensdruck der Patienten sehr groß, kann eine sakrale Neuromodulation (SNM) mittels Blasenschrittmachers ihre Lebensqualität verbessern. Schon seit mehr als 25 Jahren wird diese Methode angewendet. Der Schrittmacher gibt sanfte elektrische Impulse an die Sakralnerven ab, welche die Funktion von Blase und Enddarm steuern. Dadurch kann das natürliche Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung verbessert oder wiederhergestellt werden. Der Schrittmacher wird an einer kosmetisch günstigen Stelle implantiert, üblicherweise im oberen Gesäßbereich, manchmal aber auch im Unterbauch. Meist dauert der Eingriff nicht länger als eine Stunde.

Mobil trotz Inkontinenz

Aus Angst vor peinlichen Zwischenfällen verzichten viele Betroffene auf Reisen. Die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Karin Müller, DGKP, ist jedoch überzeugt: „Mit der richtigen Behandlung und Versorgung kann man ein aktives Leben führen und mit einer guten Planung auch auf Reisen gehen. “ Müller leitet die MKÖ-Landesstelle Wien und ist Kontinenz- und Stomaberaterin. Eine gute Vorbereitung ist hierbei das Um und Auf. Eine ausreichende Menge von Hilfsmitteln sollte unbedingt mit ins Gepäck kommen. Dabei ist es ratsam, einen Teil griffbereit im Handgepäck bzw. im Handschuhfach zu verstauen. Bei Flug- oder Bahnreisen empfiehlt es sich, einen Sitzplatz in Toilettennähe zu reservieren. Bei Busfahrten sollte man sich vorab erkundigen, ob ein Bord-WC vorhanden ist oder genügend Pausen vorgesehen sind. Für längere Autoreisen sind Betroffene gut damit beraten, sich vor Reiseantritt einen Überblick über Raststätten entlang der Strecke zu verschaffen. Ein WCFinder als Straßenplan oder App für die Urlaubsdestination ist ein weiterer Tipp der Expertin für ein sicheres Gefühl vor Ort.

X Infobox 2: Allgemeine Tipps der Expertin für den Alltag

„ Die tägliche Trinkmenge sollte bei etwa 1,5 bis 2 Liter liegen. „ Nicht auf das Durstgefühl warten, sondern die Trinkmenge gleichmäßig über den Tag verteilen (2/3 bis Mittag, 1/3 nachmittags). „ Den Konsum von Kaffee oder Schwarztee verringern. Ab drei Tassen wirken diese Getränke harntreibend. „ Auch Alkohol hat eine harntreibende Wirkung und verringert die Wahrnehmung einer vollen

Blase. „ Kohlensäurehaltige Getränke können den Harndrang verstärken und bei empfindlichen Menschen Meteorismus auslösen. „ Regelmäßig und genussvoll essen. „ Bei Obstipation: Ausreichend trinken, Ballaststoffe essen und sich so viel wie möglich bewegen. „ Bei Diarrhö: Beobachten, unter welchen Umständen Durchfall auftritt, und mit dem Arzt darüber sprechen. Auf eine ausgewogene Ernährung achten und vermehrt stopfende Nahrungsmittel zu sich nehmen. „ Harndrang nicht zu lange ignorieren, aber auch nicht jeder „Alarmierung“ der Blase nachgeben. „ Die Blase ohne Druck entleeren. Sowohl die Blase als auch der Darm ist ein Muskel, sie ziehen sich bei der Entleerung automatisch zusammen. „ Auf eine entspannte Sitzposition am WC achten (z. B. die Beine auf einen Schemel stellen). „ Beckenbodenbelastende Situationen (z. B. schweres Heben) vermeiden. „ Die Haut im Genitalbereich mit geeigneten Produkten gut pflegen.

Sexualität ist möglich

Ein besonders heikles Thema stellt körperliche Nähe dar. Jedoch ist ein erfülltes Sexualleben auch für Menschen mit Inkontinenz möglich. Menschen mit einer Blasenentleerungsstörung brauchen bisweilen einen Katheter, der über die Harnröhre eingeführt wird. Handelt es sich dabei um einen Dauerkatheter, ist die Genitalregion „belegt“ . „Eine Alternative wäre zum Beispiel ein suprapubischer Katheter, der über einen kleinen Bauchstich in die Blase eingebracht wird. Für die Zeit der sexuellen Begegnung könnte man ein Katheterventil anwenden“ , macht die Kontinenz- und Stomaberaterin sowie ausgebildete Sexualberaterin Kornelia Buchner-Jirka aufmerksam. Hält die Blase grundsätzlich den Urin und kann nur in gewissen Situationen nicht oder nicht ausreichend entleert werden, kann der Einmalkatheterismus eingesetzt werden. Bei Stuhlinkontinenz können Entleerungshilfen, etwa in Form eines Suppositoriums, eine transanale Irrigation, stuhleindickende Maßnahmen oder Laxativa dem Betroffenen die Kontrolle über die Stuhlentleerung geben. Analtampons halten während der intimen Begegnung den Stuhl zurück.

Margit Koudelka

X Infobox 3: Service-Material für Ärzte

Ein InkontinenzLeitfaden für die allgemeinmedizinische Praxis, Miktionsprotokolle sowie diverse InfoFolder sind auf der MKÖWebsite kontinenzgesellschaft.at unter „Fachportal“ erhältlich.

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