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Ursachenforschung bei Angina pectoris
Wie bei Rückkehr der Brustenge nach perkutaner koronarer Intervention (PCI) vorgehen?
In der Altersgruppe zwischen 65 und 84 Jahren leiden etwa 10-12 % der Frauen und 14-15 % der Männer an stabiler Angina pectoris (AP).1 Die Leitlinie bezüglich chronischer koronarer Syndrome empfiehlt mittlerweile einen weniger restriktiven Einsatz der PCI, sofern diese auf angiographische Stenosen in großen Gefäßen, welche ein signifikantes intrakoronares Druckgefälle verursachen, beschränkt wird.2 Jedoch bessert sich die AP-Symptomatik nach dem Eingriff nicht bei allen Patienten, wie Prof. Filippo Crea, Leiter der Abteilung für kardiologische Wissenschaft an der Katholischen Universität in Rom, in einem Webinar von „Angina Updates“ Anfang Juli 2021 darlegte:3 „Nach einer erfolgreichen PCI klagen immer noch 20-30 % der Patienten über AP.“
Ein Blick hinter die epikardialen Kulissen
Natürlich könne nach dem Stenting an anderer Stelle eine Obstruktion der Koronararterien auftreten – dies sei aber nicht so oft der Fall. „Ein großer Teil der Patienten weist eine funktionelle Veränderung auf“ , erläuterte Prof. Crea. Dazu zählen die vasospastische und die mikrovaskuläre AP. Sie können auch zusätzlich zu atherosklerotischen Plaques auftreten. „Wir übersehen diese Patienten leider häufig oder schenken ihren Beschwerden keinen Glauben, da wir keine weiteren Stenosen finden“ , schilderte er die oftmals vorkommende Situation in der Praxis. Solch eine Denkweise limitiere allerdings die Möglichkeiten, die Patienten adäquat zu behandeln. Prof. Crea unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Formen der AP (siehe Abb.):1 • stabile AP – verursacht durch fixierte atherosklerotische Plaques, die eine oder mehrere epikardiale Koronararterien verengen. Es handelt sich um eine obstruktive Stenose. • vasospastische AP – Spasmus der
Koronararterien mit oder ohne endotheliale Dysfunktion. • mikrovaskuläre AP – die myokardiale
Ischämie wird durch mikrovaskuläre und/oder endotheliale Dysfunktion und Inflammation hervorgerufen. „Etwa 50 % der Patienten haben keine obstruktive AP, sondern weisen funktionelle Veränderungen auf“ , erklärte der Kardiologe.
Experte zum Thema: Prof. Filippo Crea
Leiter der Abteilung für kardiologische Wissenschaft an der Katholischen Universität in Rom
Hinweise für die Diagnostik
Bei der vasospastischen AP kann ein während der Koronarangiographie durchgeführter Acetylcholintest zur Diagnostik herangezogen werden. „Dabei wird ein epikardialer Spasmus sichtbar und der Patient bekommt AP“ , so Prof. Crea. Auch bei der mikrovaskulären AP kann dieser Test vorgenommen werden. „Hier ist kein epikardialer Spasmus sichtbar, aber der Patient bekommt trotzdem AP“ , berichtete der Experte. Allerdings könne die mikrovaskuläre AP ebenso bei erhöhtem myokardialem Sauerstoffverbrauch auftreten, wenn aufgrund der Veränderungen an den Blutgefäßen die Durchblutung nicht ausreichend ist. Das Baseline-EKG sei in diesem Fall normal, die FFR (Fractional Flow Reserve) indessen reduziert. „Als dritter Mechanismus ist bei der mikrovaskulären AP die kardiale Schmerzwahrnehmung zu nennen, die zur Symptomatik beitragen kann“ , machte Prof. Crea aufmerksam. So hätten Patienten mit obstruktiver Stenose in einer Studie eine Habituation in Bezug auf den Schmerz gezeigt, während bei Patienten mit mikrovaskulärer AP keine Gewöhnung an den unangenehmen Reiz stattgefunden habe.
Herzkatheterlabor und Acetylcholintest
Den idealen Ort, um die Frage nach funktionellen Veränderungen zu beantworten, stelle das Herzkatheterlabor dar. „Dort können wir die FFR und die mikrovaskuläre Resistenz messen. Treten abnormale Werte auf, ist die Brustenge durch eine mikrovaskuläre Durchblutung und nicht durch eine Stenose verursacht. Sind die Werte normal, kann der Acetylcholintest uns dabei helfen, epikardiale oder mikrovaskuläre Spas-
„Wenn die Behandlung an das Assessment der funktionellen Veränderungen angepasst wird, ist das Outcome für die Patienten viel besser.“
men aufzudecken“ , fasste Prof. Crea zusammen. Allerdings werde die Wichtigkeit der funktionellen Veränderungen in aktuellen Leitlinien nicht gewürdigt – für den Acetylcholintest sei beispielsweise die Empfehlungsklasse viel zu niedrig angesetzt.
Abkehr von First und Second Line
„Wenn die Behandlung an das Assessment der funktionellen Veränderungen angepasst wird und nicht nur an das, was man in der Koronarangiographie sieht, ist das Outcome für die Patienten viel besser“ , unterstrich der Kardiologe. Nur so könne auch die passende Medikation gefunden werden. Statt – wie die Leitlinien – global in First- und Second-Line-Therapeutika einzuteilen, empfiehlt Prof. Crea den „diamond approach“ . 1 Dabei richtet sich die Auswahl stark nach den Komorbiditäten: Bei Herzinsuffizienz sind Medikamente wie Betablocker oder Ivabradin die erste Wahl, bei Bradykardie kommen u. a. Kalziumkanalblocker oder Trimetazidin zum Einsatz, bei Hypertension wiederum Medikamente wie Beta- oder Kalziumkanalblocker und bei Hypotension Trimetazidin, Ranolazin oder Ivabradin.
Mag.a MarieThérèse Fleischer, BSc
Reviewer:
Assoz. Prof. Priv.Doz. Dr. Dirk von Lewinski
Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Med Uni Graz
Quellen: 1 Ferrari R et al., Nat Rev Cardiol 2018 Feb; 15(2): 120132. 2 European Society of Cardiology (ESC), European Heart Journal 2020; 41: 407477. 3 anginaupdates.org
X Abbildung: Ursachen und Mechanismen myokardialer
Ischämie1
Stabile Angina pectoris
fixierte atherosklerotische Verengung Vasomotorik bei sich verengender Stenose
metabolische Dysfunktion
Inflammation
Myokardiale Ischämie
mikrovaskuläre Dysfunktion Vasospasmus
endotheliale Dysfunktion