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Eine zerstörte mikro bielle Vielfalt …
Eine zerstörte mikrobielle Vielfalt …
Antibiotika sind Segen und Fluch zugleich
Bakterien konkurrieren miteinander, sie ernähren sich von menschlichen Verdauungsprodukten und beuten einander aus. Dennoch gibt es unzählige Beispiele für Kooperation und Synergie. So können Bacteroides-Bakterien im Darm eine Substanz unschädlich machen, die das Wachstum von E. coli normalerweise einschränkt, dann nutzt E. coli das für sich. Eine solche einseitig nützliche, aber für den anderen nicht schädliche Beziehung nennt man Kommensalismus. Unser Darmmikrobiom lebt in dieser Form mit unserem Organismus. Es versorgt uns zu 90 % mit Hormonen, Vitaminen, Enzymen, Signal- und Botenstoffen und wichtigen Schutzstoffen, etwa den ungesättigten Fettsäuren, die unser GehirnNervensystem schützen und fördern. Es ist erstaunlich, dass Mikroben 70-90 % der Zellen unseres Körpers ausmachen. Lediglich 1 % sind körpereigene Gene, 99 % der Gene stammen von Bakterien. Die Diversität des Mikrobioms bedeutet Gesundheit, der Verlust der Diversität bedeutet Krise und sogar Zusammenbruch eines Systems. So leben in einem Milliliter Dickdarminhalt mehr Bakterien als Menschen auf unserem Planeten.
Antibiotikabedingte Kollateralschäden
Dank der neuen „probiotischen Medizin“ wissen wir heute, dass unsere Darmbakterien essentiell sind und die Balance zwischen 85 % gesundheitsförderlichen und 15 % pathogenen Bakterien von größter Bedeutung für unsere Gesundheit – sogar lebensnotwendig – ist. In den letzten siebzig Jahren haben wir einen intensiven Krieg gegen Bakterien geführt und durch den massenhaften Einsatz von Antibiotika Millionen von Leben auf der ganzen Welt gerettet, was auch unzählige resistente Keime geschaffen hat. Antibiotika sind daher Segen und Fluch zugleich. Es ist bekannt, dass bei Antibiotikagabe bis zu 90 % der gesundheitsförderlichen, apathogenen Bakterien abgetötet werden. Die Kollateralschäden von Antibiotika sind schwerwiegend und wirken sich oft lebenslang aus, wie Studien zeigen. Wegen der Dysbiose kommt es allmäh-
SerieGASTRO

Foto: © Stefan Hammer, privat lich zu einem hyperpermeablen Darm und damit beginnt ein Circulus vitiosus. Durch die gestörte Darmbarriere gelangen Toxine, die wir über Luft, Wasser und Nahrung aufnehmen, direkt in unser Blutsystem, sie belasten die Leber und behindern dadurch die Entgiftung. Die Folgen reichen von einer Endotoxinämie bis hin zur Leberzirrhose. Unverdaute Nahrungsbestandteile und pathogene Bakterien, die sonst nicht ins Blutsystem gelangen würden, haben nun ebenfalls Zugang und können sich in Endothelien und Zellen aller Art ansiedeln, sich dort vermehren und letztlich auch lebensbedrohlich krank machen. Beispielsweise wenn sich Rickettsien im Endothel vermehren. Lipopolysaccharide (LPS) nennt man Zellwandbestandteile abgestorbener Bakterien, die zur Endotoxinämie beitragen. Ein hyperpermeabler Darm kann keine Mikronährstoffe mehr utilisieren, geschweige denn aufnehmen. Es kommt zu Hypometabolismus und Energiemangel. Das wiederum zieht Kollateralschäden nach sich, z. B. Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Silent Inflammation, Allergien jeglicher Art, Immundefizienz mit Rezidiv und diversen Infekten bis hin zum toxischen Colon, welches aus einer Infektion mit Clostridien resultieren kann.

Autor: Dr. Stefan Hammer
Allgemeinmediziner und Darmberater, Frankenburg med4life.at
Probiotika als Prophylaxe
Selbst bei der antibiotikaassoziierten Diarrhoe (AAD) helfen nur Bakterienstämme unterschiedlicher Arten – diese nennt man multispezifische Probiotika. Auch in der Geriatrie unterstützen multispezifische Probiotika bei der Bekämpfung von multiresistenten Keimen und dienen der Vorbeugung einer AAD. Aufgrund der massiven Kollateralschäden unter Antibiotikagabe sollte jeder Arzt stets das Nutzen-Risiko-Profil ermitteln und bei AB-Gabe immer präventiv multispezifische Probiotika im Abstand von 1,5-2 Stunden nach der AB-Einnahme verordnen. Das zeigt die Praxiserfahrung deutlich. Denn: Unter AB-Gabe verringert sich außerdem die Dichte der mukoziliären Barriere und es kommt unweigerlich zur Hyperpermeabilität, indem die Tight Junctions durch Zonulin aufgelöst werden. Das darmassoziierte lymphatische Immunsystem, GALT, liegt mit einem 90 %-igen Anteil unmittelbar unterhalb dieser Barriere von Enterozyten. Klarerweise entstehen daraus auch falsch getriggert Autoimmunerkrankungen, Allergien und Unverträglichkeiten aller Art. Die NK-Zellen sind die größten Abwehrzellen unter den Lymphozyten. Sie dienen dazu, Tumorzellen und virusinfizierte Zellen zu detektieren und abzutöten. Die massive Balancestörung im mikrobiellen Milieu führt sekundär zu Pilzerkrankungen als Hinweis für eine Störung. Heute ist zudem gesichert, dass Kinder, die mehrmals AB verabreicht bekamen, an all jenen Kollateralschäden leiden und dass dann – mangels Kenntnis der Darmmikrobiota – wiederum Antibiotika gegeben werden. Denn: Eine Dysbiose mit LeakyGut-Syndrom führt bekanntlich u. a. zu einer chronischen Immunschwäche und löst so rezidivierende Infekte nicht nur allein im HNO-Bereich, sondern generalisiert aus. Das zieht neuerliche reflexartig verordnete AB-Gaben nach sich, was niemals eine Heilung zulässt.
Fazit
Zusammenfassend kann man sagen: Antibiotika führen zu massiven Kollateralschäden, beispielsweise zu Dysbiosen oder dem Leaky-Gut-Syndrom, und konsekutiv zu chronischen Erkrankungen als Spätfolgen. Depression und psychische Beschwerdebilder lassen sich dadurch erklären, dass das Mikrobiom nahezu 90 % von Hormonen wie Serotonin, Dopamin usw. produziert. So kommt es unmittelbar nach AB-Gabe oft auch zu einer depressiven Stimmungslage. Daher gilt es, Probiotika als Prophylaxe zu verschreiben und eine vitalstoffreiche, ballaststoffreiche Kost zu empfehlen. Durch eine gesunde Ernährung, sportliche Aktivität und einen kompetenten Umgang mit Stress wird das Immunsystem gestärkt. Antibiotika sollten nicht mehr reflexartig verordnet werden – angesichts ihrer Nebenwirkungen. Und auch die übertriebene Sorge in Bezug auf Sekundärinfekte bei primär viraler Genese möge der Vergangenheit angehören, zumindest was die Allgemeinpraxis anbelangt. <