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AUF DEN SPUREN DES KLIMAWANDELS

PERSPEKTIVE · Prof. Dominik Siegrist

Der Alpenwanderer

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Von Wien nach Nizza zu Fuß und das gleich zwei Mal – 1992 und 2017 habe ich gemeinsam mit einer Gruppe von Gleichgesinnten die Alpen durchwandert. Beide Wanderungen führten zu Schauplätzen des Klimawandels und zu Menschen, die sich den Veränderungen in der Alpenregion proaktiv stellen. Nun liegt auch die zweite Reise schon ein paar Jahre zurück. Mit dem Buch „Alpenwanderer“ konnte ich unsere Reise dokumentarisch aufarbeiten und die Veränderungen in den Alpen innerhalb eines Vierteljahrhunderts dokumentieren.

Wie schnell die Zeit vergeht! Das ist zurückblickend mein persönliches Fazit der beiden Wanderungen.

Wenn ich ein gesellschaftspolitisches Resümee ziehen darf, dann dieses: Die Veränderungen in den Alpen sind enorm. Kein Wunder, denn die Alpen gehören zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt – Westeuropa.

Hier ist Wirtschaftswachstum die Messgröße für Erfolg. Das zeigt sich auch in der Alpenregion. Über den Verlauf von 25 Jahren wurde massiv gebaut. Infrastrukturmaßnahmen, der Ausbau der Skigebiete und der Hotellerie sowie Verbauungen für den Naturgefahrenschutz veränderten die Landschaft sichtbar.

Diese wirtschaftliche Entwicklung spiegelt sich auch im Bevölkerungswachstum wider. Seit der ersten Reise ist die Bevölkerung in den Alpen von 11 auf 17 Millionen Menschen gewachsen. Die Zunahme konzentriert sich auf die alpinen Ballungsräume wie das Inntal in Österreich, den südlichen Gürtel von München, das Alpeneinzugsgebiet von Zürich, auf das Rhoneund Rheintal in der Schweiz und auf die Gegend um Chamonix und Grenoble in Frankreich. In anderen Teilen der Alpen geht die Besiedelung dagegen spürbar zurück. Das betrifft vor allem die entlegenen Gebiete in den Südalpen, aus denen sich die Landwirtschaft komplett zurückgezogen hat. Diese Diskrepanz aus Wachstum und Entsiedelung wird künftig weiter zunehmen.

Wenn man sich die Projekte und Initiativen in den Alpen einmal näher anschaut, ergibt sich ebenfalls ein differenziertes Bild. Noch immer fördert die Politik Investitionen in große Hotellerie, in den Skitourismus und Straßenbau. Vor allem die Innovationskraft im Tourismus ist aus meiner Sicht viel zu gering. In den Alpen hat der Skitourismus leider einfach keine Zukunft. In 30 Jahren wird man unter 2000 Metern nicht mehr Ski fahren können, auch nicht mit künstlicher Beschneiung. Ich arbeite seit 30 Jahren mit Tourismusregionen zusammen und kann nur empfehlen, sich dem zu stellen, was in Zukunft kommt. Viele Destinationen sind noch zu inaktiv. Sie müssen alte Denkweisen, die immer noch vorherrschend sind, jetzt überwinden.

Auch wenn sich kultur- und naturnahe Ansätze in den Alpen nicht in der Breite verwirklichen konnten, gibt es innovative Leuchtturmprojekte. Die Nischen sind immer noch klein, aber wecken Hoffnung.

In Erinnerung geblieben ist mir ein Beispiel aus der Steiermark: Ein Familienbetrieb hat sich von der unrentablen Milchwirtschaft mit Kühen verabschiedet. Stattdessen hält der Berghof nun Ziegen und produziert Milch, Käse, Fleisch und Kosmetikprodukte. Auch die biologische Landwirtschaft nutzt die Nische als Motor für eine ganze Region wie etwa das Puschlaver Biotal oder die Ramsauer Bioniere. Diese Projekte machen Mut und stehen für einen klimaverträglichen Neuanfang in den Alpen.

Für die Zukunft sehe ich schwerwiegende Veränderungen auf die Alpenregion zukommen: Klimaforscher sagen eine Erderwärmung um 1 bis 2 °C voraus.

In den Alpen ist der Temperaturanstieg dabei doppelt so stark wie im globalen Mittel. Dies bedeutet, dass bei der nächsten Alpenwanderung 2042 die Gletscher weitgehend verschwunden sind. Allenfalls die größten Gletscher bleiben möglicherweise als kleine Reste hoch oben am Gipfel sichtbar. Mit Sicherheit werden Naturkatastrophen zunehmen. Stürme, Starkniederschläge, Lawinen, Bergstürze, der auftauende Permafrostboden – das alles führt zu massiven Bedrohungen für die Bewohner der Alpenregion. Auch das berühmte Matterhorn wird durch Permafrost zusammengehalten und dürfte irgendwann in ein paar hundert Jahren in sich zusammenstürzen. Dieser Prozess der Erderwärmung läuft und ist nicht mehr aufzuhalten. Ich bin mir sicher: Was das Klima und die Alpen betrifft, liegen schwierige Zeiten vor uns.

Proaktiv und klimaoptimiert zu handeln, ist also das Gebot der Stunde für uns alle. Ich denke, die Mehrheit der Bevölkerung weiß, wie man seinen ökologischen Fußabdruck verringert. Die Frage ist, ob man das dann wirklich auch tut. Mit meinen Wanderungen möchte ich als Forscher und Lehrer meinen Beitrag dazu leisten und immer wieder auf die Situation in den Alpen aufmerksam machen. Ich denke, wir dürfen an der Hochschule nicht nur auf unseren Studien sitzen bleiben, wir müssen nach draußen gehen und aktiv werden.

Oft bekomme ich die Frage gestellt, was die Zukunft bringen wird. Dazu gibt es immer eine negative und eine positive Antwort.

Ich bin Optimist und vertraue auf die positive Vision. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass ein Leben ohne fossile Brenn- und Treibstoffe ein besseres Leben sein wird. Ich denke, wir alle wären glücklicher und zufriedener, wenn wir den Klimaschutz aktiv in unseren Alltag integrieren würden. Wenn wir mal ganz ehrlich mit uns sind, müssen wir auch nicht ständig konsumieren und um die Welt jetten und brauchen kein rasantes Wirtschaftswachstum. Wenn es uns gelingt, dass die Menschen ein neues Klimabewusstsein entwickeln, dann fliegen sie nicht auf die Malediven, sondern gehen vor der Haustür wandern.

Um die Zukunft anzupacken, braucht es Informationen und Innovationsbereitschaft – in Bezug auf neue Technologien und ebenso innerhalb unserer Gesellschaft. Die Welt verändert sich rasant und das nicht nur durch den Klimawandel. Da müssen wir offen für Neuerungen im Denken und Handeln sein.

Mit jedem verstreichenden Jahr rückt auch die für 2042 geplante dritte Alpendurchquerung ein Stück weit näher. Ich habe mir fest vorgenommen, noch einmal dabei zu sein. Auch da bleibe ich optimistisch. Wenn ich mir dafür etwas wünschen darf, dann eine Tour, bei der wir jeden Tag Leuchtturmprojekte besuchen, in denen die neue Philosophie eines nachhaltigen und klimagerechten Lebens in den Alpen erfolgreich umgesetzt wird.

Prof. Dominik Siegrist ist Leiter des Instituts für Landschaft und Freiraum an der Ostschweizer Fachhochschule, OST. Als Prof. Dr. habil. Geografie und Landschaftsplanung hat Dominik Siegrist eine Professur für Naturnahen Tourismus und Pärke inne. Sein Herzensprojekt sind Wanderungen, die den Klimawandel aufspüren.

ESTER VONPLON Gletscherfahrt

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