MUT. EINE FRAGE DER KULTUR #2_2020

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Aloisia Moser hat in Wien, Berlin und New York Philosophie und Germanistik studiert. Derzeit ist sie Assistenzprofessorin an der Katholischen Privatuniversität in Linz, wo sie an ihrer Habilitation „Über das Raten“ arbeitet. Ihr Buch „Kant, Wittgenstein and the Performativity of Thought“ wird demnächst bei Palgrave Macmillan erscheinen. Sie schreibt sich hier im Stil des Standpunktfeminismus auf situiert-dialogische Weise ihren Unmut vom Leib, dass man/frau nicht wirklich etwas zur Krise sagen kann.

die Öffentlichkeit ist, die Probleme gemeinsam löst. Er meinte, es wäre wichtig zu verstehen, dass die Repräsentant*innen des Staates auch nicht wirklich besser verstehen was passiert als die „normalen Menschen“. Er würde akzeptieren, dass sein Urteil im Nachhinein falsch sein könne, dass es mehr Ansteckungen und damit auch Todesfälle gäbe und „vielleicht der Paternalismus sogar die beste oder vielleicht einzige Option in einer Situation wie der unsrigen ist. Aber man muss zumindest erkennen, dass es Paternalismus ist und dass das heißt, dass wir als Gesellschaft versagt haben. Die erzwungene Quarantäne von Menschen kann man doch nicht einfach als gute effektive Politik verkaufen.“ Er schloss seine Antwort auf mein Warum damit, dass er befürchte, nicht die Zahl der Toten oder die wirtschaftlichen Kosten, sondern die „psychologischen Kosten“ würden langfristig das Problem sein. Der Mut, den mein Freund und Kollege mit diesem Facebook-Post bewies, hat mich beeindruckt – er wurde harsch kritisiert. Aber er hat mir mit meinem anhaltenden Unmut über die von der Regierung oktroyierten Regelungen immens geholfen. Es sah ja alles gut aus, die österreichischen Zahlen blieben niedrig. Doch jedes Mal, wenn wieder eine neue Regelung probeweise unter die Menschen geworfen wurde – nicht als Vorschlag, sondern als Verordnung – wurde mein Unmut größer. Die kurzzeitig erlassene Bestimmung der Ausgangsbeschränkung etwa, nach der Scheidungskinder nur jenen Elternteil sehen durften, bei dem sie wohnten, haben wir als Zweihaushaltfamilie sofort hinterfragt. Keinem von

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uns war es zuzumuten, die Kinder plötzlich allein zu betreuen und das ohne Schule am Vormittag oder Hort am Nachmittag. Es geht um grundlegende Fragen: Wie funktioniert eine Gesellschaft? Wer hat den Mut zu sagen, so nicht regiert werden zu wollen – und das in Zeiten einer Pandemie? Wie traut man sich trotz aller Umstände selbst zu denken und eigene Entscheidungen zu treffen? In den Gesprächen mit meinen Schwestern, die alle Kinder haben, wurde mir klar, dass das Homeschooling im Wesentlichen den Frauen in den Schoß fällt. Die Schwester, die am Land lebt, berichtete mir, dass alle Frauen um sie herum stark und vereint wären darin, die Krise trotz der Doppelbelastung von Arbeit im Homeoffice und Homeschooling der Kinder zu schaffen und sie stolz darauf wären, wie gut die österreichische Regierung in der Krise gehandelt habe. Aber die Regierung hat die Bevölkerung verängstigt und in die Quarantäne gezwungen – um die Ansteckungszahlen niedrig zu halten – und sie hat sich gleichzeitig als Retterin in der Not dargestellt, auf die wir stolz sein müssen. Eine Linzer Freundin saß zur selben Zeit alleine in ihrer Wohnung und schrieb an einem Forschungsantrag mit der Fragestellung: Verstärkt die Coronakrise die „autoritäre Krise“ in der Gesellschaft? Warum sehnen sich die Menschen so sehr nach jemandem, der ihnen vorschreibt was zu tun ist? Es hat sich bald herausgestellt, dass es wie auch im ersten und zweiten Weltkrieg die Familienerhalter*innen ¹ sind, die in Krisenzeiten schier unmögliche zusätzliche Energien aufbrin-

Ich könnte hier Frauen schreiben, aber ich mag einfach nicht. Es ist so offensichtlich, dass in Österreich es großteils die Frauen sind, die die Familienerhaltung als unbezahlten Job übernehmen: Kinderbetreuung, Essenkochen, Wohnungputzen, Kleiderwaschen, Einkauf, Ärztebesuche, etc.

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