Verschwinden #1

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Verschwinden. Eine Frage der Kultur

VERSCHWINDEN #1


EDITORIAL

...wer sieht uns dabei zu? 2

Marlene Dietrich hat es mehrfach getan. Lila in Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga tut es. Richey Edwards, Gitarrist der Manic Street Preachers ebenso: sie verschwinden. Die Demokratie tut es, heißt es, und tradierte Parteiensysteme. Das Patriarchat tut es demnächst. Die Moderne tut es eigentlich ständig. Ebenso wie jeder einzelne Moment, der gerade noch zwischen der Ödnis des Drangs zu ständiger Präsenz und der Düsterkeit eines unbeobachteten Nicht-Da-Seins da war. Eigentlich tun wir es unaufhörlich, sind nie ganz weg, verausgaben uns dabei und langweilen uns gleichzeitig. Wie sehr, wissen wir spätestens wenn wir uns auf facebook oder twitter halbwach von der Sehnsucht nach vollständigem Verschwinden erzählen. Philosoph_innen bemerken und beschreiben, dass wir in einer Zeit der Postdemokratie, der Postpolitik, des Verschwindens leben, ein Prozess übrigens, der zumindest von einer oder einem von uns beobachtet werden sollte. Wenn keine guckt, ist das Verschwinden nämlich kein Verschwinden, sondern am Ende nur eine Lücke, an der davor „etwas war“. Dieser Transformationsprozess - der sich auch in den Arbeiten der Künstlerin Tina Hainschwang widerspiegelt - zwischen

Präsenz und Abwesenheit ist es, der uns in diesem Jahr begleitet und interessiert. Nehmen wir alles wahr, was vor unseren Augen verschwindet? Werden wir alles vermissen? Verschwinden wir als Menschen und wenn ja, wer sieht uns dabei zu? Der Evolution, schreibt der Botaniker Martin Pfosser sinngemäß, sei es egal, welche Spezies verschwindet. Hauptsache, es bleiben noch ein paar davon übrig, die das System aufrechterhalten. Aus dem Netz verschwinden? Selbst wenn es möglich sein sollte, sind wir längst nicht mehr sicher, so viele Spuren wie wir bereits hinterlassen haben, schreibt Netzexpertin Us(c)hi Reiter. Viel zu wenige Spuren hingegen hat Veza Canetti hinterlassen, Theatermacherin Clara Gallistl setzt sich mit der Autorin auseinander. Und - wir entwerfen Strategien gegen das Verschwinden, versuchen in einem Museum des Verschwindens zu zeigen, was gerade noch da war, oder tanzen im Nebelballett von Tanja Brandmayr. Außerdem lassen wir im Frühling Karl Marx und im Herbst die Republik Österreich hochleben. Wiltrud Hackl Chefredakteurin, Geschäftsführerin gfk oö


VERSCHWINDEN #1 »Verschwindet endlich!« Nach der Angst und dem Nichtwissen widmen wir uns in den nächsten Monaten nun dem Verschwinden. Ein Thema, das hochaktuell ist. Es verschwindet ja (wieder einmal) vieles in diesen Tagen. Etwa das Geld und das Vermögen, nämlich wie verhext aus den kleinen Börsen von Frau Gruber und Herrn Huber. Wir wissen klarer Weise, dass es nicht wirklich verschwindet, das Geld und das Vermögen. Es wird einfach wie ein weißes Karnickel wieder hervorgezaubert, nämlich in den großen Börsen der Konzerne, der Eliten und der Reichen. Verschwindend scheint auch die Moral angesichts der politischen Skrupellosigkeit, die hierzulande und andernorts um sich greift. Die größten Lügner, Blender und Schurken werden in Regierungsämter gehievt. Dort sitzen sie dann und versuchen mit aller Gewalt, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu zerstören. Solidarität? Weg damit. Gerechtigkeit? Nur für jene, die leistungsfähig sind. Freiheit? Wird der Sicherheit geopfert. Gleichheit? Keine Chance. Empört möchte man da laut rufen: „Verschwindet endlich!“ Mit Rufen alleine wird es aber nicht getan sein. Es gilt darum zu kämpfen, damit das Gute nicht aus unserer Welt verschwindet. So wie es viele NGOs machen, die sich um all jene kümmern, die nicht mehr Schritt und Tritt halten können. So wie es viele zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder schaffen, das Verbindende vor das Trennende zu stellen. So wie es viele einzelne Menschen tun, die sich tagtäglich dafür einsetzen, dass der konservative und rechte Mief weggeblasen wird und wieder etwas mehr Luft zum Atmen bleibt. Apropos. Auch wenn wir uns in der gfk oö im kommenden Jahr auf vielfältige Weise mit dem Verschwinden auseinandersetzen: Wir bleiben natürlich. Thomas Philipp Vorstandsmitglied gfk oö

Veza Canetti Vom Verschwinden... Clara Gallistl

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Now is not the time To be quiet Daniela Schopf

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Künstlerinnenstatement Tina Hainschwang

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Museum des Verschwindens Dagmar Höss

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Vom Verschwinden der Natur Martin Pfosser

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Vanishing Garden Christoph Wiesmayr

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Das auf und ab des Karl Marx Bernd Dobesberger

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The Internet of Shit Us(c)hi Reiter

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Im Nebel

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Tanja Brandmayr

Veranstaltungen

Captured Memories Sabine Gebetsroither Impressum / Tickets / Projekte

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CLARA GALLISTL

Veza Canetti Vom Verschwinden einer österreichischen Schriftstellerin

(…) Veza Canetti wurde am 21. November 1897 als Venetiana Taubner-Calderon im 3. Bezirk in Wien geboren. Der Vater entstammt einer Familie ungarischer, die Mutter einer Familie serbisch-spaniolischer Juden. Nach ihrer Matura lernt Veza bei Verwandten in England perfekt Englisch und bildet sich selbst weiter. Regelmäßig besucht sie Vorlesungen Jänner, 1939. Das Ehepaar Canetti erreicht auf von Karl Kraus, wo sie auch Elias Canetti kennender Flucht vor dem nationalsozialistischen Faschis- lernt. Ihr Interesse an Literatur ist nicht nur pasmus London. Für Elias Canetti ein wesentlicher siv. Die Ferdinandstraße im 2. Bezirk, in der sie am Einschnitt, für Veza Canetti das Ende ihrer literari- Beginn ihres Erwachsenenlebens mit ihrer Mutter schen Karriere. Elias erhält 1981 den Nobelpreis für und dem Stiefvater (ihr Vater war früh gestorben) Literatur. Veza geht als “Frau von …” in die Litera- wohnte, wird zum Vorbild der “gelben Straße”, in der ihre ersten veröffentlichten Erzählungen spieturgeschichte ein. len. Veza ist in der Wiener Künstler_innen-Szene 1989 vermutet der Literaturwissenschaftler Hel- bekannt für ihre fundierten literarischen Urteile, ihren Einsatz gegen Ungerechtigkeit und ihren Glaumut Göbel hinter dem Autorinben an die lebensverändernden nennamen “Veza Magd” Canettis Möglichkeiten der Literatur. Als verstorbene Ehefrau. Obwohl Clara Gallistl schreibt Texte, sie beginnt, ihre Texte zu verElias Canetti keine Interviews Theaterstücke und Konzepte. öffentlichen, ist sie gezwungen, mehr geben möchte, bohrt GöZu ihren Lieblingsthemen dies unter Pseudonymen zu tun. bel nach. Schließlich erzählt Eligehören Austrian Studies, Interas Canetti von seiner Frau. Was net, Theater und Feminismus. (…) “Ich selbst bin Sozialistin Forscher_innen in Canettis auund schrieb in Wien für die ‘Artobiografischen Werken, Briefen beiter-Zeitung’ unter drei Pseuvon und an Veza Canetti und donymen, weil der sehr liebe unter Pseudonymen veröffentDr. König […] mir bärbeißig klarlichten Texten finden, erzählt machte, >bei dem latenten Antidie Geschichte einer österreisemitismus kann man von einer chischen, säkulär-jüdischen, soJüdin nicht so viele Geschichten zialistischen Schriftstellerin, die und Romane bringen, und Ihre scheinbar nicht für sich selbst, sind leider die besten<.” Veza sondern immer für andere Canetti in einem Brief an Rukämpfte. “Dass von Vesas (sic!) Stücken nichts veröffentlicht wurde, tut mir leid, aber sie hat sich ja absichtlich immer zurückgestellt. Das ist also fast in ihrem Sinn.” Erich Fried an Elias Canetti, 31.5.1963: ÖLA (Österreichisches Literaturarchiv der Öst. Nationalbibliothek, Wien), Sammlung Erich Fried.

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VERSCHWINDEN #1

dolf Hartung am 5. März 1950. Bis heute sind fünf Pseudonyme, unter denen Veza Canetti veröffentlichte bekannt: Veza Magd, Martin Murner, Martina Murner, Martha Murner und Veronika Knecht. Eine erste Zäsur in ihrer Publikationsgeschichte nimmt das Jahr 1934 ein. Mit dem Austromarxismus verschwand die zentrale Publikationsmöglichkeit ‘linker, offener’ Literatur - die Wiener “Arbeiter-Zeitung”. Die zweite Zäsur war der Übertritt ins Londoner Exil, das für nicht-englischsprachige Literatur selbstverständlich einen wesentlich kleineren Markt besaß. Die Konkurrenz war groß, die Verlage wenige, dazu die Frage der Übersetzung und - nicht zuletzt - die ablehnende Haltung des Literaturbetriebes zeitgeschichtlichen Themen gegenüber, die sich bis weit in die sechziger Jahre hineinzog. “Buch ist von mir keines erschienen, denn meinen Wiener Roman wollten die Verleger nicht zur Übersetzung riskieren, weil auch Nazis darin vorkommen, und ich schreibe leider Theaterstücke, und kenne keine Theaterdirektoren.” (Veza Canetti, 1947) Sobald Canetti in England ankommt beginnt sie mit der Arbeit am Roman “Die Schildkröten”. Auf bestechend zurückhaltende Weise erzählt sie vom Verdrängt-werden durch die neuen Herrscher. “[…] ein schockierendes Zeugnis menschlicher Würde in einer Zeit allgegenwärtiger Niedertracht […]” wird der Fischer Verlag 2011 in seinen Klappentext setzen. Trotz des Versprechens eines englischen Verlages kommt es 1939 nicht zur Publikation. Die Canettis engagieren sich im PEN Club und damit in der Flüchtlingshilfe. Als 1945 “Masse und Macht” erscheint, wird Elias Canetti als Alleinautor genannt. Obwohl er selbst später zugibt, Veza sei zu gleichen Teilen an der Entstehung beteiligt gewesen. Jedoch sei es ihr Wunsch gewesen, ungenannt zu bleiben. In der Biografie der österreichischen Schriftstellerin Veza Canetti wird eine Frau erkennbar, der es

nicht möglich war, den Erfolg ihrer Jugend mit ins Alter zu nehmen. Neben ihr sehen wir die männlichen Kollegen im Exil zu den heute jedermensch bekannten Größen der deutschsprachigen Literatur heranwachsen. Im Exil wissen wenige Freund_innen des Paares, dass Veza schreibt. Sie selbst nützt ihre Ressourcen und Kontakte, um andere Frauen beruflich zu unterstützen. Die Sichtbarkeit von Frauen ist ihr erklärtes Ziel. Später berichtet Elias Canetti, Veza hätte in einer depressiven Verstimmung 1956 wesentliche Manuskripte verbrannt und damit ihre Karriere für sich selbst beendet. Sieben Jahre später stirbt Veza Canetti in London. Ihre Heimatstadt Wien hat sie nie wieder betreten. War nun Elias Canetti schuld am Verschwinden der Literatin Veza Canetti? In meiner Lesart bestand zwischen den beiden eine liebevolle, respektvolle Beziehung. Ohne die Umstände des Antisemitismus, des Krieges und der völligen Verweigerung des Literaturbetriebes wie der Nachkriegs-Germanistik, sich mit zeitgenössischen Autorinnen und ihrer Rehabilitation zu beschäftigen, stünden die Chancen gut, dass weder Elias noch Veza Canetti schuld am Verschwinden einer bedeutenden österreichischen Schriftstellerin wären.

DI 29.MAI 20.00

Veza Canetti

Vom Verschwinden einer österreichischen Schriftstellerin Literatur im Central / Euro 10/6

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Daniela Schopf

Now is not the time to be quiet 6

„Now is not the time to be quiet now is our time to be mouthy get as loud as we need to be heard“, Rupi Kaur, the sun and her flowers, 2017. Frauenrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Darüber zu reden ist nicht langweilig; sondern wichtig. Es ist 120 Jahre her, dass Universitäten in Wien und Prag etwa ihre Tore für Frauen öffneten. Frauen haben seitdem ihren Bildungsrückstand nicht nur aufgeholt, sondern Männer überholt. Mittlerweile maturieren und studieren in Österreich mehr Frauen als Männer. Es ist 100 Jahre her, dass Frauen wählen und gewählt werden können. Gestiegen ist der Anteil der Frauen in der Politik auf Gemeinde-, Landes – und Bundesebene nicht zuletzt auch aufgrund von Quotenregelungen in den 1980er und 1990er Jahren. In den letzten Jahren jedoch scheint es einen gegenläufigen Trend zu geben. Anfang der 1970er Jahre entsteht eine neue Frauenbewegung, die erkennt, dass die Probleme

der Frauen im Zusammenhang mit den (männlich geprägten) Strukturen der Gesellschaft stehen. Frauen gehen an die Öffentlichkeit und üben Druck aus. Es entstehen Frauenzentren, Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, etc. Der gemeinsame Unterricht (Koedukation) von Buben und Mädchen wird Realität. Die Fristenregelung tritt in Kraft. Das Ehe- und Familienrecht wird reformiert und der Mann ist nicht länger Haupt der Familie. Die Frau kann bei der Eheschließung ihren Namen behalten oder einen Doppelnamen führen. In den 2000er Jahren werden Gendermainstreaming-Programme zur Gleichstellung von Männern und Frauen eingeführt, die Karenzgeldregelung wird durch das Kinderbetreuungsgeld, das sowohl Müttern als auch Vätern zur Verfügung steht, abgelöst (trotzdem sind nur knapp 5% der Bezieher_innen Väter), Barbara Prammer wird erste Nationalratspräsidentin, es gibt ein Anti-StalkingGesetz, Gender Budgeting wird in der österreichischen Bundesverfassung verankert und Personen gleichen Geschlechts können eine eingetragene Partnerschaft begründen (und ab 2019 voraussichtlich auch heiraten). Viel wurde erreicht. Und


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doch: Irgendwann biegen gut qualifizierte Frauen ab, sind nicht mehr da, sind verschwunden, plötzlich abhanden gekommen, verloren gegangen - aus guten Positionen, am Weg die Karriereleiter hinauf, nach der Geburt eines/mehrerer Kinder, etc. Es fehlen die Frauen in entscheidenden Positionen - im Kunst- und Kulturbereich, im Topmanagement, in den Wissenschaften, auf der Straße, in der Politik, bei der Revolution. Leben und Arbeiten Frauen sollen aktiv durchs Leben gehen, die Welt verändern, neue Dinge erforschen und „Spuren hinterlassen in dieser Welt“ sagt die deutsche Künstlerin Käthe Kollwitz. Die deutsche Philosophin Hannah Arendt erklärt in ihrem Hauptwerk Vita activa, dass das was uns ausmacht das Tätigsein ist. Arendt beschreibt die Zuspitzung unserer Lebensinhalte auf das Arbeiten und das Verdrängen anderer lebensnotwendiger Tätigkeitsbereiche wie das Herstellen und Handeln. Unter Arbeiten versteht sie die Versorgung unseres Körpers mit Lebensmitteln. Hergestellt werden kulturelle Dinge, die von der Natur kommen oder uns vor ihr schützen. Handeln meint das Aushandeln zwischen Menschen, weil wir soziale Wesen sind – also die Politik unter Menschen, die wiederum das Denken und die Kontemplation brauchen. Für sie wird Arbeit immer notwendig sein für das Lebensnotwendige. Das Handeln ist für Arendt die bedeutendste Tätigkeit, weil es für sie die spezifische menschliche Form der Tätigkeit ist. Nur das Denken ist für sie noch eine höhere und reinere Tätigkeit des Menschen. Die Arbeitsgesellschaft ist ihrer Meinung nach die Folge des neuzeitlichen Verdrängens des Handelns im öffentlichen Raum. Arendt kritisiert die Glorifizierung der Arbeit vor allem deshalb, weil damit eine Reduzierung des menschlichen Lebens auf die bloße Sicherung der Lebensnotwendigkeiten und eines ausreichenden Lebensstandards erfolgt. Es fehlt der Bezug zum menschlichen Handeln und zur menschlichen Kommunikation in der Sphäre

der Öffentlichkeit. Genau da liegt das Dilemma (der Frauen). Vor lauter Arbeiten und Eingespanntsein ins Leben gibt es keine Zeit mehr zum Handeln. Genau die Fähigkeit, die nach Arendt politische Wesen ausmacht um etwas Neues zu beginnen.

» Now is our time to be mouthy get as loud as we need to be heard. « Deshalb wollen wir uns in einer mehrteiligen Radioreihe im Frühjahr 2018 wieder dem Handeln annähern und versuchen etwas Neues entstehen zu lassen. Mit Expertinnen sprechen wir über die Errungenschaften der Frauenbewegungen, über das Dilemma Produktion vs. Reproduktion, über den aktuellen Feminismus und vieles mehr.

» Do not disappear!« Quellen: Factsheet 150 Jahre Frauenrechte in Österreich, Dr.in Susanne Feigl für BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, 2015. Arbeiten wie noch nie!? Hrsg: Sabine Gruber, Frigga Haug, Stephan Krull, 2010 Hannah Arendt zur Einführung, Karl Heinz Breier, 2001

MARJUL

Do not disappear!

Reihe zum Verschwinden von Daniela Schopf und Sandra Hochholzer Radioreihe @ Radio Fro März-Juli 2018 / fro.at / gfk-ooe.at

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„Es ist die Attraktivität des Grotesken, des irgendwie Abstoßenden, das Huldigen des Verwelkens, Fragmentarisches, das, was überbleibt oder herausleuchtet, die Faszination am Inszenieren allgegenwärtiger Vergänglichkeiten. Der schimmernde Niedergang und die Überbleibsel einer vagen Idylle, die unter einer lustvollen Fettschicht begraben liegen. High und low: Ölfarbe, Leinwand und Bastelkleber. Perlen erinnern an Schlammklumpen, verwelkter Dreck an braune Ölfarbe, unangenehmer Teddystoff an die tote Katze. Blumen fallen in Farbschleiern, und das Andenken der Königin taucht unter schillernden Schatten auf. Eins wird zum anderen gewebt, gemalte Reste als vage Erinnerung an etwas, das einmal vielleicht gewesen sein mag.“ Arbeiten von Tina Hainschwang (*1986) begleiten den Schwerpunkt Verschwinden im ersten Halbjahr 2018. Die Künstlerin hat an der Kunstuniversität Linz bei Ursula Hübner Malerei und Grafik studiert und 2017 abgeschlossen.

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DAGMAR HÖSS

Sechs Tonnen Schwere Elefanten

im Museum des Verschwindens 10 Der Begriff des Verschwindens war womöglich nie aktueller als heute. In einer Zeit, in der Bilder und Informationen im Sekundentakt gestreut werden, suggeriert er eine mögliche Pause von diesem Leben im Zeitraffer. Gleichzeitig bildet er jedoch auch die Furcht des Menschen vor gerade diesem Unsichtbar-Sein ab. Mit jedem Tweet, jedem Post arbeiten wir an gegen die Angst vor dem NichtGesehen-, oder gar Vergessen-Werden. Und diese Angst ist nicht erst mit der modernen Medienwelt entstanden. Mit Palästen, gigantischen Grabmälern, Büsten oder Kunstwerken versuchten schon die Mächtigen der Geschichte etwas zu hinterlassen um die Erinnerung an sie lebendig zu halten. Diesen Wunsch teilen auch heute noch viele.

Herr der Ringe lässt eben dieser Ring seinen Träger verschwinden und selbst Harry Potter setzt gelegentlich einen Umhang ein, der ihn mit seiner Umgebung gleichsam verschmelzen lässt. Diese Beispiele illustrieren eine tiefe Sehnsucht nach dem Zustand des Unsichtbar-Seins, verborgen vor den Blicken anderer.

Das Verschwinden oder die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen beflügelt seit langem die menschliche Fantasie: schon in der griechischen Mythologie verleiht die Hadeskappe seinem Träger, dem Gott der Unterwelt Unsichtbarkeit. In

Trotz der Magie solcher Momente ist jedem natürlich bewusst, dass es sich um einen Trick handelt. Es ist eine Täuschung, es muss eine sein. Sechs Tonnen schwere Elefanten verschwinden nicht einfach so.

„Verschwinden“ bedeutet auch Illusion: Und dabei meine ich nicht das Verschwinden einer Münze vor meinen Augen (obwohl man mich auch damit – sofern gut gemacht – durchaus beeindrucken kann), ich meine diese unglaubliche Kunstfertigkeit, Dinge, Menschen, sogar Elefanten vor dem aufmerksamen Blick des Publikums wegzuzaubern.


VERSCHWINDEN #1

Nun ja. Genau genommen schon. Von den ursprünglich 20 Millionen Elefanten in ganz Afrika bleiben nur mehr knapp 350.000. Auch hier wird vom Verschwinden einer Spezies gesprochen, und auch hier handelt es sich nicht um Zauberei; vielmehr gibt es triftige Gründe wie Wilderei oder die Zerstörung von Lebensraum, die dieses Sterben verursachen. Der Begriff des Verschwindens meint meist, dass etwas aus unserem Blickfeld verschwindet ohne dass wir dies bewusst wahrnehmen. Plötzlich ist es nicht mehr da. Der Wohnungsschlüssel zum Beispiel. Noch vor zehn Sekunden in der Hand – nun nicht mehr auffindbar. Wer kennt nicht diesen Moment des verzweifelten Suchens, des Rekonstruierens und des Zweifelns an der eigenen Wahrnehmung. Denn eines ist ganz klar: er kann ja nicht verschwunden sein. Dinge verschwinden nicht einfach, sie werden verlegt, rutschen in eine Ritze des Sofas, verstecken sich tief unten im Rucksack, aber sie sind nach wie vor da. Nur eben nicht sichtbar. Wenn Menschen verschwinden, hat dies hingegen oft katastrophale Auswirkungen auf Angehörige: wenn diese nie erfahren, was genau sich ereignet hat, Fragen nicht beantwortet werden können. Oder, Verschwinden eingesetzt als politisches Instrument, wenn Machthaber Andersdenkende, politische Gegner, vermeintliche Straftäter „verschwinden ließen“. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ganze Nationen traumatisierten und Generationen von Familien ins Unglück stürzten. Allerdings: Es gibt auch Menschen, die wollen nichts dringender als verschwinden. StalkingOpfer, Mafia-Anwälte oder Top-Informanten wie

ONGOING PROJECT

Museum des Verschwindens

Sammlung / Ausstellung / Diskurs laufend / Details bald auf gfk-ooe.at

Edward Snowden. Und manchmal gelingt es ihnen sogar. Denn Tarnung und Verstecken stellen zwei weitere Techniken des Verschwindens dar. Verschwinden ist jedenfalls Teil unserer Wirklichkeit. Natur, Architektur, Städte, Orte, Tiere, Menschen – alles fällt den transformativen Prozessen irgendwann zum Opfer und verschwindet. Es bleibt maximal die Erinnerung. Mit dieser Erinnerung beschäftigt sich das Projekt Museum des Verschwindens. Es präsentiert eine Sammlung verschwundener Dinge, Um- und Zustände in vielfältigen Formen, als Erzählungen, in Beschreibungen, Fotografien, Videos, gemalt, gezeichnet, gestickt etc. Als partizipatives Projekt angelegt erweitert sich die Sammlung im Laufe der Ausstellungsdauer um Verschwundenes – wobei plötzliches Auftauchen nicht ausgeschlossen werden kann!

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Dagmar Höss lebt und arbeitet als Kuratorin, Künstlerin und Kunstvermittlerin in Linz. Studium Kunstuniversität Linz, Lehrgang am Institut für Kulturwissenschaften Wien. Museums- und Ausstellungskuration, zahlreiche Projekte und Ausstellungen.


VERSCHWINDEN #1 MARTIN PFOSSER

Vom Verschwinden der Natur

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Statistisch gesehen verschwindet jede biologische Art spätestens nach einer Million Jahren für immer von unserer Erde. Nur wenige Arten schaffen es, über erdgeschichtlich längere Zeiträume zu überleben und erreichen deshalb mit der Bezeichnung „lebendes Fossil“ eine gewisse Popularität - wie z. B. der Quastenflosser (existiert seit ca. 400 Mio. Jahren), oder der Ginkgo-Baum (ältester Fossilnachweis vor 250-300 Mio. Jahren). Diese Organismen überlebten eine Reihe von globalen Auslöschungsereignissen, bei denen bis zu 80 % aller damals lebenden Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sind. Das letzte geologisch bedingte Aussterbeereignis fand vor ca. 66 Mio. Jahren nach dem Einschlag eines Meteoriten statt und beendete unter anderem das Zeitalter der Dinosaurier. Aber auch unabhängig von solchen globalen Katastrophen stellt evolutionäre Entwicklung einen permanenten Wandel von Entstehen und Vergehen von Organismen dar. Müssen wir uns deshalb keine Sorgen machen? Können wir darauf vertrauen, dass das Leben ohnehin einen Weg finden wird zu „überleben“? – Beispiele dafür gibt es ja. Vor allem unter den Einzellern, die nicht von komplizierten Strukturen wie anfälligen Organen geplagt sind,

gibt es Vertreter, die wahre Überlebenskünstler sind und nicht einmal durch hohe Radioaktivität oder andere ionisierende Strahlungen beeinträchtigt werden. Das polyextremophile Bakterium Deinococcus radiodurans etwa hält mindestens das 1000-fache der Strahlendosis aus, bei der 100 % von betroffenen Menschen innerhalb von 14 Tagen sterben würden. Für die Evolution ist es primär nicht entscheidend welche Arten überleben, sondern lediglich, dass lebens- und fortpflanzungsfähige Organismen vorhanden sind, aus denen sich wieder neue Arten entwickeln können. Als 2017 die zweite Mitteilung der World Scientists´ Warning to Humanity von einem Kollektiv von mehr als 15.000 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus 184 Ländern veröffentlicht wurde, in dem die Beeinflussung von Klima, Umwelt, etc. durch den Menschen und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Artenschwund angeprangert wurden, wurde wieder einmal darauf hingewiesen, dass der aktuell feststellbare Artenschwund in direktem Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten steht und nicht auf geologische Ereignisse zurückgeführt werden


VERSCHWINDEN #1

Martin Pfosser ist Botaniker und Genetiker. Er leitet die botanischen Sammlungen im Biologiezentrum des Oö. Landesmuseums in Linz.

kann. Derzeit liegt die Aussterberate von 3 bis 100 Arten pro Tag um den Faktor 100 bis 1000 über dem natürlichen Wert. Verlieren wir also derzeit wieder einmal die Natur? Niemand kann bis jetzt schlüssig sagen, welche Auswirkungen dieser Verlust an biologischer Vielfalt auf unsere Lebensverhältnisse haben wird. Die in den Medien verbreiteten Reaktionen darauf reichen von Bagatellisierung bis Katastrophenstimmung. Immerhin stehen diesem mehrfach diagnostizierten Artenschwund Bestrebungen des Menschen gegenüber dem entgegenzuwirken. Internationale Abkommen wie Biodiversitätskonvention und Nagoya-Protokoll, genauso wie nationale Aktivitäten wie Artenschutzprogramme und Ausweisung von Schutzgebieten, sollen den Bestand (bedrohter) Arten erhalten. So begrüßenswert und notwendig solche Bestrebungen zwar sein mögen laufen sie dennoch Gefahr, einem anthropogen geprägten Naturbegriff zu entspringen, der möglicherweise mit einer „natürlichen“ Entwicklung nur bedingt vereinbar ist. Evolution ist ein dynamischer Prozess, der in striktem Gegensatz zu einem statischen Bild von Natur steht. Wenn sich nichts mehr

verändern darf, kann auch nichts Neues entstehen. Und ohne Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen sind Organismen zwangsläufig zum Aussterben verurteilt. Längst wird das, was wir als Natur verstehen von Nationalparkmanagern und Artenschutzbeauftragten verwaltet, die dann eingreifen, wenn sich etwas nicht nach unseren Vorstellungen von Natur entwickelt. Während wir uns einmal in Siedlungen zusammengeschlossen haben und uns mit Zäunen gegen die Natur zu schützen versuchten, errichten wir heute Zäune um Schutzgebiete, um „schädliche“ Einflüsse von dort fernzuhalten. Damit hat aber automatisch die Kultur in die Natur Einzug gehalten und es stellt sich die Frage, inwieweit unsere kultivierte Natur noch von Kultur abgegrenzt werden kann, bzw. ob dieser ursprüngliche Gegensatz überhaupt noch existiert. Die Natur als ehemals widerspenstiges Gegenüber ist uns weitgehend abhanden gekommen. Was bleibt, ist eine Natur, die zu einer fast beliebig manipulierbaren Größe verkommen ist.

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Eine besondere Spannung liegt diesem Zauber inne; jene des Verschwindens und des WiederErscheinens von Materie in einem gewissen Zeitraum der Transformation. Der magische Moment des Neuentdeckens ist besonders auch im Linzer Osten spürbar. Landschaftstransformation Plötzlich existiert oder verschwindet etwas in dieser von Industrie und Gewerbe dominierten Stadtlandschaft, was vorher so nicht denkbar oder möglich war. Dies ist jedoch kein fauler Taschenspielertrick, sondern Alltag in dieser Gegend. Boden wird hier tagtäglich mechanisch oder durch Erosion umgewälzt.

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Plötzlich wird Raum frei oder für einen logistischen Zweck errichtet. Spontanvegetation siedelt sich mittels Sporenflug auf Freiflächen an, die zuvor noch verschlossen waren. Karge Flächen werden unbemerkt mit neuem Leben beseelt. Mooslandschaften grünen auf warmen Schlackefeldern mitten im Winter. In Pfützen von Schotterparkplätzen laicht die vom Aussterben bedrohte Wechselkröte. Auf den Hängen der Schlackeberge siedeln sich Erdwespen an. In Fensternischen von Gewerbehallen nisten Mauersegler. Auf 60 Metern Höhe, in einem Werbeturm, brütet ein Falke. Auf einem begrünten Industriedach erntet ein Apollofalter seinen Nektar. In Abwasserkanälen der Industrie siedeln sich Donauwaller mit einem Gewicht bis zu 100 Kilogramm an. Ein Biber nistet im Grundwasserkanallauf. Im Niemandsland auf einem alten Damm entsteht ein Gemeinschaftsgarten. … Entzauberung durch technologisierte Gesellschaft Vieles geschieht hier unbemerkt, im Schutze des Verborgenen. Zwischen Gewerbehallen, Plakatwänden, Schallschutzwänden und Hochwasserdämmen. Ruderalvegetation, sogar Sukzessionswald gedeiht über Jahre bis der Mensch eingreift und wieder Ordnung schaffen muss. Der jähe Zauber hat dann sein Ende gefunden. Die Stadt kämpft hier stets mit den unzähmbaren Einflüssen der wilden Natur. Eine Sisyphosarbeit, wie es sich über einen längeren Zeitraum darstellt. Gras muss gemäht werden, Bäume müssen zurückgestutzt oder entfernt, Bahngleise von Vegetation chemisch befreit werden. ...

Kahlschlag am Damm Im Winter 2017/2018 wurde ein über 20 Jahre alter und über zwei Kilometer langer Sukzessionswald am Donaudamm auf Höhe des Segelflugplatzes am Tankhafen planiert. Eine Sicherheitsmaßnahme für den Hochwasserschutz - so hieß es. Dieser Eingriff blieb bisher fast unbemerkt. Waldstreifen am Donaudamm (Foto nebenan) DORIS Donaudamm vor Kahlschlag Alte Bauernhöfe Hier existieren noch wenige Relikte aus der früheren Aulandschaft Lustenau. Die Spezies, die früher die Stadt mit Obst und Gemüse versorgte, ist heute vom Aussterben bedroht. Wenige Höfe mit alten Hausnamen wie Hollaberer, Prielmayr, Flachenauer, Hallermayr sind noch bewirtschaftet und lassen sich bis in das 15. Jhdt. zurückverfolgen. Höfe wie Stiegl-Michl oder Seiler-Gut sind mittlerweile spurlos verschwunden. Im Eiltempo wurde die frühere Aulandschaft hochwassersicher mit Kriegsschutt und Abfall der Stadt aufgeschüttet und fast vollständig versiegelt. Wer jetzt diese Restflächen besucht, betritt historischen Boden und taucht ein in skurrile Raumstrukturen, welche von linearen Grenzen des modernen Stadtrasters unterbrochen werden. Lust am Wiederentdecken, Neuentdecken, Weitererzählen Wie tritt etwas verschwunden oder verloren Gegangenes wieder in Erscheinung? Was hat man hier zu suchen und was gibt es noch zu finden? Wertvolles wird hier von jemand anderem gefunden – der ursprüngliche Besitzer hat es aus den Augen verloren. Oder die eine Generation hat etwas mit Absicht beseitigt, verdrängt, versteckt, … und die nächste Generation entdeckt das Verborgene. Neu? Urban Mining Unsere Gesellschaft und deren Wertvorstellungen befinden sich stets in Transformation. Lasst uns also diesen unsichtbaren Geschehnissen, diesen scheinbar vergessenen sowie flüchtigen Ereignissen gemeinsam auf der Spur sein, wie Minenarbeiter nach historischen Schichten und Geschichten graben und erzählen wir diese Geschichten gegen die schleichende Landschaftsvergesslichkeit* für nächste Generationen weiter. *Jared Diamond; in Kollaps


CHRISTOPH WIESMAYR

VANISHING GARDEN 15

VOM ZAUBER DES VErSCHWINDENS UND WIEDERERENTDECKENS IM LINZER OSTEN Vanishing Garden sind SA 07.JUL Lösungen DI 21.NOV nicht die Antwort 16.00 20.00 Garten des Verschwindens Fest / Konzert / Suche Buchpräsentation / Polit-ZitateHollaberer-Hof Estermannstr. 11 Rateshow mit Klaus/ Oppitz und Euro 10/6 Leo Lukas / Central / Eintritt frei


VERSCHWINDEN #1

Bernd Dobesberger

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Das auf und ab des Karl Marx!

Als Karl Marx am 5. Mai 1818 – also vor 200 Jahren – in Trier geboren wurde, war das ein familiäres Ereignis. Als er am 14. März 1883 in London starb, kamen gerade 11 Menschen zu seinem Begräbnis, aber das Ableben von Marx wurde international registriert. Die „Neue Freie Presse“ – die Tageszeitung des liberalen Bürgertums in Wien – widmete am 17. März 1883 Marx und seinem Werk einen Leitartikel über fast die ganze erste Seite. Marx‘ Werk wurde in dem Artikel vehement kritisiert, der Staatsanwaltschaft ging die Publikation des Beitrags trotzdem

eindeutig zu weit: die Ausgabe wurde beschlagnahmt, denn wörtliche Zitate von Marx, die in dem Leitartikel vorkamen, sollten im Habsburgerreich nicht gedruckt werden. Die 200. Wiederkehr des Geburtstags von Marx bietet nun die Gelegenheit eine mögliche Bedeutung für das beginnende 21. Jahrhundert seines Werks zu bewerten und die Auseinandersetzung damit seit seinem Ableben zu betrachten. Revolutionär und Wissenschaftler Marx selbst sah sich wohl als Wissenschaftler und als Revolutionär, Friedrich Engels formulierte es in seiner Trauerrede für den verstorbenen Freund so: „Die Wissenschaft war für Marx eine geschichtlich bewegende, eine revolutionäre Kraft.“ Eine besondere Freude empfand er insbesondere – so Engels - „wenn es sich um eine Entdeckung handelte, die sofort revolutionär eingriff in die Industrie, in die geschichtliche Entwicklung überhaupt.“ In manchen Phasen seines Lebens war Marx in erster Linie politischer Umstürzler, zum Beispiel während der Revolution von 1848. Er schrieb gemeinsam mit Friedrich Engels das „Kommunistische Manifest“ und zu dieser Zeit agitierte er als Chefredakteur der Neuen Rheinischen Zeitung für den demokratischen Aufstand und war von ihrer Gründung 1864 bis 1872 führend an der Arbeit der Internationalen Arbeiterassoziation (der „Ersten Internationale“) beteiligt. In anderen Phasen seines Lebens war Marx in erster Linie Journalist oder Wissenschaftler. Marx hinterließ kein abgeschlossenes, kein vollendetes Werk: Vor allem hat er sein ökonomisches Hauptwerk nie wirklich beendet, entdeckte immer neue Fragen und Probleme und wollte Antworten finden, das ging so bis zu seinem Tod. Den zweiten und den dritten Band des „Kapital“ hat Engels aus umfangreichen Vorarbeiten zusammengestellt und veröffentlicht. Marx war aber nicht nur deshalb ein Nicht-Vollender, auch sein grundsätzliches philosophisches Verständnis ließ ewige Antworten und


VERSCHWINDEN #1

Bernd Dobesberger, geboren 1959 Beruflich: Erwachsenenbildner. Politisch: Vorsitzender der Bildungsorganisation der SPÖ Oberösterreich und Chefredakteur des Bildungskurier.

Lösungen nicht zu. Im Jahr 1867 hatte er sein Lebensmotto - auf einem Fragebogen seiner Tochter Jenny – mit „de omnibus dubitandum“ (An allem ist zu zweifeln) angegeben. Weltanschauung und Dogmatik Aus den politischen und wissenschaftlichen Arbeiten wurde nach seinem Tod schnell eine angeblich umfassende und abgeschlossene Lehre gezimmert. Das hatte aus damaliger Sicht auch nachvollziehbare Gründe, denn die noch junge Arbeiterbewegung brauchte eine gemeinsame und tragfähige politische Weltanschauung. Interne Streitigkeiten konnten so überwunden werden und die junge Sozialdemokratie entwickelte damit eine einheitliche, anspruchsvolle politische bzw. wirtschaftliche Programmatik. Gerade der auch sehr praktisch denkende und handelnde Friedrich Engels forcierte diesen Prozess nach dem Ableben von Karl Marx bis zu seinem eigenen Tod 1895. Vor allem am Beispiel Österreichs lässt sich diese Entwicklung zeigen, in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts war die noch junge Arbeiterbewegung einerseits gegängelt von staatlicher Ver-

folgung und andererseits gehemmt von internen Fraktionsstreitigkeiten zwischen Gemäßigten und Radikalen. Erst die allseits anerkannte Führungsfigur Victor Adler und die faktisch von allen getragene marxistisch orientierte „Prinzipienerklärung“ ermöglichte die Einigung am Parteitag in Hainfeld 1888/89. Damit waren auch entscheidende Grundlagen für den Aufstieg der Arbeiterbewegung in Österreich bis zum Beginn des 1. Weltkriegs gelegt. Eine spezielle Entwicklung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gab es auch noch in der österreichischen Sozialdemokratie, mit dem Austromarxismus wurde versucht die Ideen und Erkenntnisse von Marx und Engels weiterzuentwickeln bzw. auch für die jeweils konkreten Problemstellungen anwendbar zu machen. Otto Bauer, Karl Renner, Max Adler, Käthe Leichter, Marie Jahoda usw. sind dafür bekannte Repräsentant_innen. In anderen sozialdemokratischen Parteien verkümmerte jedoch die an Marx orientierte Analyse der Gesellschaft zu abstrakten Stehsätzen, die in der konkreten Tagespolitik kaum eine Rolle spielten. Nach 1917 kam es zur Spaltung der Arbeiterbewegung

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in die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien. Die Kommunisten beriefen sich stets auf Marx und Engels, betrieben aber innerhalb weniger Jahre unter dem Titel des „Marxismus-Leninismus“ eine absolute Dogmatisierung. Lenin hatte bereits 1913 geschrieben „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist“. Das hätte möglicherwiese der Eitelkeit von Marx geschmeichelt, seinem Verständnis von Wissenschaft und politischer Analyse hätte es aber nicht entsprochen.

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Erstarrung, Überwindung und erste Wiederbelebung Nach 1945 – also nach den Erfahrungen von Wirtschaftskrise, Faschismus und 2. Weltkrieg – gaben die sozialdemokratischen Parteien zunehmend ihren Bezug auf Marx auf oder ließen diesen höchstens als Traditionspflege fortleben. Die kommunistischen Parteien hielten das erstarrte und damit weitgehend leblose Dogmengebäude weiter hoch, lebendig war es damit aber weder im wissenschaftlichen noch im revolutionären Sinn. Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat die Ära zwischen 1945 und Mitte der 1970er Jahre als das „Goldene Zeitalter“ bezeichnet, der Lebensstandard in den westlichen Industrienationen stieg durch kontinuierlich wachsende Einkommen, die von starken Gewerkschaften erkämpft wurden. Die sozialdemokratischen Parteien erkämpften den vorher völlig unvorstellbaren Wohlfahrtsstaat. Der Kapitalismus schien domestiziert und demokratisiert worden zu sein. Die Analysen von Marx über die Ausbeutung im Kapitalismus und dessen Krisenhaftigkeit, seine Überlegungen von Kämpfen zwischen den gesellschaftlichen Klassen, das schien alles widerlegt und überwunden zu sein. Mit der Studentenbewegung 1968 kam es zu einer Wiederbelebung des Marxismus im politischen Diskurs und in der wissenschaftlichen Debatte: Träger war aber nicht mehr die Arbeiterbewegung sondern Intellektuelle mit universitärem Hintergrund. Es fanden sich dabei orthodoxe Ansätze

ebenso wie undogmatische, marxistisches Denken wurde plural. Allerdings war der politische Einfluss überschaubar und bestenfalls indirekt gegeben. Neoliberalismus und Wiederentdeckung Die zunehmende Hegemonie des Neoliberalismus veränderte Gesellschaft und Politik, statt um den Wohlfahrtsstaat ging es nun um Wettbewerbsfähigkeit und steigende Löhne waren dabei ein Standortnachteil. Gewerkschaften und alte Arbeiterparteien wurden immer stärker in die Defensive gedrängt. Und an den Universitäten verschwand der Marxismus wieder. Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus Ende der 1980er Jahre schien das endgültige Aus für Marx zu bedeuten. Nicht einmal mehr als Ikone dogmatischer Glaubenssätze schien er gebraucht zu werden. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama erklärte 1992 das „Ende der Geschichte“: Kapitalismus und liberale Demokratie hätten sich endgültig, dauerhaft und global durchgesetzt. Drei, vier Jahrzehnte Dominanz des Neoliberalismus und eine Weltwirtschaftskrise später wird die 200. Wiederkehr des Geburtstages von Karl Marx begangen. Und der politische Wissenschaftler wird wiederentdeckt. Seine Prognosen über die Entwicklung des Kapitalismus haben sich als überraschend präzise herausgestellt, auch die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus hat sich als gegeben herausgestellt. Sogar der ständige Kampf zwischen den gesellschaftlichen Klassen um Einkommen und Einfluss ist evident. Die Arbeiten von Marx können auch zweihundert Jahre nach seiner Geburt bzw. 135 Jahre nach seinem Tod Anregung und Wegweiser sein. Nicht als fertiges, abgeschlossenes Denksystem, schon gar nicht als dogmatischer Denkersatz, aber als Erkenntnishilfe für das Heute. Im „Kommunistischen Manifest“ schrieben Marx und Engels, dass das Ziel eine „Assoziation“ der Menschen sei „worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist.“ Auch heute ein richtiges Ziel!


SO 11.FEB 10.00 SO 18.MAR 10.00

MARX und der 12. Februar

FR 04.MAI 17.00

MARX 200 Geburtstagsfest

Matinee * im Central / Eintritt frei

MARX und die Digitalisierung Matinee * im Central / Eintritt frei

Vorträge / Diskurs / Performance Ausstellung / Musik / Lesung ** Museum Arbeitswelt Steyr / Eintritt frei

* Die Matineen sind Kooperation zwischen der gfk, dem Jahoda Bauer Institut und der SPÖ Bildung OÖ ** Ein Geburtstagsfest mit Alexandra Scheele, Harald Welzer, Robert Misik, Brigitte Aulenbacher, Verena Koch und Studierenden der Bruckneruniversität, Hans Jürgen Urban, Josef Weidenholzer, Maximilian Zirkowitsch u.a. Details zu diesen Veranstaltungen auf gfk-ooe.at Weitere Veranstaltungen, die sich anlässlich seines 200. Geburtstags mit Karl Marx beschäftigen finden Sie in einem Folder dazu – er liegt bei Veranstaltungen der gfk auf.

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VERSCHWINDEN #1

US(C)HI REITER

The internet of

Verschwinden reicht nicht

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Als ich diese Text-Einladung zum Thema Verschwinden im Kontext von sozialen Medien erhalten habe, habe ich erst freudig zugesagt. Als ich mich nach den Feiertagen hinter die Tastatur geklemmt habe, war schnell klar, dass ich es doch schon etwas leid bin über Facebook, Instagram, Gmail, Snapchat u.a. oder die enorme Monopolstellung der Betreiber dieser Netzwerke zu schreiben. Selbst zu wiederholen, dass sich seit Snowdens Enthüllungen 2013 eigentlich wenig bis nichts an unserem eigenen Verhalten geändert hat, erschien mir irgendwie als sinnloses Wiederkäuen von Tatsachen. Wir wissen heute darüber doch mehr oder weniger alles und haben es erfolgreich ignoriert.

ist nicht mehr ausreichend, denn schon heute und in Zukunft noch mehr sind wir Teil eines Netzwerkes von alltäglichen Gegenständen, die mit dem Internet verbunden sind (Internet of Things). (…)

Ich zähle mich zur Kategorie der bewussten und kritischen User_innen, die gelernt haben Alternativen zu nutzen. Die Selbstdisziplin mit der ich meinen Browser mit Anti-Tracking Tools aufrüste, kein Gmail verwende, verschiedene Online-Identitäten für Buchungen und Shopping verwende, meine Browser-History jedes Mal lösche, keine Passwörter unverschlüsselt rumliegen lasse und vieles mehr mag dazu beitragen, dass ich nicht ganz nackt durch die digitale Welt surfe. (…)

Bisher kamen Sicherheitslücken oft erst zutage, wenn jemand zu Schaden kam. Es scheint generell Opfer zu brauchen, um wichtige Diskussionen und Veränderungen anzukurbeln.

Constanze Kurz, deutsche Informatikerin, Sachbuchautorin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC)2 bringt es beim Panel Big Data – Big Players – Big Problems3 2017, Elevate Festival sinngemäß auf den Punkt: Es gibt eigentlich kein Entrinnen. Aus sozialen Netzwerken zu verschwinden

Fakt ist, dass heute hinter vielen Sicherheitslücken ob Hard- oder Software oft die Fahrlässigkeit von Unternehmen oder das explizite Interesse einer bestimmten Industrie steckt und die Grundlage für einen Market of Exploits4 bietet. Nicht nur kriminelle Organisationen zahlen für Schwachstellen, um sie auszunutzen, seit 2013 wissen wir, dass dies ebenso Unternehmen und Regierungen tun.

Die logische Konsequenz dieser Entwicklung eines entfesselten Datenmarktes, der uns alten Internet-RomantikerInnen sauer aufstößt, ist die scheinbar unabwendbare Notwendigkeit von staatlichen Regulierungen, die Unternehmen in die Schranken weisen und Grundrechte im digitalen Raum, die seit langer Zeit missachtet werden, gewährleisten sollen. Eine solche Regulierung und somit ein Schritt in diese Richtung tritt heuer in Kraft. Die sogenannte EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)5 ist ab


VERSCHWINDEN #1

shit

mehr

25. Mai 2018 gültig. Sie zielt darauf ab, die rechtliche Grundlage zur Verwendung personenbezogener Daten EU-weit einheitlich zu regeln. Der Anwendungsbereich bereits existierender Verordnungen wurde ausgeweitet und richtet sich nun an alle (auch Kulturvereine), die personenbezogene Daten verarbeiten. Die Missachtung dieser Regelung kann ab heuer für Unternehmen sehr teuer – bis zu vier Prozent des weltweiten Konzernumsatzes - werden. Die Datenschutzbehörde erhält nun die Kompetenz derartige Verwaltungsstrafverfahren durchzuführen.

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KonsumentInnen können mit Hilfe dieser Regelung auf Schadensersatz klagen, wenn sie nachweisen können, dass Unternehmen personenbezogene Daten unerlaubt weitergeben. Das klingt einfacher als es ist, aber dank Aktivisten wie Max Schrems wird es mit einer neu gegründeten Plattform Noyb.eu (Non of your business) dabei Unterstützung geben. Wie sich die Entwicklung von Regulierungen generell auf den Zugang zu Informationen und freier Meinungsäußerung noch auswirken wird, lässt sich aus meiner Sicht gut an der Arbeit von AktivistInnen, NGOs, freien Medien, DatenjournalistInnen und alternativen Quellen nachvollziehen. All jenen jedenfalls gilt mein voller Respekt und Dank, denn sie tragen dazu bei, dass ich mir mein eigenes Bild von der Welt machen kann, bis ich verschwinde.

Us(c)hi Reiter beschäftigt sich mit digitalen Medien, alternativer Software, neuen Technologien und gesellschaftlichen Implikationen einer vernetzten Gesellschaft.


Im Nebel Tanja Brandmayr

22 Das Nebelballett wurde 2016 in einer ersten Version bei STWST 48x2 präsentiert, im Rahmen von New Art Contexts; in einer reduzierten Version bei der Langen Nacht der Bühnen 2016. Am 6. März wird ein neues Setting des Nebelballetts gezeigt. Nebelballett: Tanja Brandmayr Live-Performerin: Gerlinde Roidinger Produktionsleitung: Felix Vierlinger www.quasikunst.at www.brandjung.servus.at

DI 06.MAR 20.00

FOG Ballet NebelBallett / Performance im Central / Eintritt 10/6


VERSCHWINDEN #1

Etwas verschwindet. Etwas manifestiert sich. Etwas manifestiert sich im Verschwinden. In diesem paradoxen Zustand bewegt sich das Nebelballett. Etwas manifestiert sich. Etwas verschwindet. Etwas verschwindet in der Manifestation. Im Nebelballett ist Nebel Akteur und Medium gleichzeitig: Während der Nebel immaterielle atmosphärische Zustände durchläuft und damit selbst zum diffusen Bewegungsballett wird, zeigt sich auf dem Nebel die Projektion eines bewegten Körpers. Und im Gesamten eine diffuse Raumsituation, die ihr eigenes Vorhandensein imaginiert, während sich eine menschliche Figur in ihr zu behaupten versucht. Im Nebel verschwinden Dinge bzw. sind nicht mehr sichtbar. Da sich im Nebel die äußere Orientierung verliert, erlaube ich mir, fallweise in IchPerspektive, in innerer Orientierung durch Projekt und Gedanken zu navigieren. Auf der Suche nach einem neuen Materialismus: Ich stehe im Nebelraum. Nebelschwaden als immer wieder sich neuformierende dreidimensionale Zufallsgebilde werden aus einer Nebelmaschine geblasen, entstehen, verschleiern, verstecken, machen unsichtbar. Nebel befüllt den Raum und wird zunehmend zu einer gleichverteilten dichten Masse. So das Verhalten des Nebels im Raum, sofern nicht eingegriffen wird. Es ist durchaus reizvoll, sich durch einen solchen Raum zu bewegen: Er wird dichter und unsichtbarer. Nebel hebt den Raum auf, nivelliert ihn, einen dunklen wie auch einen hell beleuchteten Raum. Und das ist es, was vielleicht Michel Serres meint, wenn er den Nebel in den Gegensatz zur Dunkelheit stellt: „Die Dunkelheit bewahrt die Merkmale der Welt; der Nebel verwandelt sie kontinuierlich durch Homöomorphie, bringt Distanzen, Maße und Identitäten zum Verschwinden. […] Phantomnachbarn, wie man von Phantomgliedern spricht […]; die eigenen Füße und ihre Körper entschwinden gleichermaßen in unendliche Weiten.“ Das Nebelballett definiert den Raum in dieser Aufhebung zuerst. Auf der Suche nach dem Widerstandspotential des Individuums: Nebel definiert sich als diffuses Medium. Es wird ein neues Setting hinzugefügt:

Um einen Zustand von fortschreitender Nivellierung von Raum und Material zumindest teilweise zu vermeiden, werden die Dynamiken von Innenraum, Außenraum, Zuluft, Abluft, Luftzug, usw. anders hergestellt, damit der Nebel sich nicht nur verdichtet, sondern überhaupt Trägermedium einer Projektion werden kann. Erst in einem Ungleichgewicht der umherziehenden und sich verdichtenden Schwaden kann eine Projektionsfläche entstehen und eine Projektion sichtbar werden. So zeigt sich ein auf dem Nebel projizierter Körper in einer Bewegungsschleife aus abrupt sich einleitenden Bewegungen und andererseits in einem Stehen, das wiederum zur Projektionsfläche für die Nebelbewegungen wird. In zaubrischer Verschleierung kann dies als halbwegs dramatische „Behauptung des menschlichen Akteurs“ an sich gelesen werden. So ist die zu Beginn des Textes verwendete sprachliche Wendung einer „Behauptung“ des menschlichen Akteurs durchwegs nicht nur in einer Fiktionalität (eines „etwas behaupten“) gemeint, sondern schlichtweg als (Selbst)Behauptung – im Sinne einer Weigerung zu verschwinden. Natürlich markiert diese diffuse und ephemere Erscheinung einen Widerspruch: jenen des Fastschon-Verschwindens, wie gleichzeitig auch einer potentiellen Etablierung einer Figur auf und in ein neues Medium. Letzten Endes kann dies auch als ein Zitat auf ein nicht verschwinden wollendes und könnendes Individuum gelesen werden. Insgesamt: Etwas ist passiert (in dieser Szenerie), während doch nichts mehr passiert (in dieser Gleichverteilung, Nivellierung). Der Nebel verbindet die Dinge diffus, während der Fokus und das Herz dort liegt, wo die Projektion stattfindet: Dort, wo der Blick auf den zufällig sich formierenden Schwaden und Verwirbelungen im Licht liegt, und andererseits diese menschliche Figur im Fokus ihres gerade-nicht-Verschwindens, bzw. ihrer gerade-schon-Etablierung liegt, nur dort passieren die Dinge, die nicht egal sind. Und in diesem Blick, in dieser existenziell fragilen Balance des Daseins oder nicht-Daseins liegt die eigentliche Brüchigkeit verborgen.

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Satire

Queer Cabaret

Es ist spät geworden. Zirkowitsch & Fröhlich zählen das Übriggebliebene und überlegen, was sich damit noch anstellen lässt. Was geht sich noch, was zahlt sich noch aus, bevor es aus ist. Denn vor dem Untergang sollte man zumindest einmal noch reich gewesen sein.

„Who will take my dreams away“ (like Marianne Faithfulls song) ist eine Comedy Talk Show, ein Queer Cabaret, ein Konzert; dramatisch wie eine Oper, rau wie ein Punkkonzert.

Gottes Werk und WHO will take Deckungsbeitrag my dreams away

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In „Gottes Werk und Deckungsbeitrag“ gehen Zirkowitsch & Fröhlich dem Wirtschaftstreiben auf den Grund seiner Seelenlosigkeit und präsentieren erzählend, tanzend und singend die schärfste ökonomische Analyse seit Marx. So wird es ein Leseabend im Zeichen des Spätkapitalismus: Alles kann sein, alles muss sein, nichts ist fix.

SA 17.FEB 20.00

Gottes Werk und Deckungsbeitrag

Satire Zirkowitsch & Fröhlich Salonschiff Frl. Florentine / Eintritt frei

Denice Bourbon und Veza Fernandez erzählen, tanzen und singen über die Angst zu verschwinden in einer turbokapitalistischen Welt. Wie wäre die Welt ohne sie? Please note: die Künstlerinnen performen auf Deutsch und Englisch.

FR 15.JUN 20.00

Who will take My dreams away

Queer Cabaret Denice Bourbon & Veza Fernandez Salonschiff Frl. Florentine / Eintritt frei


Konzert

Literatur

Hier verschwinden Grenzen: geografische, musikalische und akustische. Die beiden Musikerinnen haben sich 2017 bei einem Festival in Dujanbe/Tadschikistan kennengelernt, das Konzert in Linz ist ein erstes gemeinsames.

Autorin Lisa Spalt widmet sich in ihrem neuesten Werk, einem wunderbaren Sammelbändchen mit illustrierten Handlungsanweisungen dem Voodoo: „…lange haben wir, wie dies in langjährigen Beziehungen leider vorkommt, unsere einzige Göttin, die LIEBE (Bondé), zum Handeln aufgefordert: „Gib dies und das!“, „Mach dieses und jenes!“ – was für eine unmögliche Haltung! Gebete sahen in den letzten Jahrzehnten aus wie Handlungsanweisungen, wie man sie eigentlich nur seinem Pudel gibt. In den alten Zeiten waren die Menschen demütiger, und Voodoo war auch in Österreich weit verbreitet. Man raffte sich auf, wenn man ein Gebrechen hatte, zauberte ein bisschen, und rief nicht sofort die göttliche Oberärztin. Also, liebe Leute, would you please do it yourself? Würden Sie bitte wieder selber Voodoo? (…)“.

Voodoo it Julia siedl & Jyotsna Srikanth yourself!

Julia Siedl gilt als eine der herausragendsten JazzPianistinnen Österreichs und war zum Beispiel mit Orwah Saleh schon bei uns zu Gast. Jyotsna Srikanth ist eine der außergewöhnlichsten indischen Violonistinnen. Sie begann mit klassischer indischer Musik bevor sie sich einen Namen mit Jazz-Fusion und der Verbindung von indischer und westlicher Klassik mit Bollywood Musik machte.

DI 24.APR 20.00

Julia Siedl Jyotsna Srikanth

Konzert im Central / Euro 14/10

DO 10.MAI 12.00

Voodoo it Yourself!

Literatur Salonschiff Frl. Florentine / Eintritt frei

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Konzert / Fest

Film / Gespräch

Tanzen gegen das Der Schmerz Verschwinden! meiner Erinnerung stirbt mit mir Gezeigt wird der Film „Zeitzeugen - Der Schmerz meiner Erinnerung stirbt mit mir“, in dem die Protagonist_innen Ari Rath, Reuven Moskowitz, Nuna Stojka und Andreas Peham über das Leben, über den Umgang mit Geschehenem und über das Vergeben und Vergessen erzählen (entstanden in Koop. mit dem Linzer Filmemacher Ünal Uzunkaya als Dokumentation des Zeitzeug_innenprojektes „Es gärt“). Danach Gespräche mit dem Publikum u.a. in Anwesenheit von Nuna Stojka.

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Wir bleiben: Tanzen gegen das Verschwinden! Frauenrechte? Frauenrechte! In Oberösterreich sind aktuell vor allem Vereine, die sich für die Rechte von Frauen*, Migrant*innen, Sexarbeiter*innen und Künstler*innen einsetzen durch massive Kürzungen in ihrer Existenz bedroht. Ein Grund mehr, auch den internationalen Frauentag dazu zu nutzen, allen Verantwortlichen ein lautes: Wir sind hier! entgegenzuschmettern. Wir gehen hier nicht mehr weg, wir verschwinden nicht, wir lassen uns unsere erkämpften und erarbeiteten Rechte nicht mehr wegnehmen. Deshalb laden wir heuer zu einem gemeinsamen, großen Abschlusskonzert zum internationalen Frauentag 2018. Fix zugesagt haben aktuell ŽEN / Feral is Kinky / DJ Spinelli / DJ Andaka. Der Eintritt ist frei, wir ersuchen aber um viele Spenden – sie gehen an die Initiative #frauenlandretten. Eine gemeinsame Veranstaltung von Feminismus & Krawall, Central und gfk oö. Unterstützt von stadtwerkstatt, SJ Oberösterreich.

Die Workshopreihe „Es gärt“ war von 2001 bis 2017 ein gemeinsames Projekt von „Friedensstadt Linz“ und „Land der Menschen – Aufeinander Zugehen OÖ“. Diese Workshopreihe brachte Zeitzeug_innen und Linzer Unterstufenschüler_innen zusammen, um über den Holocaust und die persönlichen Erfahrungen der Zeitzeug_innen zu diskutieren. Begleitet wurden sie dabei von Andreas Peham / Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), und von Mitarbeiter_innen von „Land der Menschen“.

bleiben: Der Schmerz Tanzen gegen das MI 18.APR meiner Erinnerung DO 08.MAR Wir Verschwinden! stirbt mit mir 20.00 19.00 konzert / Fest im Central / freiwillige Spenden

Film / Gespräch im Central / Eintritt frei


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d.signwerk linz / foto gerhard wasserbauer

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filmfestival linz // 25 – 30 april 2018

www.crossingEurope.at


Sabine Gebetsroither

Captured Memories Film und im Besonderen dem Dokumentarfilm wohnt eine gewisse Zeitzeuginnenschaft inne, was dazu führt, dass gerade diese filmische Gattung für die „Sicherung“ von Erinnerung und Erlebtem prädestiniert ist. Und so bannen Speichermedien (früher Celluloid, heute Bits & Bytes) Dinge, Geschichten und Emotionen, die vielleicht gerade am Verschwinden oder zum Zeitpunkt der Vorführung des Films auch schon tatsächlich nicht mehr existent sind. Seit 2014 präsentiert die gfk oö jährlich gemeinsam mit dem Linzer Filmfestival Crossing Europe prämierte Dokumentarfilme, die – obwohl formal und auch stilistisch verschieden – alle auf ihre spezifische Art als filmische Zeitkapseln funktionieren. Diese Filme erzählten vom Verschwinden eines ganzen Staates – Jugoslawien - und den Folgen für die Familien der Filmemacher (FLOTEL EUROPA von Vladimir Tomic und UNTEN von Djordje Čenić), sie dokumentierten die langsame Zersetzung der Solidarität in der Arbeiter_innenschaft und den Machtverlust der Gewerkschaften in Italien (ON THE ART OF WAR von Silvia Luzi & Luca Bellino) und schließlich das nachlassende Vertrauen innerhalb einer ukrainischen Großfamilie, bei der zwei Jahre Krieg mit Russland ausreichten, um den innerfamiliären Zusammenhalt zu zertrümmern (RODNYE - CLOSE RELATIONS von Vitaly Mansky). Geradezu meisterhaft gelang es dabei den Regisseur_innen, besonders durch gezielte Montage von sogenanntem Found Footage-Material, Fragmente europäischer Geschichte auf die Leinwand zu holen. Auch in diesem Frühling gibt es Gelegenheit, den bei Crossing Europe 2018 mit dem „Social Awareness Award – Best Documentary“ ausgezeichneten Dokumentarfilm zu erleben und sich womöglich bereits „Entschwundenes“ ins (filmische) Gedächtnis zu rufen. Das Crossing Europe Filmfestival Linz findet von 25.– 30.4.2018 statt. Festivalinformationen auf www.crossingEurope.at powered by gfkk oö seit 2016

DI 05.JUN 20.00

Social Awareness Preisträgerinnenfilm

Film / Gespräch Central / Eintritt frei

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Gute Zeiten für Nachtschwärmer Mit Bim Bim, Bus und AST sicher durch die Nacht

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Machen Sie die Nacht zum Tag und nutzen Sie am Wochenende und vor Feiertagen die neue „Nachtspur“ der LINZ AG LINIEN für Ihre sichere und bequeme Heimfahrt. Eine Bus- und zwei Straßenbahnlinien stehen für Sie im Halbstundentakt zur Verfügung. Ergänzend bringt Sie das Anruf-Sammel-Taxi (AST) direkt bis zur Haustür – seit 30 Jahren. Nähere Infos auf www.linzag.at/nachtverkehr


Projekte /Impressum/ Tickets

Wiltrud Hackl

Kulturpolitik wagen

Nicht nur Menschen, die in den vorangegangenen Ausgaben in diesem Magazin portraitiert wurden, machen die gfk zu einem ganz besonderen Kulturverein, auch Projekte zeichnen uns aus. Ein aktuelles und wichtiges ist Kulturpolitik wagen!, ein oberösterreichweites Projekt, das einerseits Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen und politisch denkende und tätige Personen aus dem Umfeld der Sozialdemokratie vernetzt. Andererseits soll mit diesem Projekt deutlich gemacht werden, was wir unter Kulturpolitik verstehen: ein politisch mutiges Konzept, das zu Teilhabe und Teilnahme auffordert und einlädt, das demokratische Werte wie Kritik und Kritikfähigkeit abbildet und lebt, sowie Diskurs, Diskussion und Austausch fördert. Kunst und

Kultur sind maßgebliche und identitätsstiftende Werte einer Gesellschaft, die nicht als nationalistische, exkludierende Instrumente einer rechten Ablenkungs- und Unterhaltungskultur missbraucht werden dürfen. Kulturpolitik soll sich nicht im Ab-

projekte in der gfk arbeiten von Förderanträgen oder Kürzen und Streichen von Förderungen ergehen, sie soll mutig, zukunftsweisend und selbstbewusst formuliert und möglichst unbelastet vom Wunsch nach Anerkennung und Repräsentationskultur sein. Als oberösterreichische Gesellschaft für Kulturpolitik ist es uns auch deshalb ein großes Anliegen, mit dem Projekt Kulturpolitik wagen! sowohl in-

nerhalb der SPÖ kulturpolitischen Verstand zu schärfen und Interesse zu wecken als auch scharf und unmissverständlich gegen die aktuelle schwarz-blaue Kulturpolitik in Oberösterreich und auf Bundesebene Stellung zu beziehen – was etwa durch klare Statements im Rahmen der KUPFInitiative #kulturlandretten deutlich gemacht wurde. Ein erstes Regionalforum hat im Dezember 2017 im OKH Vöcklabruck stattgefunden, weitere folgen ab Frühling. Wir freuen uns über Interessierte! Details und Termine schicken wir gerne zu: kulturpolitikwagen@gfk-ooe.at

Vorstandsmitglieder

der gfk oö.: Susanne Blaimschein, Barbara Czernecki, Gerda Forstner, Christian Horner, Siegbert Janko, Reinhard Kannonier, Florian Koppler, Michaela Ortner, Thomas Philipp, Susanne Pollinger, Roland Schwandner

Impressum

gfk Magazin Ausgabe 01/2018 · Februar 2018 Herausgeberin (F.d.I.v.): gfk oö. Gesellschaft für Kulturpolitik Landstraße 36/3, 4020 Linz, +43 (0) 5772611 - 710 Chefredaktion: Wiltrud Hackl · Lektorat: Inez Ardelt, Wiltrud Hackl Autor_innen dieser Ausgabe: Tanja Brandmayr, Bernd Dobesberger, Clara Gallistl, Sabine Gebetsroither, Dagmar Höss, Thomas Philipp, Martin Pfosser, Us(c)hi Reiter, Daniela Schopf, Christoph Wiesmayr, Maximilian Zirkowitsch · Gestaltung: honigkuchenpferd.net · Titelbild: Tina Hainschwang / Foto: Reinhard Winkler · Bildnachweis: 1/2/8/9/19/27 Reinhard Winkler · 3 LMZ Salzburg · 4 Alexander Gotter · 11 privat · 13 privat · 15 Tom Mesic · 17 privat · 22 Sandrik · 25 Schiffer Foto / Marija Šabanović · 26 kulturen in bewegung / privat (Lisa Spalt) · 27 Julia Vogt, Ünal Uzunkaya · Druck: Gutenberg, Linz

Tickets Kartenverkauf an der Abendkassa oder nach telefonischer Vereinbarung im gfk Büro Kartenreservierung www.gfk-ooe.at oder per email info@gfk-ooe.at oder telefonisch 05 7726 11 710

Ermäßigung (mit Ausweis) für Pensionist_innen, Studierende, Schüler_innen, Asylberechtigte, Menschen mit Behindertenausweis, Linz AG Ticket und Aktivpass. Die gfk oö ist zudem Kooperationspartnerin der Aktion Hunger auf Kunst und Kultur. Veranstaltungsort Central, Landstraße 36, Linz sofern nicht anders angegeben.

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SO 11.FEB 10.00 SA 17.FEB 20.00 DI 06.MAR 20.00 DO 08.MAR 20.00 SO 18.MAR 10.00 MI 18.APR 19.00 DI 24.APR 20.00 FR 04.MAI 17.00 DO 10.MAI 12.00 DI 29.MAI 20.00 DI 05.JUN 20.00 FR 15.JUN 20.00 SA 07.JUL 16.00

Marx und der 12. februar

Matinee

Gottes Werk und Deckungsbeitrag Sat ire mit M. Zirkowitsch / G. Fröhlich

Fog Ballet

im Central

Salonschiff Frl. Florentine

Eintritt frei Brunch Euro 5

Eintritt frei

Tanja Brandmayr

im Central

Euro 10 / 6

Wir bleiben! Tanzen gegen das Verschwinden

im Central

freiwillige Spenden

Marx und die Digitalisierung

im Central

Eintritt frei Brunch Euro 5

Der Schmerz meiner Erinnerung stirbt mit mir

im Central

Eintritt frei

im Central

Euro 14 / 10

Museum Arbeitswelt Stey r

Eintritt frei

Salonschiff Frl. Florentine

Eintritt frei

Performance / Tanz

Konzert / Fest mit ŽEN , Feral is Kinky u.a.

Matinee

Film

Julia Siedl Jyotsna Srikanth Konzert

MARX 200 Geburtstagsfest

Voodoo it Yourself! Literatur

Veza Canetti Literatur

Crossing Europe Screening

im Central

Euro 10/ 6

im Central

Eintritt frei

Salonschiff Frl. Florentine

Eintritt frei

Hollaberer Hof

Euro 10/ 6

FILM

Who will take my dreams away Queer Cabaret

Garten des Verschwindens

Eintages-Festival

Österreichische Post / Sponsoring Post SPÖ OÖ Information Nr. 04/2018 S.P. GZ 02Z034277 - VPA 4020

Frühling / Sommer 2018

gfk-ooe.at

Retouren an gfk oö Ges. für Kulturpolitik, Landstr. 36/3, 4020 Linz


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