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Der Burschen alte Herrlichkeit

Die Burschenschaften müssen inzwischen kaum noch als Vorbild herhalten, dafür taugen sie allerdings als politische Voodoopuppe.

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BERNHARD WEIDINGER Jahrgang 1982, hat Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung studiert; Lehrtätigkeit an der Universität Wien 2007–2015; DOCStipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2010–2012, Visiting Scholar am Center for Right-wing Studies der University of California at Berkeley 2013. Diverse Grants und wissenschaftliche Preise. Im Brotberuf Betreuer der Rechtsextremismussammlung am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien. Das Plakat der Grünen Bildungswerkstatt zeigt die Klammer zwischen linker Politik, politischer Forschung und linkem Extremismus. Mitdiskutantin Julia Spacil („SchwarzeKatze“) gehört zur autonomen Antifa-Szene in Wien.

Foto: www.noe.gbw.at/nachlesearchiv/ereignisansicht/event/wr-neustadt-wie-die-rechten-burschenschafter-und-identitaeren-den-staat-beherrschen/ dass sich die nationalen Korporierten vielfach in weitgehender Übereinstimmung mit der Linken be nden, was die Kritik an so manchen Gründungssagen der Zweiten Republik betri (S. 370). Gerade in diesem Punkt wird deutlich: Ein Urteil über die weitgehende Akzeptanz des NS-Regimes durch die Bevölkerung, wie es heute o als mutige Geste von Aufdeckern gilt, wurde bis in die Achtzigerjahre meist als Apologie verstockter Ehemaliger verteufelt.

Derlei Marotten mögen infolge ihres repetitiven Charakters zuweilen störend wirken, sie beeinträchtigen nicht den Kern des Buches. Weidinger hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, die Verlautbarungen und Publikationen der Burschenscha en und ihrer Verbände zu sichten, ergänzt durch Interviews mit interessanten, wenn auch meist untypischen Repräsentanten des Milieus, o aus dem Kreis der Hochschullehrer (z. B. Günther Cerwinka und Sigurd Paul Scheichl) oder „dissidenten“ Politiker, wie Christian Allesch oder Friedhelm Frischenschlager.

Aber letzten Endes liest sich sein Buch zwangsläu g wie eine politische Geschichte Österreichs anhand der Parlamentsreden und Zeitungsmeldungen, (fast) ohne interne Protokolle und Briefe. Das ist nicht Weidingers Schuld, vergleichbare Quellen sind einfach nicht verfügbar –und sie werden wohl leider auch für die politische Geschichte bald nicht mehr zur Verfügung stehen.

mso anerkennenswerter ist, dass Weidinger in so manchen Punkten das Richtige tri : Viele seiner Quellen stammen aus dem Umkreis der Diskussionen mit bundesdeutschen Verbindungen. Da liegt der Vergleich nahe. Er konstatiert in Österreich eine politisch-weltanschauliche Erstarrung, eine Verengung der Interessen als Reaktion auf den „Ausschluss aus Deutschland“ (S. 69, 105). Da ist nun zweifellos was dran. Der Kurzschluss der Gegner, mit dem Nationalsozialismus auch den Anschlussgedanken und den bis dahin ziemlich unbestritten deutschen Charakter Österreichs über Bord zu werfen, ließ als Reaktion wohl zuweilen die Versuchung au ommen, mit dem deutschen Charakter des Landes auch den Nationalsozialismus in Schutz zu nehmen. Auch wenn man – wie der Rezensent – der ese zustimmt, dass die Mehrzahl der Österreicher aufgrund ihrer Muttersprache nun einmal Deutsche sind, mag die ständige

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Wiederholung ein und desselben Topos kein Ausdruck besonderer intellektueller Lebendigkeit sein. Das Ideal der Standhaigkeit ist für den otten Bewegungskrieg keine ideale Voraussetzung. Eine gewisse „defaitistisch-desinteressierte Haltung“ (S. 213), verbunden mit der Stilisierung als die einzig Aufrechten, ließ vielleicht auch verkennen, dass man in den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit nationalen emen zum Teil noch oene Türen einrannte. Selbst das Adjektiv „völkisch“ kam einem österreichischen Bundeskanzler der Zweiten Republik wie Gorbach noch – positiv konnotiert – ganz selbstverständlich von den Lippen (vgl. „Südost-Tagespost“ vom 10.09.1963). Für die von Weidinger kritisierte Vokabel „Zusammenbruch“ für das Kriegsende (S. 113) lässt sich als Kronzeuge immerhin der spätere Staatsvertragskanzler Raab anführen (vgl. Protokolle des ÖVP-Klubs vom 11.04.1946).

Weidinger kritisiert zu Recht gewisse Aspekte der „Geschichtspolitik“, wie z. B. die ständige Berufung auf 1848 als Geburtsstunde der Demokratie, die alle möglichen notwendigen Dierenzierungen unter den Tisch fallen lässt. Dieses kuriose Faible von Rechten, mit ihren linken Vorfahren zu prunken, das sich genauso bei den Fans der christlichen Soziallehre ndet, wäre eine eigene Erörterung wert. Klar ist auch: Demokratisierung wird nun einmal meist dort geschätzt und befürwortet, wo es einem nützt. Dass im Milieu der Korporationen ein akademischer Dünkel anzutreffen war, der sich zuweilen in einer „eigenen Aufwertung auf Grund vermeintlicher moralischer Superiorität“ niedergeschlagen hat, düre stimmen – Weidinger mag allenfalls gnädig stimmen, dass ebendiese Haltung heute bei den Gegnern der Rechten äußerst beliebt ist. Dass sich die Interna der Verbindungen zwangsläug auf eine Oligarchie von Funktionären zuspitzen, die von ihren Gefolgsleuten delegiert und abgenickt werden, düre ebenfalls nicht ganz falsch sein – so funktionieren Vereine eben, bis hin zum ÖGB, der auch nur eine sehr abgestue Meinungsbildung zulässt (er wird wissen, warum …)

Kommen wir zum Kern: Welchen Niederschlag hat das politische Engagement der Burschenschaen gefunden? Völlig richtig: einen eher geringen. Die Burschenschaen haben als Refugium vor dem Zeitgeist gedient, damit im Sinne der Traditionspege eine bewahrende Funktion ausgeübt, auch im Sinne einer „festigenden Geborgenheit“ für ihre Mitglieder, aber gerade diese Abschließungstendenzen haben natürlich auch die Möglichkeit verringert, auf diesen Zeitgeist Einuss zu nehmen, von der kontraproduktiven Wirkung so mancher Inszenierungen einmal ganz abgesehen: Der Österreicher liebt nun einmal keine „Demos“, die mit Staus und Krawall verbunden sind. Wer immer sich da prolieren will, tut seiner Sache nichts Gutes, was nicht ausschließt, dass er im kleinen Kreis womöglich als besonders aufrechter Kämpfer gelobt wird.

In puncto Südtirol ist Weidinger gnädig, weil er die üblichen Vorwürfe wiederholt: Befreiungskämpfer und Terroristen sind nun einmal überlappende Größen, Aktivisten (ORF-Speak für linke Demonstranten) und Extremisten (ORF-Speak für rechte Demonstranten) ebenfalls. Mit Südtirol vermochten sich die Korporationen an ein weit über das nationale Lager hinaus populäres ema zu hängen. Peinlicher wäre vielleicht die – immer noch nicht endgültig zu beantwortende – Frage, wem sie dabei vielleicht zugearbeitet haben könnten? Norbert Burgers Geliebte war – wie wir inzwischen wissen – für einen der italienischen Nachrichtendienste tätig, andere westliche Dienste wiederum vermerkten mit Interesse die häugen Urlaube des tschechoslowakischen Militärattachés im schönen Land an Etsch und Eisack.

Bis Mitte der Sechzigerjahre erschöpe sich freiheitliche Studentenpolitik weitgehend im Hickhack mit den CVern, dann hätte mit dem Erstarken der Linken ein Politisierungsschub erfolgen müssen. Hier wird das eigentliche Versagen deutlich, das mit einem Mitgliederschwund einherging: Schließlich erfasste der Linkstrend an den Universitäten in den ersten Jahrzehnten nach 1968 immer erst eine Minderheit; die Siebzigerjahre waren vom Aufstieg der „Jungen Europäischen Studenteninitiative“ (jes) gekennzeichnet, die sich – anders als die bürgerlichen Parteien dieser Jahre – ganz eindeutig als konservativ verstand, mit Maggie atcher und Franz Josef Strauß als Leitguren, nicht zu vergessen Otto von Habsburg, der 1968 noch beim RFS gesprochen hatte. Eine Generation später war die Rezeption der „Neuen Rechten“, der „Gramscianer“ mit ihrer Metapolitik, von Weidinger mit der Ära Mölzer/ Hatzenbichler in der „Aula“ gleichgesetzt, ebenfalls endenwollend. Wiederum sticht der Vergleich mit der BRD ins Auge. Dort gab es – von der Wiedervereini-

WEIDINGERS DISSERTATION

Bernhard Weidinger: „Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945

Böhlau, Wien 2015. 627 Seiten ISBN 978-3-205-79600-8

Das Buch als Gratisdownload:

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In Deutschland gab es heimatlose Rechte, die sich publizistisch zu Wort meldeten, aber politisch keinen Fuß auf den Boden bekamen, in Österreich gab es – Haider.

gung einmal abgesehen – eine „kritische Masse an parteipolitisch heimatlosen“ Rechten (S. 406), die sich publizistisch zu Wort meldeten, aber politisch keinen Fuß auf den Boden bekamen, in Österreich gab es – Haider, der die FPÖ zu ungeahnten Höhen führte, während der RFS in Bedeutungslosigkeit versank.

Verdienstvoll ist auch der Versuch, den Anteil der Korporierten an den Eliten der FPÖ genauer zu erfassen. Weidinger bestätigt da den immer schon geäußerten Verdacht des Rezensenten, dass die „FPÖ-kritische Publizistik zur Überschätzung tendiert“ (S. 456), ebenso wie „entgegen gängiger Zuschreibungen“ die meisten innerparteilichen Kontroversen sich mitnichten auf eine Konfrontation von Korporierten und Nichtkorporierten zurückführen lassen (S. 498). Den höchsten Anteil an Korporierten wies der blaue Nationalratsklub übrigens gegen Ende der Ära Peter auf, in den späten Siebzigerjahren. Weit geringer war er zu Zeiten des VdU – und dann wieder unter Haider, wiederum ansteigend nach der Parteispaltung unter Strache. Zu Recht hervorgehoben wird die Rolle der Aldania, der in der Ära Pawkowicz bis zu einem Drittel der Wiener FPÖ-Mandatare angehörten; interessant auch das Phänomen, dass in der Steiermark der Anteil der eigentlichen Burschenscha en hinter dem anderer Korporierter au ällig zurückbleibt. Ich gestehe, neu war mir, dass Raabs legendärer Finanzminister Reinhard Kamitz Mitglied des VDSt war.

er geringe politische Wirkungsgrad der Burschenscha en muss freilich an einem Punkt hinterfragt werden, der in Weidingers Buch keine Würdigung ndet – was wiederum nicht unbedingt seine Schuld ist, denn es gibt anders als beim CV eben kein umfassendes Altherrenverzeichnis. Damit ist auch jede Recherche darüber, wie viele von ihnen im Laufe der Zweiten Republik über BSA oder Wirtscha sbund Karriere gemacht haben, auf Anekdoten und Zufallstre er angewiesen. Von Peter Kreisky bis Friedrich Peter ist über diese Schicht immer wieder beredte Klage geführt worden. Möglicherweise haben die beiden Antipoden sie auch überschätzt? Der Frage sollte man einmal nachgehen, aber es wird nicht einfach sein. Eine Hypothese lässt sich jetzt schon aufstellen: Der nach Haider wohl wichtigste Burschenscha er der Zweiten Republik war Hugo Michael Sekyra (B! Alania), der zusammen mit Minister Rudolf Streicher (dem Milieu der Leobener Verbindungen sehr verbunden) ab der Endphase der rot-blauen Koalition 1985/86 als Generaldirektor der ÖIAG die Verstaatlichte reformierte und für den Verkauf vorbereitete. Er kommt in Weidingers Studie allerdings nicht vor.

eidinger beendet sein Buch mit einem Fazit über die Politik- und Demokratietauglichkeit der Burschenscha en. Natürlich taucht auch hier wieder das Ungeheuer von Loch Ness auf, die Faszination mit der Beschä igung mit der NS-Ära. Sein Resümee enthält dennoch beherzigenswerte Anstösse: Er nimmt von Justamentstandpunkten bis zur „rigoristischen Disposition“ gewisse Verhaltensmuster zu Recht ins Visier – zu Recht nicht, weil sie linker PC widersprechen, sondern weil sie die Erfolgsmöglichkeiten rechter Politik beeinträchtigen. Um nicht missverstanden zu werden: In einem Kreis junger Menschen dürfen schon einmal exaltierte Standpunkte ausgetestet werden. Es wäre ja langweilig, wenn da immer nur jenes leere Stroh gedroschen würde, das nun einmal zur Standarddiät der Politik und der Medien zählt. Aber in der Politik wird man – auf allen Seiten – dafür nicht belohnt. Linke halten den Liedtext von den Arabern, die heim ins Reich wollen, für Wiederbetätigung (und sind erst recht empört, wenn man die Araber dann doch nicht herein lässt). Hand aufs Herz: Rechte sind da nicht immer viel besser. Aus dem Zusammenhang gerissene „Soundbites“ – und die berühmten Bilder, die mehr sagen als 1.000 Worte – schlagen allemal die inhaltliche Auseinandersetzung. Gusenbauer wurde immer wieder der ironische Kuss auf dem Boden in Moskau vorgeworfen, Busek die „Internationale“ im SPÖ-Festzelt. Daran wird sich nichts ändern: Wahlen werden nun einmal unter den politisch wenig Interessierten gewonnen, die man mit politisch irrelevanten Skandälchen ins Bockshorn treiben kann.

Jede Erörterung über das Verhältnis von Burschenscha en und Politik, über das Zukün ige mehr noch als das Vergangene, wird um das Dilemma nicht herumkommen. Es gilt, entweder Kompromisse zu machen im Sinne der ö entlichen Wirksamkeit oder das Gerede der Medien zu ignorieren, wie es jeder unabhängige Privatmann machen würde – um den Preis tagespolitischer Abstinenz. Metapolitischer „Guru“ oder politischer Akteur – beides zugleich zu sein, ist eben nur in besonderen Ausnahmefällen möglich.

Lothar Höbelt ist Jahrgang 1956 und Historiker. Er lehrt als außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien. Höbelt hat u. a. zur Parteiengeschichte des Dritten Lagers geforscht. Sein jüngstes Buch: „Die Erste Republik Österreich (1918–1938). Das Provisorium“, Wien 2018, 456 Seiten, € 40,–.

WINNER: WORLD PRESS PHOTO OF THE YEAR 2020 PHOTO CONTEST Yasuyoshi Chiba

Während eines Stromausfalls in Khartum, Sudan, rezitiert ein junger Mann, der von Mobiltelefonen angestrahlt wird, Protestpoesie, während Demonstranten Slogans skandieren, die zu einer Zivilregierung aufrufen. Die Proteste im Sudan haben im Dezember 2018 begonnen und sich rasch im ganzen Land ausgebreitet. Im April 2019 fanden die Demonstranten in der Nähe des Armeehauptquartiers in der Hauptstadt Khartum zusammen und forderten ein Ende der 30-jährigen Herrschaft des Diktators Omar al-Bashir. Am 11. April wurde al-Baschir durch einen Militärputsch aus seinem Amt entfernt und eine militärische Übergangsregierung eingesetzt.

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