Magazinreihe Moderne Polizei 2-3 / 2022

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Moderne POLIZEI

ISSN 2626-3823 Behörden Spiegel-Gruppe Magazinreihe
► Mobile Police 2-3 / 2022
SEITE 2 26 . Europäischer P olizeik ongress Illustration: K. Wegner www.europaeischer-polizeikongress.de Eine Veranstaltung des 3.– 4. Mai 2023 hub27 Berlin Ein Europa? Freiheit – Sicherheit – Recht

Inhalt

Vorwort

Uwe Proll, Behörden Spiegel

Kriminelle digitalisieren – das LKA Baden-Württemberg kontert Andreas Stenger, Landeskriminalamt Baden-Württemberg

Digitalforensik im Hessischen Landeskriminalamt Matthias Berg, Hessisches Landeskriminalamt

Unfallaufnahme mit Tablet und Digital-Pen Beat Thoma, Kantonspolizei Zürich

Wenn Polizei wüsste, was Polizei weiß Dirk Kunze, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen

Schnelle Einsatzkommunikation und -koordination Tobias Stepan, Teamwire GmbH

„Mobile Police“ mit zahlreichen Vorteilen Marco Feldmann, Behörden Spiegel

Digitale Einsatzunterstützung in Einsatzleitstellen der Polizei Niedersachsen Jorge Liening-Ewert, Kooperative Regionalleitstelle Osnabrück

So klappt es mit mobilen Geräten im Polizeieinsatz Jürgen Wand und Anida Jusufovic, VMware

„Algorithmic Policing“ – wie Polizeiorganisationen durch algorithmische Innovationen beeinflusst werden Dr. Martin Thüne, Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung 22

Die Corona-Pandemie als Treiber der digitalen Lehre Florian Däumler, Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg 24

Innovation Hub für die Polizei Niedersachsen Benjamin Hilbricht, Behörden Spiegel 26

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt Pia von Houwald, Telefónica Deutschland

26 „Handyblitzer“ in Rheinland-Pfalz Marco Feldmann, Behörden Spiegel 27

Kooperation zwischen Innenministerium und dem Institut für IT-Sicherheit Jonas Brandstetter, Behörden Spiegel 27

Digitale Forensik in der modernen Polizei Heiko Rittelmeier, Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) 28

Polizeiliche Prozessautomatisierung – wenn Massenvorgänge auf Personalengpässe treffen Christian Waldtmann, Atos 30

Impressum

Dieses Magazin wird von der Behörden Spiegel-Gruppe, ProPress Verlagsgesellschaft mbH Bonn/Berlin, verlegt.

Herausgeber: Uwe Proll

Redaktion: Jonas Brandstetter, Marco Feldmann (redaktionelle Leitung), Benjamin Hilbricht

Autoren: Matthias Berg, Florian Däumler, Anida Jusufovic, Dirk Kunze, Jorge Liening-Ewert, Heiko Rittelmeier, Andreas Stenger, Tobias Stepan, Beat Thoma, Dr. Martin Thüne, Pia von Houwald, Christian Waldtmann, Jürgen Wand

Verlagshaus Bonn: Friedrich-Ebert-Allee 57, D-53113 Bonn, Telefon: +49/228/970970, Fax: +49/228/97097-75

Verlagshaus Berlin: Kaskelstr. 41, D-10317 Berlin, Telefon: +49/30/557412-0, Fax: +49/30/557412-57

E-Mail: verlag@behoerdenspiegel.de Layout und Herstellung: Spree Service- und Beratungsgesellschaft m.b.H.

Druck: msk marketingservice köln GmbH

Titelfoto: © denisismagilov, stock.adobe.com

Verkaufspreis: 5 €

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© 2022 Pro Press Verlagsgesellschaft Bonn/Berlin

Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

► Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel

auch im digitalen Raum muss die Polizei Kriminalität effektiv verfolgen und verhindern können. Dafür ist moderne Technik ebenso unerläss lich wie ein entsprechender rechtlicher Rahmen. Vorgänge müssen möglichst mobil und von überallher angelegt und bearbeitet werden können. Polizistinnen und Polizisten müssen möglichst viel auf der Straße unterwegs und für die Bürgerinnen und Bürger ansprechbar sein. Unnötige und zeitraubende Büroarbeit auf der Dienststelle ist nicht mehr zielführend.

Die Fall- und die Sachbearbeitung durch die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten müssen bereits an der Einsatzstelle beginnen. Hierfür bedarf es entsprechender Hardund Software. Neben dienstlichen Smartphones und Tablets müssen auch zeitgemäße Anwendungen und Applikationen, etwa zur Aufnahme von Verkehrsunfällen oder zur mobilen Vorgangsbearbeitung, zur Verfügung stehen. Zugriff auf Datenbanken muss für Beamtinnen und Beamte von vor Ort direkt möglich sein. Auch braucht es – schon aus Gründen des Datenschutzes – dienstliche Messengerdienste. Nur wenn das gegeben ist, kann die „Moderne Polizei“ tatsächlich „Mobile Policing“ durchführen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine aufschlussreiche und interessante Lektüre. Ihr

Uwe Proll

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Foto: Nicole Schnittfincke

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Kriminelle digitalisieren –das LKA Baden-Württemberg kontert

Die Informationstechnologie durchdringt inzwischen alle Le bensbereiche. Der digitale Lebensraum und der technische Fortschritt haben eine neue Lebenswirklichkeit geschaffen.

Neue Technologien erleichtert uns die Kommunikation und den Alltag, gleichzeitig bedrohen neue Kriminalitätsphänomene die öffentliche Sicherheit. Es vergeht nahezu kein Tag, ohne dass die Medien über Cyber-Angriffe berichten. Begriffe wie Ransomware, Phishing, Künstliche Intelligenz (KI), Virtual Reality oder Cyber War sind keine Fremdwörter mehr, sondern Alltagssprache. Kriminelle nutzen alle Möglichkeiten der Digitalisierung. Und die Polizei muss darauf reaktionsschnelle, fortschrittliche und zu kunftsfähige Antworten finden.

Ferner muss auch sie bei ihren Ermittlungen auf moderne Tech nologie setzen. Die Polizei hat bereits viele effektive Antworten auf die Digitalisierung gefunden.

Sie unterbreitet offensiv Präven tionsangebote, die immer mehr Unternehmen und Institute nutzen und dankend annehmen, um unter anderem besser gegen CyberAttacken gewappnet zu sein.

Zudem hat die Polizei in die Zukunft investiert: Sie antwortet mit einer kontinuierlichen strategischen Weiterentwicklung der Hard- und Software. So setzt die Polizei Baden-Württemberg auf Tools und fortschrittliche Technologien auf Basis der KI, um der wachsenden Datenmassen Herr zu werden. Das Landeskriminalamt

Baden-Württemberg (LKA BW) forscht beispielsweise gemeinsam mit der Hochschule der Medien, der Bundesdruckerei und den Landeskriminalämtern Bayern und Hessen am Einsatz von KI bei der Dokumentenuntersuchung. Dank der Software erhalten die Sachverständigen somit eine profunde Vorbewertung.

Bewährte Technik

Gleichzeitig gilt es, bewährte Technik kontinuierlich weiterzu entwickeln. Exemplarisch hierfür steht die Modernisierung der Vermessungstechnik von Tat- und Schadensorten, die vor über 25 Jahren beim LKA BW etabliert wurde. Mittlerweile nutzen Ex pertinnen und Experten des LKA BW virtuelle Realitäten, um die Staatsanwaltschaften, Gerichte, Ermittlerinnen und Ermittler sowie Sachverständigen mit detailge treuen 3D-Daten zu unterstützen. Mittels handlicher 3D-Kameras im Hosentaschenformat wird die Tatortvermessung mobiler. Im VR-Raum — der sogenannten Cave — ist es möglich, einen Tatort virtuell zu begehen. Die Möglichkeiten der Cave gehen deutlich über eine einfache Darstellung hinaus. So können die Spezia listinnen und Spezialisten des LKA BW Personen und Asservate sowie Daten aus Ergebnissen der Rechtsmedizin und Kriminal technik einfügen. Ferner ist es möglich, Tathergänge animiert

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„In einer Welt, in der die Kriminalität zunehmend online stattfindet, muss die Polizei digital kompe tent und handlungsfähig sein.“
Die Kriminalität verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum. Hier müssen Polizeien Schritt halten. Foto: © sasun Bughdaryan, stock.adobe.com

darzustellen. Die Cave ist mobil, sie kann beispielweise auch bei Gerichtsverfahren zum Einsatz kommen.

Bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen nehmen Informationen aus Kraftfahrzeugen immer mehr an Bedeutung zu. Automotive IT be zeichnet grundsätzlich die Vernetzung von fahrzeuggebundenen IT-Systemen mit dem Internet, untereinander und mit Infrastruk turelementen. Steuergeräte, Sensoren und Kameras erzeugen fortwährend Daten. Dies bietet tiefgreifende Möglichkeiten der Analyse und Auswertung. Zudem sind für die Ermittlungsarbeit Daten des sogenannten Infotainmentsystems relevant, insbeson dere die der Navigation sowie der Fahr- und Parkzyklen.

Im virtuellen Fadenkreuz

Medial von besonderem und immer größerem Interesse sind Straftaten im Internet. Die Herausforderung der digitalen Polizei schlechthin sind Ransomware-Angriffe, insbesondere an einem Hochtechnologiestandort wie Baden-Württemberg. Weltweit agie rende Kriminelle verschlüsseln die Daten von Unternehmen und Institutionen. Dabei arbeiten sie hoch professionell und gehen arbeitsteilig vor. Sie attackieren nicht nur Wirtschaftsunternehmen oder staatliche Institutionen, sondern auch Organisationen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS): Immer wieder geraten Kranken häuser oder Versorgungsunternehmen in das virtuelle Fadenkreuz der Täterinnen und Täter.

Das LKA BW hat daher innovative Organisationsstrukturen zur Cyber-Kriminalitätsbekämpfung geschaffen: Die „Zentrale An sprechstelle Cybercrime“ (ZAC) des LKA BW ist der erste Anlauf punkt für Unternehmen und Institutionen im Land. Nach dem Erstkontakt mit der ZAC wird bei komplexen Fällen die „Task Force Digitale Spuren“ gebildet. Sie gewährleistet die schnelle Kontaktaufnahme und eine umfassende Beratung. In der Task Force arbeiten Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Forensik, der Cyber Crime-Ermittlungen sowie dem Kompetenzzen trum Telekommunikationsüberwachung Hand in Hand und treffen Erstmaßnahmen zur Schadensbewältigung und Strafverfolgung. In einer Welt, in der die Kriminalität zunehmend online stattfindet, muss die Polizei digital kompetent und handlungsfähig sein. Mo derne Ausstattung, die Nutzung neuer Technologien, kompetentes Personal und der enge Schulterschluss mit den Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und letztlich der gesamten Gesellschaft sind ein Rezept für eine reaktionsschnelle und fortschrittliche Kriminalitätsbekämpfung.

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Andreas Stenger ist Präsident des Landes kriminalamts Baden-Württemberg.
Foto: LKA BW

Digitalforensik im Hessischen Landeskriminalamt

► Matthias Berg, Leiter des Bereichs Digitalforensik im Hessischen Landeskriminalamt (HLKA)

Computer, Smartphones, Fitness-Tracker, intelligente Häuser und Fahrzeuge – die Digitalisierung schreitet in sämtlichen Lebensbereichen voran. Die Datenbank „Statista“ prognostiziert, dass sich die Zahl der Geräte, die mit dem Internet verbunden sind („Internet of Things“), weltweit von 11,3 Milliarden im Jahr 2020 auf 29,4 Milliarden im Jahr 2030 vervielfachen wird. Jedes dieser Geräte sammelt digitale Informationen, speichert sie oder gibt sie weiter – autark und vollautomatisiert.

Für die Polizei ergeben sich daraus Chancen und Herausforde rungen zugleich: Smarte Geräte können Unmengen an digitalen

Aufgaben sind die Überwachung und Analyse laufender Systeme und Netzwerke. Ziel ist es, Informationen zu gewinnen und Beweise – etwa für Einbrüche oder Einbruchsversuche in Netzwerke – für die Strafverfolgung zu sichern. Auch werden Daten aus DSL- und Server-Überwachungen analysiert.

Die Menge der digitalen Spuren und der dafür auszuwertenden Daten nimmt, wie bereits eingangs geschildert, kontinuierlich zu. Das stellt die Polizei ebenso vor Herausforderungen wie der vermehrte Einsatz von Verschlüsselungstechniken, der sich auf Dateien, ganze Datenträger und Netzwerke erstrecken kann. Das Entschlüsseln gewinnt daher an Bedeutung. Viele Rechner sind trotz starker Prozessoren und der damit einhergehenden großen Rechenleistung nicht in der Lage, moderne Verschlüsselungs methoden in angemessener Zeit zu überwinden.

Für solche Dekryptierungsaufgaben werden soge nannte GPU-Cluster betrieben – Prozessoren mit mehreren hundert Kernen, die in der Lage sind, komplexe parallele Berechnungen durchzuführen.

Spuren verursachen. Tatorte, die früher ausschließlich analog betrachtet wurden, müssen aus digitaler Sicht bewertet werden, denn die Beweiskraft digitaler Spuren wächst. Im Rahmen polizei licher Ermittlungen werden sie identifiziert, gesichert, analysiert und ausgewertet.

Die Digitalforensik im Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) umfasst die Bereiche Computer- und Mobilfunkforensik, Netz werkforensik sowie den Digitalen Erkennungsdienst (DED). Die Forensik-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen ihren Kollegin nen und Kollegen aus den Präsidien mit fachlicher Expertise zur Seite – vor, während und nach operativen Durchsuchungsmaß nahmen mit IT-Bezug. Die forensische Sicherung digitaler Spuren verschiedenster Quellen sowie deren Aufbereitung für die sich anschließende Bearbeitung gehören zu den Serviceaufgaben, die das HLKA für die hessischen Polizeipräsidien und andere Behörden erbringt. Zudem fertigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Auswertungsberichte und Sachverständigengutachten für andere Fachdienststellen, für Staatsanwaltschaften und Gerichte an.

Systeme analysieren, Einbruchsversuche in Netzwerke erkennen

Kernaufgabe der Digitalforensik ist die Auswertung von Computern und Mobilfunkgeräten. Darüber hinaus wurde bereits vor über zehn Jahren im HLKA der Bereich der Netzwerkforensik eingerichtet.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Netz werkforensik des HLKA unterstützen darüber hinaus beim Auffinden und Sichern von Krypto-Währungen und bei der Untersuchung und Begutachtung sogenannter Skimming-Geräte, mit denen beispielsweise Daten von Bank- und Kreditkarten ausgespäht werden können. Die Netzwerkforensiker beschäftigen sich unter anderem mit von Privatpersonen angeschafften Drohnen. Die Fluggeräte, die eigentlich zum Fertigen von Bild- und Videoauf nahmen bestimmt sind, enthalten digitale Daten, beispielsweise aufgezeichnete Flugrouten.

Schwerpunkt auf Kfz-Forensik gelegt

Auch der DED ist ein Teil der Digitalforensik. Bereits 2020 wurden im HLKA und in jedem der sieben hessischen Polizeipräsidien DED-Einheiten eingerichtet. Hessen war damit eines der ersten Bundesländer, das sich diesem Thema widmete.

Zielrichtung des DED ist der polizeiliche Kompetenzaufbau im Be reich Smart Home, der Gebäudeautomatisierung, Bild- und Video forensik sowie der Kfz-Forensik. Für Letzteres wurde im HLKA eine Schwerpunktdienststelle eingerichtet. Die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen sich mit der Sicherung, Aufbereitung und Interpretation von Daten, die in verbauten technischen Gerä ten (z. B. Infotainment-Systemen, Navigationsfesteinbauten und Steuergeräten) in Fahrzeugen gespeichert werden.

Weitere DED-Schwerpunktdienststellen wurden im Polizeipräsidium

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„Tatorte, die früher ausschließlich analog betrachtet wurden, müssen aus digitaler Sicht bewertet werden, denn die Beweiskraft digitaler Spuren wächst.“

Nordhessen für den Bereich Smart Home sowie im Polizeipräsidium Frankfurt für den Bereich Bild- und Videoforensik eingerichtet. Die DED-Einheiten arbeiten eng zusammen. Zu den einzelnen Themen werden bei den Schwerpunktdienststellen Methodenentwicklungen betrieben, die dem Verbund im Anschluss bereitgestellt werden. Der DED kooperiert eng mit den klassischen Erkennungsdiensten und orientiert sich dabei an deren etablierten Abläufen und be stehenden Verfahren.

Studium zum Cyber-Kriminalisten in Hessen möglich

Um mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt zu halten, kommt der internen und externen Fortbildung sowie der nationalen und internationalen Vernetzung in diesen Themenbereichen eine hohe Bedeutung zu.

Der wachsenden Bedeutung der Digitalforensik wurde auch im Be reich der Aus- und Fortbildung in der hessischen Polizei Rechnung getragen: Angehende Polizeibeamtinnen und -beamte können bereits in ihrem Studium den Schwerpunkt Cyber-Kriminalistin beziehungsweise Cyber-Kriminalist wählen und somit Grundlagen für eine spätere mögliche Tätigkeit in der Digitalforensik legen.

Erster Kriminalhauptkommissar Matthias Berg leitet im Hessischen Landes kriminalamt den Bereich der Digitalforensik.

Foto: BS/HLKA

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Unfallaufnahme mit Tablet und Digital-Pen

Die Kantonspolizei Zürich führte 2012 die mobile Rappor tierung für alle Fronteinsatzkräfte ein. Verkehrsunfälle und kriminalpolizeiliche Ereignisse erfassen die Einsatzkräfte über ein Tablet. Während die Daten online mit dem Rapportierungssystem abgeglichen werden, sind die Funktionäre bereits wieder unter wegs zum nächsten Einsatz. Dadurch steigerte die Kantonspolizei die Effizienz am Ereignisort, minimierte die Fehlerquellen bei der Sachverhaltserfassung und erhöhte die sofortige Verfügbarkeit der Informationen im Rapportsystem für alle Polizeiangehörigen. Im Zuge der Digitalisierung überprüfte die Kantonspolizei Zürich im Jahr 2011 ihre Prozesse bei der Sachverhaltsaufnahme und Rapporterstattung im Rahmen von Verkehrsunfällen und kriminal polizeilichen Ereignissen wie beispielsweise Sachbeschädigungen oder Einbruchsdelikten. Bis zu diesem Zeitpunkt notierten die Frontfunktionärinnen und -funktionäre am Ein satzort sämtliche Sachverhaltsangaben hand schriftlich. Nach dem Einsatz übertrugen sie die Daten manuell in das Rapportierungssystem POLIS (Polizeiliches Informationssystem).

Dieser Prozess zeigte sich als wenig effizient, nicht mehr zeitgemäß und aufgrund der manuellen Datenerfassung als fehleranfällig. Der Auftrag der Arbeitsgruppe „Rapportierung+“ bestand denn auch darin, die Prozesse der Tatbestandsaufnah me für kriminal- und verkehrspolizeiliche Rapporte an der Front zu optimieren. Der Fokus lag auf der einmaligen Er fassung der Rapportdaten und der automatischen Übertragung ins Rapportsystem. Im Weiteren sollte ein Datenabgleich mit dem Rapportsystem sowie weiteren Behördensystemen möglich sein.

Test auf Herz und Nieren

Für den Fronteinsatz musste ein geeignetes Gerät evaluiert wer den. In einer Pilotphase wurden verschiedene Tablets auf ihre Funktionalität in unterschiedlichen Situationen getestet. Neben dem Handling im Einsatz wurde auch die Robustheit der Geräte bei allen möglichen Witterungsbedingungen geprüft. Schlussend lich fiel die Wahl auf das iPad von Apple. Neben der Hardware mussten für die mobile Erfassung der Daten spezielle E-Formulare programmiert werden.

Anfänglich konzentrierte sich die Arbeitsgruppe auf die sogenann ten Rumpfdaten, sprich jene Daten, welche an jeder Unfallstelle und an jedem Tatort erhoben werden müssen, wie Ort- und Zeit angaben, Personalien oder statistische Unfalldaten. Ziel war es, dass die Einsatzkräfte möglichst kurz mit einer Fallbearbeitung

vor Ort gebunden sind und wieder rasch für neue Einsätze zur Verfügung stehen. Die Fertigstellung der Rapporte sollte zu einem späteren Zeitpunkt im Büro erfolgen. Nach und nach wurden die E-Formulare ausgebaut und optimiert. Schlussendlich wurden spezifische Formulare für die zehn häufigsten Rapporttypen und ein generisches Formular für weniger häufige Fälle erstellt.

Mobile Rapportierung

Im Jahr 2012 wurde die mobile Rapportierung bei der Kantons polizei Zürich eingeführt. Dies war wegweisend in der Schweizer Polizeilandschaft, da sie als erstes Polizeikorps diesen Schritt vollzogen hat. Mit der Zeit stiegen die Begehrlichkeiten der Frontfunktionärinnen und -funktionäre und die technischen

Möglichkeiten, die sich auftaten, steigerten klar die Effizienz der Tatbestandsaufnahmen. Sukzessive wurde die bestehende Lösung mit weiteren Funktionen ergänzt. So können heute die maschinen lesbaren Zonen von Ausweisen mit dem Tablet gescannt, online mit Personenregistern abgeglichen und die Daten automatisch in das E-Formular übernommen werden.

Ebenso verhält es sich mit Kontrollschildern von Fahrzeugen. Nach dem Scannen stehen die Halter- und Fahrzeugdaten zur Übernahme ins E-Formular bereit. Bei der Unfallaufnahme können die einzelnen E-Formulare des Unfallaufnahmeprotokolls unter mehreren Sachbearbeitenden aufgeteilt werden.

Dies ermöglicht eine effiziente Unfallaufnahme, indem eine Funktionärin oder ein Funktionär die statistischen Daten zum Unfall erfasst, während der oder die andere die Personalien und Aussagen der Unfallbeteiligten aufnimmt. Wo früher Dokumente für die Unterschrift ausgedruckt werden mussten, werden mit der mobilen Rapporterstattung Strafanträge oder Einvernahmen mit dem Apple Pencil digital unterschrieben. Formularkopien wie beispielsweise die Führerausweisabnahme werden mit einem QR-Code verknüpft und können von den betroffenen Personen

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„Ziel war es, dass die Einsatzkräfte möglichst kurz mit einer Fallbearbeitung vor Ort gebunden sind und wieder rasch für neue Einsätze zur Verfügung stehen.“

über ein Webportal heruntergeladen werden. Schlussendlich werden Standort- und Adresswahl dank der GPS-Funktion geo referenziert erfasst.

Ist die mobile Rapportierung abgeschlossen, wird das E-Formular ins Rapportierungssystem eingeliefert. Dabei wird anhand der erfassten Daten automatisch ein Journaleintrag erzeugt. Die Informationen aus dem Journal und dem eingelieferten Rapport stehen sofort allen Einsatzkräften der Polizeibehörden im Kanton Zürich zur Verfügung.

Kriminalistisches Denken teilweise auf der Strecke

Gleichzeitig erscheint der erfasste Rapport auf der Pendenzenliste des Erfassers im Rapportsystem. Von dort können die Daten vali diert und ergänzt und der Rapport kann abgeschlossen werden. Ergänzt wird die mobile Rapportierung durch separate Applikationen zum mobilen Hochladen von Fotos und Videos ins Medienarchiv „SmartPolice“ sowie zur Online-Erfassung von Asservaten direkt am Einsatzort im „Forensischen Asservate-Tracking-System“ (FATS). Der strukturierte Aufbau der E-Formulare zeigt aber auch Risiken der mobilen Rapportierung auf. Die E-Formulare wurden im wei

testen Sinne zu Checklisten, was nicht grundsätzlich negativ ist. Insbesondere junge und noch unerfahrene Polizeifunktionärinnen und -funktionäre können dazu verleitet werden, die Formulare im Stil einer Checkliste abzuarbeiten. Dabei bleibt das kriminalistische Denken teilweise auf der Strecke. Solche Mängel müssen in Aus bildungskursen kompensiert werden. Letztendlich ist die Polizei dafür da, Sachverhalte und Delikte zu klären, Täter zu ermitteln und zu verhaften, um diese danach ins Recht zu fassen. Alleine mit einer effizienten, technisch hochstehenden Erfassung der Daten an der Front werden die Fälle aber nicht geklärt. Dieser Spagat zwischen Technik und Polizeiarbeit darf nicht außer Acht gelassen werden.

Adjutant mbA (mit besonderen Aufgaben) Beat Thoma ist Offizierstellvertreter in der Regionalabteilung See/Oberland, Mitglied der Arbeitsgruppe „Rapportierung+“ sowie Fachlehrer für Rapportlehre an der Zürcher Polizeischule. Foto: BS/Kapo ZH

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Wenn Polizei wüsste, was Polizei weiß

► Dirk Kunze, Leiter des Landesprojekts „Datenbankübergreifende Analyse und Recherche –DAR“ beim Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen

„Die informationstechnischen Grundlagen für die notwendige Vernetzung aller an einer Ermittlung beteiligten Dienst stellen müssen jederzeit sofort verfügbar sein. Es darf nicht nochmals vorkommen, dass Zeit und Kraft dafür verloren gehen, unterschiedliche Systeme wie „EASy“ und „INPOL Fall“ während einer laufenden Ermittlung zu verknüpfen. Die eingeleiteten Maßnahmen, die Interoperabilität der Datensysteme zu schaffen, müssen zügig zu einem guten, verfassungsrechtlich einwandfreien Ergebnis geführt werden.“

Diese Aussage des zweiten Bundestagsuntersuchungsausschus ses der 17. Wahlperiode (NSU-Untersuchungsausschuss) führte zu zahlreichen Überlegungen, die Informationslage insbesondere im Hinblick auf deren Zusammenführung zu verbessern.

Datenaustausch nicht möglich

Das vom Bundestag angesprochene EASy wurde zu diesem Zeit punkt von elf Landes- oder Bundesbehörden genutzt. Ein Daten austausch zwischen den nutzenden Ländern war bei vorliegenden rechtlichen Voraussetzungen technisch nicht möglich. Zu unter schiedlich waren und sind die Datenmodelle. Als Konsequenz ist

durch die Länderpolizeien bei der zentralen Ermittlungsführung das Bundessystem zu nutzen. Ein Abgleich der Daten mit den im betroffenen Land vorliegenden Informationen war nur durch manuelle Überprüfungen möglich. Eine übergreifende Recherche und Analyse war nicht möglich.

Informationslage verbessern

Die Bedeutung des Feststellens von Tat-Tat- und Tat-Täter-Zusam menhängen zum Erkennen von Strukturen der Terrorfinanzierung durch Straftaten der allgemeinen und Organisierten Kriminalität (OK) wurde durch den Anschlag von Anis Amri auf dem Berliner Breitscheidplatz erneut auf tragische Weise verdeutlicht. Die hier festgestellten Erkenntnisdefizite hätten jedoch auch bei Nutzung der Verbundsysteme nur schwer erkannt werden können, da ein wesentlicher Teil der Straftaten unterhalb der Verbundrelevanz lag.

Die polizeiliche Datenlandschaft ist heterogen und gewachsen. Dies erschwert die technische Realisierung möglicher Recherche verbünde oder Verbunddateien auch auf Landesebene. Zielführend ist hier die Errichtung eines Datenhauses mit dezi dierten Berechtigungen auf Attributsebene. Dieses muss dann mit

Im polizeilichen Alltag kommt es darauf an, schnell und von überallher auf relevante Daten zugreifen zu können. Foto: ©pdusit, stock.adobe.com
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performanten Services ausgestattet sein, um die polizeilichen Aufgaben abbilden zu können. Die Daten schutzbeauftragte von RheinlandPfalz hat dazu auf der diesjährigen Bitkom-Jahrestagung ausgeführt, dass eine solche Umsetzung daten schutzrechtlich erstrebenswert und nicht zu kritisieren sei. Das Programm Polizei 20/20 strebt diese Umsetzung an. Eine solche technische Umsetzung stellt eine große Heraus forderung an die technische und fachliche Gestaltung dar. Die technische Umsetzung und die Services existieren noch nicht und müssen aufwendig gestaltet werden. Um schnellstmöglich die Informationslage zu verbessern, hat die Polizei NordrheinWestfalen innerhalb eines Jahres die „Datenbankübergreifende Analyse und Recherche – DAR“ auf Basis der Anwendung Gotham des Anbieters Palantir Deutschland GmbH implementiert und zur Wirkbetriebsfähigkeit gebracht. Hessen und Bayern haben im Rahmen eigener Vergabeverfahren entsprechende Produkte erworben.

Unterschiedliche Werkzeuge und Berechtigungen

Die besondere Herausforderung bei der Implementierung in Nord rhein-Westfalen lag für das Projekt DAR darin, die unterschiedlichen Datenformate so zu integrieren, dass sie in einem einheitlichen Format zur Auswertung und Analyse mit unterschiedlichen Werk zeugen bereitgestellt werden konnten.

Die unterschiedlichen Berechtigungssysteme der einzubinden den Quellverfahren waren auf ihre Übernahme zu prüfen. Die heterogene Datenstruktur mit unterschiedlichen administrativen Berechtigungen war anzupassen. Die Abschottung einzelner Dienststellen wurde zugunsten eines möglichst umfassenden Gesamtbildes aufgebrochen und jeweils auf die Sichtbereiche Allgemeinkriminalität, OK und Staatschutz aufgegliedert, wobei besondere Schutzbedürfnisse einzelner Bereiche berücksichtigt und implementiert wurden. So wurden die Schutzbereiche (zum Beispiel Sexualdelikte, Korruption und Amtsdelikte) zu landes weiten Schutzbereichen zusammengeführt, die nur von beson ders berechtigten Personen landesweit genutzt werden können. Zudem wurden für die Zentralstelle im Landeskriminalamt (LKA) Berechtigungen konzipiert, die einen Informationsverlust auf grund fehlender Berechtigungen, etwa in einem Anschlagsfall, ausschließen.

Mit der gewählten Lösung ist die nordrhein-westfälische Polizei jetzt in der Lage, umfassende Auswertungen und Analysen ohne vorheriges Normieren und Zusammenführen von Daten durchzu führen. Dabei sind alle Daten bis auf Attributsebene nach Herkunft und Sichtberechtigungen gekennzeichnet. Darüber hinaus ist es möglich, die Analyseergebnisse und Auswerteprodukte den Bedarfs tragenden systemintern unter Beibehaltung aller Berechtigungen und Löschfristen sowie unter Berücksichtigung aller Regelungen zur hypothetischen Datenneuerhebung zur Verfügung zu stellen.

Damit wird eine deutlich Steige rung des Datenschutzes und der Datensicherheit bei gleichzeitiger Steigerung der Analyse- und Aus wertefähigkeiten der Polizei Nord rhein-Westfalen gewährleistet. Das System und seine Implementierung zeigen, dass sich komplexe Systeme bei frühzeitiger Berück sichtigung datenschutzrechtlicher Belange implementieren und betreiben lassen und so Fähigkeitslücken der Polizei abbauen.

Dirk Kunze ist Leiter des Landesprojekts

„Datenbankübergreifende Analyse und Recherche – DAR“ beim Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen und Leiter einer Kriminalinspektion. Foto: Polizei NRW

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Schnelle Einsatzkommunikation und

► Tobias Stepan*, Teamwire GmbH

Ein sicherer Polizei-Messenger ist innerhalb kurzer Zeit un verzichtbar geworden, da er eine einfache und reibungslose Einsatzkommunikation und -koordination gewährleistet. So geht sein Anwendungsbereich mittlerweile weit über den reinen Echtzeit-Austausch mittels Text, Bild und Video hinaus. Mit den stets wachsenden Anforderungen an einen effizienteren Informationsfluss entwickeln sich auch die Einsatzkommuni kationslösungen weiter.

Ein für Sicherheitsbehörden hochgradig relevantes Thema ist hierbei Föderation, die durchgehende Vernetzung von Polizei präsidien, -stationen und -einsatzgruppen, um etwa gemeinsame länderübergreifende Einsätze schneller zu koordinieren. Auch die Integration von geografischen Informationssystemen (GIS) in einen Polizei-Messenger ist ein wichtiger nächster Schritt.

Anders als noch vor drei bis vier Jahren suchen Sicherheitsbe hörden heute nach einer allumfassenden Einsatzkommunika tionslösung, die nicht nur die hochspezifischen Anwendungsfälle der Polizei abdeckt, sondern perspektivisch mitwächst und sich, basierend auf den individuellen Anforderungen, weiterentwi ckelt. Dass der Bedarf dafür immer größer wird, verdeutlicht die rasante Entwicklung, die entsprechende Kommunikations lösungen hinsichtlich ihrer Funktionalitäten genommen haben. Neben Standardfunktionen wie Sprach- und Textnachrichten, dem Austausch von Bildern, Dokumenten und Videos sowie einsatzspezifischen Gruppen-Chats bieten Polizei-Messenger längst dedizierte Funktionen wie Alarmierungen, Push-to-Talk und Live-Locations. Dabei ist das Innovationspotenzial in den nächsten Jahren noch lange nicht ausgeschöpft.

Föderation ist relevanter denn je

Ein Aspekt, der bei den Behörden und Organisationen mit Si cherheitsaufgaben (BOS) zunehmend an Relevanz gewinnt, ist Föderation. Die schnelle Einsatzkommunikation und -koordination einer Landespolizei ist derzeit mit den technisch vorhandenen Lösungen primär mit den eigenen Polizeipräsidien und -statio nen möglich. Häufig gibt es aber auch Bedarf innerhalb eines Bundeslandes, mit anderen Behörden und Organisationen zu kommunizieren. Ebenso bestehen länderübergreifend zahlreiche Einsatzszenarien bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Man denke nur an bundesweite Fahndungen, Veranstaltungen wie den G7-Gipfel und Fußball-Länderspiele oder geheime Operationen.

Dabei ist die technische Realisierung einer übergreifenden Ver netzung kein Zukunftsvorhaben mehr. Eine derartige Föderation ist bereits heute mit einem Polizei-Messenger umsetzbar. So lassen sich einzelne Organisationen miteinander verknüpfen und bilden zugleich abgeschottete Umgebungen, was maximale Datensouveränität und Sicherheit gegenüber Cyber-Angriffen garantiert.

Live-Location 2.0

Ein wichtiger nächster Schritt, um die Einsatzkommunikation und -koordination zu stärken, ist die Erweiterung von Karten, Standorten und Live-Locations durch die Integration von GIS in einen Polizei-Messenger. GIS verbinden Daten mit einer Karte und integrieren Positionsdaten samt beschreibenden Informationen. GIS-Karten kommen im Polizeieinsatz tagtäglich zur Anwendung – sei es bei der Einsatzleitung, -planung oder Kriminalanalyse. Dies bietet zahlreiche Vorteile:

• GIS sind deutlich vielschichtiger als öffentlich verfügbare Karten und liefern wichtige Geodaten.

• Es gibt zum Beispiel ausführliche Karten in GIS von Land schaften, Gebäuden wie Industriehallen und Stadien sowie verborgenen Systemen wie Tunnel-Streckennetzen und Untergrundanlagen.

• Zudem sind eigene GIS unabhängig von Kartenanbietern wie Apple und Google. Das heißt: Sie sind nutzbar, ohne Daten an unerwünschte Dritte weiterzugeben.

• Zugleich bieten eigene GIS eine Unabhängigkeit im Falle von Cyber-Attacken auf die Kartensysteme von Apple und Google.

Allerdings ist es aktuell noch so, dass diese einsatznotwendigen Karten hauptsächlich über Desktop-PCs, etwa bei der zentralen Leitstelle, zur Verfügung stehen. Lediglich manche mobilen Ein satzkräfte haben eine App, mit der sie GIS-Daten und -Karten abrufen können. Diese Informationen werden dann für die Einsatzkommunikation in anderen Applikationen verwendet oder müssen in diese übertragen werden.

Eine nächste Entwicklungsstufe von Polizei-Messengern wird darin bestehen, GIS ganzheitlich zu integrieren. Dadurch stehen mobilen Einsatzkräften sowie der Einsatzzentrale alle wichtigen Daten und Karten aus dem GIS direkt bei Standorten und Live-Lo cations im Polizei-Messenger zur Verfügung. Durch Verknüpfung von GIS und Polizei-Messenger lassen sich einsatzrelevante Informationen schneller abfragen und bereitstellen. Zudem

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-koordination

können alle Einsatzkräfte darauf zugreifen. Das verbessert den Informationsfluss und führt zu einem effektiveren EchtzeitAustausch. Vor allem spart es allen Einsatzbeteiligten Zeit und fokussiert sie auf das Wesentliche – den Einsatz.

Die drei Entwicklungsstufen der GIS-Integration

Genauso vielfältig wie die GIS an sich sind auch ihre Anwendungs szenarien. In einen Polizei-Messenger integriert, zeichnen sich folgende drei Entwicklungsstufen ab:

ERSTENS:

Kartenbasierte Einsatzinformationen abrufen: In dieser ersten Stufe ist es möglich, dass Einsatzkräfte ihren Standort bzw. ihre Live-Location über ihre Messenger-App teilen und darauf aufbauend kartenbasierte Einsatzinformationen er halten. Die vorhandenen Informationen lassen sich nicht nur an die aktuelle Situation anpassen, sondern auch schnell um neue Daten ergänzen und etwa für eine aktualisierte Lagebewertung an die Einsatzleitung oder Leitstelle zurückspielen. Für alle Ein satzkräfte vereinfachen sich so Koordination und Steuerung. Sie können schneller agieren.

ZWEITENS:

Karten mit Informationen anreichern und modifizieren: Einsatzkräfte sollen die Möglichkeiten haben, die GIS-basierten Daten und -Karten im Messenger mit individuellen Informationen anzureichern und zu bearbeiten. Konkret heißt das, dass sie Karteninformationen markieren bzw. highlighten sowie auf ihren Bedarf abgestimmte Kartenausschnitte erstellen und vergrößern können. Auf diese Weise sind die hinzugefügten Informationen direkt mit den GIS-Karten verknüpft und müssen nicht etwa als separate Nachricht(en) im Einsatzchat versendet werden. Wird etwa nach einer vermissten Person gesucht, lassen sich so be stimmte Bereiche als bereits abgesucht markieren und noch nicht abgesuchte Bereiche schneller ausmachen. Gleichzeitig erhalten die Einsatzkräfte eine transparente Übersicht der Suchgebiete.

Drittens:

Noch detailliertere Personen-Informationen bei Einsätzen erhalten:

Neben ausführlichen Daten – etwa zu landschaftlichen Gegeben heiten und Einsätzen –, die in den Karten des GIS bereitstehen, ist es wichtig, auch entsprechende Informationen zu den Einsatz kräften zu erhalten. Klassischerweise werden diese durch das

Teilen ihres Standorts bzw. ihrer Live-Location als kleine Nadel (Pin) ohne weitere Details auf der Karte dargestellt. In einer dritten Stufe wird daher angestrebt, noch detailliertere Personen-Informationen bereitzustellen. Neben der Nadel werden dann etwa der Name der Einsatzkraft, deren Rolle (Dienstgrad, Verantwortungsbereich etc.) und weitere relevante Informationen angezeigt. Das ist vor allem für die Koordination und Steuerung bei größeren Einsätzen wichtig, wenn Personen aus unterschied lichen Bereichen und auch Organisationen zusammenarbeiten. Auch föderierte Einsätze, wie Fahndungen flüchtiger Personen, die über Grenzen der Bundesländer oder sogar der Republik hinaus gehen, lassen sich dadurch schneller koordinieren und Einsatzkräfte in der Umgebung gezielt alarmieren.

Innovationskraft ist ungebrochen

Schon heute nehmen digitale Kommunikationslösungen eine zentrale Rolle ein, indem sie die Einsatzsteuerung, den Infor mationsaustausch und alle damit verbundenen Abläufe ver einfachen und erheblich beschleunigen. Ihre ungebrochene Innovationskraft zeigt nicht nur die rasante Entwicklung, die Polizei-Messenger in den letzten Jahren genommen haben. Auch in naher Zukunft sind viele Innovationen zu erwarten, wie zum Beispiel weitere Systemintegrationen, Kommunikation, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert, und neuartige Endgeräte, welche die Polizeiarbeit in der Gefahrenabwehr und Strafver folgung weiter verbessern werden.

*Tobias Stepan ist Gründer und Geschäftsführer der Teamwire GmbH, die sich auf sicheres und souveränes Instant-Messaging für Unternehmen, Behörden und Blaulicht-Organisationen spezialisiert hat.

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„Mobile Police“ mit zahlreichen Vorteilen

Das Projekt „Mobile Police“ bringt viele Vorzüge für die Bayerische Polizei mit sich. Davon zeigt sich der Innenstaatssekretär des Freistaates, Sandro Kirchner, überzeugt. Er unterstreicht mehrere Mehrwerte. Dazu zählen u. a. eine verbesserte Eigensicherung aufgrund einer besseren Daten- und Informationslage, eine größere Bürgernähe der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie ein Abbau von Bürokratie.

Zudem werde das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger ge stärkt, so Kirchner. Er unterstreicht: „„Mobile Police“ ist eine tolle Errungenschaft.“ Zugleich brauche es aber eine stärkere bundesweite Vernetzung, da „Mobile Police“ ein deutschland weites Thema sei und Polizisten bei Großeinsätzen noch besser miteinander kooperieren können müssten. In Bayern sei „Mobile

Police“ bereits seit sechs Jahren auf der politischen Agenda, so Kirchner. Ziel des Vorhabens, in dessen Rahmen auch Lösungen zahlreicher IT-Firmen bei der Landespolizei Verwendung finden, sei eine vollständig digitale und mobile Polizeiarbeit, betonte der Staatssekretär. Denn die Digitalisierung sei auch aus der alltäg lichen Polizeiarbeit nicht mehr wegzudenken.

Im Freistaat handele es sich bei „Mobile Police“ um einen Be bauungsplan, der mehrere Elemente umfasse und ständig weiter entwickelt werde, so Georg Ringmayr, CIO der Bayerischen Polizei. Zu den Elementen von „Mobile Police“ gehörten @communication, @work, @information sowie @car. Dabei müssten grundsätzlich die Einsatzerfordernisse im Fokus jeglichen Agierens stehen. Ziel müsse die vollständige Interoperabilität aufseiten der Polizei sein, unterstreicht Ringmayr. Dabei müsse schrittweise vorgegangen werden, meint er. Zuerst müsse das Einfachste kommen, dann das Nötige und zum Schluss das Mögliche. Dabei dürften die jeweili gen Hürden auch nicht zu hoch gesetzt werden, mahnt Ringmayr.

Prioritäten setzen

Ihm zufolge muss bei „Mobile Police“ gelten: „Einsatzmanagement vor Sachbearbeitung vor Verwaltung vor „Firlefanz““. Weitere wichtige Elemente seien der Datenschutz – hier hätten in Bayern zu Beginn zahlreiche Probleme bewältigt werden müssen – sowie die Konnektivität. Zudem brauche es unter anderem eine BasisInfrastruktur, Security, Usability, Hochverfügbarkeit, Redundanz, Skalierbarkeit und Flexibilität, ergänzt Gerhard Otte vom Bayeri schen Landeskriminalamt (BLKA).

Eines dürften die Verantwortlichen dabei nie vergessen: „„Mobile Police“ ist nicht nur ein weiteres IT-Projekt.“ Vielmehr brauche es für eine breite Akzeptanz immer einen Mehrwert für die Anwenderinnen und Anwender. Dabei helfen würden so viele Konnektivitäts-Op tionen wie nötig und so wenige IT-Einschränkungen wie möglich. Denn, so Otte: „Mobilität wird erst durch die Konnektivität der Geräte erreicht.“ Hier würden u. a. WLAN-Router in polizeilichen Einsatzfahrzeugen, die Nutzung öffentlicher WLAN-Hotspots, nationales wie internationales Roaming, Polizei-eigene sowie kom munale Hotspots und eine uneingeschränkte Providerwahl helfen.

Prozesse und Strukturen müssen mitwachsen

Fotos: Feldmann

Des Weiteren komme es auf eine gute Integration an. Denn je besser sie gelänge, desto flexibler könne auf neue Herausforde rungen reagiert werden. Darüber hinaus müssten die jeweilige Organisation und die zugrunde liegenden Prozesse bei „Mobile Police“ (mit-)wachsen und sich verändern. Als Herausforderungen

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Hält „Mobile Police“ bei Weitem nicht einfach nur für eine weitere IT-An wendung: Gerhard Otte vom Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA).
„Mobilität wird erst durch die Konnektivität erreicht.“
Gerhard Otte

für die Zukunft identifiziert Otte in diesem Zusammenhang ins besondere die Prozessautomatisierung, einheitliche Backends sowie die Föderation des Identitätsmanagements. Auch Thomas Scholle, Abteilungsleiter Strategie und Steuerung sowie kommissarischer Abteilungsleiter Konzeption und Entwick lung bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), macht künftige Herausforderungen aus. Diese beziehen sich auf die Konnektivität und betreffen v. a. die Netzbetreiber. Dazu zählt Scholle Fragen nach passenden Schnittstellen und Standards, aber auch nach finanziellen Aspekten, Sicherheit und Dimensionen der Leistungs fähigkeit. Dabei macht er deutlich, dass die Konnektivitätsvision der BDBOS in konvergenten Netze bestehe. Langfristiges Ziel der Bundesanstalt sei es, „alles in einem Netz“ zu haben. Sicherheitsfragen von erheblicher Bedeutung Otte vom Bayerischen LKA sieht mit Blick auf „Mobile Police“ im Übrigen auch Sicherheitsherausforderungen. Dazu gehörten z. B. Fragen nach dem Geräte- und App-Zugriff, dem Verlust von Geräten, der Aktualität von Applikationen, dem Benutzerwechsel sowie dem Datenschutz. Wichtig seien in diesem Zusammenhang u. a. Compliance-Richtlinien und -Checks, Geräteprofile, Zertifikate, Biometrielösungen, permanente App-Sicherheits-Scans, jailbreak

detection, Verschlüsselung und ein wirksames Redundanzkonzept. Bei der Bayerischen Polizei wird laut Otte ein strikter Kurs verfolgt. Ist ein mobiles Endgerät nicht mehr compliant, beispielsweise weil wichtige Sicherheitsupdates nicht installiert wurden oder sich eine nicht den Compliance-Richtlinien genügende App auf dem Gerät befindet, wird es nach 21 Tagen aus dem Polizeinetz genommen. Für die Zukunft wünscht sich Otte eine teilnehmerübergreifende App-Entwicklung. Bislang gebe es bei der Landespolizei eine Zen tralstelle für App-Entwicklungsunterstützung. Hier kann ihm Holger Gadorosi, Gesamtprogrammleiter P20, Hoffnungen machen. Denn er kündigt ein zentrales Zur-Verfügung-Stellen von Applikationen durch P20 an die Polizeien an. In die zugrunde liegenden Prozesse sowie die jeweilige Entscheidung über die zu beschaffende und zu nutzende Hardware würden sich die Programmverantwortlichen aber nicht einmischen. Mittelfristig müsse die polizeiliche AppLandschaft dringend harmonisiert werden, so Gadorosi.

Bayerns Innenstaatssekretär Sandro Kirchner lobt „Mobile Police“. Dieses sei für die polizeiliche Arbeit unerlässlich.

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Georg Ringmayr, CIO der Bayerischen Polizei, erläuterte die verschiede nen Elemente von „Mobile Police“.
„Einsatzmanagement vor Sachbearbeitung vor Verwaltung vor „Firlefanz“.“
„„Mobile Police“ ist eine tolle Errungenschaft.“
Sandro Kirchner

Digitale Einsatzunterstützung in Einsatzleitstellen der Polizei

Niedersachsen

Vor vier Jahren brachte die niedersächsische Polizei die digitale Einsatzunterstützung in Einsatzleitstellen auf den Weg. Anfangs im Rahmen eines bundesweiten Projektes, anschließend durch die landesweite Implementierung und Etablierung eines neuen Aufgabenbereiches „Einsatzanalyse“ in den Einsatzleitstellen.

Von Beginn an als erste niedersächsische Behörde dabei: die Polizeidirektion Osnabrück und ich.

Die Nutzung digitaler Medien zur Kommunikation und Information ist für den Großteil der Bevölkerung selbstverständlich — Soziale Medien und das Internet spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch für die Polizei gewinnt die gezielte Informationsgewinnung zur professionellen Einsatzbewältigung, beispielsweise über Soziale Medien, seit mehreren Jahren zunehmend an Bedeutung. Genau hier setzte im Jahr 2018 das bundesweite Forschungsprojekt der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), „Sicherheit im Einsatz durch Open-Source-Intelligence (OSINT) in Einsatzleitstellen“ (SENTINEL), an.

Ausgangsfrage und Ziel des Projektes vor vier Jahren war es, zu erforschen, ob durch die Nutzung von sogenannten OSINT-Recher chen im täglichen Einsatzgeschehen der Polizei einsatzrelevante Informationen erlangt werden können, welche wiederum zu einem besseren Schutz der Einsatzkräfte und der Bevölkerung sowie zu einer professionelleren Aufgabenbewältigung beitragen.

Osnabrück an Bundesprojekt beteiligt

Neben Osnabrück mit dem dortigen Projektverantwortlichen, Polizeioberrat Phil Havermann, waren auch die Polizeipräsidien München und Dortmund am Projekt beteiligt. Im Zusammenspiel wurden ab Juli 2018 für sechs Monate Recherchen über frei ver fügbare Internetquellen durch sogenannte „Intel Officer“ in die tägliche Arbeit der projektbeteiligten Einsatzleitstellen integriert und deren Auswirkungen für die Einsatzbewältigung wissenschaft lich untersucht. Die digital gewonnenen Informationen sind den

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Auch die Auswertung Sozialer Netzwerke wird für die Polizeien hierzulande immer wichtiger. Foto: ©metamorworks, stock.adobe.com

Polizistinnen und Polizisten im Einsatz- und Streifendienst zur Bewältigung ihrer Einsätze über die Disponenten in der Einsatzzentrale mitgeteilt worden. Ergebnis: In rund 80 Prozent der Fälle konnten einsatzunterstützende und hilfreiche Hinweise durch die Recherchen der „Digital-Kommissarinnen und -Kommisare“ gefunden werden.

In Osnabrück zählten die Suche nach vermissten Personen, Fälle von häuslicher Gewalt und die Überprüfung von Personen zu den häufigsten Einsatzanlässen der OSINT-Recherchen. Beispielsweise ergaben sich Erkenntnisse zu Personen, wie aktuelle Lichtbilder, Hinweise zum Aufenthaltsort, Hinweise zu bestimmten Milieus, Informationen zu Hobbies, oder andere relevante Informationen. Auch spezielle Hinweise zu Örtlichkeiten, wie Zugangssituationen, Hinterausgänge, Fluchtwege oder Baumaßnahmen, konnten ausgemacht werden.

Großer Mehrwert für Streifendienst

Die Gewinnung von frei verfügbaren und öffentlich zugänglichen Informationen aus dem Social Web durch die Recherchen der Intel Officer führt bei einem Großteil der Einsätze des täglichen Dienstes (Fahndungs-, Vermissten-, Gewalt- oder Bedrohungslagen usw.) zu wertvollen Hinweisen im Hinblick auf die Einsatzbewältigung, aber auch im Hinblick auf die immens wichtige Eigensicherung. Dieses positive Feedback bestätigte zudem eine interne Umfrage beim Einsatz- und Streifendienst der Polizeidirektion Osnabrück, deren Einzugsgebiet von den Ostfriesischen Inseln bis zum Teu toburger Wald reicht.

Erfolgsmodell führt zu Strukturveränderungen

Auf Grundlage der eindeutigen Forschungsergebnisse wurden ab März 2019 nach und nach alle sechs niedersächsischen Ein satzleitstellen in Osnabrück, Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Göttingen und Oldenburg durch das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport beauftragt, in ihren Leitstellen Arbeitsplätze zur festen Implementierung einer Einsatzanalyse einzurichten. Die Polizeidirektion Osnabrück übernimmt zusätzlich noch die Funktion der landesweiten Koordinierungsstelle, welche eine einheitliche Aus- und Fortbildung der Intel Officer sicherstellt.

Die 36 bei der Polizei Niedersachsen beschäftigten Intel Officer verfügen überwiegend über Studienabschlüsse im Bereich der Kommunikations-, Medienwissenschaften oder ähnlich gelagerter Studiengänge und sind keine Polizeibeamtinnen oder -beamte.

Neben ihrer eigentlichen Tätigkeit unterstützen sie darüber hinaus auch die Social Media-Teams in den Behörden durch gezieltes Monitoring. Auch bei Großlagen in der Besonderen Aufbauorga nisation kommen sie zum Einsatz.

Eindeutige Resultate

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse eine sehr deutliche Sprache: Die einsatzbegleitende Recherche im Internet und in den Sozialen Netzwerken durch die Online-Expertinnen und -Experten der Polizei verbessert den Schutz unserer Einsatzkräfte und der Bevölkerung und ist aus der täglichen Arbeit nicht mehr wegzu denken. Viele Recherchen tragen außerdem zur effizienteren Bewältigung von Einsatzlagen bei.

Und: Das Interesse aus anderen Bundesländern am Erfolgsmodell aus Niedersachsen ist groß. Auch auf dem diesjährigen Europäi schen Polizeikongress in Berlin wurden die Arbeitsweise und der Grundgedanke moderner Polizeiarbeit durch mich vorgestellt. Es gilt, diesen digitalen Weg konsequent weiterzuverfolgen und auszubauen.

Foto: PD Osnabrück

Kriminalhauptkommissar Jorge LieningEwert ist Intel Officer der ersten Stunde und arbeitet in der Kooperativen Regionalleitstel le Osnabrück. Darüber hinaus fungiert er als landesweiter Koordinator für den Aufgaben bereich der Einsatzanalyse in Niedersach sen. Zuvor war der 41-Jährige viele Jahre im Ermittlungsdienst tätig.

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„Die Gewinnung von frei verfügbaren und öffentlich zugänglichen Informationen aus dem Social Web durch die Recherchen der Intel Officer führt bei einem Großteil der Einsätze des täglichen Dienstes zu wertvollen Hinweisen.“

So klappt es mit mobilen Geräten im Polizeieinsatz

Smartphones sind aus dem Polizeieinsatz und Streifendienst kaum noch wegzudenken — am Tatort Beweisbilder und Zeugen aussagen aufzunehmen, über Fachanwendungen auf Daten banken zuzugreifen oder Fahndungen und Vermisstenfälle direkt ins Polizeisystem einzutragen, ist so einfach möglich. Alle Tatbestände und Vorgänge, die Polizistinnen und Polizisten auf Streife direkt am Handy oder Tablet eingeben, brauchen sie in der Dienststelle nicht mehr händisch vom Notizbuch in den Computer zu übertragen. Ein weiterer Vorteil: Die Daten stehen sofort für weitere Ermittlungen zur Verfügung. Doch vor welchen Herausforderungen stehen IT-Teams beim Management der mobilen Geräte und wie können sie diese lösen?

Der reibungslose Einsatz mobiler Geräte braucht eine zuver lässige Netzabdeckung und -leistung. Darüber hinaus gilt es, in puncto Geräteverwaltung sämtliche gesetzlichen Vorgaben für Zugriffs-, Compliance- und Datenschutzrichtlinien einzuhalten. Zudem ist es wichtig, sensible Daten sowie Fachanwendungen vor Fremdzugriffen – beispielsweise über private Apps, die die Einsatzkräfte auf ihren Geräten nutzen – zu schützen. Aufgrund der massiven Bedrohungslage durch Cyber-Angriffe ist für eine umfassende Sicherheitsarchitektur zu sorgen.

Gleichzeitig müssen die Polizeien darauf achten, dass die IT-Teams das Management der Endgeräte sowie der Fachanwendungen möglichst ressourcenschonend bewerkstelligen. Gefragt ist eine Management-Plattform, mit der sich alle Geräte, Nutzer und Anwendungen von einer zentralen Stelle aus verwalten lassen. Ebenso wichtig ist, dass die Lösung skalierbar ist sowie aktuell und auch künftig On-Premise-Umgebungen unterstützt, um den gesetzlichen Vorgaben für IT-Sicherheit und Daten-Compliance entsprechen zu können.

Effizientes Management über eine einzige Admin-Konsole

Elf Polizeiorganisationen auf Bundes- und Landesebene sowie Behörden der Inneren und Äußeren Sicherheit arbeiten mit der Verwaltungsplattform Workspace ONE Unified Endpoint Ma nagement von VMware. Insgesamt werden damit rund 200.000 mobile Geräte gemanagt. Die Lösung ermöglicht – wie der Name schon sagt – ein einheitliches Endpunktemanagement. Damit können die IT-Abteilungen Desktops und unterschiedliche mobile Endgeräte, darunter auch robuste Geräte im Rugged-Format, mit allen gängigen Betriebssystemen von einer zentralen Stelle aus und über ihren gesamten Lebenszyklus verwalten. Dies gibt den Polizeien die Flexibilität, unterschiedliche Einheiten

mit unterschiedlichen Geräten wie Android-Smartphones oder iPhones auszustatten. Auch bereits vorhandene Geräte können weiter im Einsatz bleiben und neue Geräte lassen sich jederzeit problemlos integrieren. Zudem besteht für IT- und Helpdeskmit arbeitende die Möglichkeit, über Remote-Access direkt auf die Geräte zuzugreifen, um bei Problemen mit Anwendungen oder mit dem Gerät selbst zu unterstützen.

Ein weiteres Entscheidungskriterium: Die Lösung ist multiman dantenfähig, sodass beispielsweise IT-Teams verschiedene Polizeieinheiten oder -ebenen gleichzeitig, aber unabhängig voneinander verwalten können. Auch IT-Dienstleister können so mehrere Polizeien in ihren Rechenzentren bedienen.

Personalisierter Zugriff auf Anwendungen und Daten

Werden neue Polizei-Fachanwendungen eingeführt oder stoßen neue Mitarbeitende zum Team, können die IT-Administratoren den Zugriff auf Fachanwendungen und Daten personalisiert nach den jeweiligen Zugriffs- und Compliance-Vorgaben festlegen. Auf Basis von geräteorientierten Zugriffsrichtlinien authentifiziert sich dann die Einsatzkraft auf ihrem mobilen Gerät und kann auf einen personalisierten Katalog an Fachanwendungen zugreifen. Für einfaches und sicheres Anwendungs- und Zugriffsmanagement unterstützt die Plattform SingleSign-On(SSO)-Funktionen sowie Mehrfach-Authentifizierung.

Die Einsatzkräfte müssen sich auf einen einwandfreien Zustand ihrer Geräte und ein zuverlässiges Funktionieren der Anwen

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Der Einsatzwagen als digitaler Arbeitsplatz – über den mobilen Zugriff auf Fachanwendungen können Informationen zu Tatbeständen und Vorgängen direkt eingeben werden. Foto: VMware

dungen verlassen können. Hier ist der Einsatz einer zentralen Datenplattform hilfreich, die Daten zu den Geräten, zum Betriebs system, zur Performance der Anwendungen, zu Sicherheits- und Compliance-Risiken oder zu Schwachstellen aggregiert, korreliert und analysiert. Bei „Workspace ONE Intelligence“ handelt es sich um einen Service, der Daten sammelt und in Berichten, Dashboards, Automatisierungsfunktionen, Benachrichtigungen und durch maschinelles Lernen aufbereitet und so die IT-Teams beim Betrieb der Geräte unterstützt.

Cyber Security: Mobile Threat Defense und Zero-Trust-Architektur

Die Abwehr von Sicherheitsangriffen wie Phishing hat für die mobilen Einsatzgeräte eine besondere Relevanz. Auch wenn der Zugriff auf Fachanwendungen streng geregelt ist, gibt es dennoch zahlreiche Einfallstore für Sicherheitsattacken wie Browser, E-Mail oder SMS. Zudem manipulieren Angreifende die Userinnen und User immer häufiger mit gefälschten User Interfaces, die verblüffend echt aussehen. Für den Schutz mobiler Geräte kooperiert VMware mit Lookout Mobile Security, einem Anbieter von Sicherheitslösungen für Smartphones und Tablets, und integriert diese in „Workspace ONE“. Bereits zahlreiche Einheiten der Polizeien und Behörden für Innere und Äußere Sicherheit können dadurch die mobilen Sicherheits risiken minimieren.

In puncto Cyber Security geht es jedoch nicht nur um die einzel nen Geräte oder User. Vielmehr gilt es, über eine leistungsfähige Sicherheitsarchitektur unterschiedlichste Schwachstellen entlang der Software-Lieferkette miteinzubeziehen – vom Standort oder Netzwerk über das Nutzungsverhalten bis hin zu den Zugriffs wegen. Vor allem ist davon auszugehen, dass auch bei den Polizei- und Sicherheitsbehörden die Nutzung von Cloud-Services in ausgewählten Bereichen zunehmen wird. So werden einzelne Leistungen wie Bodyscans über Hyperscaler realisiert. Einige Landeskriminalämter, die für ihre mobilen Geräte mit UnifiedEndpoint-Management arbeiten, greifen bereits auf einzelne Services des Bundeskriminalamtes (BKA) oder der Bundespolizei zu. Hier ist integrierte IT-Sicherheit auf Zero-Trust-Basis wichtig.

Der Einsatzwagen als digitaler Arbeitsplatz

Bildschirme, Rechner und Laptops im Einsatzwagen – Polizeiein heiten in den USA, im europäischen Ausland wie beispielsweise die Polizeibehörde Antwerpen, aber auch erste Einheiten in Deutschland setzen auf Geräte, die in die Konsolen der Einsatz fahrzeuge eingebaut sind. Auch für diese digitalen Arbeitsplätze ist ein nahtloser und sicherer Zugriff auf Fachanwendungen und Services bereitzustellen. Hier ist eine virtuelle Desktop-Infrastruk

tur (VDI) das Mittel der Wahl. Die Desktops und Anwendungen werden virtuell zur Verfügung gestellt und die Einsatzkräfte können geräteunabhängig und von jedem Standort darauf zugreifen. Fest steht: Durch mobile Geräte werden Prozesse im Polizei einsatz beschleunigt und optimiert, Einsatzkräfte können ihre Dienstzeit effizienter nutzen und mehr Präsenz auf der Straße zeigen. Setzen die IT-Teams für das Management auf ein einheit liches Endpunktemanagement, profitieren auch sie von mehr Produktivität. Denn Fachanwendungen und Informationen lassen sich von einer zentralen Stelle aus für jedes Gerät bereitstellen und ermöglichen es, Zugriffskontrolle, Anwendungsmanagement sowie umfassende Sicherheitsfunktionen umzusetzen und zu verwalten.

Weitere Infos finden sich hier:

Jürgen Wand ist Lead Systems Engineer – Digital Workspace bei VMware.

Anida Jusufovic ist EUC Specialist – Public Sector bei VMware.

Fotos: VMWare

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Schon während der Fahrt zum Einsatz lassen sich über mobile Geräte erste Infos zum Einsatzort und -umfeld abrufen. Foto: Bundespolizei

Big Data, Data Mining, Künstliche Intelligenz (KI), Maschinelles Lernen – diese und weitere Schlagworte fallen regelmäßig, wenn über das Thema „Digitalisierung“ berichtet wird. Obgleich Inhalte und Grenzen der einzelnen Konzepte oft im Unklaren blei ben und sich mitunter der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit in der Begriffswahl aufdrängt, so wird – gewissermaßen als kleinster gemeinsamer Nenner – schnell klar, dass bei all diesen Verfahren Computer eine Rolle spielen, die mit Algorithmen operieren. Allgemein versteht man darunter eindeutige Handlungsvorschriften zum Lösen eines vorab definierten Problems oder einer Klasse von Problemen. Das maschinelle Lösen komplexer Aufgaben zielt letztlich darauf ab, menschliche Arbeit zu erleichtern, zu optimieren oder diese gar obsolet werden zu lassen. Algorithmen können in diesem Zusammenhang zum Beispiel entscheidungsunterstützend

arbeiten. Ganz wesentlich sollen mit ihrer Hilfe große Datenmengen gesichtet, zusammengeführt und ausgewertet werden.

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Sicherheitsbehörden – neben anderen Professionen – vor der Herausforderung einer anschwellen den Informationsflut stehen, mit der sie dennoch möglichst effizient umgehen müssen. Dies betrifft neben dem Bereich strafprozes sualer Ermittlungen auch das Feld der operativen Bewältigung von Einsatzlagen, mithin die Gefahrenabwehr. Konnte etwa die Polizei ihre Aufgaben über lange Zeit mit Stift und Notizblock, diversen Formularen, Handakten und „Lichtbildmappen“ bewältigen, so schreitet die Datafizierung ehemals analoger beziehungsweise dinglicher Tätigkeiten unaufhaltsam voran.

Algorithmen und (teil-)automatisierte Auswerte- und Ermittlungs prozesse bilden zunehmend die Grundlage sowohl von hochspe

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► Dr. iur. Martin Thüne M.A., Dozent und Beauftragter für Forschung bei der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei Polizistinnen und Polizisten müssen in Ermittlungsverfahren immer größere Datenmengen auswerten. Das geht oftmals nur noch durch technische Unterstützung, etwa den Einsatz von Algorithmen. Foto: © Blue Planet Studio, stock.adobe.com
„Algorithmic Policing“ – wie Polizeiorganisationen algorithmische Innovationen beeinflusst werden

Polizeiorganisationen durch werden

zialisierter, aber auch „ganz gewöhnlicher“ Polizeiarbeit. Allerdings wandeln sich dabei nicht nur die genutzten Medien und Instrumente („aus analog mach digital“), sondern auch Organisationsstruktu ren, Abläufe, Berufsbilder und vieles andere mehr werden teils erheblich angepasst. Man spricht in diesem Zusammenhang von komplexen soziotechnischen Transformationsprozessen.

Möglichkeitsraum für bessere Polizeiarbeit?

Wie sich beispielsweise an den mehrjährigen und mitunter wechsel vollen Erfahrungen rund um die Thematik Predictive Policing oder am zunehmenden KI-Einsatz im Rahmen von Ton-, Bild- und Video analysen zeigt, resultieren aus primär technischen Innovationen mannigfaltige Veränderungsprozesse, die eine Organisationskultur im Ganzen tangieren – positiv wie negativ. Demzufolge kann die ernsthafte Auseinandersetzung mit algorith menbasierten Techniken Innovationspotenziale für Polizei- und sonstige Sicherheitsbehörden bereithalten. Bei abstrahierter Betrachtung lassen sich „direkte“ und „indirekte“ Potenziale unter scheiden. Als direkt werden hier solche Potenziale bezeichnet, die auf den ersten Blick sichtbar sind und die unmittelbar aus dem Einsatz entsprechender Anwendungen resultieren, etwa

• Arbeitserleichterung beziehungsweise -ermöglichung in diversen Einsatz- und Ermittlungskontexten (Umgang mit exorbitanten Datenmengen und/oder psychisch belastendem Material; Reduzierung spezifischer Gefährdungen in operativen Ein satzsituationen),

• Einsparung personeller und materieller Ressourcen in be stimmten Bereichen; zugleich werden teils neue Ressourcen benötigt (Computer-, Speicher- und Netzwerktechnik, IT-Fach kräfte, Datenanalysten),

• Gewährleistung der (gegebenenfalls verbesserten) Erfüllung gesetzlicher Aufgaben,

• im Ergebnis: Erhalt beziehungsweise Steigerung des Vertrauens in die Arbeit von Sicherheitsbehörden.

Daneben lassen sich indirekte Potenziale identifizieren, also solche, die sich womöglich nicht sofort erschließen, die aber mit algorithmenbasierter Polizeiarbeit mittelbar verbunden sind. Dazu gehören unter anderem:

• Förderung technischer Innovationen, die einmal umgesetzt auch für andere Arbeitskontexte hilfreich sein können (ertüchtigte IT-Infrastruktur, vorhandene Mobile Devices etc.),

• Aufbau eigener Forschungs- und Entwicklungskompetenzen,

• Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Theorien, Studien ergebnissen und Ähnlichem und somit gegebenenfalls Stärkung von evidenzbasierter Polizeiarbeit,

• Notwendigkeit der (frühzeitigen) Auseinandersetzung mit relevanten und in Teilen strittigen Fragen in den Bereichen Datenschutz, Grundrechtsberührungen, Rechtsgrundlagen, Ethik, Sicherheitsgefühl der Bevölkerung etc.

Forschen und proaktiv kommunizieren

In der Gesamtbetrachtung lohnt es demnach, wenn Sicherheits behörden die Entwicklungsprozesse im Bereich daten- beziehungs weise algorithmengetriebener Ansätze sowie insbesondere im Feld der KI aufmerksam verfolgen. Allerdings sollten sie dabei nicht in die passive Rolle außenstehender Betrachterinnen und Betrachter geraten beziehungsweise sich darauf zurückziehen, bei Bedarf externe Anwendungen einzukaufen. In diesem Fall besteht u. a. die Gefahr, mit zumeist nicht unerheblichem Mitteleinsatz (vermeintliche) Lösungen zu beschaffen, ohne deren konkrete Funktionsweise nachvollziehen zu können.

Gerade in einem Themenfeld, das durch die Öffentlichkeit zu Recht kritisch beäugt wird und in dem Transparenz ein hohes Gut darstellt, ist ein solches Vorgehen mit Risiken und Neben wirkungen behaftet. Im Umkehrschluss erscheint es vielmehr zielführend, zum einen eigene Kompetenzen und (Forschungs-) Strukturen aufzubauen und zum anderen über jedwede Projekte im Bereich „Algorithmic Policing“ proaktiv sowie öffentlich zu in formieren. Erst damit versetzen sich Sicherheitsbehörden selbst in die Lage, Prozesse aktiv mitzugestalten, organisationsexterne und -interne Friktionen von vornherein mitzudenken und nicht zuletzt vollumfänglich auskunftsfähig zu sein.

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Dr. iur. Martin Thüne M.A. ist Dozent und Beauftragter für Forschung bei der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei.
Foto: privat
„Es erscheint zielführend, zum einen eigene Kompetenzen und (Forschungs-) Strukturen aufzubauen und zum anderen über jedwede Projekte im Bereich „Algorithmic Policing“ proaktiv sowie öffentlich zu informieren.“

Die Corona-Pandemie als Treiber der digitalen Lehre

Es war der 27. Januar 2020 — der Tag, an dem das Corona-Virus zum ersten Mal in Deutschland gemeldet wurde. Was erst noch als weit entferntes Problem wahrgenommen wurde, entwickelte sich zur größten globalen Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Die Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg stand wie andere Bildungseinrichtungen vor der Herausforderung, Lehrveranstal tungen neu zu denken. Und so wurden innerhalb weniger Tage Videokonferenzsysteme eingeführt, um die Lehre sicherzustellen und zu gewährleisten. Das Ziel: eine funktionierende Polizei im Land Brandenburg zu garantieren.

Bereits 2010 entwarf die Hochschule ein Konzeptpapier zum Blended-Learning. Im Zuge dessen wurde die Moodle-Plattform Poleon („Polizei lernt online“) eingeführt. Nichtsdestotrotz ent wickelte sich die digitale Lehre aber zunächst nur wenig weiter. Und so bedeutete das digitale Lehrformat, das zuvor eher ein Schattendasein fristete, zu Zeiten von Corona vor allem eines: die Rettung. „Wir hätten im März 2020 Ausbildung und Studium einstellen müssen. Es hätte keine Absolventen gegeben, auf die die Behörde draußen wartet – händeringend. Das wäre eine Ka tastrophe gewesen“, fasst der IT-Projektmanager Marcel Kaber die besondere Bedeutung der Online-Lehre zusammen.

Not macht erfinderisch, könnte man meinen. Und so machten die Lehrkräfte der Hochschule aus der Not eine Tugend: sie überlegten sich kreative Methoden, um ihr Wissen online zu vermitteln. Candy Braun, Lehrkraft für Verkehrslehre, hatte da

bei das Glück, dass er bereits vor Corona gemeinsam mit dem Medienzentrum der Hochschule eine digitale Lernanwendung im Bereich der Unfallvermessung entwickelte. Die Intention? Diese sei pragmatischer Natur gewesen, so Braun: „Die der Unfallver messung zugrundeliegenden Messverfahren sind über die Jahre hinweg gleich geblieben und werden auch noch in den nächsten Jahren Bestand haben.“

Die interaktive Lernanwendung wartet mit animierten Grafiken und Erklärvideos zur Unfallvermessung auf. Mit Elementen wie der Zuordnung von Schlüsselbegriffen in einen Lückentext per Mausklick werden der theoretische Input aufgelockert und das Wissen überprüft. Für richtige Antworten werden zur Motivations steigerung Sterne gesammelt. Und so wird der Theorieunterricht vor der praktischen Übung im Verkehrsgarten vollständig durch eine digitale Anwendung ersetzt.

Edukative Rollenspiele genutzt

Mit spielerischen Elementen zu arbeiten oder in die Lehre edukative Rollenspiele (eduRPGs) zu integrieren, stellt bei Prof. Dr. Frank Robertz, Professor für Kriminologie und Sozialwissenschaften, ein charakteristisches Element seiner Lehre dar. Bei den eduRPGs handelt es sich um eine Untergruppe des Game-based-Learnings: Einen Lehransatz zur Wissensvermittlung unter Zuhilfenahme eines Spiels. Hintergrund zur Nutzung dieses Ansatzes waren für

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Die Corona-Pandemie
hat
dazu
geführt,
dass die polizeiliche Aus- und Fortbildung sehr schnell grundlegend umgestellt werden musste. Vieles wurde ins Digitale

Robertz Überlegungen, wie die Motivation seiner Studierenden und ihre Fähigkeit zum kritischen Denken gesteigert werden könnten. Er entdeckte, dass eduRPG-Methoden großes Potenzial haben, diesen Zielen näherzukommen.

In den Spielen schlüpfen die Teilnehmenden in auswählbare Charaktere, durchleben eine interaktive Handlung und treffen Ent scheidungen, die sich auf ihre Umwelt, ihr fiktives Spielszenario, auswirken. Dadurch kommen die Teilnehmenden zwangsläufig in den Modus, kritisch zu denken.

Ermutigung zum selbstständigen Lernen

Robertz orientiert sich dabei u. a. an Spielmechaniken verschie dener Erzählspiele, reduziert deren Komplexität und entwirft im digitalen Unterricht sogar ein gänzlich neues Spielsystem. Als Anknüpfungspunkt dient der „Robin-Hood-Mythos“. Die Anwär terinnen und Anwärter werden als Gruppe rund um Robin Hood ins mittelalterliche Nottingham zurückgeschickt. Alle sehen sich gegenseitig per Kamera im virtuellen Raum. Zur Veranschaulichung des Spiels dient eine von Robertz erstellte Karte Nottinghams. Und so entscheidet ein Würfelwurf darüber, ob eine vorgenommene Handlung funktioniert wie geplant oder nicht, während Robertz die Rolle des Moderators einnimmt.

Die im Spiel gewonnenen Erlebnisse und die Art und Weise, wie was umgesetzt wird, sind Grundlage und Anknüpfungspunkt für Diskussionen. Welche Normen spielten im Geschehen eine Rolle, warum wurden sie gebrochen, welche Reaktion erfolgte darauf?

Wie wurden diese Normen gesetzt, wie durchgesetzt? Was genau ist ein Verbrechen und wie wird versucht, es zu kontrollieren?

Das Bild der Lehrkraft, welche ausschließlich frontal Wissen ver mittelt, scheint an diesen Stellen zu verblassen. Die Anwärterinnen und Anwärter werden zum selbstständigen Lernen ermutigt. An den Rückmeldungen zeigt sich: Das kommt gut an. Auch über Corona hinaus will Robertz seine eduRPG-Methoden digital durchführen. Hintergrund ist auch die Effizienz des virtuellen Raumes. Sei es beim Einholen von Meinungsbildern, dem Bilden von Diskussions räumen oder der schnellen Nachricht im Chat nebenbei.

Nicht alles kann ins Digitale verlegt werden

Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen nehmen auch die Präsenz-Veranstaltungen an der Hochschule wieder zu. Es stellt sich die Frage, welchen Platz das Format der digitalen Lehre zu künftig an der Hochschule haben wird.

Zunächst ist eindeutig, dass die Hochschule der Polizei immer eine Präsenzhochschule sein wird. Geschuldet ist dies Inhalten wie dem Einsatztraining, die zwingend Präsenz erfordern, aber vor allem der Notwendigkeit, dass sich die Anwärterinnen und Anwärter innerhalb der Polizei sozialisieren müssen. Wie kommu niziert man innerhalb der Institution? Wie sind die Wege? All dies sind Sozialisierungsmuster, die nur in Präsenz konkret erfahrbar und erlernbar sind.

Im virtuellen Raum fehlen zumeist Pausengespräche zwischen den Anwärterinnen und Anwärtern sowie vor allem auch mit den Dozierenden. Diese werden vorrangig als Lehrkraft oder Prüfende kennengelernt, aber weniger als Kollege und Mensch. Anders als an zivilen Hochschulen geht nach dem Abschluss nicht jeder seiner Wege. Aus Anwärterinnen und Anwärtern werden Kolleginnen und Kollegen. Dies kann nur in Präsenz gelingen.

Florian Däumler ist Sachbearbeiter im Masterstudiengang Kriminalistik der Hochschule der Polizei des Landes Branden burg und hat, bevor er an die Hochschule der Polizei kam, an der Universität in Rostock „Good Governance – Wirtschaft, Gesellschaft, Recht“ (LL.B.) studiert.

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Foto: Sandra Pieper
„Und so machten die Lehrkräfte der Hochschule aus der Not eine Tugend: Sie überlegten sich kreative Methoden, um ihr Wissen online zu vermitteln.“ verlegt. Und das wird auch nicht wieder abnehmen. Foto:
©greenbutterfly, stock.adobe.com

Innovation Hub für die Polizei Niedersachsen

„Innovation

Hub“ nennt sich das gemeinsame Team aus Polizeiund IT-Fachkräften, das künftig IT-Lösungen für die Polizei Niedersachsen entwickeln wird. Die Polizei erhofft sich einen Katalysator für innovative Ideen. Eine ähnliche Einrichtung gibt es auch schon seit rund zwei Jahren in Hessen.

„Das Innovation Hub ist ein echter X-Faktor für die Entwicklung digitaler Lösung innerhalb der Polizei“, kommentiert der nieder sächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). Der Hub habe zum Start 15 IT-Expertinnen und -Experten. Sie arbeiteten mit Polizistinnen und Polizisten zusammen. „Dazu kommt Expertise aus verschiedenen IT-Bereichen außerhalb der Polizei“, ergänzt der Minister. Denn die Verknüpfung der Polizei mit bundes weiten Technologiepartnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung ist ein Schwerpunkt des Innovation Hubs. „Das ist eine modern arbeitende Ideenschmiede“, betont Pistorius, „die vielversprechende Innovationsansätze auf einem für die Polizei

alternativen Weg in die Organisation einbringt.“ Es geht also um eine Neuaufstellung der Technologieentwicklung. Der Fokus liege auf anwenderorientierten IT-Lösungen für die Polizei Niedersach sen, betont der Minister.

Anwenderorientiert wie die Virtual-Reality-Brillen zur Tatortbege hung, die der Ressortchef ebenfalls an die Polizei Niedersachsen übergeben hat. Das Tatortdokumentationssystem „Pixplorer“ nimmt den Tatort auf. Wenn die Aufnahmen mit einer Bearbeitungs- und Darstellungssoftware nachbearbeitet werden, kann sich eine Polizeikraft virtuell am Tatort bewegen und Spuren und Asservate visuell verknüpfen. „Mit der flächendeckenden Einführung des „Pixplorer“ rüsten wir alle 28 Fachkommissariate Forensik ziel gerichtet auf“, sagt der Innenminister. Die Beweisführung solle dadurch einfacher, besser und sichererer werden. Demnächst solle die Technologie dahingehend weiterentwickelt werden, dass Unfallstellen damit rekonstruiert werden können.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt

Smartphones für alle Polizisten bis 2023 hat das Land Sach sen-Anhalt angekündigt. Andere Bundesländer wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder das Saarland sind ebenfalls dabei, die Ausrüstung ihrer Polizeikräfte zu modernisieren. Auch das Bundesinnenministerium (BMI) will ab dem kommenden Jahr die Breitbandkommunikation für Polizei- und Rettungskräfte ausbauen. Es gibt viele Initiativen, die Digitalisierung im Sicher heitsbereich voranzutreiben.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, zu handeln. Die notwendige Infrastruktur, das sind vor allem flächendeckende, resiliente Mobilfunknetze, ist vorhanden und wird zügig mit der jeweils modernsten Technologie, wie beispielsweise 5G, aufgerüstet. Zudem eröffnet das ultraschnelle 5G-Netz der Verwaltung sowie dem Sicherheitssektor eine neue digitale Dimension.

Besonderer Vorteil: Beim sogenannten Network Slicing lassen sich innerhalb des 5G-Netzes eigenständige virtuelle Netze konfigurieren, die exakt auf die besonderen Anforderungen bei spielsweise der Polizei zugeschnitten sind. O2 Telefónica sowie andere Telekommunikationsanbieter sind dabei, 5G flächen deckend auszubauen. Netze und mobile Endgeräte sind aber letztlich nur die Grundausstattung, um digitale Anwendungen überhaupt nutzen zu können. Innovative Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI) zur Fahndungsunterstützung oder zur Auswertung digitaler Beweismittel, können den Sicherheits

behörden bei ihrer täglichen Arbeit wirkungsvoll helfen.

Keine Insellösungen

Für die Entwicklung solcher Anwendungen hat sich die partner schaftliche Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure bewährt. Beim Forschungsprojekt „Rettungskette 5G“ im Rahmen des 5G-Innovationsprogramms des Bundesministeriums für Digi tales und Verkehr (BMDV) soll beispielsweise der Einsatz von Augmented-Reality-Datenbrillen und Untersuchungsrobotern in Rettungswagen getestet werden. O2 Telefónica stellt im Testgebiet das erforderliche 5G-Netz zur Verfügung.

Erfolgreiche digitale Lösungen haben eines gemeinsam: Es handelt sich nicht um Insellösungen, die nur von einzelnen Gruppen oder in bestimmten Regionen genutzt werden können, vielmehr lassen sie sich beliebig ausbreiten, erweitern und, wenn nötig, auch spezifizieren. Voraussetzung dafür ist eine enge Zu sammenarbeit – sowohl innerhalb des öffentlichen Sektors als auch mit kompetenten Kooperationspartnern.

Pia von Houwald ist Director B2P Digital Processes & Services bei Telefónica Deutschland.

Foto: Telefónica Deutschland

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„Handyblitzer“ in Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist seit Kurzem ein sogenannter „Handyblitzer“ im Einsatz. Dieser werde auf einer erhöhten Position über der Fahrbahn, etwa auf einer Brücke, aufgebaut. Anschließend erfolge eine Echtzeitüberwachung und -übertragung des Verkehrsgesche hens. Ebenfalls finde eine Kennzeichendetektion statt, um u. a. Doppelerfassungen zu verhindern.

Das berichtete Marco Schäler, Geschäftsführer der Verkehrskom mission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Die Technik suche mithilfe einer Mustererkennung, also durch eine Künstliche Intelligenz (KI), nach einem Mobiltelefon. Das aufgenommene Bild werde dann manuell durch Polizeibeamtinnen und -beamte überprüft. Dabei werde u. a. geschaut, ob tatsächlich ein Handy verstoß vorliegt. Falsch-positive Aufnahmen werden unmittelbar an der Kontrollstelle gelöscht, Treffer hingegen gespeichert und an die zuständigen Bußgeldstellen weitergeleitet.

Derzeit erfolge der Betrieb der „Handyblitzer“ noch mit Berufung auf die polizeiliche Generalklausel. Das hält Schäler für unzurei chend. Aus seiner Sicht brauche es hier eine spezialgesetzliche Regelung in den jeweiligen Polizeigesetzen. Momentan könne die Technik, die weder dem Eich- noch dem Messrecht unterliege, da keine relevanten Messgrößen generiert würden, nur maximal zwei Fahrspuren in einer Richtung auswerten. Zudem würden derzeit nur Mobiltelefone und Tablets von der KI erkannt. Und es seien nur Frontaufnahmen möglich. Dadurch fielen Fahrzeuge,

die nur über hintere Kennzeichen verfügten (z. B. Motorräder) noch durch das Raster. Schäler zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass sich die Technik noch verbessern und weiterentwickeln werde. Seiner Meinung nach ergänzt sie die klassische Verkehrsüberwachung sinnvoll.

Kooperation zwischen Innenministerium und dem Institut für IT-Sicherheit

DasInnenministerium Schleswig-Holsteins und das Institut für IT-Sicherheit (ITS) haben angekündigt, in Zukunft im Bereich der Aus- und Fortbildung von IT-Spezialistinnen und -Spezialisten in der Landespolizei zu kooperieren. Gegenstand dieser Zusam menarbeit sind Aus- und Fortbildungsformate und die Bekämpfung sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Das an die Universität Lübeck angegliederte ITS bündelt Expertise in den Themenschwerpunkten Systemsicherheit, Schwachstellen analyse, Kryptografie und Computer-Forensik. Es bietet fortan Lehr- und Fortbildungsangebote für Angestellte sowie Beamte und Beamtinnen der Landespolizei. Im Speziellen sollen Lehr veranstaltungen zu polizeilichen Cyber-Sicherheitsthemen, die Konzipierung von spezifischen Aus- und Fortbildungsformaten und gemeinsame Workshops zu praxisorientierten Problemstellungen die Kooperation prägen.

Die Staatsekretärin im Kieler Innenministerium, Magdalena Finke, begrüßt die Zusammenarbeit: „Bei Ermittlungen im digitalen Raum, der Auswertung von Datenträgern und in Fragen von Netzwerk sicherheit will die Landespolizei nicht nur externe Expertinnen und Experten gewinnen, sondern auch bereits in digitalen Arbeitsfeldern eingesetzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landespolizei durch Zugang zu aktuellen Entwicklungen in Forschung und Tech nik fortbilden.“ Doch auch für die Studierenden der Universität Lübeck soll die Zusammenarbeit von Vorteil sein. So verspricht sich Institutsdirektor Prof. Dr. Thomas Eisenbarth einen Einblick in die operative Polizeiarbeit. Diese eröffne den Studierenden auch eine potenzielle Berufsperspektive. Der am ITS lehrende Prof. Dr. Esfandiar Mohammadi hofft, durch die Zusammenarbeit aktuelle Entwicklungen in Forschung und Technik ins tägliche operative Geschäft der Polizei einbringen zu können.

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Stellte „Handyblitzer“ vor: Marco Schäler von der Verkehrskommission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Foto: Feldmann

Digitale Forensik in der modernen Polizei

Vor 20 Jahren sprach noch niemand von der „digitalen Foren sik“. Heute hat sie sich von einer Nischenwissenschaft zum integralen Bestandteil moderner Polizei(arbeit) entwickelt und ist aus der Praxis kaum mehr wegzudenken. Die Gegenwart kennt praktisch keinen Sachverhalt mehr, in dem digitale Beweismittel keine Rolle spielen. Es dürfte also der richtige Zeitpunkt sein, auf Basis des Status quo die aktuellen Herangehensweisen und Strategien zu hinterfragen und die Herausforderungen für die Zukunft zu identifizieren.

Anfangs war die digitalforensische Sicht auf die Welt einfach: es gab die Mobilfunkforensik und die PC-Forensik. Die einen kümmerten sich um „Telefone“, die anderen um „Computer“. Mit der Zeit kamen weitere Fachbereiche hinzu, die jeweils eigene Methoden und Techniken entwickelten: die Multimediaforensik für Mediendaten, die Netzwerkforensik für Datenübertragungen; Sprach- und Textforensik kümmern sich um geschriebene oder gesprochene sprachliche Inhalte und deren Verarbeitung im fo rensischen Workflow: Verschriftung von gesprochenen Inhalten,

semantische Erfassung der Inhalte im Kontext des jeweiligen Sachverhalts und schließlich die korrekte automatische Über setzung fremdsprachlicher Texte.

Die zunehmende Ausstattung von Fahrzeugen mit Datenverarbei tungssystemen brachte die Kfz-Forensik hervor. Um den ständig steigenden Anteil verschlüsselter Inhalte kümmern sich Fachleute für Kryptoanalyse. „Ständig steigend“ sind auch die in der Praxis festgestellten Speichergrößen, was eigene Herausforderungen im Kontext von Sicherung und Auswertung von Daten schafft. In dem Zusammenhang sollte man auch „die Cloud“ nicht vergessen, die aberwitzige Datenmengen bietet und immer mehr Funktionalitäten von den Endgeräten übernimmt.

Starke thematische Fragmentierung

Die Welt der digitalen Forensik ist mittlerweile, bedingt durch fach lich erforderliche Spezialisierungen, thematisch stark fragmentiert. Jeder Bereich hat hochspezialisierte Fachleute mit sehr speziellen

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Digitale Forensik ist für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) heutzutage unerlässlich. Foto: © Who is Danny, stock.adobe.com

Methoden, Werkzeugen und Datenformaten hervorgebracht. Niemand beherrscht in der Forensik mehr alle Aspekte.

Die Anzahl der Spezialgebiete wächst, gleichzeitig verwischen die Grenzen in der Praxis: Android und iOS steuern wichtige Funktio nen in Auto und Haus, Hersteller entwickeln Mobilfunkgeräte und klassische Computertechnik auf einer gemeinsamen Hard- und Softwareplattform. Back-ups von Mobiltelefonen finden sich auf herkömmlichen Computern und müssen erkannt und interpretiert werden.

Nicht nur die Technik schafft Herausforderungen, auch die Anwender. Ein Beispiel sind un scharfe Mediengrenzen in der Kommunikation: Man schreibt sich nicht mehr „nur“ Textnach richten oder verschickt Bilder, sondern kommuniziert per Sprachnachricht und Videobotschaft. Am Ende liegen alle Daten unsortiert auf einem Gerät und können potenziell relevante Infor mationen enthalten – mit völlig unterschiedlichen Anforderungen an forensische Workflows.

Zwei große Bereiche

Betrachtet man das Gesamtbild mit gebotener Distanz, so identi fiziert man zwei große Bereiche mit ihren spezifischen Heraus forderungen: die Sicherung der Daten und deren Auswertung. Schon der erste Schritt wird dem Forensiker zunehmend er schwert: Vollverschlüsselte Daten ohne definierte Schnittstellen zur Außenwelt verhindern in vielen Fällen eine unkomplizierte Sicherung der Daten. Verschlüsselungstechniken, die Hard- und Software funktional verschmelzen (z. B. durch Ablage der eigent lich wichtigen Informationen in besonders gesicherten Hardware bausteinen) machen den Forensikern das Leben schwer. Und im Gegensatz zu früher, als Verschlüsselung noch dem Militär und den Nachrichtendiensten vorbehalten war, sind verschlüsselte Daten heute omnipräsent auf allen Endgeräten. Sofern das technisch überhaupt möglich ist, hat die Forensik diese Themen ziemlich gut im Griff: Gesichert wird, was technisch geht. Die (immer wichtigere) Frage an dieser Stelle: Müssen denn tatsächlich alle Daten gesichert werden oder gibt es zuverlässige Methoden zur Triage, um die ständig steigende Datenmenge schon im Sicherungsprozess auf ihre „Essenz“ zu reduzieren, also die Daten, die zumindest potenziell Bedeutung für das Verfahren haben? Smartphones mit Speichergrößen im Terrabyte-Bereich machen nachdenklich. „Alles sichern, dann filtern“ scheint sich immer stärker als Auslaufmodell zu erweisen. Wichtig dabei: Kei

nesfalls dürfen relevante Daten übersehen werden. Das könnte — je nach Kontext — katastrophal sein.

Faktor Zeit wird immer wichtiger

Im nächsten Schritt müssen die gesicherten Daten ausgewertet werden, also diejenigen Inhalte identifiziert und beweiskräftig dokumentiert werden, die für das jeweilige Verfahren von Be deutung sind. Auch hier spielt der Faktor „Zeit“ eine immer größere Rolle: (Straf-)prozessuale und reale Fristen und Einflüsse geben den Takt vor. Grundsätzlich gilt: je kleiner die auszuwertenden Datenmengen sind, desto schnel ler können die Daten aufbereitet und im Hinblick auf ihre Relevanz bewertet werden. Große Datenmengen verstopfen begrenzte Aufbereitungsressourcen. Zweifelsfrei ein Punkt, der für eine intelligente Reduktion der Daten schon bei der Sicherung spricht.

Die Auswertung der Daten ist nicht minder herausfordernd: die aufbereiteten Inhalte aus den unterschiedlichsten Quellen (Kfz, Smartphone, PC, Cloud-Speicher, …) müssen so zusammengeführt werden, dass der Sachbearbeiter – bei dem es sich nicht zwingend um einen technischen Experten handelt – die für ihn relevanten Daten erkennen und anschließend forensisch sauber extrahieren und in die Gerichtsakte einbringen kann.

Auch personell muss man weiterdenken: Die Sicherung erfordert in vielen Fällen hochspezialisierte Fachleute, die aber Fallwissen brauchen. Die Auswertung der Daten verlangt nach Allroundern, die Ermittlungen verstehen, technisch sehr breit aufgestellt sind und Daten aus unterschiedlichsten Datenquellen und -formaten fallbezogen zusammenführen können. Mit Technik allein ist das nicht zu lösen, gute Ergebnisse hängen an der Kompetenz der Beschäftigten. Es wird auch in Zukunft keine Software geben, die den Täter auf Knopfdruck identifiziert.

Zusammenfassend bleibt also auch in Zukunft noch viel zu tun und bestehende Konzepte müssen auf Basis aktueller Entwicklungen regelmäßig überdacht und hinterfragt werden.

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Heiko Rittelmeier ist Referatsleiter für digitale Forensik bei der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS).
Foto:
„Es wird auch in Zukunft keine Software geben, die den Täter auf Knopfdruck identifiziert.“

Polizeiliche Prozessautomatisierung – wenn Massenvorgänge auf Personalengpässe treffen

Folgt man der medialen Berichterstattung über die polizeiliche Arbeit, so sind es überwiegend langjährige und komplexe Ermittlungsverfahren, die es in die Schlagzeilen oder Kriminalromane und somit in das Bewusstsein der Bevölkerung schaffen. Zwar sind diese arbeitsintensiven Groß verfahren von enormer Bedeutung, jedoch engt ihre Fokussierung den Blick auf das Gesamtbild des polizeilichen Aufgabenaufkommens ein. Schließ lich handelt es sich bei der Mehrheit der polizeili chen Vorgänge um einfach gelagerte Sachverhalte, Verkehrsdelikte, Ordnungswidrigkeiten und sonstige Vorgänge, die eine von der Aufnahme bis zum Abschluss weitestgehend standardisierbare Bearbeitung durchlaufen.

Mit Blick auf alle von der Polizei zu bearbeitenden Vorgänge ist es somit überwiegend nicht die Komplexität der Ermittlungs tätigkeit, sondern die nach wie vor weitestgehend manuelle Bearbeitung der Masse an einfach gelagerten Sachverhalten, die die Polizei vor erhebliche Herausforderungen stellt. Die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich von Cyber Crime im weiteren Sinne (CCiwS) zeigt, dass es sich derzeit erst um den Anfang einer sich in den kommenden Jahren zuspitzenden Situation handelt.

Im Schaubild werden die Fallzahlen der Polizeilichen Kriminal statistik (PKS) den erfassten Fällen mit dem Tatmittel Internet (CCiwS) gegenübergestellt. Die Gesamtzahl aller erfassten Fälle nahm in den vergangen fünf Jahren zwar leicht ab, jedoch stieg die Zahl der erfassten Fälle mit dem Tatmittel Internet jährlich deutlich an, im letzten Jahr 2021 um über 60.000 Fälle. Unter der Annahme eines stetigen Anstiegs der Fallzahlen wird die Ent wicklung bis zum Jahr 2030 dargestellt. Zwar sind die Faktoren für Zu- und Abnahmen von Fallzahlen in der PKS vielschichtig, allerdings verdeutlicht die prognostizierte Entwicklung der CCiwS eindringlich, dass die polizeiliche Vorgangssachbearbeitung in den kommenden Jahren durch die mit der Digitalisierung der Kriminalität einhergehenden Fallzahlen vor gewaltige Heraus forderungen gestellt werden wird.

Automatisierung hat strategische Bedeutung

Um mit diesen aufgezeigten Entwicklungen Schritt halten zu können, ist die Automatisierung von polizeilichen Arbeitsabläufen von strategischer Bedeutung. Diese liegt insbesondere darin begründet, dass von ihr — im Gegensatz zum Mehrwert von Spe zialanwendungen für einen eingeschränkten Expertenkreis — die breite Masse der polizeilichen Sachbearbeiter profitiert. Durch die Automatisierung einzelner Schritte bei einfach gelagerten

Delikten wie vielen der CCiwS, die sich jedoch in nahezu allen zu bearbeitenden Vorgängen gleichen, lässt sich ein erheblicher qualitativer und quantitativer Nutzen erzielen.

Qualitativer und quantitativer Nutzen

Der qualitative Nutzen der Prozessautomatisierungen lässt sich unter der Verbesserung der Prozessqualität zusammenfassen. Dies bedeutet, dass sich die Einheitlichkeit, Vollständigkeit und Vergleichbarkeit der Sachbearbeitungsabläufe erheblich ver bessern lässt und auch Change-Prozesse unterstützt werden beziehungsweise sich in manchen Fällen auf die Anpassung der automatisierten Abläufe beschränken lassen. Hierbei gilt es zu beachten, die persönliche Verantwortung der Polizeibeamten nicht zu unterlaufen, indem die Ergebnisse der automatisiert ablaufenden Schritte durch den Anwender verifiziert werden können. Der quantitative Nutzen ergibt sich insbesondere aus der Freisetzung von personellen Ressourcen, die derzeit noch durch eine in vielen Teilen manuelle Vorgangssachbearbeitung gebunden werden. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die polizeilichen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, denen in vielen Fällen eine hohe zweistellige Anzahl an Vorgängen zugewiesen ist, auf den Kern ihrer Vorgangsbearbeitung kon zentrieren können. Prozessautomation bedeutet, viele kleine, „einfache“ Aufgaben der Sachbearbeitung durch Automatismen zu unterstützen. Durch die Nutzung von Bilderkennung, Entity Extraction, Robotic Automation und Automatic Text Generation können die Arbeitsschritte der Datenerfassung, Datenanrei cherung und Prozesssteuerung auf die Computer verlagert und Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte entlastet werden.

Sie möchten mehr über Prozessautomatisierung in der polizeilichen Praxis erfahren? Kontaktieren Sie unsere Experten und vereinbaren Sie einen Termin!

*Christian Waldtmann ist Delivery Lead Civil Security Authorities Germany bei Atos.

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Echtzahlen bis 2021; ab 2021 geschätzte Verläufe Grafik: Atos 0 2.000.000 4.000.000 6.000.000 8.000.000 10.000.000 12.000.000 1234567891011121314 ErfassteFällemitTatmittelInternet(konservativErfassteFällemitTatmittelInternet(progressiv)ErfassteFälleGesamt(progressiv)ErfassteFälleGesamt(konservativ

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Forensikschulungen: In unserer Forensikschulung wird durch Live-Demonstrationen und Fallbeispiel-Diskussionen Wissen vermittelt, auf welche Weise und mit welcher Motivation Angreifer in eine IT-Umgebung eindringen.

Kontakt: Für alle Ihre Fragen zu unserem Schulungsangebot steht Ihnen Ihr persönlicher Ansprechpartner Maik Hofmann gerne zur Verfügung. Sie erreichen ihn telefonisch unter +49 (0) 30 55 74 12 58 oder per Mail: maik.hofmann@cyber-akademie.de www.cyber-akademie.de

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