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Thesen-Anschlag

14 Thesen wurden zum Reformationstag an die Türen von Landtag, Rathaus und Ministerien »angeschlagen«. Das Bündnis »Wohnen ist Recht« will damit den Diskurs ums sozial- und ordnungspolitische Thema Nummer 1 in Hannover und Niedersachsen beleben. Denn Debatten sind dringend. Lösungen auch.

Wohnen ist Recht.

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Die Wohnform bleibt jedem selbst überlassen, die Menschenwürde verwirklicht sich im freien Willen.

Wohnen ist mehr als ein Dach überm Kopf.

Jeder Mensch braucht einen sicheren (Rückzugs-) Ort.

Massenunterkünfte, sowie die derzeitigen Standards der Unterbringung sind nicht mit der Würde des Menschen vereinbar.

Wohnungslosigkeit zu verhindern ist günstiger, als Wohnungslosigkeit zu verwalten.

Eigener Wohnraum rettet Leben.

Wohnen entlastet das Gesundheitssystem.

Wohnraum für alle ist eine Form der Gleichberechtigung.

Die Unverletzlichkeit der Wohnung (gemäß Art. 13 GG) kann nur durch Wohnraum realisiert werden.

Wohnraum darf kein Spekulationsobjekt sein.

Wohnen im Quartier stärkt das Gemeinwohl – Armut kann nicht Umsiedeln bedeuten.

Zwangsräumung berührt unmittelbar die Würde des Menschen. Zwangsräumung aufgrund von Armut oder finanzieller Not ist zu verhindern.

Jeder Mensch, unabhängig von dem Stand seiner Bildung, seiner beruflichen Qualifikation, seiner Arbeit oder Profession und unabhängig von seiner finanziellen Lage, kann von Wohnungsnot betroffen sein.

Foto: Sabine Dörfel ASPHALT 11/21

30 JAHRE DÜK

Er ist ein Ankerplatz für wohnungslose Menschen in Hannover. Der Tagestreff DüK feiert sein 30-jähriges Jubiläum. In der Lavesallee gestartet ist er seit einiger Zeit in der Berliner Allee untergebracht. Und sucht mehr Platz für Obdachlose. Für mehr ›einfach sein‹.

Noch ein paar Handtücher falten und in der großen Sporttasche verstauen, dann ist Helmut P. mit der Wäsche fertig. Jetzt rüber in den Aufenthaltsraum, wo es einen Kaffee gibt und eine angefangene Partie Backgammon wartet. Helmut P. gehört zum Urgestein des DüK, dem Tagestreff für Wohnungslose an der Berliner Allee. »Ich kenne das DüK seit knapp 30 Jahren«, erzählt der 57Jährige. »Für mich und viele, die hierherkommen, ist das wie ein Anker in unserem Leben.« DüK ist die Abkürzung für »Dach über‘m Kopf«, eine Einrichtung des Diakonischen Werkes Hannover (DW), die jetzt ihr 30jähriges Jubiläum feiert. »Menschen, die keine Wohnung haben, sollen hier tagsüber Schutz finden und etwas häuslichen Alltag leben können«, erläutert Sozialarbeiter Nils Feuerbach. So wie Else, die gerade den Wäschetrockner mit Jacken und Hosen belädt, Norbert, der auf dem Weg zur Dusche ist oder Manuel, der seine Lebensmitteltüten in der Küche auspackt. »Das DüK ist wie eine große

Archivfoto: K. Powser Archivfoto: K. Powser

Vergangenheit: 2016 wurden dem DÜK die Räume in der Lavesstraße gekündigt.

»Wir bekommen hier die aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu spüren«, sagt Sozialarbeiter Nils Feuerbach. DüK-Gründer Walter Lampe im Gespräch mit den damaligen Obdachlosen Hartmut und Kurt bei der Eröffnungsfeier im Dezember 1991.

Foto: V. Macke Wohngemeinschaft«, sagt Feuerbach, der gemeinsam mit dem rund zehnköpfigen Team seit drei von den 30 Jahren für die Männer und Frauen von der Straße da ist. Von Montag bis Freitag, halb neun bis 14 Uhr, in der CoronaZeit bis 17 Uhr, ist der Tagestreff geöffnet. Rund 80 bis 90 Gäste, überwiegend Männer, besuchen ihn täglich, zurzeit finden wegen der CoronaVorschriften aber nur 20 Menschen Einlass. »Die meisten sind wohnungslos, es kommen aber auch Menschen, die zwar eine Unterkunft haben, aber an der Armutsgrenze leben«, erzählt Feuerbach. Waschmaschinen, Duschen, Telefon und Computer, Schließfächer, ein Aufenthaltsraum und eine Küche stehen im DüK zur Verfügung. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter unterstützen Ratsuchende individuell bei akuten Problemlagen. Einmal in der Woche wird gemeinsam gekocht, ab und zu stehen Ausflüge in den Zoo oder ins Museum auf dem Programm. Wie in jeder Wohngemeinschaft gibt es auch im DüK, das zur Zentralen Beratungsstelle des DW gehört, soziale Regeln: kein Alkohol oder Drogenkonsum, kein Glücksspiel und respektvoller Umgang miteinander.

»Das DüK bedeutet eine Auszeit von der Härte und Aggressivität der Straße«, sagt Helmut P. Heute wie damals. »Wir sind früher gleich im Anschluss, wenn der Mecki zugemacht hat, rüber ins DüK gewechselt«, erinnert sich auch Karin Powser, spätere AsphaltMitgründerin und seinerzeit fest in der Obdachlosenszene verankert. »Da war das DüK noch an der Lavesstraße am Rande des Warmbüchenviertels. Jeden zweiten Tag war ich bestimmt da, denn hier konnte man einfach sein«, erinnert sie sich. Auch an die Einweihung, damals im Dezember 1991, die mit einiger Hoffnung auf eine Lösung der enormen sozialen Schieflagen in Hannover begleitet worden war. 204 Quadratmeter in einer ehemaligen Werkstatt boten umfassende Hilfe für die, die nachts draußen schliefen, realisiert von anfangs drei Sozialarbeitern auf zweieinhalb Stellen. Und finanziert zu je einem Fünftel von Stadt und Land, Kirche, Arbeitsamt und Glücksspirale. »Der damalige Sozialdezernent Deufel fand das wohl überfällig und Superintendent Dannowski schwang ne Rede«, erinnert sich Powser. Und Diakoniepastor Walter Lampe prognostizierte schon damals gegen über der Neuen Presse: »Wohnungsnot wird in den nächsten Jahren der soziale Sprengstoff Nummer 1 sein. Schon heute findet auf den Straßen der Kampf ums Überleben statt.«

Tatsächlich wuchs die Zahl der Obdachlosen seitdem, und die Probleme auf den Straßen wurden diverser, psychisch auffälliger und weit internationaler. Zudem: Der Stress für Wohnungslose habe sich in der CoronaZeit nochmal weiter verstärkt, sagt Sozialarbeiter Feuerbach. Viele Einrichtungen und Ämter seien geschlossen gewesen, »für Wohnungslose gab es keinen Rückzug in die eigenen vier Wände«. Bis auf zwei Monate konnte das Team das DüK in der CoronaZeit offenhalten, wenn auch mit extrem reduzierten erlaubten Personenzahlen in den Räumen. Blickt der Sozialarbeiter auf die vergangenen Jahre zurück, »fällt auf, dass die Quote der Besucherinnen und Besucher mit einer psychischen Erkrankung höher geworden ist«. Zunehmend werde das DüK auch von Geflüchteten aufgesucht, die in Armut und Wohnungslosigkeit abgerutscht seien. »Wir bekommen hier die aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu spüren«, sagt Feuerbach. »Gäbe es genügend bezahlbaren Wohnraum für GeringverdienerInnen oder HartzIVBeziehende, wäre unsere Arbeit entschieden einfacher.« Entlastend sei, dass es ein gutes Hilfenetzwerk für Wohnungslose gebe, ergänzt er und verweist auf Einrichtungen wie gleich ums Eck der Tagestreff für Frauen Szenia oder den MeckiLaden in der Passerelle sowie die Krankenwohnung »KuRVE«. 2017 musste das DüK umziehen. Die Räume in der Lavesstraße wurden mit der Aufwertung des gesamten Viertels im Jahr 2016 gekündigt. Mehr als Übergang verstehen die MitarbeiterInnen des DüK ihr neues Domizil im ZBSHaus an der Berliner Allee seitdem. »Das DüK ist quasi der Durchgangsbereich zu allen anderen Einrichtungen des DW im Haus, das ist nicht so günstig«, sagt Feuerbachs Kollege Jona Riegelmann. Außerdem fehle ein eigener Außenbereich, die Szene steht deshalb oft vor dem Haus auf dem Geh und Radrad. »Entsprechend wird das DüK von der Nachbarschaft auch nicht so gut angenommen.« Gern hätte man jetzt das Jubiläum groß gefeiert, mit langjährigen UnterstützerInnen, ehemaligen KollegInnen und vor allem mit den Klienten, sagt Riegelmann. Doch Corona habe das leider verhindert. Und gern würde man in nicht allzu ferner Zukunft in eine noch bessere Bleibe ziehen. Unbedingt aber weiterhin im Viertel. Denn von der in der Politik viel beschworenen Dezentralisierung der Hilfeeinrichtungen hält man in DüKKreisen wenig. »Zukunftswünsche halt.« Wie auch mehr Einzelunterbringung, Sozialwohnungen sowie Investitionen in den Ausbau von Unterkünften. Sabine Dörfel/Volker Macke

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