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»Keinen kümmert es«

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Aus dem Leben

Aus dem Leben

Foto: Eierund/Heber

Was passiert, wenn obdachlose Personen sterben, die weder familiäre Bezüge noch ein großes Vermögen haben? Ein Einblick in den letzten Gang von Menschen, die vor ihrem Tod meist übersehen wurden.

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»Abschiede haben in Hinblick auf den Tod einen hohen Stellenwert. Sie sind ein Ritual, das Struktur und Sicherheit gibt«, betont Stadtsuperintendent Rainer MüllerBrandes die Bedeutung von Beerdigungen und Trauerfeiern. Dieser Abschied bleibt obdachlosen Personen in der Regel verwehrt – vielmehr kann er ein Luxus sein. Sterben obdachlose Personen, setzt das Ordnungsamt eine anonyme Bestattung an. Dazu ist die Kommune durch das Bundesseuchengesetz verpflichtet. »Die Beerdigung einer obdachlosen Person unterscheidet sich stark von der eines Menschen mit Angehörigen. Sie findet nicht statt«, so

»Viele Leute geben auf«, sagt Peter Neumann, der selbst wohnungslos ist.

Foto: Eierund/Heber

MüllerBrandes. Verstorbene obdachlose Menschen werden in Krematorien verbrannt und in Urnen beigesetzt. Konkret bedeute das: »Wenn eine gewisse Anzahl Urnen voll ist, dann werden sie anonym bestattet, ohne öffentlich bekanntgegebenen Namen oder Ort. Die städtischen Friedhöfe sind so arrangiert, dass es ein Feld für anonyme Urnen gibt, wie zum Beispiel in HannoverLahe.« Bereits vor der eigentlichen Beisetzung gibt es bei obdachlosen Personen Besonderheiten im Bestattungsprozess. Milena Rach kennt diese genau. Die gelernte Bestatterin ist seit vier Jahren in der Branche tätig: »Obdachlose haben, wie alle Verstorbenen, das Recht, würdevoll bestattet zu werden. Das sind Pietätsrechte, die der Würde eines Lebens zugeordnet sind.« Allerdings verändere sich ihr Arbeitsaufwand: »Bei einer obdachlosen Person läuft alles schneller und im Hintergrund ab, da es kein Trauergespräch gibt und die Abläufe sind einfach gestrickt. Bei Obdachlosen geschehen nur Kremation, Beantragung der Sterbeurkunde, Beisetzung und Rechnungsstellung an das Ordnungsamt.« Die Beisetzung einer obdachlosen Person wird nicht von BestatterInnen betreut: »Wenn wir die Urne am Friedhof abgeben, ist es schon ein anderes Gefühl. Ich nehme diese Einsamkeit wahr, in der die Person beigesetzt wird. Die Person verlässt ganz still diese Welt,

Obdachlose was schade ist.« sterben mit Rach sagt, dass obdachlose Personen unter dem klassidurchschnittlich schen Altersdurchschnitt sterben: »Ich sage aus meiner Erfah49 Jahren. rung, meist zwischen 40 und 60 Jahren. Natürlich durch die Lebensumstände, die in keinem Fall gesund sind.« Diese Tatsache wirkt sich auf die Bestattung aus: »Wir betrachten diese Person immer als infektiös. Niemand weiß, welche Krankheiten der Mensch hatte und Tests werden nach dem Versterben nicht mehr durchgeführt. Somit können wir uns nur durch hohe Sicherheitsmaßnahmen schützen, auch, wenn wir damit vielleicht jemandem unrecht tun.« Die Todesursachen seien oft eine Unterkühlung oder ein Unfall im Straßenverkehr:

Foto. V. Macke

Heiko Özsimsir ist Sozialarbeiter und kümmert sich seit 2011 im Tagesaufenthalt Nordbahnhof um bedürftige und mittellose Menschen.

»Seit es das neue Datenschutzgesetz gibt, können wir nicht herausfinden, wer wann wo gestorben ist. Die Menschen verschwinden und das finde ich wirklich traurig.«

Christiane Muirhead, Sozialarbeiterin

Foto: privat

»Obdachlose haben, wie alle Verstorbenen, das Recht, würdevoll bestattet zu werden«, sagt Bestatterin Milena Rach. »Obwohl ich das Vorurteil über den Drogen und Alkoholkonsum gerne beseitigen würde, sind auch Überdosen und täglicher Missbrauch von Alkohol eine Auswirkung, die zu Krampfanfällen oder Krankheiten führt. Ohne ein geschütztes Umfeld ist die Rehabilitation schwierig. Manche Personen sterben dann auch an ihrem Schlafplatz.« Sozialarbeiter Heiko Özsimsir ist bei der Selbsthilfe für Wohnungslose (SeWo) in Hannover tätig. Er weiß, dass der Tod durch Erkrankungen auf der Straße bittere Realität ist: »Viele Menschen sind lange obdachlos, campieren am Kanal oder nur im Schlafsack. Sie sterben dann oft allein.«

Der Sozialarbeiter berät im Tagesaufenthalt Nordbahnhof Menschen in Wohnungsnot und Armut. Sein Ziel besteht darin, für obdachlose Personen ein soziales Zentrum zu errichten: »Für viele ist dieser Aufenthalt der Tagesmittelpunkt. So ist es, wenn man keine Familie hat.« Özsimsir erklärt, dass sich viele BesucherInnen seit Jahren kennen: »Wir hatten mal einen, der war ganz belesen, hatte eine psychische Erkrankung und ist aus dem Arbeitsleben raus. Das war ein ganz kluger Mann, mit ihm haben wir uns gerne unterhalten. Aber er ist gestorben. Es fällt auf, wenn jemand verstorben ist, aber es gibt ein paar, die sind verschwunden.« Seine Kollegin Christiane Muirhead ergänzt: »Seit es das neue Datenschutzgesetz gibt, können wir nicht herausfinden, wer wann wo gestorben ist. Die Menschen verschwinden und das finde ich wirklich traurig. Auch für die, die zurückbleiben. Die haben unter Umständen zehn Jahre gemeinsam verbracht und dann ist ein Freund einfach weg und keinen kümmert es. Das ist Datenschutz auf Kosten der Menschlichkeit.«

Auch Peter Neumann kennt die Herausforderungen im Tagesaufenthalt: »Ich arbeite hier ehrenamtlich und schäme mich manchmal zu sagen, ich bin auch obdachlos.« Im Oktober 2020 verlor er seine Wohnung nach 30 Jahren. Durch das soziale Umfeld im Tagesaufenthalt ist auch Neumann mit dem Tod in Kontakt gekommen: »Viele Leute geben auf. Du gehst zu den Ämtern und wirst fast überall abgewiesen. Viele greifen dann zum Alkohol und landen auf der Straße oder ziehen sich in Keller alter Häuser zurück und siechen da richtig vor sich hin.« Als im Winter der Besucher des Tagestreffs starb, von dem Sozialarbeiter Heiko Özsimsir berichtete, hörte auch Peter davon: »Das tut mir auch leid. Es hat keiner damit gerechnet, auf einmal hörst du nur ›er ist erfroren‹. Er war sehr beliebt, ihn kannte jeder, das konnte ich gar nicht glauben. Naja … Erledigt, stirbste halt.« Peter Neumann erklärt: »Es gibt Leute, die schmeißen sich hier vor die Straßenbahn als letzte Lösung.« Solche Gedanken schiebt er beiseite: »Dafür lebe ich zu gerne.«

Dass sich Neumann im Alltag nicht gerne mit dem Tod beschäftigt, ist kein Einzelfall. Sozialarbeiter Heiko Özsimsir möchte dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken: »Es ist ein gesellschaftliches Tabu. Aber wie enttabuisiert man etwas?« Er versucht, dem Tod eine höhere Selbstverständlichkeit zu geben: »Wir veranstalten Gedenktage. Da verlesen wir die Namen der jüngst verstorbenen Obdachlosen – zumindest von denen, von denen wir wissen. Dann erinnern wir alle uns an die Toten.«

Schon lange gibt es einmal im Jahr eine große öffentliche Andacht in der Marktkirche Hannover. »Wir wollen damit den Finger in die Wunde legen. Wir machen das für die Ungehörten unserer Stadt, um deutlich zu machen: Wir haben euch nicht vergessen«, sagt MüllerBrandes. Ihm sei wichtig zu betonen, dass ein angemessener Abschied kein Luxus sein sollte: »Es ist Glückssache, ein gutes familiäres Umfeld zu haben. Die Startvoraussetzungen der Menschen sind so unterschiedlich und deshalb finde ich, es geht uns alle an und es ist unser aller Aufgabe, mal die Perspektive zu wechseln.«

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