ZKO OPUS I Saison 2021/22

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F E D E R U N D B O G E N I : J A M E S J OYC E

JAMES JOYCE UND DER TRAUM VOM TENOR In der Reihe «Feder und Bogen» begegnen sich literarische und musikalische Welten im ZKO-Haus. Der deutsch-britische Schauspieler Thomas Douglas zeichnet sowohl für Konzept und Regie als auch für den sprachlichen Ausdruck. TEXT CORINNE HOLTZ

Schon im Jesuitenkolleg ist James’ Stimme aufgefallen: eine von der irischen Folktradition geprägte Tenorstimme, die sich mit dem Belcanto grosser Tenöre misst. 1903 mietet der fertig studierte Philologe in der Shelbourne Road ausserhalb des Zentrums von Dublin einen Raum mitsamt einem Flügel. Das Geld dafür dürfte von seinem Onkel stammen, der in einer Anwaltskanzlei angestellt ist und den ambitionierten Neffen unterstützt. James Joyce hat sich in den Kopf gesetzt, am Tenorwettbewerb des irischen Musikfestivals «Feis Ceoil» teilzunehmen und sich über Monate dafür vorzubereiten. «Eines Morgens hörte ich ihn singen. Seine Stimme war klar und deutlich, und obwohl hoch gestimmt, war sie überhaupt nicht schrill. Seine Statur war vielleicht zu schwach für einen erfolgreichen Tenor.» Der Zeitzeuge sollte recht behalten: Joyce blieb ein Amateur. Aus Enttäuschung soll er die Bronzemedaille des «Feis Ceoil» weggeworfen haben, den Traum von einer Tournee mit alten englischen Liedern musste er begraben, und den Gesangsunterricht bei Giuseppe Sinico in Triest gab er bald wieder auf. Joyce verdiente ab 1905 sein Brot als Englischlehrer in der österreichisch-ungarischen Hafenstadt und begann an seinem ersten Roman A Portrait of the Artist as a Young Man zu arbeiten. Der Musik blieb Joyce eng verbunden und übertrug deren Verfahren im Umgang mit Klang, Geräusch und Struktur in seine Literatur. Das Sirenenkapitel etwa aus Ulysses ist zum Grossteil als kanonische Fuge angelegt, die Verschachtelung von Wortfolgen gleicht polyfonem Komponieren.

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