ZEIT FÜR UNTERNEHMER 4/2021

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dezember 2021

Nummer 04

FÜR

UNTERNEHMER

GRÜN GEGEN GELB Zwei Unternehmer im Bundestag streiten über die richtige Wirtschaftspolitik

Klima: Was kommt da auf uns zu? Profis wie Anna Alex zeigen Mittelständlern, wie sehr sie der Umwelt schaden – und wie sie schnell grüner werden können. Ein Schwerpunkt


KOMPAKT UND ELEKTRISCH. Der EQA setzt neue Maßstäbe. Weil er Fahrspaß mit Nachhaltigkeit verbindet. Weil er ganz nebenbei Luxus kompakt definiert – auf eine neue Art. Entdecken Sie den ersten vollelektrischen Mercedes-Benz im Kompaktwagensegment für Ihren Fuhrpark. Erfahren Sie mehr über die Vorteile des FlottenSterne-Programms unter mercedes-benz.de/geschaeftskunden

EQA 250: Stromverbrauch kombiniert: 15,7 kWh/100 km; CO₂-Emissionen kombiniert: 0 g/km.¹ ¹Stromverbrauch und Reichweite wurden auf Grundlage der VO 692/2008/EG ermittelt. Stromverbrauch und Reichweite sind abhängig von der Fahrzeugkonfiguration. Anbieter: Mercedes-Benz AG, Mercedesstraße 120, 70372 Stuttgart


EDITORIAL

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Über dieses Heft Stehen wir vor einer digital-ökologischen Transformation, die Innovationen freisetzt und neue Weltmeister im Mittelstand schafft – oder blockieren sich Grün und Gelb in Berlin? Eine grüne Gründerin und ein gelber Unternehmer streiten darüber. Das Besondere: Beide sitzen im neuen Bundestag. So oder so müssen viele Firmen nachhaltiger werden, um den Klimazielen von Politik und Investoren zu genügen. Wir fragen Profis, wie das geht. Viel Gewinn beim Lesen! Ihr »ZEIT für Unternehmer«-Team

Sicher.

An dieser Ausgabe haben unter anderem mitgearbeitet:

Pia Bublies gestaltet stets die Grafiken des Magazins, so auch die Landkarte auf dieser Seite

Kristina Läsker hat recherchiert, wie Firmen ihre Ökobilanz erfassen. Nun will sie ihre eigene aufstellen

Bremen

Warlow

Melle Braunschweig Neuss Remscheid Köln

Berlin

Raguhn Dresden

Waiblingen Pfaffenhofen an der Ilm Stuttgart München Hofstetten Mauerstetten

Zwischen Waiblingen und Warlow Wo die Firmen ihren Sitz haben, die in dieser Ausgabe vorkommen

Pilz bietet alles, wa as Sie für die Automation Ihrer Titelfoto: Lena Giovanazzi für ZEIT für Unternehmer; Fotos (v. l.): privat, Maria Feck, privat

Henning Ross fotografiert gerne da, wo gearbeitet wird. Dieses Mal kam er einem Roboter sehr nah

Maschinen und An nlagen brauchen: innovative e Komponenten und d Systeme, bei denen Sicher-heit und Automatio on in Hardware und Software e verschmelzen. Automatisierungsllösungen für die Sich herh heiit von Mensch, Masc chine und Umwelt.

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INHALT

Was Sie erwartet

SCHWERPUNKT POLITIK

Katharina Beck von den Grünen und Volker Redder von der FDP kennen die Wirtschaftswelt gut – und sind neu im Bundestag. Ein Streitgespräch über Wirtschaftspolitik in Krisenzeiten 6–11 Ein Tag mit dem Unternehmer Markus Reichel, der für die CDU ins Parlament gewählt wurde 12/13 CORONA-KRISE

Die Lage in Zahlen und Grafiken 14 TITELTHEMA KLIMANEUTRALITÄT

Viele Mittelständler müssen wohl bald ihre Ökobilanz aufstellen und schädliche Emissionen reduzieren oder ausgleichen. Wie geht das, und wie teuer wird es? 16–23 Deutschlands Klimaziele in Zahlen 24

Viele Mittelständler müssen grüner werden. Aber wie? Die Titelgeschichte: Seite 16

Jonas Gerhardt produziert Lastenräder – und hat gut zu tun. Die Fotostory: Seite 26

FOTOSTORY

TECHNOLOGIE

Alle reden über Lastenräder. Ein Besuch beim Kölner Hersteller Muli, der die Nachfrage kaum bedienen kann 26–31

Eine Gründerin hilft Satelliten dabei, Weltraumschrott auszuweichen 38–41

Der Muli-Gründer Sören Gerhardt beantwortet den Unternehmer-Fragebogen 30 DIGITALISIERUNG

ARBEITSWELT

Wie können Chefinnen und Chefs reagieren, wenn Angestellte mehr Lohn fordern? 42–45 GELD

Family-Offices helfen Unternehmern und ihren Familien dabei, ihr Vermögen zu mehren. Manche gehen hohe Risiken ein. Ein Report 46–49

Cyberattacken nehmen zu, gerade im Homeoffice ist die Anfälligkeit groß. Was für Unternehmen auf dem Spiel steht und wie sie sich schützen können 32–35

Der Forscher Andreas Hackethal über die psychologischen Vorteile eines Family-Office 48

RAT AUS DEM SILICON VALLEY

DIE ERFINDUNG UNSERES LEBENS

Christian Beedgen gelang in Berlin wenig. Dann baute er in den USA eine Firma auf, die heute Milliarden wert ist 36

Ein Vater-Sohn-Duo tüftelt sich von einer Innovation zur nächsten 50 IMPRESSUM

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Fotos (v. l.): Matthias Oertel für ZfU; Schmott für ZfU; Henning Ross für ZfU

Die Bundestagsneulinge und Gründer Katharina Beck und Volker Redder streiten: Seite 6


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AUFRUF

Die große Mittelstands-Studie WAS BEWEGT SIE?

Vor welchen Chancen und welchen Schwierigkeiten stehen Sie als Unterneh­ merinnen und Unternehmer in diesen Zeiten – und wie lassen sich diese Heraus­ forderungen meistern? Welche Werte prägen, wie Sie handeln – und wie geben Sie diese Werte weiter? Wie verstehen Sie Ihre Verantwortung – für Ihre Firma, Ihr Team, die Gesellschaft? Über Fragen wie diese möchten wir mit Ihnen sprechen und den Mittelstand in einer großen Studie beleuchten. Dabei soll es sowohl um Ihr Selbstverständnis als Unternehmerin oder Unternehmer gehen als auch um Ihre Sicht auf Themen wie

den Wandel der Arbeitswelt, die Digitali­ sierung und die politischen Rahmen­ bedingungen im Land. WER STEHT HINTER DER STUDIE?

Bei der Studie handelt es sich um eine gemeinsame Initiative von ZEIT für­ Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«. Die Stiftung wurde von den Geschwistern Anke und Thomas Rippert gegründet, die in Ostwestfalen als Kinder eines Familienunternehmers aufgewachsen und selbst Unternehmer geworden sind. Mit ihrer Stiftung haben sie es sich zum Ziel gesetzt, verantwortungsbewusstes Unter­nehmertum zu fördern.

DAS HUF HAUS

WIE WIRD DIE STUDIE FINANZIERT?

Die Stiftung finanziert die Durchführung der Befragung sowie ihre wissenschaftliche Auswertung durch das Analyse- und­ Beratungsunternehmen Aserto. Die Er­ gebnisse werden der Redaktion in ano­ nymisierter Form unentgeltlich zur Ver­ fügung gestellt, auf ihre redaktionelle Veröffentlichung hat die Stiftung keiner­ lei Einfluss. ZEIT für Unternehmer be­ richtet über die Erkenntnisse und be­ schreibt, was Sie und den Mittelstand in Deutschland bewegt. Nehmen Sie jetzt an der Studie teil: www.zeit.de/mittelstandsstudie

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POLITIK STREITGESPRÄCH

Katharina Beck, 39, ist Gründerin und Beraterin. Sie engagiert sich bei den Grünen


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Was haben die im Parlament jetzt vor?

Foto: Matthias Oertel für ZEIT für Unternehmer

Katharina Beck (Grüne) und Volker Redder (FDP) sind neu im Bundestag. Hier streiten sie über Steuern, Klimaschutz und Atomkraft – und erklären, wie ihre Wirtschaftserfahrung die Politik bereichert

ZEIT für Unternehmer: Frau Beck, Herr Redder, was ist das für ein Gefühl, erstmals in den Bundestag einzuziehen? Volker Redder: Ich habe mich gefreut, aber ich war nicht so euphorisch wie manch anderer. Das Mandat bedeutet viel Verantwortung. Ich will was tun und arbeiten, und nicht nur Spaß haben. Katharina Beck: Ich will was tun und Spaß haben. Ich habe das wirtschaftspolitische Programm der Grünen mitentwickelt, Märkte begreifen wir heute als positive Instrumente. Es fühlt sich wunderschön an, dass ich dieses Programm jetzt auch umsetzen kann. Es ist ein tiefes, erhabenes Zufriedenheitsglücksgefühl. Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, was sie von Ihnen als ihren Vertretern erwarten. Einer schreibt: dass Sie Ihr Mandat nicht dazu nutzen, Ihren Unternehmen Vorteile, Aufträge oder sonstige Annehmlichkeiten zukommen zu lassen. Wie beschädigt ist der Ruf von Unternehmern in der Politik, seit sich einzelne Unions-Abgeordnete an Maskendeals bereichert haben? Beck: Dieser Skandal hat dem Ruf sehr geschadet. Aber natürlich muss man ebenso sagen: Wer ein Unternehmen führt, verdient damit richtigerweise auch Geld. Wichtig ist es also, Politik und Unternehmen sauber zu trennen. Redder: Ich kümmere mich bei der FDP um Digitalisierung, damit kenne ich mich aus. Und doch hat es ein Geschmäckle, ich bin schließlich auch IT-Unternehmer. Um den Interessen-

konflikt zu entschärfen, habe ich alle Geschäftsführungen mit Ausnahme von einer an meine Frau und eine Mitarbeiterin abgegeben. Beck: Das ist also geklärt? Redder: Ja. Wenn man ins Parlament geht, muss man das mit 100 Prozent der Zeit machen. Und wie regeln Sie das? Beck: Mein Fokus richtet sich auch maximal auf das Bundestagsmandat. Ich habe viele Jahre lang in einer großen Unternehmensberatung gearbeitet, aber damit im April aufgehört. Und meine selbstständige Beratungsarbeit werde ich stark runterfahren. Wie wichtig finden Sie, dass Unternehmer politische Mandate ansteuern? Beck: Super, wir brauchen viele Perspektiven in den Parlamenten. Ich merke an mir selbst, wie ich von 14 Jahren Wirtschaftserfahrung profitiere. Zugleich denke ich, dass reine Berufspolitikerinnen vieles im Dialog erlernen können. Redder: Unternehmer bringen eine Denke mit in die Politik, die dort fehlt. Sie wissen, wie man Ideen ganz praktisch umsetzt – anders als all die Juristen in den Ausschüssen. Nehmen Sie das Onlinezugangsgesetz, das die öffentliche Verwaltung nutzerfreundlicher machen soll. Da hängen wir eineinhalb Jahre hinter dem Zeitplan! Mit unternehmerischer Denke ginge das schneller. Und ich rede von erfahrenen Unternehmern, die mindestens eine Million Jahresumsatz erzielen und mindestens zehn Mitarbeiter haben. So definiert der Verband der Fa­mi­


POLITIK STREITGESPRÄCH

lien­unter­neh­mer seine Mitglieder. Die haben einfach einen anderen Blick als diejenigen, die Unternehmen beraten. Beck: Aber Beraterinnen wie mir Umsetzungskompetenz abzusprechen finde ich auch falsch. Redder: Klar: Je länger die beraten, umso mehr Erfahrung haben sie. Aber als Unternehmer stehen Sie wegen der Haftung selbst in der Verantwortung, das ist noch mal was ganz anderes. Beck: Das verstehe ich. Ich habe selbst zweimal gegründet und bin Aufsichtsrätin in einer Firma mit Millionenbilanzsumme. Aber für mich sind auch die Unternehmer mit weniger als zehn Mitarbeitern richtige Unternehmer. Wird das nicht frustrierend, bald in langen Prozessen Gesetze aushandeln zu müssen? Redder: Ich bin seit sechs Jahren in der Wirtschaftsdeputation der Bremischen Bürgerschaft und erlebe die langsamen Prozesse in Politik und Verwaltung. Reality sucks. Aber es macht auch Spaß, dagegenzuhalten! Beck: Ich sehe das realistisch. Gleichwohl wünsche ich mir mehr unternehmerischen Spirit in der Politik, eine Can-do-Mentalität, Mut zum Experimentieren. Aber auch eine professionelle Folgenabschätzung. Was mich nervt, ist, dass man nicht misst, ob Gesetze wirklich ihre Ziele erreichen oder man sie anpassen muss. Wir brauchen Kennzahlen für eine evidenzbasierte Politik und ein besseres Politikmanagement. Redder: Absolut. Jedes unternehmerische Projekt wird evaluiert, das fehlt in der Politik. Und das führt dann dazu, dass in der Pandemie Hilfsmaßnahmen für Unternehmen beschlossen wurden, die sich an deren Umsatz orientieren und nicht am Gewinn. Beck: Bei den ersten Corona-Soforthilfen die Liquidität als Kriterium zu nehmen war genauso unsinnig, ganz besonders für Soloselbstständige. Aber sie haben vielen Firmen womöglich das Überleben gesichert. Wie erleben Sie die Lage der Unternehmen fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie? Beck: Alle, Familienunternehmerinnen wie Selbstständige, wollen, dass wir dieses Land wieder in eine florierende Wirtschaftsnation verwandeln. Dafür brauchen wir Investitionen in die Infrastruktur, in klimafreundliche Technologien, Schulen, Brücken. Und die CEOs der Konzerne sind sauer, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt, weil die Regierungen der letzten 16 Jahre diesen massiv blockiert

»Jedes Unternehmen ist eigentlich gemeinnützig« Volker Redder

»Ich bezweifle, dass ein Waffenproduzent gemeinnützig ist« Katharina Beck

haben. Dabei brauchen wir die Erneuerbaren dringend, damit die Wirtschaft läuft. Redder: Ich spüre kaum Aufbruchsstimmung. Die Konjunkturprognosen sind schlecht, die Sozialkosten explodieren. Um die Wirtschaft zu entfesseln, müssten wir sie entlasten – und dürfen sie nicht mit einer Vermögensteuer belasten. Beck: Ich finde auch, dass man die Betriebsvermögen von einer Vermögensteuer ausnehmen sollte. Zugleich müssen wir aber etwas gegen die Vermögensungleichheit im Land unternehmen. Redder: Die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich hier doch längst wieder. Beck: Nein, die Vermögensungleichheit ist im internationalen Vergleich extrem hoch in Deutschland. Die Vermögen driften weiter auseinander, weil sie sich derzeit kaum mit Arbeitseinkommen, sondern eigentlich nur mit Einkommen aus Aktien oder Immobilien mehren lassen. Die besitzen vor allem jene, die schon reich sind. Redder: Das ist ein schönes Narrativ, das einfach nicht stimmt. Ich empfehle dazu den IWVerteilungsreport von Ende September. Beck: Das stimmt sehr wohl. Aber da finden wir offenbar nicht zusammen. Reden wir mal über Erbschaften, auf die im Schnitt nur zwei Prozent Steuern anfallen, obwohl sie komplett leistungslose Einkommen sind. Es wäre doch ein tolles liberales Projekt, da stärker zuzugreifen, gerade im Sinne der Leistungsgerechtigkeit. Redder: Das sehen Familienunternehmer anders, darunter viele Handwerksbetriebe. Und die sorgen für die meisten Lehrstellen, sozialversicherungspflichtigen Jobs und Innovationen. Der Mittelstand ist das Rückgrat dieses Landes. Jedes Unternehmen ist eigentlich gemeinnützig und müsste in letzter Konsequenz steuerfrei sein. Beck: Ich bezweifle, dass ein Waffenproduzent gemeinnützig ist. Redder: Genauso viel oder wenig wie ein Globuli-Hersteller? Beck: Wissen Sie, ich komme aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie. Ich verstehe die Sorgen im Handwerk gut – und will unbedingt etwas gegen diese Sorgen tun. Es gibt zu wenig Menschen, die eine Lehre beginnen. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Weg attraktiver wird und Eltern ihn auch ihren Kindern empfehlen. Redder: Wichtig wäre es, Azubis mit Studierenden gleichzustellen und etwa auch für sie Wohnheime zu bauen. Wir haben jahrzehntelang die


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Foto: Matthias Oertel für ZEIT für Unternehmer

Volker Redder, 62, ist Seriengründer und engagiert sich in der FDP


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POLITIK STREITGESPRÄCH

Parole ausgegeben: Studieren, studieren, studieren! Jetzt können alle was mit Medien, aber keiner kann einen Nagel in die Wand hauen. Beck: Ganz wichtig: Viele Handwerksberufe sind auch Klimaschutzberufe. Wir brauchen kognitive und physische Intelligenz, Gesellen und Meisterinnen, um klimaschonende Heizungen zu installieren und Gebäude zu sanieren. Viele Unternehmer sehen in der Energie­ wende eine Gefahr für ihre Wettbewerbs­f ä­ higkeit. Wie kann man diese Angst nehmen? Redder: Das ist nicht leicht. In Deutschland zahlen wir nahezu die höchsten Strompreise der Welt! Der Energiebedarf wird wachsen ... Beck: ... und zwar dramatisch. Aber es ist ein Mythos, dass erneuerbare Energien teuer und fossile Energien billig sind. Solar und Wind sind die günstigsten Energieformen, nur wurde ihr Ausbau von der alten Bundesregierung extrem erschwert. Stattdessen subventionieren wir die Gewinnung von Kohle mit 1,7 Milliarden Euro pro Jahr. Insgesamt summieren sich die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen sogar auf 65 Milliarden Euro. Sie als FDP und wir als Grüne könnten das ändern und darüber hinaus den Ausbau beschleunigen, indem wir etwa den Bau von Windkraftanlagen entbürokratisieren. Redder: Ja. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht Treibhausgase einsparen, während andere Länder immer mehr davon ausstoßen. Dafür müssen wir die Freihandelsverträge nachverhandeln. Wenn dann weltweit die Nachfrage nach klimaschonenden Technologien wächst, wird es für unsere Unternehmen attraktiver, diese zu entwickeln. Und wir müssen vermutlich noch mal über Kernkraft reden. Beck: Die Atomenergie hat enorme Folge­ kosten. Und das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass wir solche Lasten nicht auf zukünftige Generationen abwälzen und­ deren Freiheit einschränken können. Redder: Aber wenn Sie wählen müssen zwischen einem verschärften Klimawandel und nuklearem Abfall, der mit moderner Kernenergie nach 200 Jahren sauber entsorgt werden kann, dann ist die Kernenergie eventuell doch die bessere Antwort. Ich habe in den 1980ern gegen das Kraftwerk in Brokdorf und das Atommülllager in Gorleben demonstriert. Aber wegen des Klimawandels sehe ich moderne Kernkraftwerke der vierten Generation heute als eine mögliche Lösung.

Katharina Beck, 39, hat nach ihrem Studium ein ÖkoStart-up gegründet. Sie ließ sich zur Managerin weiterbilden und arbeitete als Beraterin für Nachhaltigkeit. Seit 2009 engagiert sie sich bei den Grünen, etwa als Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen. Jetzt wurde sie über die Hamburger Liste der Partei in den Bundestag gewählt

Volker Redder, 62, ist Biologe und promovierter Informatiker. Im Jahr 2000 gründete der Bremer seine erste IT-Firma, elf weitere folgten. Er engagiert sich im Verein Die Familienunternehmer und trat 2015 der FDP bei. Seit 2019 ist er Deputierter der Bremischen Bürgerschaft für »Wirtschaft und Arbeit«. Über die Bremer Landesliste der FDP zog er jetzt in den Bundestag ein

Beck: Ich nicht. Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien in intelligenter Verbindung mit Batterie- und Wasserstofftechnologien ist möglich. Zum Schluss ein paar einfache Ja-NeinFragen. Brauchen wir Super-Abschreibun­ gen, mit denen sich Investitionen in den Klimaschutz schnell abschreiben lassen? Redder: Auf jeden Fall! Beck: Ja. Das Lieferkettengesetz verschärfen? Beck: Ja. Redder: Nein. Zu viel Bürokratie. CO₂-neutral bis 2045: Genügt das? Redder: Ja. Beck: Nein. Kohleausstieg bis 2038: Reicht das? Beck: Nein. Redder: Natürlich nicht. Impfpflicht? Redder: Nö. Beck: Nein. Sollten Unternehmen den Impfstatus ihrer Beschäftigten abfragen dürfen? Redder: Als Liberaler muss ich Nein sagen – als Unternehmer würde ich den gern kennen. Beck: Meine freiheitsliebende Seite sagt Nein. Aber in Hinsicht auf eine entspanntere Unternehmensführung und Zusammenarbeit würde ich das gut finden. Frauenquote erweitern? Beck: Ja! Redder: Ich verweigere die Aussage aus privaten Gründen. (lacht) Brauchen wir eine Rechtsform für Unter­ nehmen, die sich selbst gehören und ihre Gewinne komplett reinvestieren? Beck: Ja! Dafür setze ich mich schon lange ein. Redder: Klingt gut. Den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen? Beck: Ja. Redder: Nein, aber das ist keine rote Linie. Schuldenbremse lockern? Redder: Nein. Beck: Ja, um eine Investitionsregel ergänzen! Wir dürfen nicht nur aufs reine Geldausgeben schauen, sondern sollten auch die Wertschöpfung unserer Investitionen miteinbeziehen. Redder: Stimmt, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Wirtschaft floriert, weil sie den ganzen Klumpatsch hier bezahlt. Das Gespräch führte Jens Tönnesmann


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EIN TAG MIT ... MARKUS REICHEL

»Es kommt aufs Durchhalten an« Markus Reichel hat als Internationalisierungsberater ein Unternehmen aufgebaut. Wie will er als Mittelstandskenner den Bundestag bereichern? VO N D O REEN REI NH A RD

Markus Reichel ist ein straffes Pensum­ eigentlich gewohnt, er arbeitet seit Jahren mit Menschen auf allen Kontinenten, in allen Zeitzonen. Aber von einer Welt in eine ganz andere wechseln: Das erhöht den Stress noch mal. An diesem Tag im Oktober, morgens um halb neun, sitzt Reichel in der Dresdner Zentrale seiner Beratungsfirma Dreberis und überfliegt die Termine. »Heute geht es Schlag auf Schlag«, sagt er und klingt dabei ganz ruhig. »Man muss strukturiert sein, dann kriegt man das hin.« Dann beginnt die erste Telefonschalte des Tages, kurz die Lage mit dem Team besprechen, checken, wie es mit Kunden und Projekten läuft. Start: 9.12 Uhr, Reichel hat exakt diese Zeit angesetzt. »Dann ist jeder pünktlich, weil man sich die Minute merkt, das funktioniert.« Würde Markus Reichel, 53, mit seiner Firma Tugenden wie Pünktlichkeit und Ernsthaftigkeit exportieren, er säße auf­ einem Schatz. Und vielleicht qualifizieren

M

diese Werte ihn auch für seine neue Aufgabe, für die er gerade von der Welt der Unter­ nehmer in die der Politiker wechselt; auch, um zwischen beiden Brücken zu bauen. Denn Reichel ist nicht nur »Internationa­ lisierungsberater«, wie er sagt. Er verwandelt sich gerade auch in einen Vollzeitpolitiker. Seit 27 Jahren ist er in der CDU, er hatte schon etliche Posten, bisher als Ehrenämtler. Aber seit der Wahl am 27. September ist er einer von rund 50 Unternehmerinnen und Unternehmern mit Bundestagsmandat. Be­ gleitet man ihn einen Tag, kann man lernen, welchen Unterschied Unternehmer wie er in der Politik machen könnten. Fast wäre es anders gekommen. Für die CDU lief es bei der Bundestagswahl schlecht, in Sachsen noch schlechter, die Partei verlor viele Wahlkreise an die AfD. Nur vier Di­ rektmandate sind der sächsischen CDU ge­ blieben, eins davon hat Reichel in Dresden knapp gewonnen. Im Falle einer Niederlage

hätte er in seiner Firma weitergemacht, sagt Reichel, »auch wenn das Direktmandat na­ türlich mein Vorzugsszenario war«. Vorzugsszenario, das ist ein Wort, das zu Reichel passt. Er hat einen Management­ ansatz entwickelt; sein Geschäft ist es, auf Basis von Analysen Strategien zu entwickeln. Aber in ihm steckt auch der Mann, der im Wahlkampf an Tausenden Haustüren ge­ klingelt hat. Den braucht es gerade mehr als den Analysten, denn alles geht hopplahopp, Reichel muss jonglieren: in der Firma flugs abarbeiten, was noch ansteht. Parallel Wahl­ kreisbüro aufbauen. Nach Berlin fahren, die politische Arbeit starten, die – so sieht es bei diesem Treffen im Oktober aus – wohl in der Opposition stattfinden wird. Wie bereichert jemand wie Reichel die Politik? Vielleicht so: Als Unternehmer weiß er, wie es dem Mittelstand geht, wie sich Poli­ tik auf den Handel über Grenzen auswirkt, welche Chancen etwa die Bauwirtschaft in


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der Ukraine oder der Bergbau in Kasachstan bieten; zu solchen Themen organisiert Dreberis Reisen in diese Länder. Wer das speziell findet, der unterschätzt, wie sehr der Mittelstand in Deutschland davon abhängt, welche Geschäfte er jenseits der Grenzen macht. Reichel hat Dreberis nach seinem Studium der Japanologie und Geschichte gegründet. Eigentlich aus München, entschied er sich nach dem Mauerfall, in den Osten zu ziehen, »da fand Geschichte statt, das wollte ich miterleben«. In Dresden studierte er Ökonomie und Mathematik und promovierte über die Energiewirtschaft. Er lernte Polnisch und spezialisierte sich auf den exportorientierten Mittelstand. Konkret heißt das: Dreberis unterstützt Firmen, wenn sie

von Reichel Schätzungen darüber, wie sich die Energiepreise in Polen entwickeln. Für erneuerbare Energien hat sich Reichel früh interessiert. Begonnen hat die Firma einst mit deutsch-polnischen Energieprojekten. Vor knapp 30 Jahren, als das erste seiner fünf Kinder geboren wurde, habe er sich gefragt: »Wie geht es weiter mit der Welt?« Im Bundestag will er die Antwort darauf beeinflussen. Seine Frau Agata ReichelTomczak führt das Unternehmen nun alleine weiter. »Formal gesehen könnte ich weiter­ arbeiten, aber rein praktisch ist Bundestagsabgeordneter ein Vollzeitjob«, sagt er, »und das möchte ich natürlich anständig machen.« Anstand, das ist noch so eine ReichelTugend. Wichtig in einer Zeit, in der vielen

Fotos: Frank Grätz (l.); Hans-Christian Plambeck/laif

Reichel sieht sich als Teil des Generationswechsels in der CDU

im Ausland Zweigstellen planen oder Standorte suchen. Heute beschäftigt er zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hat Zweigstellen in Polen und in der Ukraine, berät Firmen von der Textil- bis zur Baubranche. Auf dem großen Schreibtisch in seinem Büro steht ein silberner Globus. Wie passend. Dass Reichel nicht nur die Ferne im Blick hat, sondern auch nah dran sein will, das merkt man in den Mitarbeitergesprächen, die er an diesem Herbsttag führt. Das macht er mit jedem im Team, und zwar jeden­ Monat. Kontrollwahn? Nein: »So kann man besser erkennen, wie es auf allen Seiten läuft«, sagt Reichel. Immer wieder schaut er auf die Uhr: Bloß pünktlich sein! Für zehn Uhr hat sich ein israelischer Kunde angemeldet. Wieder eine Video­ konferenz. Danach: ein Gespräch mit einem­ österreichischen Unternehmer, der in Polen einen Windpark gebaut hat. Er will Investoren für sein Projekt finden und braucht dafür

Mittag, Reichel holt sich eine Suppe, löffelt sie in seinem Büro. Dann wechselt er die Welten, nun ist Politik dran, ein Mitarbeiter seines Wahlkreisbüros kommt vorbei. Reichel will erreichen, dass »die Bürger wahrnehmen, dass ich ihr Abgeordneter in Berlin bin«. Er will die Bahnverbindungen verbessern und daran arbeiten, »dass wir hier in Dresden mal ein Dax-Unternehmen haben«. Dann fällt ein Unternehmersatz: »Wenn ich Dinge nicht zu Ende bringe, kann ich keine Rechnung stellen. Genauso möchte ich auch im Wahlkreis Dinge zu Ende bringen.« Aus einem Gefecht hält er sich dabei raus: aus dem Kampf gegen die AfD, eigentlich ein Dauerthema für die Union, die viele Wähler an die rechte Partei verloren hat.

Der 53-Jährige ist einer von 736 Abgeordneten des neuen Bundestags

Menschen die Maskendeals von einigen ehemaligen CDU- und CSU-Parlamentariern einfallen – auch sie waren Unternehmer oder Berater. Auf Facebook schrieb Reichel da: »Wer sich an der Corona-Krise bereichert, handelt unmoralisch.« Und er versprach, sich für schärfere Regeln einzusetzen. Trotz aller konservativen Tugenden, die Reichel hochhält: Mit seinen 53 Jahren will er zu den Modernen in seiner Partei gehören. Er möchte Teil eines Generationswechsels in der CDU sein, deshalb habe er jetzt erst kandidiert, obwohl man ihn schon in früheren Jahren gefragt habe, sagt er. Ihm ist es wichtig, sich die ­Fami­li­en­arbeit mit seiner Frau zu teilen und zu sagen: »Gleichberechtigung sollte heute selbst­verständlich sein, auch für Konserva­ tive.« Als Vorbild dient Reichel­ seine Mutter, die früher eine große Physiotherapiepraxis geführt habe und mit Mitte 80 immer noch in einer Schule unterrichte, erzählt Reichel.

Reichel ist noch in der Bundestags-­ Kennenlernphase. Ein Bootcamp der CDUFraktion für die neuen Abgeordneten gehört dazu. Vorher war Reichel nur ein paarmal besuchsweise im Parlament, vor einigen­ Tagen dann das erste Mal als gewählter Abgeordneter, das sei ein »erhebendes Gefühl« gewesen. »Dort werden die Gesetze für unser Land gemacht, und ich kann dabei sein.« Jetzt muss er seinen jüngsten Sohn aus der Kita abholen, dann mit seiner Frau nach Polen fahren. Vorher eine Mail: Dreberis bekommt einen Auftrag, Ergebnis eines Meetings am Vormittag. Dass Politik auch mal länger dauern kann, das störe ihn nicht, sagt Reichel. Er sei ein geduldiger Mensch. Seit vielen Jahren trainiert er die japanische Kampfkunst Aikido und kann mittlerweile drei schwarze Gürtel vorweisen. »Dabei kommt es aufs Durchhalten an«, sagt er, »man lernt, dass jede Bewegung so konzentriert sein muss wie die erste.«


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CORONA-KRISE DIE LAGE IN ZAHLEN

Die Krise bleibt, die Probleme ändern sich Die Digitalisierung hat vielen Firmen durch die Krise geholfen. Nun belasten Lieferengpässe und steigende Preise die Aussichten VO N JENS TÖ NNES M A NN

58 % 45 %

44 % 34 %

29 % 25 %

Jan 2021

Sep

Der Anteil der Firmen, die pandemiebedingt Umsatzeinbußen erleiden, sinkt

15 %

Apr 2020

Jan 2021

Sep

Aber ein wachsender Anteil beklagt Störungen in den Lieferketten

Optimistisch macht:

19 %

Apr 2020

Jan 2021

Sep

Immer weniger Firmen mangelt es an Liquidität

25 %

April 2020

16 %

14 %

Jan 2021

Sep

Auch Störungen im Geschäftsbetrieb gibt es wieder seltener

Die Stimmung trübt:

302 Mrd. Euro

Um 2,1 Prozentpunkte

haben die Mittelständler im Land im ersten Corona-Jahr über digitale Vertriebswege erlöst, 24 Prozent mehr als 2019

ist die Auslastung im verarbeitenden Gewerbe im Oktober gesunken, meldet das Ifo-Institut. Auch die Exporterwartungen haben sich verschlechtert

4,1 %

Wachstum erwartet die Bundesregierung für 2022. Im Jahr 2021 soll das Plus laut Herbstprojektion bei 2,6 Prozent liegen

8,7 Stellen

wollen die innovativen Start-ups im Land in den kommenden zwölf Monaten durchschnittlich schaffen, wie der »Deutsche Startup Monitor 2021« zeigt

Um 17,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat haben sich die Importe im September verteuert. Zugleich treiben die Energiekosten die Inflation

Jeder dritte

Mittelständler kann den Bedarf an Digitalkompetenzen im Moment nicht decken, hat das KfW-Mittelstandspanel ergeben

Quelle: Kf W-Mittelstandspanel 2021

Apr 2020

17 %


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Foto: Schmott für ZEIT für Unternehmer

TITELTHEMA KLIMASCHUTZ


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Grün werden für Anfänger Der Verpackungshersteller Spies und der OnlineMöbelhändler Home24 sind Pioniere: Sie messen ihren CO₂-Fußabdruck und setzen sich Klimaziele. Doch das ist so kompliziert, dass ihnen ein Berliner Start-up helfen muss VO N KRI ST I NA L ÄS KER

Da wächst was: Die Ökobilanz dieses Stuhls von Home24 soll besser werden


TITELTHEMA KLIMASCHUTZ

W Wochenlang hatte Marie Hühne all diese Zahlen zusammengeklaubt. Akribisch und hartnäckig. Oft musste sie bei den Kollegen nachfragen: Wie viel Strom verbrauchen die Anlagen in Werk 1? Was tanken die Dienstwagen? Womit pendelt der Kollege aus dem Vertrieb zur Arbeit? Hühne ist Nachhaltigkeitsmanagerin bei Spies Packaging im niedersächsischen Melle. Der Mittelständler aus der Nähe von Osnabrück macht Kunststoffverpackungen, und die Managerin ist zuständig für das grüne Pilotprojekt: Die Firma ermittelt ihren CO₂-Ausstoß. »Dafür brauchte ich mehrere Hundert Daten«, sagt die 26-Jährige. Dieses Jahr pflegte sie die Werte erstmals in eine Soft­ware ein und ermittelte den Wert für das zurückliegende Jahr: 69.000 Tonnen. Hühne fand das Ergebnis noch »sehr abstrakt«. Was bedeuten 69.000 Tonnen für ein Industrieunternehmen mit einem Jahresumsatz von 100 Millionen Euro? Ist das zu viel? Wie viel emittieren die Wettbewerber? Hühne weiß das bis heute nicht genau, in der Branche fehlen Daten. Aber sie verstand, dass die Vermessung des CO₂-Fußabdrucks nur ein erster Schritt auf dem langen Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist. Dazu gehört es, ein Gefühl für Maßstäbe zu entwickeln. Es ist ein Weg, auf den sich jetzt viele deutsche Mittelständler machen, um den Ausstoß von schädlichen Klimagasen zu reduzieren. Jeder zweite Betrieb hat sich Klimaneutralität als Ziel gesetzt. Das geht aus dem Energiewende-Barometer 2021 hervor, für das der Deutsche Industrie- und Handelskammertag etwa 2600 Unternehmen

Anna Alex hat schon zwei Firmen gegründet. Für die 36-jährige Unternehmerin ist der CO2-Fußabdruck »die wichtigste Kennzahl der Menschheit«

zur Klimawende befragt hat (siehe Seite 24). Zur Wahrheit gehört demnach auch: Die Hälfte der Betriebe hat noch kein Zieldatum für Klimaneutralität – obwohl die Regierung festgelegt hat, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll. Als größte Hürde sehen die Befragten im Moment den Aufwand, um den eigenen Abdruck zu messen. Wie also wird man klimaneutral? Der Hersteller Spies beschäftigt rund 470 Mitarbeiter und bemüht sich laut Inhaber-­

Geschäftsführer Christof Spies, 63, schon lange um mehr Nachhaltigkeit. Trotzdem ist seine Firma wegen ihrer Produkte unter Beschuss. Denn sie produziert pro Jahr etwa 1,8 Mil­liar­den Kunststoffverpackungen für Konsumgüterriesen wie Nestlé oder Uni­ lever. Dazu gehören die geschwungenen Becher für Mövenpick-Eiscreme ebenso wie die eckigen Schalen für Lätta-Margarine. Diese Behälter werden per Spritzguss erstellt, sie sind aus Polypropylen. Das ist einer


Foto: Lena Giovanazzi für ZEIT für Unternehmer

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der am häufigsten eingesetzten Kunst­ stoffe, er enthält keine schädlichen Weich­ macher. Im Vergleich zu anderen Plastik­ arten lässt er sich relativ gut recyceln, aber auch er zersetzt sich nicht. Konsumenten kritisieren Spies oft, weil sie sich generell über Verpackungsmüll aus Plastik ärgern. Marie Hühne sagt, dass die Spies-Behälter zu 100 Prozent recyclingfähig sind. Doch klar ist auch: Spies hat keinen Einfluss da­ rauf, ob das Material der Behälter wieder­ verwendet wird. Für die Nachhaltigkeitsmanagerin Hüh­ne ist das ein Dilemma. Sie muss im­ mer wieder erklären, dass Kunststoffe aus Sicht von Spies eine Daseinsberechtigung haben und wie vorteilhaft Kreislaufwirt­ schaft sein kann. Das ist komplex. CO₂Neutralität sei für die Leute verständlicher, greifbarer, glaubwürdiger, sagt sie. »Damit kann man bei Kunden besser punkten.« Der Firmeneigner Christof Spies hat im August 2020 die Nachhaltigkeitsstelle ge­ schaffen, auf der Hühne anfing. Gemein­ sam beschlossen sie, den Ausstoß von Treibhausgasen zu messen und zu senken. Für Spies geht es dabei nur um die Re­ duktion von Kohlendioxid, denn die Kli­ magase Methan und Lachgas kommen in der Firma nicht in nennenswerten Mengen vor. »Wir wollen bis zum Jahr 2025 an unseren Standorten klimaneutral produ­ zieren«, sagt der Firmenchef. Ein Problem: Klare Vorschriften oder Standards für die CO₂-Bilanzierung gibt es in Deutschland nicht. Spies verwendet für die Treibhausgas-Bilanz das »Green­ house Gas (GHG) Protocol«. Das habe sich als Standard für CO₂-Bilanzen global durchgesetzt, heißt es beim Bundesver­ band mittelständische Wirtschaft. Doch viele tun es nicht. Eine Klima­ bilanz aufzustellen ist für mittlere und kleine Firmen freiwillig. Home24 aus Ber­ lin hat sich dafür entschieden. Der OnlineMöbelhändler bietet mehr als 100.000 Möbel, Lampen und Wohnaccessoires an und setzte 2020 rund 492 Millionen Euro um. Seit gut zwei Jahren erhebe das Unter­ nehmen nun Daten für die Klimabilanz, erzählt der Gründer und Vorstandschef Marc Appelhoff. Es sei ihm »ein großes

Anliegen«, mehr für den Klimaschutz zu tun. Appelhoff ist Vater von zwei Jungen, fünf und sieben Jahre alt. Seitdem die auf der Welt seien, fühle er sich stärker in der Verantwortung, sagt er. »Wir wollen den Kindern die Erde irgendwann übergeben.« Auch die Fridays-for-Future-Proteste hät­ ten ihn zum Nachdenken gebracht, Fazit: Man muss in der eigenen Firma mehr tun. Home24 ist an der Börse notiert, und Appelhoff begann mit der TreibhausgasBilanz erst, als die Firma vor Steuern und Abschreibungen keine Verluste mehr schrieb. Das war im vierten Quartal 2019. »Vorher war das den Aktionären nicht zu­ zumuten.« Inzwischen hat sich das Unter­ nehmen ökologische Ziele gesetzt: »Unser Fußabdruck soll bis 2024 um 75 Prozent kleiner werden«, sagt Appelhoff. Das GHG Protocol verlangt, die Menge des Treibhausgas-Ausstoßes auszuweisen. Dafür engagierte Home24 einen Dienst­ leister. »Aber die haben es nicht hinbe­ kommen, die Emissionen für die Leistung unserer Server zu berechnen«, sagt Appel­ hoff. Den 43-Jährigen ärgerte das, denn Server gehören bei Online-Firmen zu den größten Stromfressern. Home24 trennte sich von dem Dienstleister. Es war ein halbes Jahr verschwendete Zeit. Dann bat der Home24-Chef die Unter­ nehmerin Anna Alex um Hilfe. Die beiden kannten sich aus der Gründerszene, beide sind der Initiative Leaders for Cli­mate Ac­ tion beigetreten. In Deutschland gehören ihr etwa 650 Start-up-Gründer, Firmen­ chefs und Investoren an. Sie alle wollen den eigenen CO₂-Fußabdruck ausgleichen und langfristig reduzieren. Es ist nur ein Be­ kenntnis – ohne Strafen, wenn einer bloß so tut und Greenwashing betreibt. Anna Alex – 36, verheiratet, zwei kleine Kinder – hat schon zwei Firmen gegründet. Ihre Familie messe den Fußabdruck jedes Jahr und versuche ihn kleinzuhalten, sagt die Vegetarierin. Jedes Jahr im Januar leg­ ten ihr Mann und sie einen veganen Monat ein und probierten neues Essen aus. Alex also nimmt das Klimading ernst, wie viele in ihrer Generation; seit Kurzem ist sie außerdem Mitglied im Green Council der ZEIT, der die Redaktion der Wochen­

Klimaschutz im Mittelstand

Hipp, Pfaffenhofen CO2 -Ausstoß: 24.000 Tonnen/Jahr Der Babykosthersteller ist ein Pionier: Alle Produktionsstandorte in der EU seien schon klimaneutral, bis 2025 wolle man klimapositiv werden. Und zwar »über die gesamte Wertschöpfungskette«, sagt Stefan Hipp, der Firmenchef. Allerdings fallen außerhalb des Unternehmens pro Jahr 576.000 Tonnen CO2 an. Deshalb suche man zusammen mit Lieferanten nach Wegen, auch deren Ausstoß zu reduzieren.

Mayr, Mauerstetten CO2 -Ausstoß: 3054 Tonnen (2018) Solaranlagen, Strom aus erneuerbaren Quellen, Elektroautos: Mayr Antriebstechnik will Kupplungen möglichst klimaschonend herstellen. »Eine große Herausforderung ist die Wirtschaftlichkeit«, sagt Ferdinand Mayr, der Chef. Er wünscht sich Förderung statt eines »starren Korsetts« aus Vorgaben. Seit 2020 wirtschafte man klimaneutral. Aber Emissionen seien unvermeidbar, daher kompensiere man mit Klimaschutzzertifikaten.


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TITELTHEMA KLIMASCHUTZ

Vaillant, Remscheid CO2 -Ausstoß: 60.000 Tonnen/Jahr Vaillant beeinflusst mit seinen elektrischen Wärmepumpen das Raumklima seiner Kunden – und will auch das Weltklima schonen: Seit 2020 gleiche das Unternehmen seine Emissionen durch ein zertifiziertes Aufforstungsprojekt vollständig aus, erklärt Norbert Schiedeck, der Chef. Die eigenen Emissionen habe man in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent reduziert, bis 2030 sollen sie um die Hälfte sinken. Dazu will Vaillant mehr Fotovoltaikanlagen einsetzen, in Effizienz investieren und den Fuhrpark elektrifizieren.

Stihl, Waiblingen CO2 -Ausstoß: 90.000 Tonnen/Jahr »Klimaschutz ist uns ein zentrales Anliegen«, sagt Nikolas Stihl, der Aufsichtsratschef des für seine Motorsägen weltbekannten Unternehmens. Der Mittelständler will seine Energieeffizienz bis 2030 um 40 Prozent steigern und mehr Strom aus erneuerbaren Quellen herstellen. »Nicht vermeidbare Emissionen werden über Kompensationsmaßnahmen ausgeglichen«, sagt Stihl. Die eigenen Anlagen sollen bis 2028 klimaneutral laufen. Eine Herausforderung: synthetische Kraftstoffe für Motorsägen zu entwickeln.

zeitung berät. Woher kommt ihre Motivation? Alex sagt, sie sei mit Tieren aufgewachsen und sei »unglaublich tierlieb«. Das motiviere sie, sich für Umweltschutz starkzumachen. »Ohne eine intakte Natur können Tiere nicht ­leben.« Als Anna Alex den Leaders for Climate Action beitrat, leitete sie noch Outfittery, einen Online-Herrenausstatter. Während sie für ihr erstes Start-up eine Klimabilanz aufstellen wollte, habe sie einen »Das kann alles nicht wahr sein«-Moment erlebt. Denn für Kennziffern wie den Umsatz gibt es ein automatisiertes Rechnungswesen. Doch die Daten für den CO₂-Fußabdruck werden meist per Hand in Tabellen erfasst. »Da rennt ein Berater mit Laptop und Tabellen durch die Flure«, sagt sie. Alex war entsetzt, schließlich sei der CO₂Fußabdruck »die wichtigste Kennzahl der Menschheit. Die können wir nicht einer Excel-Tabelle überlassen.« 2018 hatte sie genug. »Ernüchtert« sei sie gewesen, sagt sie. »Wissenschaft und Politik redeten viel über Klimaschutz, kriegten es aber nicht allein hin.« Alex beschloss, sich als Unternehmerin mehr zuzutrauen. Gemeinsam mit einem Partner gründete sie Anfang 2020 Planetly. Die Beratung hat selbst eine Software entwickelt, mit der sie Firmen befähigt, eine Klimabilanz zu erstellen und die großen Quellen für Treibhausgase aufzuspüren. Zu Planetly gehören heute 100 Mitarbeiter. Die Hälfte entwickelt Software, die andere hilft Firmen. Etwa 150 Kunden habe sie bereits beraten, sagt Alex, gerade Mittelständlern sei Nachhaltigkeit sehr wichtig. Nach der ersten Messung erwerben Kunden wie Spies oft eine Jahreslizenz für die Software. Home24 ließ sich zusätzlich auch bei der Logistik beraten. Das Ganze kostet laut Alex zwischen 5000 und 25.000 Euro pro Jahr, also 400 bis 2100 Euro im Monat. Die Spies-Managerin Marie Hühne sagt: »Am Anfang können einen die vielen Zahlen erschlagen, aber Planetly nimmt einen an die Hand.« Die Bilanzierung ist schwierig. Das Green­ house Gas Protocol unterscheidet drei Quellen für Emissionen, die Planetly für den Betriebsalltag übersetzt. Da sind

erstens die direkten Treibhausgase – »alles, was aus internen Schornsteinen oder Auspuffen kommt«, sagt Alex. Aus Heizkraftwerken etwa oder Autos. Bei den Experten heißt dieser Bereich S­ cope 1. Zur zweiten Kategorie (­ Scope 2) zählen indirekte Emissionen im Betrieb. Gemeint ist der Ausstoß aus eingekaufter Energie wie dem Strom für die Spritzgussmaschinen von Spies. Was beide Kategorien verbindet: Die Verursacher können die Menge des Ausstoßes direkt beeinflussen. Scope 3 umfasst Emissionen aus Aktivitäten, die unternehmensfremd sind. Die Verursacher sind Zulieferer, Dienstleister oder später die Konsumenten. Im Fall von Spies zählen dazu etwa die Emissionen, die bei der Herstellung der Spritzgussanlagen angefallen sind. Oder bei der Förderung der Rohstoffe, die Spies verwendet. Das Besondere: »In Scope 3 fallen in vielen Betrieben die meisten Emissionen an«, sagt Anna Alex. Auch bei Spies und Home24 ist der Ausstoß von Fremdfirmen der größte Posten. Die Messung ist nicht immer möglich. Denn Home24 handelt mit Waren von mehr als 500 Herstellern, viele produzieren im Ausland. »Je nach Hersteller kann der CO₂-Ausstoß für ein Sofa sehr verschieden sein«, sagt Appelhoff. Das GHG-Protokoll verpflichtet Firmen bloß, die Emissionen aus den internen Kategorien auszuweisen. Auch Spies und Home24 beziehen nur darauf ihr Ziel der Klimaneutralität. Es ginge also mehr. Neben Planetly gibt es eine Handvoll Start-ups wie Plan A aus Berlin, die beim Vermessen von Klimasünden helfen. Auch Tech-Konzerne wie SAP, Microsoft oder Oracle haben das Erstellen von Treibhausgas-Bilanzen als attraktive Einnahmequelle entdeckt. Viele wollen jetzt auch die Emissionen entlang der Prozessketten erfassen. Aber was motiviert Industrie- und Handelsfirmen, sich auf die komplizierte Bilanzierung einzulassen? Viele Unternehmer seien überzeugt von der Dringlichkeit, sagt Anna Alex. Außerdem wollten sie durch mehr Transparenz beim Klima attraktiver werden für Arbeitnehmer, Endkunden oder Investoren. Kurz: Sie wollen ihr Image aufpeppen und


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Unternehmenssteuerung: Pragmatisch schlägt kompliziert Wie uns im Corona-Frühling 2020 betriebswirtschaftliche Auswertungen die Sicherheit für strategische Entscheidungen gegeben haben März 2020. Der Umbau des Agenda-Firmensitzes am Standort Rosenheim ist in vollem Gang: Fünf Stockwerke mit Büros für über 300 Mitarbeiter werden rundum saniert und mit der modernsten Einrichtung ausgestattet. Doch plötzlich kommen Gewusel und Hektik zu einem jähen Ende. Von einem Tag auf den anderen arbeiten alle Kollegen mobil von zu Hause aus. Wer doch einmal ins Büro muss, geht durch gespenstisch leere Gänge und vorbei an Schreibtischreihen voller schwarzer Monitore. Deutschland ist im Lockdown. Und steht am Anfang einer Krise, deren Auswirkungen niemand absehen kann. Wie können Unternehmer unter solchen Bedingungen überhaupt noch handlungsfähig bleiben?

Fokus: Risikomanagement Priorität hatte natürlich die Eindämmung der gesundheitlichen Gefährdung. Gleichzeitig galt es, mögliche finanzielle Risiken abzufedern. Unser Ziel war, die betriebliche Stabilität trotz der Corona-Pandemie weiterhin sehr hoch zu halten. Wir behielten laufende Kosten eng im Blick undlotetenOptimierungspotenziale aus. Mit Planszenarien auf Basis der Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) führten wir vielfältige Analysen durch.

DiesesWissengabunsSicherheit beurteilen können. Zwei Befür strategische Entscheidungen dingungen müssen dafür erfüllt während der Krise. sein: Erstens, die Buchführung mussimmerdenaktuellenStand Keine Entscheidung abbilden. Zweitens, Sie müssen ohne Datenanalyse zu jedem Zeitpunkt Zugang zu den Daten haben. Ob Sie Ihre Natürlich ist eine globale Pan- Finanzbuchführung im Haus demie eine Ausnahmesituation. machen oder an einen DienstDerartige Krisen zeigen die Ent- leister auslagern, ist nebensächscheidungsfähigkeit von Unter- lich. Mit der richtigen Infrastruknehmen unter Druck wie unter tur kommen Sie immer an die einem Brennglas auf. Denn Zahlen. Bei den betriebswirtauf einmal sind alle betroffen. schaftlichen Software-Lösungen Unternehmer müssen aber von Agenda kann Ihr Dienstleisimmer wieder strategische ter Zahlen und Auswertungen Entscheidungen unter unvor- zum Beispiel über das cloudhergesehenen Bedingungen basierte Unternehmensportal treffen. Gerade dann ist es es- bereitstellen. senziell, dass sie sofort die wirkDatenauswertung in lich relevanten Informationen der Unternehmensbekommen. Wer unter Druck praxis: Pragmatisch entscheiden muss, dem bieten schlägt kompliziert aussagekräftige Analysen der Geschäftszahlen die nötige Orientierung und Stabilität. So, wie Vielen Unternehmern ist gar wir uns im März 2020 auf Plan-/ nichtbewusst,dasssiemitrelativ Ist-Analysen mit Hilfe unserer unkomplizierten Auswertungen Software Agenda Rechnungs- ihrer BWA-Zahlen strategisch weitreichende Entscheidunwesen stützen konnten. gen treffen können. Dabei ist Rohmaterial gerade in Stresssituationen das Buchführungsdaten einfachere Tool oft das bessere. Denn damit Sie handlungsfähig Wir dürfen dankbar sein, dass bleiben, brauchen Sie schnell Unternehmer durch die Buch- zuverlässige Ergebnisse. Alles haltungspflicht zur Finanzbuch- andere lähmt nur. So wie wir im führung gezwungen sind. Ja, Sie Corona-Frühling 2020 Plan-/ haben richtig gelesen: Indirekt Ist-Szenarien genutzt haben. hat der Staat dafür gesorgt, dass Und das ist nur eines von vielen wir die Daten schon im Haus Beispielen, wie Sie Ihr Unterhaben, mit denen wir jede ge- nehmen mit Analysen auf Basis schäftliche Situation schnell Ihrer BWA-Zahlen steuern.

Dr. Florian Schmidt-Wudy ist Geschäftsleitungsmitglied und Bereichsleiter Personal, Finanzen und Recht sowie Syndikusrechtsanwalt bei Agenda

»

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TITELTHEMA KLIMASCHUTZ

Foto: Schmott für ZEIT für Unternehmer

Verpackungen von Spies lassen sich recyceln, so auch dieser Becher. Oder man verwendet ihn als Vase

Wettbewerber überflügeln. Andere Firmen gingen davon aus, dass die TreibhausgasBilanzierung künftig zur Vorschrift wird, und wollten den Schritt vorab tun, so Alex. Die größten Klimasünden variieren von Branche zu Branche. Bei Spies verursacht der Strom für die Verpackungsproduktion etwa 80 Prozent der internen Emissionen. Laut dem Energiewende-Barometer bezieht jedes dritte befragte Unternehmen bereits Ökostrom, und jedes

zweite kann sich vorstellen, dafür mehr Geld auszugeben als für konventionellen Strom. Bei Spies rechnet man noch, denn grüner Strom ist oft teurer. Zudem erwägt Spies, den Fuhrpark nach und nach zu elektrifizieren. Über allem schwebt die Frage: Viele Kunden wollen zwar klimaneutrale Produkte, aber wollen sie auch mehr dafür bezahlen? Marie Hühne ist skeptisch, sagt aber auch: »Die Bereitschaft wächst.« Und der CO₂-Preis auch.

Wenn eine Firma klimaneutral werden will, muss sie andere beeinflussen. »Wir gehen jetzt mit den Lieferanten in den Dialog«, sagt Hühne. Aber es werde nach allen Reduktionen immer einen restlichen CO₂Ausstoß geben. Diese Menge will der Mittelständler von 2025 an ausgleichen und dafür Zertifikate kaufen. Von solchen Gutschriften werden zusätzliche Klimaprojekte bezahlt. Der Möbelhändler Home24 hat zuletzt jährlich etwa 22.000 Tonnen CO₂ ausge­ stoßen. »Der größte Treiber ist bei uns die Logistik«, sagt Appelhoff. 54 Prozent des Ausstoßes betreffen also Abgase der Laster oder Schiffe für den Transport der Waren. Weitere große Energieschlucker sind die Gebäude und die Server. Wegen der teils langfristigen Verträge seien diese Quellen erst mal schwer zu beeinflussen, sagt Appelhoff. Deswegen geht Home24 einen anderen Weg als Spies. Der Händler hat die Klimasünden aus dem Jahr 2019 laut Appelhoff mit einem »niedrigen sechsstelligen Betrag« kompensiert – das ist weniger als ein Prozent des Umsatzes. Dieses Geld fließt in fünf von Planetly vermittelte Projekte. Auch ein Windpark in Maharashtra in Indien gehört dazu. Home24 hat ihn ausgesucht, weil jedes vierte verkaufte Produkt aus Asien stammt. Home24-Chef Appelhoff sagt, dass er sich erst mal keine finanziellen Vorteile verspricht von der neuen CO₂-Bilanz. Für den Kapitalmarkt und die Kreditgeber sei das eher »ein Hygienefaktor«, eine Notwendigkeit also. Und bei Kunden und auf dem Arbeitsmarkt will Appelhoff damit nicht werben, solange der Konzern die Emissionen nicht reduziert, sondern nur kompensiert. Tatsächlich kann aus der Kür schnell Pflicht werden. Bisher müssen nur etwa 11.000 größere börsennotierte Konzerne in der EU einen CO₂-Fußabdruck bilanzieren. Doch die EU-Kommission möchte die Berichtspflicht auf Firmen mit mehr als 40 Millionen Euro Umsatz und mehr als 250 Mitarbeitern ausweiten. Ihre neue »Corporate Social Responsibility Directive« ist zwar noch ein Entwurf, aber die EU-Kommission will die Richtlinie bis 2023 durchsetzen. Für Planetly und die Firmenkunden wäre das eine frohe Botschaft. Mitarbeit: Thimon Abele


Unter Offenheit verstehen wir,

Zugang zu den Erfolgschancen internationaler Märkte zu schaffen. Wussten Sie, dass alle Bauten und Brücken auf unseren Euroscheinen erfunden sind? Aus gutem Grund, denn man wollte kein Land und keine Kultur über die andere stellen. Das ist Offenheit, wie wir von der DZ BANK sie verstehen und leben. Unvoreingenommen auf Kulturen und Märkte zuzugehen, um Chancen zu finden und gemeinsam zu nutzen. Mehr über Offenheit und unsere Haltung erfahren Sie unter: dzbank.de/haltung


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TITELTHEMA KLIMASCHUTZ

Das geht noch besser Deutschland stößt seit Jahren immer weniger Treibhausgase aus. Aber es muss mehr passieren, und die Unternehmen sind besonders gefordert VO N JENS TÖ NNESMANN

1249 87 164

1043 72 181

Wo Deutschland hinmuss

Bis 2030: 65 Prozent weniger Emissionen von Treibhausgasen gegenüber 1990

208

942 69 153 149 188

856 68 163 116 190

466

810 68 164 123 187

385

739 66 146 120 178

368

309

258

221

1990

2000

2010

2018

2019

2020

210

167

284

Energiewirtschaft Industrie Gebäude

Bis 2040: 88 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990

Verkehr Landwirtschaft Abfall/Sonstiges

Bis 2045: Klimaneutralität. Es werden nur so viel Treibhausgase ausgestoßen, wie auch abgebaut werden

So viele Millionen Tonnen CO2 -Äquivalente emittiert Deutschland. 2020 waren es 40 Prozent weniger als 1990

Was den Mittelstand bremst

55 %

der Unternehmen beklagen den hohen Aufwand dabei, die eigenen Emissionen zu bilanzieren

77 %

der Firmen finden, dass die Politik sich stärker für die Klimaschutzziele engagieren sollte

33 %

vermissen Förderprogramme und Unterstützungsangebote, die ihnen dabei helfen, klimaneutral zu werden

52 %

fehlen nach eigener Darstellung die finanziellen und personellen Ressourcen, um klimaneutral zu werden

Quelle: Bundesumweltamt, DIHK Energiewende-Barometer 2021

Mio. t CO2-Äquiuvalente

Wo Deutschland steht


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FOTOSTORY MULI CYCLES

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Ein Korb für die Kunden Muli Cycles stellt kompakte Lastenräder her. Das Kölner Unternehmen schafft es gerade kaum, die gewaltige Nachfrage zu bedienen VON NAV INA REU S U ND H ENNI NG RO S S ( FOTO S )

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1 Lastenräder sind in aller Munde, seit die Grünen vorgeschlagen haben, ihren Kauf fördern zu wollen. Doch auch vorher waren sie so begehrt, dass der Kölner Hersteller Muli Cycles sich diesen Schweißroboter namens Maggo zugelegt hat, um die Räder und ihre faltbaren Körbe schneller produzieren zu können 2 Diese Ösen werden an den Körben montiert, später können die Kundinnen und Kunden daran mit ein paar Handgriffen einen Sitz für zwei Kinder befestigen 3 Eric, ein Monteur, verpasst dem frisch geschweißten Korb den Feinschliff

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FOTOSTORY MULI CYCLES

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4 So sieht der fertig geschweißte Rahmen aus. Mehrere Tausend davon produziert Muli pro Jahr – aktuell sind das zu wenige, um alle Kunden zu versorgen (siehe Seite 30) 5 Die Rahmen werden bei einem Dienstleister mit Pulverlack beschichtet und kommen in Farben wie »lucky blue« und »funky orange« zurück 6 Hier werden die Halterungen der Körbe montiert 7 Muli ist es wichtig, die Räder komplett in Deutschland zu fertigen, um faire Arbeitsbedingungen und hohe Umweltstandards garantieren zu können. Den größten Teil der Arbeit erledigt das 20-köpfige Team in der Werkstatt im Kölner Stadtteil Ehrenfeld

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7

8 Jonas Gerhardt hat Muli mit seinem Bruder Sören gegründet. Und zwar auch aus der Not heraus: Sie brauchten ein kompaktes Gefährt, um ihre Kinder durch die Stadt zu transportieren. Ihre Idee kam gut an, per Crowdfunding sammelten sie im Jahr 2017 rund 90.000 Euro Startkapital von 73 Geldgebern 9 So sieht ein fertiges Muli aus, dieses Modell hat einen Motor. Preis: fast 5000 Euro. Und aktuell: Ausverkauft


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FOTOSTORY MULI CYCLES

UNTERNEHMER-FRAGEBOGEN

Die Scheunenschrauber

Foto: privat

I M PRES S UM

Herr Gerhardt, was macht Ihr Unterneh- Sehr nützlich ist, dass unsere Räder kurz men Muli Cycles? sind und sich der Korb zusammenklappen Wir stellen kompakte Lastenräder her, die lässt. Ästhetisch ist unsere klare und sich besonders für Menschen eignen, die in schnörkellose Rahmengeometrie. Großstädten auf engem Raum zusammen­ Welches Ihrer Produkte mögen Sie am leben. Gleichzeitig begreifen wir unsere ­A r­ wenigsten? beit als einen Beitrag zu einer ge­mein­wohl­ Das Regenverdeck. Das funktioniert gut, orien­tier­ten Ökonomie, denn wir produzie­ sieht aber etwas unförmig aus, und ich hätte ren diese Räder komplett in Deutschland. es gerne noch etwas einfacher im Handling. Was ist Ihre größte Herausforderung? Wo machen Sie Kompromisse? Die Skalierung des Unternehmens, denn die Auch wir sind darauf angewiesen, einige Nachfrage nach unseren Rädern ist seit Jah­ Fahrradkomponenten in Asien einzukaufen. ren enorm. Die Pandemie hat diesen Trend Freuen oder ärgern Sie sich, wenn Wettnoch einmal verschärft. Daher sind große bewerber das Geschäft beleben? Lieferengpässe bei vielen Bauteilen entstan­ Unsere Räder hatten mit ihren kleinen­ den, die wir für den Bau der Räder benötigen. Reifen und dem komprimierten Rahmen Wie viel Geduld brauchen Ihre Kunden? ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Nun hat Schon etwas, wir waren dieses Jahr schon einer­unserer Kunden das Konzept über­ früh ausverkauft. Allerdings können wir nommen und auch ein Rad auf den Markt demnächst noch mal eine kleine Nachorder gebracht. Das ärgert uns schon, wir hätten freischalten. Zwei Monate wird die Liefer­ uns mehr Wertschätzung gewünscht. zeit da voraussichtlich betragen. Welche ist Ihre wichtigste Maschine? Ihr Unternehmen wäre nichts ohne ... Der Schweißroboter namens Maggo. ... das Know-how, das mein Bruder Jonas als Und was ist der wichtigste Algorithmus? Maschinenbauer und ich als Designer zu­ Unser ERP-System, das unser Informatiker sammenbringen. Und es wäre nichts ohne Oliver Philipps laufend weiterentwickelt. Es unsere Kinder, ohne sie wären wir wohl nie hilft uns unter anderem dabei, Knappheiten auf die Idee für das Projekt gekommen. zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren. Woran wäre Ihre Firma fast gescheitert? Wie wichtig ist Ihnen Diversität? 2017 haben wir die Produktion der ersten Sehr. Aber wir haben als männliches Grün­ Räder in der Scheune meiner Großmutter derteam angefangen, Monteurinnen sind begonnen. Das Projekt hat dann so schnell schwer zu finden. Daher sind nur 2 unserer an Dynamik gewonnen, dass wir 20 Beschäftigten weiblich. Das 2018 vor der Frage standen: wollen wir verbessern. Wollen wir dauerhaft diesen Was begrenzt Ihr Wachstum? Druck und die Risiken, oder Die größte Hürde ist unser An­ stoppen wir hier? Wir haben uns spruch, nachhaltig zu produzie­ dann für das Risiko entschieden, ren. Deswegen holen wir keinen weitere Mitarbeiter gesucht und Investor in die Firma, dem Ge­ weitergemacht. winnmaximierung wichtiger ist. Was an Ihren Produkten finden Die Fragen stellten Navina Reus Sören Gerhardt, Sie ästhetisch, was nützlich? und Jens Tönnesmann Co-Gründer

Herausgeber: Dr. Uwe Jean Heuser Art-Direktion: Haika Hinze Redaktion: Jens Tönnesmann

(verantwortlich) Autoren: Thimon Abele,

Carolyn Braun, Maren Jensen, Kristina Läsker, Doreen Reinhard, Niclas Seydack, Claas Tatje, Eva Wolfangel Redaktionsassistenz: Andrea Capita Chef vom Dienst: Iris Mainka (verantw.), Mark Spörrle Gestaltung: Johanna Knor, Beate Zollbrecht Infografik: Pia Bublies (frei) Bildredaktion: Amélie Schneider (verantw.), Tobias Laukemper, Navina Reus Schlussredaktion: Imke Kromer Korrektorat: Thomas Worthmann (verantwortlich) Dokumentation: Mirjam Zimmer (verantwortlich) Herstellung: Torsten Bastian (verantw.), Oliver Nagel Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Verlagsleitung Magazine: Sandra Kreft, Malte Winter (stellv.) Projektmanagement: Stefan Wilke Verlagsleitung Vertrieb: Nils von der Kall Marketing: René Beck Unternehmenskommunikation und Veranstaltungen:

Silvie Rundel Anzeigenleitung: Áki Hardarson Anzeigenpreise: Sonderpreisliste Nr. 1

vom 1. 1. 2021 An- und Abmeldung Abonnement (4 Ausgaben):

www.convent.de/zfu Verlag und Redaktion:

Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH und Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus, Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg, Telefon: 040/32 80-0, E-Mail: DieZeit@zeit.de


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VORDENKER

ZUR PERSON Erik Kaffiné, seit 2020 Direktor Service CSSD (Customer Service und Support Division) bei Kyocera Document Solutions Deutschland

Nachhaltigkeit

» Print Green und die Optimierung von Service Prozessen spart CO2 » Kunden setzen verstärkt auf klimafreundliches Drucken » Mehr bei insights.kyocera.de, dem Livestream-Format für Informationsmanagement.

»GREEN OFFICE HAT ENORMES POTENZIAL« Weltweit ist Kyocera seit Jahrzehnten nachhaltigem Wirtschaften verpflichtet und setzt mit seinem »Print Green« Konzept bereits seit zehn Jahren auf klimafreundliches Drucken. Was das bedeutet und wie immer mehr Kunden von dieser Initiative profitieren, erläutert Erik Kaffiné, Direktor Service CSSD. In Deutschland arbeiten rund 18 Millionen Menschen in Büros und drucken täglich Milliarden von Seiten. Welche Möglichkeiten sehen Sie für Einsparungen von CO2? Green Office hat enormes Potenzial, denn pro A4-Druckseite entsteht etwa ein Gramm CO2. Nach einer Umfrage von Statista hat jedoch ein Drittel der Unternehmen in Deutschland noch keine Nachhaltigkeitsstrategie für Büroprozesse. Andererseits wird Klimaneutralität von unseren Kunden und Partnern immer stärker eingefordert, denn Nachhaltigkeit wird auch zum Kriterium bei der Vergabe von Aufträgen. Wie lässt sich das Einsparpotenzial realisieren? CO2 einzusparen bedeutet, Emissionen zu vermeiden und zu verringern – oder durch zertifizierte Projekte zu

kompensieren. Neben klimaneutralem Toner, den wir seit 2013 anbieten, haben wir auch den CO2-Ausstoß der Hardware erfolgreich kompensiert. Damit ist Kyocera deutschlandweit einziger Hersteller, der nur klimaneutrale Systeme und Toner anbietet. Unsere Kunden unterstützen wir mitIT-Lösungen, umweltfreundlichen Drucksystemen und Office-Equipment. Neben Workshops zu Nachhaltigkeit und der Entwicklung eines Service-Leitfadens zur Senkung von CO2, können unsere Fachhändler über uns ihren CO2-Fußabdruck berechnen. Externe Fachleute zeigen dann Optimierungspotenziale auf. Außerdem bieten wir die Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck durch Unterstützung von Projekten auszugleichen, die mit dem Gold Standard ausgezeichnet wurden. Wie werden diese Angebote von den Kunden angenommen? Wir sind stolz, dass so viele den Weg der Nachhaltigkeit mit uns gehen. Mit der Compass-Gruppe als Zusammenschluss von 41 Systemhäusern auch einer der größten Anbieter in Deutschland. Denn Nachhaltigkeit ist längst kein »nice to have«, sondern ein Bewertungskriterium.

Welche Nachhaltigkeitskonzepte hat Kyocera intern realisiert? Unter anderem haben wir den CO2Fußabdruck für unsere Zentrale in Meerbusch nach dem internationalen Greenhouse Gas Protocol berechnen lassen und klimaneutral gestellt. Damit werden nicht nur verursachte Emissionen kompensiert, eine Analyse hat auch die größten CO2Emittenten und weiteres Einsparpotenzial identifiziert. Wurde Ihnen schon der Vorwurf des Greenwashing gemacht? Nein, denn nach dem Ansatz »Vermeiden vor Vermindern vor Kompensieren« ist Nachhaltigkeit fest in unserer Firmenphilosophie verankert. Für unsere Investition in drei mit dem Gold-Standard zertifizierte Klimaschutzprojekte in Kenia, Madagaskar und Nepal haben wir jüngst einen Award für Nachhaltigkeitsprojekte erhalten. Zudem arbeiten wir seit fast 35 Jahren mit der Deutschen Umwelthilfe zusammen und kooperieren mit Unternehmen, NGOs und Ministerien, um Klimaschutz in der deutschen Wirtschaft stärker und voranzutreiben, etwa bei »Wirtschaft macht Klimaschutz« und in der Allianz für Entwicklung und Klima.


DIGITALISIERUNG CYBERATTACKEN

Fotos: Philip Klak

Der Feind im Postfach Die Buchhalterin im Homeoffice hatte großes Verständnis für die Eile des Chefs – er hatte eben wie immer viel zu tun. Der Betreff der E-Mail lautete »dringend«, und der Geschäftsführer fiel direkt mit der Tür ins Haus: »Wir müssen heute eine Zahlung von 65.300 Euro leisten, geht das?« Die Buchhalterin prüfte den Kontostand, das Geld reichte, sie mailte ihrem Chef ein kurzes Ja zurück. »Ok, dann bitte bezahlen, ich schicke die Dokumentation später«, schrieb der Chef und schickte eine Kontonummer mit. Die Buchhalterin wollte keine eiligen Prozesse aufhalten – und überwies sofort. »Als mein Kollege gehört hat, was für eine E-Mail er angeblich geschrieben haben sollte, ist er aus allen Wolken gefallen«, sagt Moritz Barnim*, Mitinhaber des kleinen mittelständischen Unternehmens aus der Elektronikentwicklung in Berlin. Dabei ist die Masche, sich als Chef auszugeben, so verbreitet, dass sie sogar schon einen Namen hat: CEOFraud. Barnim heißt in Wirklichkeit anders – und das ist eins der interessanten Phänomene dieser Recherche. Kein Unternehmen möchte offen über Cyber­ angriffe sprechen, mit denen es zu tun hatte. Zu groß ist die Angst, sich zu entblößen oder sich zum Ziel weiterer Attacken zu machen. Barbara Engels sagt: »Cyberangriffe sind immer noch ein Tabuthema.«­

Engels ist Forscherin beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, und sie arbeitet daran, das Tabuthema auszuleuchten. Engels findet: »Nur wenn man über das Thema spricht, werden andere sensibilisiert und können sich schützen.« Wobei viele auch dann noch lieber abwarten: »Unternehmen handeln erst, wenn sie selbst betroffen sind.« Der Schaden wächst

224 Milliarden Euro betrug der Schaden, den Cyber­ attacken im Jahr 2020 verursacht haben. Das zeigen Berechnungen des Verbands Bitkom

Der Schaden ist groß. Laut aktuellen Zahlen des IW lag er 2020 bei 224 Milliarden Euro – 121 Milliarden mehr als noch 2019. Die Zahlen basieren auf einer Umfrage des Verbands Bitkom unter 1067 Unternehmen. »Das Thema ist nicht mehr zu ignorieren«, appelliert Engels, die Autorin der Studie. Engels untersucht darin, wie sehr das Homeoffice den Trend verstärkt. In der Umfrage berichten 59 Prozent der 817 Unternehmen, dass es genau deshalb seit Beginn der Corona-Pandemie bei ihnen IT-Sicherheitsvorfälle gegeben habe. Allein der so entstandene Schaden beläuft sich auf 52,5 Milliarden Euro, hat Engels ausgerechnet, 31 Milliarden mehr als vor der Pandemie. Diese Entwicklung erklärt sich nicht nur dadurch, dass die Zahl der Attacken während der Pandemie massiv gewachsen ist. Das Homeoffice


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Cyberattacken haben während der Pandemie zugenommen. Welche Angriffe sind erfolgreich? Und wie verteidigen sich Unternehmen? VO N EVA WO LFA NGEL

bietet auch viel mehr Angriffspunkte als die Arbeit vor Ort. Aus Sicht von Engels gibt es dafür drei Gründe: Heimnetzwerke sind meist schlechter geschützt. Im Homeoffice fehlen die Kolleginnen und Vorgesetzten, bei denen man sich auf Zuruf rückversichern kann, wenn etwa eine verdächtige Nachricht eintrifft. Und zumindest zu Beginn der Pandemie standen viele Menschen unter besonderem Stress. Moritz Barnim macht seiner Buchhalterin deswegen keine Vorwürfe: Normalerweise sitze sie ihrem Chef direkt gegenüber, und die Attacke wäre sofort aufgefallen. Der Angreifer hatte auch leichtes Spiel: Die E-Mail-Adressen der Firma sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut, und es braucht wenig Aufwand, über die Firmenwebseite herauszufinden, wer Entscheidungen übers Geld trifft und wer den Zugang zum Konto hat. »Das ist gruselig, dass so etwas so einfach funktioniert«, sagt Barnim. Glücklicherweise mailte die Buchhalterin ihrem Chef nach dem Geldtransfer eine Bestätigung – an dessen echte Adresse. Der rief die Bank an, die ließ das Zielkonto sperren, die Firma bekam das Geld zurück. »Wir hätten den Verlust wohl überlebt«, sagt Barnim, »aber es hätte sehr wehgetan.« Eigentlich unternimmt der 43-Jäh­ rige eine Menge, um Cyberangriffe zu verhindern. Er hat das Thema »Social

53 Milliarden Euro Schaden ließen sich im PandemieJahr 2020 auf Cyberangriffe im Homeoffice zurückführen, hat eine Forscherin ermittelt

Engineering« in Schulungen integriert – so nennt man die Taktik der sozialen Manipulation, mit der Angreifer ihre Opfer dazu bringen, ihnen Geld zu überweisen oder Passwörter für interne Systeme zu verraten. Für den Angriff auf Barnims Firma fingierte der Betrüger die Mail so, dass im Absenderfeld der E-Mail der Name des Chefs stand – nur bei genauem Hinsehen wäre aufgefallen, dass sie eigentlich von einer firmenfremden Adresse versandt wurde. »Outlook verbirgt die Absenderadresse aber«, erklärt Barnim. Er hat nun selbst ein Programm geschrieben, damit die Absenderadresse in dem Mail-Programm angezeigt wird. Außerdem lässt er E-Mails von Dienstleistern wie Googlemail und gmx. de automatisch abfangen und in eine sogenannte Quarantäne schicken, bis der Empfänger den Absender geprüft hat. Das Gleiche geschieht mit angehängten Office-Dokumenten. Die können Makros enthalten, also eingebaute Programme, die sich starten, wenn man die Dateien öffnet – und schon läuft der Angriff. Zudem werden E-Mails von der Firewall automatisch entschlüsselt und auf mögliche Schadsoftware geprüft. »Das ist nicht schön, denn es schwächt die Privatsphäre«, sagt Barnim, der die Mitarbeiter darüber informiert hat. Großer Aufwand, sagt Barnim, »aber wir nehmen diese Unannehmlichkeiten in Kauf«.


DIGITALISIERUNG CYBERATTACKEN

Paul Meinau* hat sogar schon mal alle Drucker des Chemieunternehmens abgeschaltet, in dem er in der IT-­ Sicherheit arbeitet. Die Sicherheitslücke »PrintNight­mare« ermöglichte es Angrei­ fern, über einen Fehler in der Druckerinstallation von Windows das Firmennetz zu kapern, erst nach Wochen hat Microsoft das Problem behoben. Überhaupt geht Meinau lieber auf Nummer sicher. Er achtet darauf, dass Angreifer im Netz nicht zu viele Informationen über einzelne Beschäftigte und ihre Funktionen finden. Größere Überweisungen müssen von zwei Leuten abgesegnet werden. Und Meinau tauscht sich mit anderen Unternehmen aus, um früh zu erfahren, von welchen IP-Adressen aus beispielsweise Angriffe stattfinden. Dann lässt er diese IP-­ Adressen vorsorglich sperren. Es komme eben auf Schnelligkeit an, um A ­ ngriffe abzuwehren. Und dann verwandelt sich Meinau auch selbst manchmal in einen Hacker. Er attackiert die Systeme jener Dienstleister, mit denen seine Firma zusammen­ arbeitet. Bei einem Logistikdienstleister sei es ihm kürzlich innerhalb von vier Stunden gelungen, wichtige Ad­mi­nis­ tratorrechte zu bekommen. In dieser Rolle hätte er dann auch sensible Daten über seine eigene Firma abgreifen und sie angreifen können. Meinau kündigte die Zusammenarbeit auf.

Server wie die hier abgebildeten transportieren E-Mails, egal, wie böse deren Absichten sind

Foto: Philip Klak

Für Angriffe sensibilisieren Die E-Mail, die Christian Bäcker* im Juli bekam, machte neugierig. Ein Kollege namens Dominik hatte ihm geschrieben. Bäcker kannte diesen Absender zwar nicht, doch die E-MailAdresse gehörte eindeutig zu dem Unternehmen für Klimalösungen, in dem er selbst arbeitet. Der Mann schrieb: »Ich glaube, der neue Arbeitskollege hat da ein ziemlich peinliches Video von dir auf Facebook hochgeladen!« Er solle es doch mal ansehen und es

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der von Cyberattacken betroffenen Firmen beklagen, dass ihre Rechner mit schädlicher Software infiziert wurden

eventuell melden. Darunter ein Facebook-Link. Bäcker klickte auf den Link und landete auf einer Webseite, auf der stand: »Das war knapp, das hätte eine PhishingE-Mail sein können.« Ein Dienstleister hatte im Unternehmensauftrag solche Mails verschickt, um über Phishing aufzuklären – die Methode, Webseiten für Angriffe zu nutzen. Wer solche Attacken für leicht durchschaubar hält, sollte mit Tilman Frosch reden. Frosch ist Geschäftsführer des IT-Sicherheitsunternehmens G Data Advanced Analytics aus Bochum, und er sagt: »Es gibt immer wieder durchdachte Angriffskampagnen, und es gibt natürlich auch speziell auf ein Opfer zugeschnittene Phishing-E-Mails.« Manchen Angreifern gelinge es, Log-inDaten abzugreifen; sie können dann die Kontakte ihres Opfers ziemlich glaubwürdig direkt über dessen Mail-Account ansprechen. Umso wichtiger sind AwarenessTrainings wie bei Christian Bäcker. Bei den schwer erkennbaren Phishing-Mails klickten vor dem Training etwa 36 Prozent seiner Kollegen, nach dem Training noch 25 Prozent, bei den leichten waren es anfangs 20, nach dem Training 15 Prozent. Immerhin. Das Ergebnis zeigt aber auch: Sensibilisierungsmaßnahmen haben Grenzen. Am Ende genügt es, dass ein Einziger einem Link folgt, Daten preisgibt und so dem Angreifer die Tür zum Firmennetzwerk öffnet. Christian Bäcker geht deswegen noch einen Schritt weiter und beauftragt sogenannte »White Hat Hacker«: Dienstleister, die sein Unternehmen testweise angreifen. Zuletzt ging das gründlich schief – oder anders gesagt: Der Hacker war sehr erfolgreich. Der Dienstleister suchte sich auf dem Portal LinkedIn die Profile der Mitarbeiter und fand so deren Namen. Dann melde­te er sich auf ­Ver­ dacht im System des Unternehmens mit deren E-Mail-Adressen nach dem Muster


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Vorname.Nachname@Unternehmen.de an und ließ seinen Computer unzählige Passwörter durchprobieren. Einmal im System angemeldet, gelang es dem Dienstleister mithilfe dieser­ Passwörter, auch tiefer ins Netzwerk des Unternehmens einzudringen. »Es hat keinen Tag gedauert, bis er bei uns im Rechenzentrum war«, sagt Bäcker. Dort habe er dank eines Windows-Problems das Passwort des ­ Administrators gefunden und­ damit das Herz des Unternehmens übernehmen können – das sogenannte Active Directory, über das alle Rechte und Zugänge verwaltet werden. Was hätte geholfen? Eine ZweifaktorAuthentifizierung und bessere, verschie­ dene Passwörter für verschiedene Dienste, sagt der Experte Tilman Frosch. Und er empfiehlt, das eigene Firmennetz gut zu überwachen. Wenn ein Angreifer dort eindringt, brauche er Zeit, um sich dort zu

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Millionen neue Schadprogramm-Varianten hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik 2021 gezählt. Die IT-Sicherheitslage sei »angespannt bis kritisch«, gerade der Mittelstand sei bedroht

bewegen. »Alarmzeichen« seien, wenn sich ein Nutzer Rechte verschafft, die er nicht braucht, oder wenn er bestimmte Arten von Software nutzt. Wer jetzt einschreitet, kann den Schaden oft noch verhindern. Für den Fall, dass das nicht gelingt, sollte man außerdem einen »Wiederanlaufplan« aufstellen, sagt Frosch. Wie Moritz Barnim. Der hat derzeit am meisten Angst davor, dass sein Berliner Elektronikunternehmen Opfer einer sogenannten Ransomware-Attacke werden könnte: Lösegelderpresser, die wichtige Daten auf den Firmencomputern eines Unternehmens verschlüsseln und sie erst gegen Zahlung eines Lösegelds wieder freigeben. Barnim hat für diesen Fall eine aufwendige Backup-Strategie entwickelt und behauptet: Er könnte die Daten selbst wieder herstellen. »Wir wären trotzdem ein paar Tage offline«, sagt Barnim, »aber wir würden auch das überleben.« * Name geändert

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RAT AUS DEM SILICON VALLEY

Profite? Gibt Wichtigeres! Christian Beedgen arbeitete mal auf dem Bau, dann fuhr er Taxi. Heute führt er ein Unternehmen, das Milliarden wert ist

Illustration: Pia Bublies für ZEIT für Unternehmer; Foto: Sumo Logic

VO N T H I M O N A B ELE

In der Gründergeschichte von Christian Beedgen stecken so viele Zufälle, dass man darüber eines glatt vergessen könnte: Jede gute Gelegenheit braucht einen, der sie nutzt und dafür Ungewissheiten in Kauf nimmt. Das ist die wichtigste Botschaft von Beedgen, der so eine Art Prototyp dieses Chancennutzers ist. Und vielleicht hilft dem Zufall auch manchmal auf die Sprünge, dass man den 49-Jährigen nur schwer übersehen kann. Ein Herbsttag in München, die Lobby des Hotels Bayerischer Hof, weiße Säulen, Kronleuchter, Marmor, Männer in Anzügen. Dazwischen, in Sneakers, T-Shirt und mit Vollbart: der Mann, den das Handelsblatt den »wohl erfolgreichsten noch aktiven Deutschen im Silicon Valley« nennt. Beedgen ist Gründer und Technikchef von Sumo Logic im kalifornischen Redwood. Seit 2020 ist der IT-Dienstleister an der US-Börse Nasdaq notiert, inzwischen ist er fast zwei Milliarden Dollar wert. Und Beedgen Multimillionär. Das ist erstaunlich, weil Beedgen einen weiten Weg hinter sich hat. Als Student verdiente er sein Geld auf der Baustelle und fuhr Taxi. Damals standen ganz andere Interessen für ihn im Mittelpunkt: Techno, Frauen und Partys organisieren, so sagt er das. In den 1990ern studierte er Sozialwissenschaften in Berlin: »Ich hatte halt keinen Plan, was ich machen soll.«

Dann hört Beedgen vom Internet und kauft sich ein Modem, zufällig erfährt er, dass man an der Fachhochschule Brandenburg Digitale Medien studieren kann. Er schreibt sich ein. 1998 will er ein Praktikum bei Telebuch absolvieren, einem der ersten Online-Händler in Deutschland. Doch dann wird Telebuch von einem amerikanischen Start-up namens Amazon aufgekauft, und Beedgen bekommt die Chance, für diesen damals eher unbekannten 80-Mann-Laden in Seattle zu arbeiten. Er ergreift sie. Von dort folgt er dem Anruf eines Bekannten, der eine Softwarefirma aufbaut. Wieder eine Gelegenheit, wieder ein flotter Entschluss. So geht es weiter, bis er 2010 Sumo Logic gründet. Die Idee: All die Daten analysieren und auswerten, die in Firmen anfallen – um so etwa zu erkennen, wo in einer Fabrik digital vernetzte Maschinen ausfallen und dadurch die Produktionsprozesse verlangsamen. Dabei arbeitet Sumo Logic komplett in der Cloud, kann von Unternehmen also ohne eigene Server und ganz nach Bedarf genutzt werden. Sumo Logic macht noch keinen Gewinn. Aber der Umsatz wächst um etwa 18 Prozent pro Jahr, 240 Millionen Dollar sollen es auf Jahressicht sein. »Es gibt Unternehmer, denen es vor allem um Profit geht«, sagt er, »und damit gefährden sie Erfolg und die Langlebigkeit ihrer Firma.«

Beedgen steckt das Geld lieber in Sumo Logic. Ins Wachstum. Und ins Team. »Es dauert oft jahrelang, bis ein Unternehmen Erfolg hat«, sagt Beedgen, »und auch in dieser Zeit müssen die Mitarbeiter von ihrem Gehalt gut leben können.« Deswegen überlegt er genau, wo er investiert. Und rät, nicht zu viel Geld in den Vertrieb zu stecken, selbst wenn man um jeden Preis Produkte verkaufen will. Sonst demotiviere man diejenigen, die diese Produkte entwickeln. »Und dann verlierst du am Ende die Kunden, die dein kostspieliger Vertrieb gewonnen hat.« Beedgen rät außerdem, Beschäftigte zusammenzubringen – und zwar am Mittags- und nicht am Konferenztisch. »Wenn man seine Kolleginnen und Kollegen kennt, dann schimpft man nicht so schnell auf sie, wenn etwas nicht läuft, sondern sucht gemeinsam einen Weg.« Neben der Botschaft, dass jede gute Gelegenheit einen braucht, der sie nutzt, ist das die zweite große Gewissheit von Christian Beedgen: Es reicht dafür meist nicht einer – es braucht ein gutes Team.

Beedgen, 49, kommt aus Karlsruhe. Heute lebt er in Mountain View


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Gesundheit als Erfolgsgeheimnis? Fühlt sich einfach gut an. Der Erfolg eines Unternehmens hängt von vielen Faktoren ab. Einer

gewünschten positiven Effekt auf die Motivation und Leistungsfähigkeit

ist, und dieser gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, ob die Mitar-

der Belegschaft haben, sind ganzheitliche Ansätze entscheidend.

beitenden gesund sind. Denn nur bei körperlichem und seelischem

Die Firmenkundenexperten der Süddeutschen Krankenversicherung,

Wohlbefinden sind sie in der Lage, Bestleistungen zu erbringen.

die SDK GESUNDWERKER, sind auf solch zielgerichtete Angebote

Mitarbeitergesundheit entwickelt sich deshalb immer mehr zum

spezialisiert. Sie finden für jedes Unternehmen die passenden

Erfolgsfaktor. Die Coronapandemie hat diesen Trend noch verstärkt,

Gesundheitslösungen. Dabei können verschiedene Bausteine flexibel

denn durch sie ist einmal mehr deutlich geworden, was das wichtigste

kombiniert werden. Ganz neu im Portfolio und besonders transparent

im Leben ist: Gesundheit.

für die Mitarbeitenden: Budgettarife. Hierbei kann jeder bzw. jede über eine Art „Grundbetrag“ frei verfügen und so etwaige Lücken der

Wer als Arbeitgeber leistungsstarke und zufriedene Mitarbeitende

gesetzlichen Gesundheitssicherung schließen. Die SDK GESUND-

möchte, kommt daher nicht umhin, selbst Voraussetzungen für

WERKER unterstützen Arbeitgeber mit diesem umfassenden und

gesundes Arbeiten zu schaffen. Dabei gehen die Möglichkeiten

leistungsstarken Konzept dabei, zu echten Gesundheitsmanagern

weit über einen ergonomischen Bürostuhl hinaus. Damit die Ange-

für ihre Mitarbeitenden zu werden. Das bietet im Marktumfeld und im

bote auch tatsächlich bei den Mitarbeitenden ankommen und den

Kampf um Fachkräfte echte Wettbewerbsvorteile.

Mehr Wertschätzung. Mehr Gesundheit. Mehr Zufriedenheit. So einfach kann eine Betriebliche Krankenversicherung (BKV) sein: Mit dem arbeitgeberfinanzierten Gesundheitsbudget ermöglichen Unternehmen ihren Mitarbeitenden, bis zu einem bestimmten jährlichen Betrag Gesundheitsleistungen über den Arbeitgeber zu erhalten – egal, ob gesetzlich oder privat krankenversichert. Fachkräfte finden: Mit einem Mitarbeiter-Benefit, der Unternehmen attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber macht. Loyale Mitarbeitende: Weniger Fluktuation senkt den Einarbeitungsaufwand und Wissensverlust. Weniger Ausfallzeiten: Reduktion von Krankheitstagen durch frühzeitige Terminfindung und Vorbeugung von Erkrankungen. Fit jetzt und in Zukunft: Machen Sie Ihr Unternehmen bereit für kommende Herausforderungen.

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TECHNOLOGIE OKAPI:ORBITS

So voller Abfall wie auf diesem Kunstwerk muss man sich die Erdumlaufbahn vorstellen


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Wenn’s kracht, wird es teuer Kristina Nikolaus will mit ihrem Start-up dabei helfen, Satelliten vor Kollisionen zu bewahren. Ihre Gründergeschichte zeigt, wie aus innovativer Forschung ein Unternehmen werden kann

Foto: Mandy Barker

VO N C L A AS TATJE

Die unendlichen Weiten ihres Berufs spürt Kristina Nikolaus in diesen Tagen bis in ihre Fußsohlen. Das liegt weniger daran, dass sich ihr Start-up Oka­pi:Or­bits um Weltraumschrott kümmert, sondern vor allem an der Tatsache, dass die 27-jährige Firmengründerin endlich wieder Menschen treffen kann. Von morgens bis abends eilt Nikolaus Ende Oktober über den Internationalen Raumfahrtkongress in Dubai. Auf der Suche nach neuen Kunden und Gesichtern, die sie bisher nur aus Teams-Sitzungen kannte. »Es ist ein tolles Gefühl, zu erleben, dass unsere Firma selbst in der Pandemie bekannter geworden ist«, sagt die Unternehmerin aus Braunschweig in einer ruhigen Minute in einem Videointerview am Rande der Messe. Das Produkt, das Nikolaus anbietet, ist furchtbar kompliziert – aber leicht zu beschreiben. Tausende Satelliten und noch viel mehr Teilchen kreisen mittlerweile durch den Orbit. Anders als auf der Erde, gibt es im All kaum Verkehrsregeln und nur unkoordinierte Ortungsdienste. Wer einen Satelliten in seine Umlaufbahn schießt, geht damit das Risiko ein, dass der früher oder später kollidiert und dann seinerseits zur Gefahr für andere Flugobjekte wird, weil er ewig im All

kreist. »Unsere Software verhindert diese Zusammenstöße«, erklärt Nikolaus. »Die Algorithmen orten die Satelliten und­ berechnen, welche Flugkörper sie zu treffen drohen.« Bei prognostizierten Zusammenstößen kann der Betreiber dann rechtzeitig die Route ändern. Ein Spurwechsel wie auf der Autobahn. »Im Grunde arbeiten wir wie Fluglotsen. Mit unserer Manöverempfehlung sorgen wir für Sicherheit im Orbit.« Die Dienstleistung klingt simpel. Aber die Umsetzung war komplex. Der Unternehmer Michael Oxfort war viele Jahre Manager eines Satellitenbetreibers. Sein damaliges Unternehmen Rapid­Eye koordinierte ab 2008 eine Konstellation mit fünf Satelliten, die Erdbeobachtungsdaten sammelten. »Wir haben damals händeringend nach einem solchen Frühwarnsystem gesucht und mussten es am Ende selbst mühsam aufsetzen«, sagt Oxfort. Als er von Oka­pi:Or­bits hörte, dachte er: »Auf diese Lösung haben wir lange gewartet.« Er zählt heute zu einer Reihe von Unterstützern, sogenannten Business-Angels, die dem Start-up finanziell und mit ihrem Netzwerk zur Seite stehen, bis es genug Kunden hat. »Unser großer Vorteil ist unsere Schnelligkeit«, sagt Nikolaus. Noch hat


Foto: Ricardo Wiesinger

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Oka­pi:Or­bits gerade mal elf Mitarbeiter. »Wir können in fünf Minuten entscheiden, ob wir diesem oder jenem Kundenwunsch entsprechen können«, sagt sie. In einem Großkonzern würden solche Entscheidungen manchmal Monate dauern. »Da hängen ganze Abteilungen dran, und sie sind oft in Prozesse eingebettet, die nicht von heute auf morgen umgeschmissen­ werden können.« Nikolaus hat die Arbeit in einem Großunternehmen selbst erlebt. Als Trainee arbeitete sie bei Daimler im Marketing und im Vertrieb, zur dualen Ausbildung gehörte ein Wirtschaftsstudium in Heidenheim. In einem Praktikum in Malaysia machte sie erste Erfahrung mit verärgerten Sternepiloten – im Kundenservice von Mercedes: »Da musste ich frustrierte S-Klasse-Fahrer beruhigen und habe gelernt zuzuhören.« Doch 30, 40 Jahre im Konzern zu arbeiten, konnte sich Nikolaus mit Anfang 20 noch nicht vorstellen, und so folgte ein Masterstudiengang in Wirtschaftsinformatik an der TU Braunschweig. Die Uni ist unter anderem auf Luft- und Raumfahrttechnik spezialisiert. Ungezählte Start-ups hat sie hervorgebracht und spätere Physiknobelpreisträger, Luftfahrtmanager und den langjährigen SAP-Chef Henning Kagermann ausgebildet. Im Masterstudium am Institut für Raumfahrtsysteme lernte auch Nikolaus eine neue Welt kennen. Der Raumfahrtingenieur Carsten Wiedemann, mit dem sie bis heute im Austausch ist, beschrieb den Studierenden, wie es langsam eng wird im All. Die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Satelliten, mit Objekten zu kollidieren, die größer als einen Zentimeter sind, liege bei vier Prozent. Wiedemann sagt: »Die Studierenden, die es in Braunschweig wagen, ein Start-up zu gründen, haben bereits oft Erfolg gehabt. Sie profitieren von einem einzigartigen Netzwerk und kennen sich zugleich mit der Materie aus.« Am schwarzen Brett des Instituts liest Nikolaus dann auch erstmals von den Grundzügen eines geplanten Start-ups, das später einmal Oka­pi:Or­bits werden sollte. »Die Produktidee war da, und nun wurde jemand gesucht, der mit Zahlen umgehen kann«, sagt sie. Kurz darauf war sie Teil eines Teams von einstigen Studenten, das im

Herbst 2018 Oka­pi:Or­bits gründen wird. Mit dabei waren auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter Jonas Radtke, Christopher Kebschull und Sven Müller. Den Alltag beschreibt Nikolaus als wenig aufregend. So glamourös das Start-up-Leben für sie als Studentin klang, so ernüchternd war die Realität. Anträge schreiben, Investoren ansprechen, Kunden anrufen. Die besten Ideen habe sie nachts, sagt Nikolaus: »Dann greife ich zu meinem Telefon und tippe meine Gedanken runter.« Das erste Mal

Allein die von Elon Musk gegründete Firma SpaceX plant, 12.000 Satelliten in den Orbit zu schießen und damit eine Breitband-Internetverbindung zu erstellen. Am Ende könnte das Projekt »Starlink« bis zu 42.000 Satelliten umfassen. Amazon will mit dem Projekt »Kuiper« ebenfalls eine globale Internetverbindung bereitstellen und plant, für die reibungslose Vernetzung exakt 3236 Satelliten in drei verschiedene Umlaufbahnen zu befördern. Aber wie kommt man als kleines Start-up mit solchen Giganten ins Geschäft? In Vorlesungen an der Universität lernt Nikolaus Menschen wie Holger Krag kennen, einen einstigen Absolventen, der bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa für das Raumfahrt-Sicherheitsprogramm zuständig ist. Schon heute hätten sich die Satellitenstarts vervielfacht, erzählt Krag, und auch er glaubt deshalb an die Zukunft des kleinen Start-ups. »Ausweichmanöver sind zu einer Routinearbeit geworden, sie sind aber auch furchtbar aufwendig.« Experten müssten die Situation beurteilen und Ausweichmanöver planen, Bodenstationen – die das Manöver anordnen – müssten bezahlt werden, und dann ist da noch der Verbrauch des wertvollen Treibstoffs, den Satelliten nicht nachtanken können. »Firmen wie Oka­ pi:Or­bits können helfen, den Aufwand zu Kristina Nikolaus, 27, minimieren«, sagt Krag. Start-up-Unternehmerin Auch Nikolaus hat erlebt, dass noch vor wenigen Jahren kaum jemanden das Thema Weltraumschrott interessierte. »Das ändert durchatmen konnten Nikolaus und ihre sich mit der zunehmenden kommerziellen Gründungspartner, als das Berliner Wirt- Raumfahrt rasant.« Denn Satelliten greifen schaftsministerium ihnen 2018 das Exist- immer tiefer in das Leben auf der Erde ein. Gründerstipendium gewährte. »Das gab Sie ermöglichen nicht nur die Navigation uns ein Jahr Luft«, sagt sie. von Autos oder eine störungsfreie InternetDie Disziplin, die ihr einige Gesprächs- verbindung, sondern auch eine zentimeterpartner bescheinigen, ist wohl auch Folge genaue Düngung von Äckern, das Orten­ ihrer Erziehung. Als Kind spielte die Russ- illegaler Schlepperbanden und eine weit landdeutsche Klavier an einer russischen präzisere Wettervorhersage als heute. Es mangelt nicht an potenziellen KunMusikschule, drei Lieder pro Quartal galt es einzustudieren. Ihre Eltern lebten ihr den. Deswegen wird sich Nikolaus Mitte vor, hart zu arbeiten, um etwas zu errei- November wieder auf den Weg machen. Sie chen. »Das prägt.« Und so lernte Nikolaus wird sich in den Zug setzen und zur Space in Braunschweig, warum der Weltraum­ Tech Expo nach Bremen reisen, um Kunden immer voller wird und der Verkehr dort und solche, die es werden könnten, zu trefdrastisch zunimmt. fen. Bis die Füße glühen.

»Unser großer Vorteil ist unsere Schnelligkeit«


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ARBEITSWELT GEHALTSVERHANDLUNGEN

Gönn dir!

Weil die Preise steigen und Arbeitskräfte begehrt sind, fordern Angestellte mehr Lohn. Wie Vorgesetzte damit umgehen können  VO N NI C L AS S EYDAC K

Foto: Paul Calver

Wellenbaden in Marokko: Manche Chefs bieten Urlaub statt Geld


Fragt man den Unternehmer David Zülow nach einer besonders skurrilen Gehalts­ verhandlung, fällt ihm schnell der »Welt­ meister im Blaumachen« ein, der sich, so er­ innert es der Chef eines Elektronikunter­ nehmens in Neuss, vor allem durch »zwei­ stündige Toilettenpausen« auszeichnete. Zülow erzählt, dass er den Mann nach dessen Lehre übernommen und für ihn an der Berufsschule sogar um bessere Noten gefeilscht habe, damit er seinen Abschluss schaffte. Dann bat ihn der Mann um ein Gespräch: Er habe sich mit Kollegen unter­ halten und wolle gerne genauso viel verdienen wie die, bekam Zülow zu hören. Obwohl, sagt Zülow, die aber etwas anspruchsvollere Jobs machten. Dann habe der Mann auch noch auf seine »sündhaft teuren Hobbys, vor allem das Autotunen« verwiesen, die er fi­ nanzieren müsse. Zülow sagt, er habe mit zwei Worten geantwortet: ­»Never ever.« Der Weltmeister, das sagt Zülow auch, sei natürlich die Ausnahme. Aber Extrem­ fälle verraten manchmal etwas über Proble­ me, die in abgeschwächter Form häufiger vorkommen: Da sind die Mitarbeiter, die ihre eigene Leistung überschätzen oder mit ihrem Privatleben argumentieren, um mehr Geld zu bekommen. Und da sind Unter­ nehmer, die, nun ja, Kompromisse eingehen müssen, wenn sie auf Fachkräfte angewiesen sind. Allein dem Handwerk fehlen nach Angaben des Zentralverbands des Deut­ schen Handwerks aktuell 250.000 Fach­ kräfte. Zülow sucht gerade zum Beispiel: Elektriker. Fernmeldemonteure. IT-System­ elektroniker. Sicherheitstechniker. Seine Ver­ handlungsposition verbessert das nicht. In einer gut sortierten Buchhandlung finden sich Dutzende Gehaltsratgeber für

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Arbeitnehmer. Sie heißen: Geheime Tricks für mehr Gehalt oder Die erfolgreiche Gehaltsverhandlung: Strategien für mehr Geld. Geschrieben sind sie von unzähligen Coaches,­die Geld nehmen von denen, die gern mehr Geld vom Chef haben wollen. In ihren Büchern geht es aber nur selten um diejenigen auf der anderen Seite des Tisches, um die Chefs. »Mich überzeugt Leistung«, sagt der Unternehmer Zülow, Chef von gut 380 Mitarbeitern. »Wenn die Arbeit nachweis­ lich mehr wert ist, werde ich das honorieren.« In Zeiten, in denen es Unternehmen wie seinem weniger an Aufträgen als an Men­ schen mangelt, die sie ausführen, bleibt ihm auch nicht viel anderes übrig. Zülow spricht von einem Wettbewerb um die »besten Köpfe und fleißigsten Hände«. Hat er die einmal im Betrieb, will er sie halten. Un­ bedingt. Ein Instrument dafür ist: mehr Gehalt. Aber es gibt Alternativen. Im Gespräch zitiert Zülow einen »sehr, sehr schönen« Satz, den er einmal gelesen habe: Wenn die Mitarbeiter mehr Geld wollen, sollten sie nicht ihre Fabriken be­ streiken, sondern das Finanzamt. Zülow rechnet es vor: Einem Mitarbeiter, dem er 50 Euro mehr überweist, bleiben davon vielleicht 25 Euro netto, den Rest nehmen sich Finanzamt und Krankenkasse. Auf­ seiten des Unternehmens, so rechnet Zülow weiter, müsse er »das Gehalt auf dem Arbeits­ vertrag verdoppeln, damit ich weiß, was ein Mitarbeiter mich tatsächlich kostet«. Des­ wegen bietet Zülow Mitarbeitern statt einer Gehaltserhöhung gern einen monatlichen Tankgutschein an: »Das«, sagt Zülow, »sind dann echte 50 Euro für beide.« Um genau zu sein: Maximal 44 Euro monatlich darf so

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ein geldwerter Vorteil wert sein, damit er für beide steuer- und sozialabgabenfrei ist. Schwierig wird es, wenn ein Mitarbeiter Zülow in Gehaltsverhandlungen das bessere Angebot eines Konzerns präsentiert. Es ist eine Strategie, die Ratgeber für Arbeitneh­ mer nahezu einstimmig empfehlen. Es ist aber eine Strategie, die Zülow nicht fair fin­ det, weil er als regional tätiger Mittelständler mit den Löhnen eines international agieren­ den Konzerns nicht mithalten könne. Zülow sagt, in solchen Fällen könne er oft nur ant­ worten: Alles Gute für die Zukunft. Anerkennung – eine hübsche Ausrede? Wenn man Tom Henning nach einem gu­ ten Zeitpunkt fragt, um mehr Geld zu for­ dern, sagt er, erstens: »Bloß nicht auf dem Flur zwischen zwei Besprechungen.« Und er sagt zweitens: »Nicht jetzt!« Henning ist Geschäftsführer von SHA Anlagentechnik, einem Betrieb, der am Stadtrand von Ludwigslust in MecklenburgVorpommern Förderschnecken produziert, die zum Beispiel in Kläranlagen Schlamm transportieren. Sein Unternehmen mit 60 Mitarbeitern erholt sich noch von den Aus­ wirkungen der Corona-Pandemie, aktuell kommen Schwierigkeiten mit den Liefer­ ketten dazu: Material fehlt, Rohstoffpreise explodieren. »Es macht im Moment wirk­ lich keinen Spaß, übers Geld zu sprechen.« Seit den vergangenen Wochen erlebt Henning aber etwas, das er so beschreibt: »Die Menschen bekommen In­fla­tions­druck.« Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Sep­ tember um 4,1 Prozent gegenüber dem­ September 2020 gestiegen – die Inflation


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liegt damit so hoch wie seit 1993 nicht mehr. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Henning finden: Ihr Gehalt sollte das ausgleichen. »Dabei war die Inflation in den vergangenen Jahrzehnten nie ein Thema«, sagt Henning, »und wir haben gleichzeitig dennoch mehr vergütet.« Kurzum: Mehr geht gerade nicht. Er spüre, sagt er, ein recht ausgeprägtes Verständnis bei denjenigen, denen er den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung abschlägt, wenn er es ihnen transparent erklärt. Dabei argumentiert er auch mit der Vergangenheit. Nach der Wende hätten viele die Region um Ludwigslust verlassen. Die Wirtschaftskraft zog in den Westen. »Wir«, sagt Henning und meint damit auch seine Familie, »mussten damals bei null­ anfangen.« Den Betrieb, den er 2005 vom Vater übernahm, baute der ab Mitte der Neunziger­ jahre komplett neu auf. Neue Hallen für Lagerung und Fertigung mussten

IRAK: Unsere jordanische Kinderärztin Tanya Haj-Hassan untersucht ein Neugeborenes. Mehr als 2.000 Kinder behandelt unser Team jährlich in dem Krankenhaus in West-Mossul. © Peter Bräunig

her und neue Maschinen, weil das Gerät aus DDR-Zeiten hoffnungslos veraltet war. Noch immer zahlt Henning die Kredite für die Investitionen ab. Und noch immer begrenzt auch das seinen Spielraum bei den Gehältern. Henning dreht im Gespräch mit den Mitarbeitern den Spieß deswegen um: Ja, du verdienst bei mir vielleicht 10, 15 Prozent weniger als im Westen. Dafür kostet das Bauland bei uns auch nur ein Zehntel. Als Beleg kann dabei eine Studie der TU München und der Stiftung Familienunternehmen dienen, die zeigt: Familienfirmen in der Provinz zahlen zwar auf dem Papier weniger als Konzerne in Großstädten, dieses Geld ist aber um bis zu 14 Prozent mehr wert. Henning zückt bei Verhandlungen deswegen gerne ein anderes Werkzeug: Er bietet mehr Urlaub an – in Zeiten, in denen die Lieferketten haken, gibt es ohnehin weniger zu tun. Und womöglich schafft ein durch einen zusätzlichen Tag erholter Mitarbeiter

sein Pensum auch an einem Arbeitstag weniger. Und: Mehr Urlaub wirkt womöglich auch besser als mehr Geld. Denn das menschliche Gehirn passt sich an: Wer mehr bekommt, gibt mehr aus – und will dann wieder: mehr Geld. Fabian Ewald sagt, er kenne einen Weg, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Ewald ist Geschäftsführer von Rox Hamann, das in Hofstetten seit Jahrzehnten Koffer produziert. Er glaubt, dass Menschen gar nicht zwangsweise mehr Geld für ihre Arbeit wollen. Sondern mehr Anerkennung. Anerkennung – das klingt schnell wie eine hübsche und zugleich billige Ausrede, um nicht mehr zu zahlen. Aber wer Ewald besucht und ihn über ein längeres Gespräch kennenlernt, versteht: Der meint das ernst. Ewald sagt: »Wenn früher bei Daimler ein Mercedes das Werk verlassen hat, hat der­jenige, der zuletzt an dem Auto dran war, mit weißen Handschuhen drübergestrei-

SCHENKEN SIE GEBORGENHEIT FÜR SCHUTZLOSE MENSCHEN MIT DER FIRMEN-WEIHNACHTSAKTION VON ÄRZTE OHNE GRENZEN: Verschenken Sie sinnvolle Kundenpräsente und zeigen Sie damit gleichzeitig Ihr soziales Engagement – mit Spenden für Menschen in Not! Mehr Informationen und Aktionsmaterialien erhalten Sie unter 030 700 130-134 oder im Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de/weihnachtsspende

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chelt.« Diese Kultur, sich mit seiner Arbeit zu identifizieren, möchte er wiederbeleben. In Hofstetten gibt es bloß ein paar Stra­ ßen, drum herum leuchten saftige Wiesen, das höchste Gebäude ist, typisch Ober­ bayern, die Pfarrkirche. Drinnen bei Rox nähen Näherinnen die Schlaufen der Koffer, eine eigene Schreinerei fertigt die Holzein­ lagen. Kaum einer der Koffer wird öfter als 50-mal gefertigt. Und jeder wird von einem Mitarbeiter persönlich abgenommen – fast wie damals im Daimler-Werk. Vor eineinhalb Jahren wurde Ewald ge­ holt, um das zu dieser Zeit angeschlagene Unternehmen zu retten. Gerade wenn man in so einer Phase von außen komme, sei das Wichtigste: Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ ter auf seine Seite ziehen. Ewald führte eine »Du-Kultur« ein und in der Corona-Krise das Prinzip, dass zuerst die Bezüge der Ge­ schäftsführung schrumpfen, bevor es an die Gehälter der Mitarbeiter geht.

»Ich möchte gerne spüren, was die ehrliche Motivation ist« Fabian Ewald

Ewald glaubt, dass es mehr motiviert, schrittweise kleine Erhöhungen auszuhan­ deln, als »einmal 30 Prozent fürs Lebens­ werk«. So bleibt das Gehaltsgefüge in der Balance, Ewald kann die nächste kleine Er­ höhung gleich in Aussicht stellen – und sie an eine Fortbildung oder ein neues Projekt koppeln. Seine Idee: motivierte Mitarbeiter in die Richtung zu steuern, die er sich für die Firma wünscht, ohne Druck auszuüben. Damit ist Ewald erfolgreich: Er hat seine Leute schnell aus der Kurzarbeit geholt und

die Effizienz gesteigert. Rox Hamann ver­ kauft heute so viele Koffer wie nie zuvor. Und wenn ihn ein Mitarbeiter mit dem Wunsch nach mehr Geld anspricht, fragt er erst mal zurück: Warum? Fehlt das Geld zu Hause wirklich? Oder doch die Anerkennung im Betrieb? Ewald sagt: »Ich möchte gerne spüren, was die ehrliche Motivation ist.« Moment mal: Bei Ewald dürfen Mit­ arbeiter tun, wovon so gut wie jeder Gehalts­ ratgeber abrät – mit privaten Gründen für mehr Geld argumentieren? »Natürlich«, sagt Ewald, »wir sind doch alle Menschen.« Die Ratgeber wiederholten doch nur, was in den USA gepriesen werde, wo man das Privat­ leben an der Garderobe abgebe. Das tauge nicht im deutschen Mittelstand, in dem zum Firmenjubiläum goldene Anstecknadeln ver­ teilt werden. Ewald plädiert für Ehrlichkeit: »Ich freue mich, wenn wir, Geschäftsführer und Mitarbeiter, uns das einstudierte Theater gegenseitig ersparen können.«

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GELD FAMILY-OFFICE

Wie die Rockefellers Family-Offices verwalten die 200 Milliarden Euro schweren Vermögen deutscher Unternehmerfamilien – und versuchen dabei, den Negativzinsen zu entkommen. Wie sie arbeiten, welche Strategien sie einsetzen und wie viel sie riskieren  VO N M A REN JENS EN

Wie in einem James-Bond-Film gleitet die schwarz glänzende Bürotür von René Köhler auf, sobald er in der Nähe ist. Nur er kann mit dem Si­gnal eines Transponders, den er in seiner Hosentasche trägt, in den Raum treten. In seinem Büro oberhalb des Stuttgarter Marktplatzes: Pokale und Urkunden, die ihn als Entrepreneur würdigen. René Köhler hat es geschafft, und daraus macht er kein Geheimnis. Knapp 15 Jahre leitete Köhler den Online-Handel fahrrad.de; 2017 verkaufte er die meisten Anteile. Für 50 Millionen Euro. Mit dem Geld baute er die Koehler Group auf, ein Family-Office. Family-Offices sind Firmen, die große Privatvermögen verwalten. Die ersten entstanden im 19. Jahrhundert in den USA, so etwa das der Rockefellers. John D. Rockefeller war mit Ölgeschäften zum ersten Mil­ liar­ där der Weltgeschichte geworden – zu viel Geld, um sich alleine darum zu kümmern. Heute beraten FamilyOffices Unternehmer und auch ihre Familien, etwa bei Nachfolgefragen. Das FamilyOffice der Ottos sitzt in einem Glasgebäude in Hamburg, die Nachkommen des Industriellen Harald Quandt werden von einem Family-Office in Bad Homburg betreut. »Die großen deutschen Unternehmer­ familien haben Family-Offices – alleine oder im Verbund mit anderen«, sagt Andreas Maurer. Für die Boston Consulting Group

berät er Familienfirmen, und in einer Studie hat er gezeigt, dass Unternehmerfamilien von geringeren Kosten und mehr Transparenz profitieren, wenn sie auf Family-Offices statt auf Banken setzen. Sogenannte MultiFamily-Offices bieten ihre Dienste mehreren Familien gleichzeitig an. Die Managementberatung Investors Marketing schätzt, dass es in Deutschland rund 400 solcher Geldvermehrungs-Clubs gibt, gemeinsam verwalten sie rund 200 Mil­liar­den Euro. »Viele Unternehmerfamilien haben gemerkt, dass sie an manche Anlageformen ohne einen professionellen Vermögensverwalter nicht herankommen«, sagt Andreas Maurer. Und in Zeiten von Negativzinsen ist der Druck groß: Wer nicht will, dass sein Geld auf der Bank an Wert verliert, muss sich etwas einfallen lassen. Laut einem Report der Großbank UBS erzielen Family-Offices eine jährliche Rendite von rund 6,3 Prozent – das kann sich sehen lassen. Dabei setzen sie heute aber oft auch auf Private-EquityFonds, die ihr Geld als Eigenkapital in Unternehmen investieren – etwa in junge oder sanierungsbedürftige Firmen. Was Chancen, aber auch größere Risiken birgt, wie der Frankfurter Finanzprofessor Andreas Hackethal sagt (siehe Interview Seite 48). René Köhler ist noch recht neu in der Welt der Superreichen. Nach der zehnten Klasse brach er die Schule ab und machte

eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei seinem Vater, einem Fahrradhändler. Im Jahr 2003 gründete Köhler fahrrad.de, da war er 20. Das Unternehmen ist heute Weltmarktführer für den Online-Handel mit Fahrrädern, Jahresumsatz: fast 400 Millionen Euro. »Ich habe den E-Commerce nach Stuttgart gebracht«, sagt Köhler. Auf einer Kommode hinter seinem Schreibtisch reihen sich zwischen Fotos seiner Ehefrau und seiner Kinder bunte Miniatur-Fahrräder. Nachdem Köhler sein Unternehmen versilbert hatte, umschwärmten ihn Banker und Vermögensverwalter mit Anlagestrategien. Aber Köhler entschied, sein Geld selbst zu verwalten. Weil er selbst Strategien entwickeln wollte. Nach seinen Worten mit Erfolg: Durch die Koehler Group habe er sein zweistelliges Millionen-Vermögen auf ein dreistelliges vergrößern können. Und das in weniger als fünf Jahren. Elf Menschen managen Köhlers Anlagen, die er breit gestreut hat, um die Risiken zu minimieren: 37 Prozent seines Vermögens stecken in Unternehmensbeteiligungen, 18 Prozent in börsennotierten Unternehmen und 45 Prozent in Immobilien, etwa in Wohn- und Geschäftshäusern, in Lager-, Logistikflächen und Gewerbeparks. Köhler sagt, er liebe diese Vielfalt. Und Köhler hat einen zweistelligen Millionenbetrag in einen eigenen Ak­tien­fonds


Foto (Ausschnitt): Engelbrecht/AP/Picture-Alliance

John D. Rockefeller (Mitte) schuf eines der ersten FamilyOffices überhaupt


GELD FAMILY-OFFICE

Ruhiger schlafen

Foto: Uwe Dettmar

Andreas Hackethal ist Finanzprofessor und erklärt, was ein Family-Office trotz mancher Risiken bringt

ZEIT für Unternehmer: Herr Hacke- auch von Family-Offices nur als Beimithal, Sie forschen seit Langem zu pro- schungen mit kleinem Portfolio-Anteil gefessioneller Finanzberatung. Was ist nutzt werden. Beide werfen im Gegensatz die größte Herausforderung insbeson- zu Immobilien und Aktien aus sich heraus dere für Family-Offices? keine Renditen ab. Und Family-Offices Andreas Hackethal: Die Zinsen sind auf können hier keine privilegierten Markt­ dem Tiefststand, und jetzt zieht auch noch zugänge oder gar Preisvorhersagen bieten. die Teuerungsrate an. Um große Vermögen Wie lässt sich erkennen, ob ein Verlangfristig zu erhalten, müssen sich mögensverwalter das Geld gut anlegt? Family-­Offices also etwas einfallen lassen. Vermögensverwaltung ist wie FinanzberaUnd so steigen nicht nur die Anteile von tung ein sogenanntes Vertrauensgut: Der Immobilien und Aktien, sondern auch die Anlageerfolg lässt sich nur langfristig mesvon alternativen Anlageklassen wie etwa sen, und ob Glück oder Können dahinterBeteiligungskapital. stecken, lässt sich kaum verlässlich ermitDas klingt riskant. teln. Das ist anders als beim Friseur oder Ohne Risiko keine Mehrrendite. Tatsäch- beim Architekten, die Erfahrungsgüter lich wurden Beteiligungs-Fonds zuletzt liefern: Man erkennt schnell, ob die Leismit Geld zugeschüttet. Zwischen 2014 tung passt. Die Auswahl eines Family-­ und 2019 haben sich die eingesammelten Offices ist daher notwendigerweise VerMittel in Europa und auch in Deutschland trauenssache, und feines Ambiente und severdoppelt, und mehr als ein Zehntel der riöses Auftreten allein genügen nicht. Auch Mittel stammt von Family-Offices. Ob höhere Kosten dürften nur ein schwacher die profitablen Anlagegelegenheiten Schritt Indikator für bessere Leistung sein, minhalten, muss sich noch zeigen. Zur Streu- dern sie doch auch direkt die Rendite. ung tragen die Alternativen aber sicher bei. Sollte man also lieber gleich auf einen Family-Offices beteiligen sich auch di- Experten verzichten? rekt an Unternehmen ... Nein, es geht ja nicht nur um Risiko und ... und gehen so das kalkulierte Risiko von Rendite. Family-Offices übernehmen eine Totalausfällen ein: Die meisten Start-ups ganze Palette von Aufgaben für ihre überleben nicht, sodass sich Klienten, bei denen sich guter Direktbeteiligungen langfristig Rat auszahlt. Nicht zuletzt in nur auszahlen können, wenn im Form von geringeren psycho­ Family-Office herausragende logischen Kosten: Alle können Branchenexpertise existiert und ruhiger schlafen, vermeiden die Engagements als BeimiStreit, und wenn der Anlage­ schung behandelt werden. erfolg ausbleibt, gibt es sogar­ Was ist mit Bitcoin und Gold? einen Sündenbock, auf den man Meiner Meinung nach sollten Misserfolge schieben kann. Andreas Crypto-Assets und Edelmetalle Interview: Maren Jensen Hackethal

gesteckt, in den auch andere einsteigen können. Enthalten sind 30 internationale Technologieaktien: Apple, PayPal und Face­book etwa. »Tech ist für mich nicht nur eine Anlagestrategie«, sagt Köhler, »Tech ist die Zukunft.« Köhler will sein Geld aber nicht einfach vermehren. »Ich möchte innovative­ Ideen voranbringen«, sagt er. Auf seinem Smart­phone zeigt er Bilder mit bekannten Köpfen der Gründerszene, aufgenommen bei einem Dinner in SaintTropez. Ja, sich an jungen Firmen zu beteiligen kann im Totalverlust enden. Aber Köhler hat Spaß am Risiko: »Die Suche nach dem nächsten großen Deal ist wie in diesen alten Nintendo-Spielen, in denen der Boden hinter einem wegbricht und man immer weiterläuft, auf der Suche nach dem nächsten Treffer.« Wulf-Dietrich Spöring würde Geldanlage niemals mit einem Jump-’n’-RunSpiel vergleichen. Sein Poloshirt, sein ruhiges Lächeln, die grauen Haare: Alles an dem 67-Jährigen strahlt Verlässlichkeit aus. Spöring ist Vorstandschef der Bremer Family Office AG. Er und seine drei Kollegen beraten Unternehmer und ihre Familien dabei, wie sie ihr Vermögen anlegen können; 20 bis 30 Mandanten sind es pro Jahr. Zusammen verwaltet die Bremer Family Office AG damit ein dreistelliges Millionenvermögen. Spöring findet: Wenn es um Millionen geht, dann kommt es auf Vertrauen an. »Die berühmte Chemie muss stimmen«, sagt Spöring. Bei rund zehn Prozent seiner potenziellen neuen Mandanten komme eine Zusammenarbeit deshalb nicht infrage. Finanzielle Fragen seien sehr intim, sagt Spöring, deshalb sei es wichtig, sich gut kennenzulernen. Einen Besuch beim Family-Office müsse man sich vorstellen wie den Besuch bei einem Arzt: »Es darf keine Scheu bestehen, sich auszuziehen«, sagt Spöring. Auch wenn Vermögensverwaltung trocken erscheine, so sei die Arbeit eines Family-Officers doch sehr emotional, sagt Spöring. In Gesprächen höre er von Interessen und Plänen, die nicht einmal der Lebenspartner der Mandantin kenne.


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Spöring weiß: »Wenn es um Geld geht, können die besten Familien in Streit geraten oder zersplittern.« Ein gutes Family-Office hilft daher nicht nur dabei, die Interessen zu erkunden und eine transparente Anlagestrategie zu entwickeln. Es bringt auch die verschiedenen Interessen in Einklang, damit es nicht zu Konflikten kommt – etwa wenn ein Familienmitglied stirbt und das Erbe ansteht. An einem Nachmittag im Sommer versucht Swen Bäuml, zukünftige Family-­ Officer auf solche Situationen vorzubereiten. Er steht in einem Stuttgarter Nobelhotel an einer elektronischen Tafel, im Halbrund um ihn herum sitzen elf Männer und Frauen. Sie wollen »zertifizierte Family Officer« werden und haben deswegen den Studienlehrgang des Unternehmens Fachseminare von Fürstenberg gebucht; 6700 Euro kostet die Weiterbildung. Unter den Teilnehmern ist zum Beispiel ein Rechtsanwalt, der zukünftig das Vermögen eines wohlhabenden Freundes verwalten will. Ihr Dozent ist Professor für Steuerrecht und betreibt eine Kanzlei. Wer Family-Officer werden wolle, müsse sich nicht nur mit finanziellen, steuerlichen und rechtlichen Fragen auskennen, sondern auch mit Psychologie, sagt Bäuml: »Unser Job ist eine Multidisziplin.« Um einen passenden Berater zu finden, sollten Unternehmerinnen sich umhören;

fast jeder neue Mandant kommt auf Empfehlung eines anderen, berichten die Berater. Christopher Schönberger vom MultiFamily-Office Peters, Schönberger & Partner braucht dann immer noch zwischen einem halben und einem Jahr, um einen Mandan-

Ein gutes FamilyOffice hilft nicht nur bei der Geldanlage. Es bringt auch die Interessen in Einklang ten in vielen Gesprächen für sich zu ge­ winnen. Schon diese Gespräche können für die Kundschaft teuer werden, denn die meisten Family-Offices stellen wie Schönberger Honorare in Rechnung und bekommen keine Provisionen. Das hat den Vorteil, dass keine falschen Anreize entstehen und

der Family-Officer das Geld nicht dort anlegt, wo die größte Belohnung für ihn selbst wartet. Allerdings lohnt sich das auch nur, wenn der Einsatz groß genug ist; Schönbergers Mandanten besitzen zumeist Vermögen im ein- bis zweistelligen Millionenbereich. Viele Kleinunternehmer sind davon weit entfernt – und damit auch von den Anlagestrategien der Family-Offices. Aber es gibt Alternativen. Die digitale Vermögensverwaltung Liqid etwa ermöglicht, auf Strategien wie die der Quandts zu setzen. Hier sind Anleger mit 100.000 Euro dabei – nicht wenig, aber für kleinere mittelständische Unternehmerfamilien eher eine Option, sofern sie sich einer erprobten, aber auch mit Risiken behafteten Strategie aussetzen wollen. Mehr als 1,4 Mil­liar­den Euro verwaltet Liqid nach eigenen Angaben inzwischen. René Köhler aus Stuttgart sieht in der digitalen Vermögensverwaltung auch eine­ Chance. Er hat in Moon­fare investiert, ein Start-up aus Berlin, das es wie Liqid Privatanlegern ermöglicht, in Anlageformen zu investieren, die ihnen sonst vorenthalten sind. »Ich stand ja auch einmal am Anfang«, sagt Köhler und schaut sich in seinem geräumigen Büro um. Ihm fällt das kleine Eckzimmer wieder ein, in dem er saß, als sein Online-Fahrradhandel startete. »Manchmal«, sagt er, »kann ich gar nicht glauben, wie viel sich seitdem verändert hat.«

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DIE ERFINDUNG UNSERES LEBENS HYPEBOX

Carsten (links) und Matthias Hermann arbeiten gemeinsam an ihren Ideen

Ganz große Kiste Erst Touchdisplays, nun Luftreiniger: Wie ein Vater-Sohn-Duo in der ostdeutschen Provinz sich erfolgreich von einer Innovation zur nächsten tüftelt VO N CA RO LYN B RAU N

Die Idee Vater Matthias, gelernter Werkzeugmacher und Metallbaumeister, nahm die Herausforderung an, er sagt: »Wenn wir in Ostdeutschland etwas wirklich gut können, dann ist das Improvisation.« Er experimentierte, mit Infrarotlicht, Plexiglasscheiben und LEDs. Der Senior kann es heute noch nicht richtig glauben, dass es funktionierte, »dass der Bildschirm nach einigen Wochen die Fingerspuren übersetzen konnte«, sagt er, »das war richtig surreal«.

Die Marktlücke Wie surreal, das wurde den beiden erst später bewusst. Carsten Hermann war eingeladen, das Touchdisplay aus der Garage auf einer Microsoft-Konferenz vorzustellen. Das dort ausgestellte Microsoft-Produkt, ein Tisch mit Touch-Bildschirm, habe schlechter funktioniert als ihre Erfindung, erzählt der Junior. Rückblickend, finden die beiden heute, hätten sie sich damals vielleicht zu klein gedacht, allerdings fehlten ihnen auch Erfahrung und Kontakte. Sie nahmen sich Zeit, entwickelten weiter, akquirierten mit BMW den ersten Großkunden, gründeten die erste Firma und stellten erste Mitarbeiter ein. Und sie dachten sich die Hypebox aus, eine Art Produktvitrine mit transparentem Touchscreen, der zusätzliche Infos liefert, Texte, Grafiken, Videos und Animationen. Zweifler und Förderer Die Hypebox brachten sie 2014 an den Markt, inzwischen wird sie von bekannten Marken wie Adidas, Airbus, Dior, Nike und Jack Wolfskin genutzt; im Handel ist sie – je nach Größe – für wenige Tausend oder mehrere Zehntausend Euro zu haben. Die Erfolgsgeschichte aus Raguhn-Jeßnitz ist

inzwischen eines von 30 Beispielen der Marketingkampagne von Sachsen-Anhalt, die sie als »ein wunderbares Beispiel für die Innovationskraft« des Bundeslandes preist. Kredite oder Wagniskapital haben Vater und Sohn Hermann allerdings nie be­ kommen: »Wir mussten vom ersten Jahr an Geld verdienen«, sagt der Sohn. Der Erfolg Die größte Errungenschaft der Hermanns mag sein, dass sie sich als Team gefunden haben: Der Vater entwickelt und produziert, der Sohn kümmert sich um Vertrieb, Marketing und Strategie. Heute bauen sie in Jeßnitz auch Schwesterprodukte der Hypebox wie interaktive Videowände. Und sie sind auf neue Ideen gekommen. Glücklicher­ weise. Schon 2019 hatten sie sich überlegt, ihre LED-Kompetenz auszuweiten und UVA-­Strahlung aus LEDs zur Luftreinigung zu nutzen. Mit Geschäftspartnern aus Südkorea entwickelten sie ihren Luftreiniger AiroDoctor. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der Pandemie, als Messen dichtmachten und ihre Hypeboxen und TouchWände zu Ladenhütern wurden. Natürlich nur vorübergehend, wie die beiden hoffen.

DIE NÄCHSTE AUSGABE VON ZEIT FÜR UNTERNEHMER ERSCHEINT AM 24. MÄRZ 2022

Foto: Lêmrich/Agentur Focus

Die Irritation Garagen, in denen neue Dinge entstehen, gibt es nicht nur im Silicon Valley. Auch in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt haben zwei Männer vor mehr als zehn Jahren neben dem Familienauto mit Tüfteleien begonnen, aus denen dann Geschäftsideen wurden. Genauer: Matthias Hermann tüftelte, sein Sohn Carsten stellte ihm die Aufgaben. 2009 hatte der sich als Abschlussarbeit für sein Studium vorgenommen, eine interaktive Installation mit passender Software zu programmieren. Die Software bekam er hin. Nicht aber den berührungsempfind­ lichen Monitor, den er sich vorstellte.


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19. SYMPOSIUM

CO M P LIA N C E

7. DEZEMBER 2021 | VIRTUELL

Im Mittelpunkt des diesjährigen Symposiums am 7. Dezember stehen u.a. Neuigkeiten zu Corona & Compliance, der Handlungsbedarf für Unternehmen im Zusammenhang mit der Pandemie, Anfforderungen an Unternehmen und Kontrollinstanzen hinsichtlich der Zusammenbrüche von Wirecard, Grreensill und Co. und welche Lehren sich daraus ziehen lassen sowie der Blick auf nachhaltigkeitsbezoge ene Verantwortungsbereiche von Unternehmen und welche Rolle Compliance dabei spielt. Darüber hinaus wird es Break-Out-Sessions u.a. zu folgenden Themen geben: » Weniger Kosten. Mehr Effizienz: Wie Sie Ihre Complianceund Kontrollprozesse digitalisieren

J ETZT KOS TE NFRE I ANME L DE N!

» Compliance und Investigations im »New Normal« – Lessons learned aus der Pandemie » Strafrechtliche Fallstricke bei M&A-Transaktionen Informationen und Anmeldung unter www.convent.de/compliance

Daniela Bergdolt Rechtsanwältin und Vizepräsidentin, Deu utsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V V.

Inken Brand Head of Corporate Compliance Office, Drägerwerk AG & Co o. KGaA

Jörn Leogrande Autor (»Bad Compan ny«); ehemaliger Executive e Vice President Innovation Labs, Wirecard

G unter Lesscher Partner, PricewaterhouseCoopers Gm mbH WPG

Prof. Dr. Be ernhard Pörksen Professor fü ür Medienwissenschaften, Universität Tübingen

MITVERANSTALTER FÖRDERER NETZWERKPARTNER

VERANSTALTER

EIN UNTERNEHMEN DER

Fotos: Leogrande ©Thomas Dashuber; Lescher ©Mara Monetti; Pörksen © Albrecht Fuchs

Sprecher:innen (Auszug)


„Ich bin doch nicht Drummer geworden, um mich mit Gewinn- und VerlustRechnungen rumzuschlagen.“ Daniel Pellegrini, Drummer, www.daniel-pellegrini.de

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