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Die Bundestagsneulinge und Gründer Katharina Beck und Volker Redder streiten: Seite
Was haben die im Parlament jetzt vor?
Katharina Beck (Grüne) und Volker Redder (FDP) sind neu im Bundestag. Hier streiten sie über Steuern, Klimaschutz und Atomkraft – und erklären, wie ihre Wirtschaftserfahrung die Politik bereichert
ZEIT für Unternehmer: Frau Beck, Herr Redder, was ist das für ein Gefühl, erstmals in den Bundestag einzuziehen?
Volker Redder: Ich habe mich gefreut, aber ich war nicht so euphorisch wie manch anderer. Das Mandat bedeutet viel Verantwortung. Ich will was tun und arbeiten, und nicht nur Spaß haben. Katharina Beck: Ich will was tun und Spaß haben. Ich habe das wirtschaftspolitische Programm der Grünen mitentwickelt, Märkte begreifen wir heute als positive Instrumente. Es fühlt sich wunderschön an, dass ich dieses Programm jetzt auch umsetzen kann. Es ist ein tiefes, erhabenes Zufriedenheitsglücksgefühl.
Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, was sie von Ihnen als ihren Vertretern erwarten. Einer schreibt: dass Sie Ihr Mandat nicht dazu nutzen, Ihren Unternehmen Vorteile, Aufträge oder sonstige Annehmlichkeiten zukommen zu lassen. Wie beschädigt ist der Ruf von Unternehmern in der Politik, seit sich einzelne Unions-Abgeordnete an Maskendeals bereichert haben?
Beck: Dieser Skandal hat dem Ruf sehr geschadet. Aber natürlich muss man ebenso sagen: Wer ein Unternehmen führt, verdient damit richtigerweise auch Geld. Wichtig ist es also, Politik und Unternehmen sauber zu trennen. Redder: Ich kümmere mich bei der FDP um Digitalisierung, damit kenne ich mich aus. Und doch hat es ein Geschmäckle, ich bin schließlich auch IT-Unternehmer. Um den Interessenkonflikt zu entschärfen, habe ich alle Geschäftsführungen mit Ausnahme von einer an meine Frau und eine Mitarbeiterin abgegeben. Beck: Das ist also geklärt? Redder: Ja. Wenn man ins Parlament geht, muss man das mit 100 Prozent der Zeit machen. Und wie regeln Sie das? Beck: Mein Fokus richtet sich auch maximal auf das Bundestagsmandat. Ich habe viele Jahre lang in einer großen Unternehmensberatung gearbeitet, aber damit im April aufgehört. Und meine selbstständige Beratungsarbeit werde ich stark runterfahren.
Wie wichtig finden Sie, dass Unternehmer politische Mandate ansteuern?
Beck: Super, wir brauchen viele Perspektiven in den Parlamenten. Ich merke an mir selbst, wie ich von 14 Jahren Wirtschaftserfahrung profitiere. Zugleich denke ich, dass reine Berufspolitikerinnen vieles im Dialog erlernen können. Redder: Unternehmer bringen eine Denke mit in die Politik, die dort fehlt. Sie wissen, wie man Ideen ganz praktisch umsetzt – anders als all die Juristen in den Ausschüssen. Nehmen Sie das Onlinezugangsgesetz, das die öffentliche Verwaltung nutzerfreundlicher machen soll. Da hängen wir eineinhalb Jahre hinter dem Zeitplan! Mit unternehmerischer Denke ginge das schneller. Und ich rede von erfahrenen Unternehmern, die mindestens eine Million Jahresumsatz erzielen und mindestens zehn Mitarbeiter haben. So definiert der Verband der Fami-
lienunternehmer seine Mitglieder. Die haben einfach einen anderen Blick als diejenigen, die Unternehmen beraten. Beck: Aber Beraterinnen wie mir Umsetzungskompetenz abzusprechen finde ich auch falsch. Redder: Klar: Je länger die beraten, umso mehr Erfahrung haben sie. Aber als Unternehmer stehen Sie wegen der Haftung selbst in der Verantwortung, das ist noch mal was ganz anderes. Beck: Das verstehe ich. Ich habe selbst zweimal gegründet und bin Aufsichtsrätin in einer Firma mit Millionenbilanzsumme. Aber für mich sind auch die Unternehmer mit weniger als zehn Mitarbeitern richtige Unternehmer.
Wird das nicht frustrierend, bald in langen Prozessen Gesetze aushandeln zu müssen?
Redder: Ich bin seit sechs Jahren in der Wirtschaftsdeputation der Bremischen Bürgerschaft und erlebe die langsamen Prozesse in Politik und Verwaltung. Reality sucks. Aber es macht auch Spaß, dagegenzuhalten! Beck: Ich sehe das realistisch. Gleichwohl wünsche ich mir mehr unternehmerischen Spirit in der Politik, eine Can-do-Mentalität, Mut zum Experimentieren. Aber auch eine professionelle Folgenabschätzung. Was mich nervt, ist, dass man nicht misst, ob Gesetze wirklich ihre Ziele erreichen oder man sie anpassen muss. Wir brauchen Kennzahlen für eine evidenzbasierte Politik und ein besseres Politikmanagement. Redder: Absolut. Jedes unternehmerische Projekt wird evaluiert, das fehlt in der Politik. Und das führt dann dazu, dass in der Pandemie Hilfsmaßnahmen für Unternehmen beschlossen wurden, die sich an deren Umsatz orientieren und nicht am Gewinn. Beck: Bei den ersten Corona-Soforthilfen die Liquidität als Kriterium zu nehmen war genauso unsinnig, ganz besonders für Soloselbstständige.
Aber sie haben vielen Firmen womöglich das Überleben gesichert. Wie erleben Sie die Lage der Unternehmen fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie?
Beck: Alle, Familienunternehmerinnen wie Selbstständige, wollen, dass wir dieses Land wieder in eine florierende Wirtschaftsnation verwandeln. Dafür brauchen wir Investitionen in die Infrastruktur, in klimafreundliche Technologien, Schulen, Brücken. Und die CEOs der Konzerne sind sauer, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien stockt, weil die Regierungen der letzten 16 Jahre diesen massiv blockiert haben. Dabei brauchen wir die Erneuerbaren dringend, damit die Wirtschaft läuft. Redder: Ich spüre kaum Aufbruchsstimmung. Die Konjunkturprognosen sind schlecht, die Sozialkosten explodieren. Um die Wirtschaft zu entfesseln, müssten wir sie entlasten – und dürfen sie nicht mit einer Vermögensteuer belasten. Beck: Ich finde auch, dass man die Betriebsvermögen von einer Vermögensteuer ausnehmen sollte. Zugleich müssen wir aber etwas gegen die Vermögensungleichheit im Land unternehmen. Redder: Die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich hier doch längst wieder. Beck: Nein, die Vermögensungleichheit ist im internationalen Vergleich extrem hoch in Deutschland. Die Vermögen driften weiter auseinander, weil sie sich derzeit kaum mit Arbeitseinkommen, sondern eigentlich nur mit Einkommen aus Aktien oder Immobilien mehren lassen. Die besitzen vor allem jene, die schon reich sind. Redder: Das ist ein schönes Narrativ, das einfach nicht stimmt. Ich empfehle dazu den IWVerteilungsreport von Ende September. Beck: Das stimmt sehr wohl. Aber da finden wir offenbar nicht zusammen. Reden wir mal über Erbschaften, auf die im Schnitt nur zwei Prozent Steuern anfallen, obwohl sie komplett leistungslose Einkommen sind. Es wäre doch ein tolles liberales Projekt, da stärker zuzugreifen, gerade im Sinne der Leistungsgerechtigkeit. Redder: Das sehen Familienunternehmer anders, darunter viele Handwerksbetriebe. Und die sorgen für die meisten Lehrstellen, sozialversicherungspflichtigen Jobs und Innovationen. Der Mittelstand ist das Rückgrat dieses Landes. Jedes Unternehmen ist eigentlich gemeinnützig und müsste in letzter Konsequenz steuerfrei sein. Beck: Ich bezweifle, dass ein Waffenproduzent gemeinnützig ist. Redder: Genauso viel oder wenig wie ein Globuli-Hersteller? Beck: Wissen Sie, ich komme aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie. Ich verstehe die Sorgen im Handwerk gut – und will unbedingt etwas gegen diese Sorgen tun. Es gibt zu wenig Menschen, die eine Lehre beginnen. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Weg attraktiver wird und Eltern ihn auch ihren Kindern empfehlen. Redder: Wichtig wäre es, Azubis mit Studierenden gleichzustellen und etwa auch für sie Wohnheime zu bauen. Wir haben jahrzehntelang die
»Jedes Unternehmen ist eigentlich gemeinnützig«
Volker Redder
Parole ausgegeben: Studieren, studieren, studieren! Jetzt können alle was mit Medien, aber keiner kann einen Nagel in die Wand hauen. Beck: Ganz wichtig: Viele Handwerksberufe sind auch Klimaschutzberufe. Wir brauchen kognitive und physische Intelligenz, Gesellen und Meisterinnen, um klimaschonende Heizungen zu installieren und Gebäude zu sanieren.
Viele Unternehmer sehen in der Energiewende eine Gefahr für ihre Wettbewerbsfähigkeit. Wie kann man diese Angst nehmen?
Redder: Das ist nicht leicht. In Deutschland zahlen wir nahezu die höchsten Strompreise der Welt! Der Energiebedarf wird wachsen ... Beck: ... und zwar dramatisch. Aber es ist ein Mythos, dass erneuerbare Energien teuer und fossile Energien billig sind. Solar und Wind sind die günstigsten Energieformen, nur wurde ihr Ausbau von der alten Bundesregierung extrem erschwert. Stattdessen subventionieren wir die Gewinnung von Kohle mit 1,7 Milliarden Euro pro Jahr. Insgesamt summieren sich die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen sogar auf 65 Milliarden Euro. Sie als FDP und wir als Grüne könnten das ändern und darüber hinaus den Ausbau beschleunigen, indem wir etwa den Bau von Windkraftanlagen entbürokratisieren. Redder: Ja. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht Treibhausgase einsparen, während andere Länder immer mehr davon ausstoßen. Dafür müssen wir die Freihandelsverträge nachverhandeln. Wenn dann weltweit die Nachfrage nach klimaschonenden Technologien wächst, wird es für unsere Unternehmen attraktiver, diese zu entwickeln. Und wir müssen vermutlich noch mal über Kernkraft reden. Beck: Die Atomenergie hat enorme Folgekosten. Und das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass wir solche Lasten nicht auf zukünftige Generationen abwälzen und deren Freiheit einschränken können. Redder: Aber wenn Sie wählen müssen zwischen einem verschärften Klimawandel und nuklearem Abfall, der mit moderner Kernenergie nach 200 Jahren sauber entsorgt werden kann, dann ist die Kernenergie eventuell doch die bessere Antwort. Ich habe in den 1980ern gegen das Kraftwerk in Brokdorf und das Atommülllager in Gorleben demonstriert. Aber wegen des Klimawandels sehe ich moderne Kernkraftwerke der vierten Generation heute als eine mögliche Lösung.
Katharina Beck, 39, hat nach ihrem Studium ein ÖkoStart-up gegründet. Sie ließ sich zur Managerin weiterbilden und arbeitete als Beraterin für Nachhaltigkeit. Seit 2009 engagiert sie sich bei den Grünen, etwa als Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen. Jetzt wurde sie über die Hamburger Liste der Partei in den Bundestag gewählt
Volker Redder, 62, ist Biologe und promovierter Informatiker. Im Jahr 2000 gründete der Bremer seine erste IT-Firma, elf weitere folgten. Er engagiert sich im Verein Die Familienunternehmer und trat 2015 der FDP bei. Seit 2019 ist er Deputierter der Bremischen Bürgerschaft für »Wirtschaft und Arbeit«. Über die Bremer Landesliste der FDP zog er jetzt in den Bundestag ein Beck: Ich nicht. Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien in intelligenter Verbindung mit Batterie- und Wasserstofftechnologien ist möglich.
Zum Schluss ein paar einfache JaNeinFragen. Brauchen wir SuperAbschreibungen, mit denen sich Investitionen in den Klimaschutz schnell abschreiben lassen?
Redder: Auf jeden Fall! Beck: Ja.
Das Lieferkettengesetz verschärfen?
Beck: Ja. Redder: Nein. Zu viel Bürokratie.
CO₂neutral bis 2045: Genügt das?
Redder: Ja. Beck: Nein.
Kohleausstieg bis 2038: Reicht das?
Beck: Nein. Redder: Natürlich nicht.
Impfpflicht?
Redder: Nö. Beck: Nein.
Sollten Unternehmen den Impfstatus ihrer Beschäftigten abfragen dürfen?
Redder: Als Liberaler muss ich Nein sagen – als Unternehmer würde ich den gern kennen. Beck: Meine freiheitsliebende Seite sagt Nein. Aber in Hinsicht auf eine entspanntere Unternehmensführung und Zusammenarbeit würde ich das gut finden.
Frauenquote erweitern?
Beck: Ja! Redder: Ich verweigere die Aussage aus privaten Gründen. (lacht)
Brauchen wir eine Rechtsform für Unternehmen, die sich selbst gehören und ihre Gewinne komplett reinvestieren?
Beck: Ja! Dafür setze ich mich schon lange ein. Redder: Klingt gut.
Den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen?
Beck: Ja. Redder: Nein, aber das ist keine rote Linie.
Schuldenbremse lockern?
Redder: Nein. Beck: Ja, um eine Investitionsregel ergänzen! Wir dürfen nicht nur aufs reine Geldausgeben schauen, sondern sollten auch die Wertschöpfung unserer Investitionen miteinbeziehen. Redder: Stimmt, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Wirtschaft floriert, weil sie den ganzen Klumpatsch hier bezahlt. Das Gespräch führte Jens Tönnesmann
»Es kommt aufs Durchhalten an«
Markus Reichel hat als Internationalisierungsberater ein Unternehmen aufgebaut. Wie will er als Mittelstandskenner den Bundestag bereichern?
VON DOREEN REINHARD
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Markus Reichel ist ein straffes Pensum eigentlich gewohnt, er arbeitet seit Jahren mit Menschen auf allen Kontinenten, in allen Zeitzonen. Aber von einer Welt in eine ganz andere wechseln: Das erhöht den Stress noch mal. An diesem Tag im Oktober, morgens um halb neun, sitzt Reichel in der Dresdner Zentrale seiner Beratungsfirma Dreberis und überfliegt die Termine. »Heute geht es Schlag auf Schlag«, sagt er und klingt dabei ganz ruhig. »Man muss strukturiert sein, dann kriegt man das hin.« Dann beginnt die erste Telefonschalte des Tages, kurz die Lage mit dem Team besprechen, checken, wie es mit Kunden und Projekten läuft. Start: 9.12 Uhr, Reichel hat exakt diese Zeit angesetzt. »Dann ist jeder pünktlich, weil man sich die Minute merkt, das funktioniert.«
Würde Markus Reichel, 53, mit seiner Firma Tugenden wie Pünktlichkeit und Ernsthaftigkeit exportieren, er säße auf einem Schatz. Und vielleicht qualifizieren diese Werte ihn auch für seine neue Aufgabe, für die er gerade von der Welt der Unternehmer in die der Politiker wechselt; auch, um zwischen beiden Brücken zu bauen.
Denn Reichel ist nicht nur »Internationalisierungsberater«, wie er sagt. Er verwandelt sich gerade auch in einen Vollzeitpolitiker. Seit 27 Jahren ist er in der CDU, er hatte schon etliche Posten, bisher als Ehrenämtler. Aber seit der Wahl am 27. September ist er einer von rund 50 Unternehmerinnen und Unternehmern mit Bundestagsmandat. Begleitet man ihn einen Tag, kann man lernen, welchen Unterschied Unternehmer wie er in der Politik machen könnten.
Fast wäre es anders gekommen. Für die CDU lief es bei der Bundestagswahl schlecht, in Sachsen noch schlechter, die Partei verlor viele Wahlkreise an die AfD. Nur vier Direktmandate sind der sächsischen CDU geblieben, eins davon hat Reichel in Dresden knapp gewonnen. Im Falle einer Niederlage hätte er in seiner Firma weitergemacht, sagt Reichel, »auch wenn das Direktmandat natürlich mein Vorzugsszenario war«.
Vorzugsszenario, das ist ein Wort, das zu Reichel passt. Er hat einen Managementansatz entwickelt; sein Geschäft ist es, auf Basis von Analysen Strategien zu entwickeln. Aber in ihm steckt auch der Mann, der im Wahlkampf an Tausenden Haustüren geklingelt hat. Den braucht es gerade mehr als den Analysten, denn alles geht hopplahopp, Reichel muss jonglieren: in der Firma flugs abarbeiten, was noch ansteht. Parallel Wahlkreisbüro aufbauen. Nach Berlin fahren, die politische Arbeit starten, die – so sieht es bei diesem Treffen im Oktober aus – wohl in der Opposition stattfinden wird.
Wie bereichert jemand wie Reichel die Politik? Vielleicht so: Als Unternehmer weiß er, wie es dem Mittelstand geht, wie sich Politik auf den Handel über Grenzen auswirkt, welche Chancen etwa die Bauwirtschaft in
der Ukraine oder der Bergbau in Kasachstan bieten; zu solchen Themen organisiert Dreberis Reisen in diese Länder. Wer das speziell findet, der unterschätzt, wie sehr der Mittelstand in Deutschland davon abhängt, welche Geschäfte er jenseits der Grenzen macht.
Reichel hat Dreberis nach seinem Studium der Japanologie und Geschichte gegründet. Eigentlich aus München, entschied er sich nach dem Mauerfall, in den Osten zu ziehen, »da fand Geschichte statt, das wollte ich miterleben«. In Dresden studierte er Ökonomie und Mathematik und promovierte über die Energiewirtschaft. Er lernte Polnisch und spezialisierte sich auf den exportorientierten Mittelstand. Konkret heißt das: Dreberis unterstützt Firmen, wenn sie von Reichel Schätzungen darüber, wie sich die Energiepreise in Polen entwickeln.
Für erneuerbare Energien hat sich Reichel früh interessiert. Begonnen hat die Firma einst mit deutsch-polnischen Energieprojekten. Vor knapp 30 Jahren, als das erste seiner fünf Kinder geboren wurde, habe er sich gefragt: »Wie geht es weiter mit der Welt?«
Im Bundestag will er die Antwort darauf beeinflussen. Seine Frau Agata ReichelTomczak führt das Unternehmen nun alleine weiter. »Formal gesehen könnte ich weiterarbeiten, aber rein praktisch ist Bundestagsabgeordneter ein Vollzeitjob«, sagt er, »und das möchte ich natürlich anständig machen.«
Anstand, das ist noch so eine ReichelTugend. Wichtig in einer Zeit, in der vielen
Mittag, Reichel holt sich eine Suppe, löffelt sie in seinem Büro. Dann wechselt er die Welten, nun ist Politik dran, ein Mitarbeiter seines Wahlkreisbüros kommt vorbei. Reichel will erreichen, dass »die Bürger wahrnehmen, dass ich ihr Abgeordneter in Berlin bin«. Er will die Bahnverbindungen verbessern und daran arbeiten, »dass wir hier in Dresden mal ein Dax-Unternehmen haben«. Dann fällt ein Unternehmersatz: »Wenn ich Dinge nicht zu Ende bringe, kann ich keine Rechnung stellen. Genauso möchte ich auch im Wahlkreis Dinge zu Ende bringen.«
Aus einem Gefecht hält er sich dabei raus: aus dem Kampf gegen die AfD, eigentlich ein Dauerthema für die Union, die viele Wähler an die rechte Partei verloren hat.
Reichel sieht sich als Teil des Generationswechsels in der CDU
Der 53-Jährige ist einer von 736 Abgeordneten des neuen Bundestags
im Ausland Zweigstellen planen oder Standorte suchen. Heute beschäftigt er zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hat Zweigstellen in Polen und in der Ukraine, berät Firmen von der Textil- bis zur Baubranche. Auf dem großen Schreibtisch in seinem Büro steht ein silberner Globus. Wie passend.
Dass Reichel nicht nur die Ferne im Blick hat, sondern auch nah dran sein will, das merkt man in den Mitarbeitergesprächen, die er an diesem Herbsttag führt. Das macht er mit jedem im Team, und zwar jeden Monat. Kontrollwahn? Nein: »So kann man besser erkennen, wie es auf allen Seiten läuft«, sagt Reichel. Immer wieder schaut er auf die Uhr: Bloß pünktlich sein!
Für zehn Uhr hat sich ein israelischer Kunde angemeldet. Wieder eine Videokonferenz. Danach: ein Gespräch mit einem österreichischen Unternehmer, der in Polen einen Windpark gebaut hat. Er will Investoren für sein Projekt finden und braucht dafür Menschen die Maskendeals von einigen ehemaligen CDU- und CSU-Parlamentariern einfallen – auch sie waren Unternehmer oder Berater. Auf Facebook schrieb Reichel da: »Wer sich an der Corona-Krise bereichert, handelt unmoralisch.« Und er versprach, sich für schärfere Regeln einzusetzen.
Trotz aller konservativen Tugenden, die Reichel hochhält: Mit seinen 53 Jahren will er zu den Modernen in seiner Partei gehören. Er möchte Teil eines Generationswechsels in der CDU sein, deshalb habe er jetzt erst kandidiert, obwohl man ihn schon in früheren Jahren gefragt habe, sagt er. Ihm ist es wichtig, sich die Familienarbeit mit seiner Frau zu teilen und zu sagen: »Gleichberechtigung sollte heute selbstverständlich sein, auch für Konservative.« Als Vorbild dient Reichel seine Mutter, die früher eine große Physiotherapiepraxis geführt habe und mit Mitte 80 immer noch in einer Schule unterrichte, erzählt Reichel.
Reichel ist noch in der BundestagsKennenlernphase. Ein Bootcamp der CDUFraktion für die neuen Abgeordneten gehört dazu. Vorher war Reichel nur ein paarmal besuchsweise im Parlament, vor einigen Tagen dann das erste Mal als gewählter Abgeordneter, das sei ein »erhebendes Gefühl« gewesen. »Dort werden die Gesetze für unser Land gemacht, und ich kann dabei sein.«
Jetzt muss er seinen jüngsten Sohn aus der Kita abholen, dann mit seiner Frau nach Polen fahren. Vorher eine Mail: Dreberis bekommt einen Auftrag, Ergebnis eines Meetings am Vormittag. Dass Politik auch mal länger dauern kann, das störe ihn nicht, sagt Reichel. Er sei ein geduldiger Mensch. Seit vielen Jahren trainiert er die japanische Kampfkunst Aikido und kann mittlerweile drei schwarze Gürtel vorweisen. »Dabei kommt es aufs Durchhalten an«, sagt er, »man lernt, dass jede Bewegung so konzentriert sein muss wie die erste.«
58 %
Die Krise bleibt, die Probleme ändern sich
Die Digitalisierung hat vielen Firmen durch die Krise geholfen. Nun belasten Lieferengpässe und steigende Preise die Aussichten
VON JENS TÖNNESMANN
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34 %
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Apr 2020 Jan 2021 Sep
Der Anteil der Firmen, die pandemiebedingt Umsatzeinbußen erleiden, sinkt
Aber ein wachsender Anteil beklagt Störungen in den Lieferketten
Immer weniger Firmen mangelt es an Liquidität
Auch Störungen im Geschäftsbetrieb gibt es wieder seltener
Apr 2020 Jan 2021 Sep Apr 2020 Jan 2021 Sep April 2020 Jan 2021 Sep
Optimistisch macht:
302 Mrd. Euro
haben die Mittelständler im Land im ersten Corona-Jahr über digitale Vertriebswege erlöst, 24 Prozent mehr als 2019
Die Stimmung trübt:
Um 2,1 Prozentpunkte
ist die Auslastung im verarbeitenden Gewerbe im Oktober gesunken, meldet das Ifo-Institut. Auch die Exporterwartungen haben sich verschlechtert
4,1 %
Wachstum erwartet die Bundesregierung für 2022. Im Jahr 2021 soll das Plus laut Herbstprojektion bei 2,6 Prozent liegen
Um 17,7 Prozent
gegenüber dem Vorjahresmonat haben sich die Importe im September verteuert. Zugleich treiben die Energiekosten die Inflation
8,7 Stellen
wollen die innovativen Start-ups im Land in den kommenden zwölf Monaten durchschnittlich schaffen, wie der »Deutsche Startup Monitor 2021« zeigt
Jeder dritte
Mittelständler kann den Bedarf an Digitalkompetenzen im Moment nicht decken, hat das KfW-Mittelstandspanel ergeben