Über diese Ausgabe
Liebe Leserinnen und liebe Leser, Staatsschulden sind noch kein Programm. »Deutschland gestalten« steht an, und so heißt auch unser Projekt. Wir berichten über Unternehmer auf dem Weg ins Parlament und zeigen erste Ergebnisse unserer großen Mittelstandsstudie. Der Änderungsbedarf ist riesig, aber zu bewältigen. Die Chefs von Ritter Sport bestätigen das ebenso wie ein führender deutscher Venture-Capitalist! Viel Freude beim Lesen und Nutzen.
Ihr Team von ZEIT für Unternehmer
Zwischen Zwiesel und Riesa
Wo die Firmen ihren Sitz haben, die in dieser Ausgabe vorkommen
IMPRESSUM
Herausgeber: Dr. Uwe Jean Heuser
Art-Direktion: Haika Hinze
Chefredakteur: Jens Tönnesmann
Redaktion: Carolin Jackermeier (frei), Nele Justus
Autoren: Carolyn Braun, Nils Heck, Moritz Kudermann, Kristina Läsker, Jakob von Lindern, Navina Reus, Isolde Ruhdorfer, Celine Schäfer, Tom Schmidtgen, Catalina Schröder, Jeanne Wellnitz
Redaktionsassistenz:
Andrea Capita, Katrin Ullmann
Chef vom Dienst: Dorothée Stöbener (verantwortlich), Isabelle Buckow, Imke Kromer, Mark Spörrle
Textchef: Johannes Gernert (verantwortlich), Anant Agarwala, Anita Blasberg, Dr. Christof Siemes
Gestaltung: Christoph Lehner
Infografik: Pia Bublies (frei)
Bildredaktion: Amélie Schneider (verantwortlich), Navina Reus
Korrektorat: Thomas Worthmann (verantwortlich), Oliver Voß (stv.)
Dokumentation: Mirjam Zimmer (verantwortlich)
CPO Magazines & New Business: Sandra Kreft
Director Magazines: Malte Winter
Vertrieb: Sarah Reinbacher
Marketing: Elke Deleker
Unternehmenskommunikation und Veranstaltungen: Silvie Rundel
Herstellung: Torsten Bastian (Ltg.), Oliver Nagel (stv.)
Anzeigen: ZEIT Advise, www.advise.zeit.de
Anzeigenpreise: Es gilt die ZEIT für Unternehmer-Anzeigenpreisliste Nr. 3 vom 1. Januar 2025
Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg
Anschrift Verlag und Redaktion: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg; Tel.: 040/32 80-0, Fax: 040/32 71 11; E-Mail: DieZeit@zeit.de Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: produktsicherheit@zeit.de
Diese Ausgabe enthält Publikationen von folgenden Unternehmen in Teilauflagen: Privates Kurpfalz-Internat gemeinnützige BetriebsGmbH, 69245 Bammental; Schloss Torgelow Privates Internatsgymnasium Helge Lehmann KG, 17192 Torgelow
»Wir
Nächster Halt: Berlin
Sandra Stein, 38, ist Unternehmerin aus dem Sauerland und Grünenpolitikerin
Foto: Marlena Waldthausen für ZEIT für Unternehmer
Unternehmerinnen und Unternehmer klagen nicht nur über die Politik, sie möchten auch mitmischen. Aber kann das gelingen? Auftakt der großen Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«
VON CAROLIN JACKERMEIER, NELE JUSTUS UND JENS TÖNNESMANN
Ein Neuanfang lässt sich manchmal in zwei Worten beschreiben. »Fuck yes« steht auf dem Anstecker, den Sandra Stein an diesem Februarmorgen an ihrer Bomberjacke trägt, im ICE von Hamm nach Berlin. Darauf ist eine Frau in blauem Anzug mit Cape und Batman-Maske abgebildet, eine Superheldin. Stein hat ihn gestern im Hofcafé von Sundern im Sauerland geschenkt bekommen, auf ihrer Wahlparty. Da wusste die Familienunternehmerin und Grünenpolitikerin allerdings noch nicht, ob sie es als Abgeordnete in den Bundestag schafft. »Alle Hochrechnungen hatten zwar ergeben, dass ich mit meinem 19. Platz auf der Landesliste reinkommen dürfte«, erzählt sie, noch immer etwas aufgekratzt und leicht übermüdet. Dann dauerte es Stunden, bis klar war, dass das BSW die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen würde und die Grünen im Bundestag trotz ihrer Verluste genug Sitze erhalten würden. Erst nachts um halb drei habe ihr ein Parteikollege geschrieben: »Du bist drin!«
Nun, zehn Stunden später, ist die 38-Jährige auf dem Weg aus dem Sauerland, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann die Familienfirma Sorpetaler Fensterbau leitet, in die Hauptstadt, um an einem Fraktionstreffen teilzunehmen. Ihr Mann begleitet sie auf ihrer ersten Reise als Parlamentarierin, genau wie eine Reporterin von ZEIT für Unternehmer. Ständig kommen Mails, Nachrichten und Kommentare auf Steins Handy an. »Hunderte«, sagt sie. Eine Nachricht lautet: »Zeig mal Friedrich Merz, wie man das Sauerland würdig vertritt.« Stein und der Kanzlerkandidat der Union sind im Hochsauerlandkreis angetreten, den die Union seit 1949 noch nie verloren und auch diesmal hoch gewonnen hat. Merz muss jetzt Regieren lernen, Stein die Arbeit als Volksvertreterin.
Sandra Stein ist eine von etwa 60 Unternehmerinnen und Unternehmern im neuen
Bundestag. So hat es der Mittelstandsverband BVMW für ZEIT für Unternehmer ermittelt und dabei Freiberufler wie Ärzte, Anwälte und Solo-Selbstständige nicht mitgezählt. Trotzdem fällt gut jeder zehnte der 630 Abgeordneten in diese Kategorie – spürbar mehr als nach der Wahl im Jahr 2021. Damals waren laut einer Auswertung der Stiftung Familienunternehmen 51 Unternehmer in den Bundestag eingezogen, der noch 735 Sitze zählte. Vielleicht sucht das Wahlvolk mehr ökonomische Kompetenz als früher. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die führenden Leute aus der Wirtschaft gerade besonders unzufrieden mit der Politik sind. Viele von ihnen verspüren den Wunsch, sich selbst politisch zu engagieren.
Das zeigt die neue große Mittelstandsstudie von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung »In guter Gesellschaft«, deren Ergebnisse wir in dieser und den kommenden Ausgaben als Teil unserer Initiative »Deutschland gestalten« vorstellen (siehe auch ZEIT für Unternehmer Nr. 4/24). Für die Studie hat das Analyse- und Beratungs-
Die Studie
Die Umfrage ist eine gemeinsame Initiative von ZEIT für Unternehmer und der Stiftung In guter Gesellschaft. Die Stiftung der Geschwister Anke und Thomas Rippert soll verantwortungsbewusstes Unternehmertum fördern. Sie unterstützt die Durchführung der Befragung sowie die wissenschaftliche Auswertung durch das Analyse- und Beratungsunternehmen Aserto finanziell. Die Ergebnisse werden der Redaktion in anonymisierter Form unentgeltlich bereitgestellt, auf ihre Veröffentlichung hat die Stiftung keinerlei Einfluss. ZEIT für Unternehmer berichtet über die Erkenntnisse und beschreibt, was den Mittelstand in Deutschland bewegt.
unternehmen Aserto Unternehmerinnen und Unternehmern aus ganz Deutschland über 30 Fragen gestellt, mehr als 1.000 haben sich beteiligt.
Repräsentativ ist die Studie zwar nicht, weil sich die Befragten selbst zur Teilnahme entschlossen und nicht per Zufallsstichprobe ausgewählt werden konnten. Und doch: Drei Viertel der Befragten sind männlich, die Mehrheit ist über 45 Jahre alt, sieben von zehn lenken die Geschicke von Familienunternehmen, vier von zehn sind schon länger als 20 Jahre für ihr Unternehmen tätig. Damit »sind sie ein gutes Abbild des Mittelstands und erlauben verallgemeinerbare Aussagen«, sagt Lars Harden, der Aserto-Chef. Auffällig ist an den Ergebnissen, dass sich drei von vier Befragten in der Pflicht fühlen, aktiv für die Demokratie einzutreten. Ebenso viele finden, Unternehmerinnen und Unternehmer sollten Vorschläge für politische Entscheidungen formulieren. Für Anke Rippert ist deswegen klar: »Die Unternehmerinnen und Unternehmer haben verstanden, wie wichtig die Demokratie und wie wenig selbstverständlich sie ist.« Sie hat die Stiftung In guter Gesellschaft mit ihrem Bruder Thomas Rippert gegründet. Beide sind in einer ostwestfälischen Unternehmerfamilie aufgewachsen und selbst Unternehmer geworden. Anke Rippert erkennt deswegen auch die Nöte des Mittelstands in den Ergebnissen sofort wieder: »Die Studie sendet eine klare Botschaft an die Politikerinnen und Politiker im Land: Wir brauchen endlich stabilere Rahmenbedingungen – und es ist euer Job, die auch zu schaffen.«
Tatsächlich sind laut der Umfrage nur 15 Prozent der Befragten mit den politischen Rahmenbedingungen zufrieden. Ebenso wenige finden, im Land herrsche ein gründungsfreundliches Klima. Zugleich beklagen 84 Prozent der Befragten hohe bürokratische
Was haben Sie über
Politik gelernt? Das wollten wir von Unternehmern wissen, die mindestens in den letzten drei Jahren im Bundestag saßen.
»Ich bin es aus dem unternehmerischen Umfeld gewohnt, zielorientiert zu handeln. In Gesetzen zu denken, war für mich wahnsinnig herausfordernd.«
Daniel Schneider (SPD), nicht wiedergewählt
»Wenn man ein Unternehmen führt, ist man nur sich selbst und den Mitarbeitern und Kunden verpflichtet. In der Politik muss man immer alles austarieren, seine Programmatik vertreten, sich in den eigenen Reihen und mit den Koalitionspartnern abstimmen und die Belange von Bürgerinnen und Bürgern berücksichtigen.«
Kristine Lütke (FDP), nicht wiedergewählt
Hürden. Ein Teilnehmer fürchtet, »bei aller Regulierung und allen Vorschriften immer mit einem Bein im Knast zu stehen«. Um eine Firma zu gründen, brauche man ja schon allein »eine Vollzeitkraft, die sich regulativ und administrativ voll auskennt«. Andere ärgern sich über das geringe »Engagement der öffentlichen Verwaltung«, die »Protokollierungsflut«, das »mangelnde Vertrauen« der Behörden und die »unverhältnismäßigen Auflagen für kleine Betriebe«. Auch die Strompreise beschäftigen viele: Einer sieht in den Energiekosten einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, ein anderer schimpft auf die »verfehlte Energiepolitik der letzten Jahrzehnte«, wieder ein anderer fürchtet die »Deindustrialisierung der energieintensiven Industrie«. Zudem leiden nicht wenige unter hohen Personalkosten und Personalknappheit. Die Steuerund Abgabenlast sei so hoch, dass manche Mitarbeiter keinen Anreiz mehr hätten zu arbeiten, schreibt ein Teilnehmer der Umfrage: »Denen muss deutlich mehr Netto vom Brutto bleiben!!!!«
»In der Wirtschaft schaut man in der Regel immer erstmal die Zahlen an, Politik wird oft nach Stimmung gemacht.«
Katharina Beck (Grüne), wiedergewählt
»Es gibt zwei Arten von Entscheidungen im politischen Betrieb. Erstens, die Verhandlung von Interessenskonflikten in der Gesellschaft, etwa wie viel Rente für die ältere Generation der jungen Generation aufgebürdet werden sollte, dafür sind Parlamente der ideale Ort. Und es gibt umsetzungsorientierte Entscheidungen: Wie sollen Glasfaserkabel verlegt, wie Schulen saniert werden? Dafür ist die Entscheidungsfindung im Parlament schlecht, weil die Dinge nicht im Gesamtkontext verstanden, sondern politische Kompromisse geschlossen werden.«
Thomas Heilmann (CDU), nicht wieder angetreten
Sandra Stein, die neue Abgeordnete aus Sundern, hat sich im Bundestagswahlkampf viele solcher Klagen angehört – ob bei der Gießerei, der Brauerei, dem Hygienepapierhersteller, der Digitalagentur oder dem Autozulieferer. Sie hat nach jedem Gespräch Notizen gemacht, fein säuberlich in ein in braunes Leder gebundenes Buch, das sie nun im Schnellzug nach Berlin durchblättert. Die hohen Energiekosten: »Für manche existenzbedrohend«, sagt sie. Die Bürokratie: »Eine Bürde, die jeden Tag ein bisschen mehr wird«. Der Fachkräftemangel: »Gerade bei uns in der Region ein Thema. Wir sind ja richtig Land. Da ist keine größere Stadt in der Nähe. Nichts. Die jungen Leute gehen weg und kommen nicht wieder. Da als Arbeitgeber attraktiv zu sein, ist keine leichte Aufgabe.«
Was nicht in Sandra Steins Büchlein steht und sie trotzdem überall im Wahlkampf gespürt hat, ist die Resignation. »Viele blicken mit negativen Gefühlen auf die Zukunft, selbst Unternehmertypen, die sonst eher die Haltung haben: Scheiß drauf, wir machen weiter, hilft ja nichts.«
Die Mittelstandsstudie spiegelt den wachsenden Frust wider. ZEIT für Unternehmer und die Stiftung In guter Gesellschaft haben eine ganz ähnliche Studie bereits vor drei Jahren durchgeführt. Während damals noch 73 Prozent »sehr optimistisch« oder »eher optimistisch« in die Zukunft blickten, sind es nun nur noch 60 Prozent. Das ist zwar immer noch eine Mehrheit, Unternehmerinnen und Unternehmer sind von Haus aus keine Pessimisten. Doch der Rückgang ist sichtbar. Und es handelt sich nicht nur um eine momentane Skepsis. Zwei von drei Befragten bezweifeln, dass sich der Fortschritt und das Wachstum der vergangenen Jahrzehnte auf Dauer fortsetzen. Manche wären schon froh, wenn die Lage nicht noch schlechter wird.
Dabei haben sich die Sorgen verschoben: Fanden vor drei Jahren noch 61 Prozent die Klimakrise besonders besorgniserregend, sind die gegenwärtigen Kriege mit 73 Prozent nun das größte Problem. Dicht gefolgt von der Gefährdung der Demokratie mit 68 und den Gefahren durch Rechtsruck, Ausländerfeind
Und
wie denken Sie darüber, dass
Unternehmerinnen und Unternehmer stärker in der Politik mitreden?
»Kleinunternehmer und Selbstständige sind hierzulande oft zu wenig gesehen und gehen politisch vor den Interessen von Konzernen wie Google oder Microsoft unter.«
Maik Außendorf (Grüne), nicht wiedergewählt
»Gerade kleinere Betriebe sollten sich bei uns mehr in die Politik einmischen. Das ist nicht immer so leicht, es muss ja erst mal jemand den Chef ersetzen.«
Volker Redder (FDP), nicht wiedergewählt
»Fachleute, die ihre in der Praxis erworbenen Kompetenzen und ihre Expertise in Entscheidungsfindungen einbringen, sind die Basis für eine Politik, die möglichst nah an den Bedürfnissen des Mittelstandes und damit der breiten Masse der Bevölkerung ist.«
Edgar Naujok (AfD), wiedergewählt
lichkeit und Antisemitismus mit 62 Prozent. Wie so vielen im Land erscheint auch den Chefinnen und Chefs das Klima zwar nach wie vor wichtig, aber anderes viel drängender.
Die Grüne Sandra Stein will den Ängsten etwas entgegensetzen. Sie glaubt an Veränderung, von Stillstand hält sie wenig. Nach dem Studium in Bochum zog sie nach Berlin, wo sie zwischen 2012 und 2016 für den Start-up-Inkubator Team Europe arbeitete und für ein junges Unternehmen namens Jobspotting, das eine Jobsuchmaschine entwickelt hatte. Dann ließ sie die Millionenstadt hinter sich und zog ins 850-Einwohner-Dorf Hagen im Sauerland. Ein Örtchen, umgeben von reichlich Wald und Landwirtschaft. Kuhschisshagen nennen es die Einheimischen deswegen auch.
Doch Stein hatte einen guten Grund: Zusammen mit ihrem Mann Stefan Appelhans stieg sie in dessen Familienunternehmen ein. Die beiden sind nun die fünfte Generation beim Sorpetaler Fensterbau, einem Handwerksbetrieb mit mehr als 80 Angestellten. Sie kümmert sich um Marketing und Digi-
»Ich begrüße jede Unternehmerin und jeden Unternehmer sehr herzlich in Reihen des Parlaments oder im politischen Raum. Was nicht geht, sind oligarchische Strukturen und Interessenkonflikte, wie wir sie gerade in den USA erleben.«
Verena Hubertz (SPD), wiedergewählt
»Unternehmer sind stärker auf Ergebnisse ausgerichtet als Berufspolitiker, und das tut durchaus gut. Viele Politiker haben noch nie ein Unternehmen von innen gesehen, beschließen aber Gesetze, die sie betreffen.«
Markus Reichel (CDU), wiedergewählt
tales, also um die Website, den InstagramKanal, das Employer-Branding. Auf diese Weise hat sie in den vergangenen acht Jahren gelernt, wie der Mittelstand tickt – und was ihn von der Gründerszene unterscheidet.
Wie dieses Selbstverständnis heute aussieht, zeigt die Mittelstandsstudie. Die große Mehrheit erklärt, der Mittelstand stärke die Regionen und sei das »wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft«. Zugleich beklagt eine deutliche Mehrheit, dass die gesellschaftliche Anerkennung für ihre Arbeit fehle und umgekehrt der Mittelstand in den großen Debatten zu leise sei (siehe Seite 12).
David Zülow kennt dieses Klagelied –und mag es nicht mehr hören. »Es wird zu viel gemeckert, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen«, sagt der Unternehmer. Zülow, 49, ist gelernter Elektrotechnikmeister. Doch an einen Handwerksbetrieb erinnert der Sitz seiner Zülow AG am Stadtrand von Neuss wenig. Sein Büro liegt im rechten Flügel eines ehemaligen Klosters, eines klassischen Vierkantenhofs mit einer Kapelle im Innenhof. Rund 20 Verwaltungsmitarbeiter sitzen in
den Räumen mit alten Holzdielen, Sprossenfenstern und Orientteppichen. Weitere 350 Mitarbeiter sind im Außendienst, verlegen Kupfer- und Glasfaserkabel, installieren Einbruch- und Brandmeldetechnik oder warten elektronische Anlagen. Zülows Vater Burkhard hatte die Firma im Jahr 1971 als EinMann-Betrieb gegründet und immer weiter ausgebaut. Nachdem er 2010 plötzlich verstarb, stieg der Sohn schrittweise ins Unternehmen ein. Heute leitet er den Betrieb gemeinsam mit seiner Mutter Jutta Zülow im Vorstand. Das Unternehmen unterhält eine Stiftung, die Sportprojekte für Benachteiligte fördert. David Zülow selbst ist Vorsitzender des Landesverbands der Familienunternehmer in Nordrhein-Westfalen. »Weil wir Unternehmer uns gesellschaftlich einbringen müssen«, sagt er.
Zülow ist nach eigenen Angaben bereits seit Jahrzehnten Mitglied in der CDU, habe sich aber nie in der Partei engagiert. Erst als der langjährige CDU-Vertreter seines Wahlkreises in Neuss, Hermann Gröhe, im Sommer 2024 verkündete, nicht erneut für
den Bundestag zu kandidieren, wuchs ein Gedanke: Er könnte doch antreten! Probleme, die man angehen müsste, gab es auch für ihn reichlich: die hohen Energiekosten, die schlechte Infrastruktur und natürlich die Bürokratie. »Wenn sich ein Archäologe das hier anschaut, denkt er, wir waren eine Papierfabrik und kein Elektrounternehmen«, sagt Zülow.
Ein Selbstläufer war sein Vorhaben aber nicht. Er musste lernen, dass man in der Politik Verbündete braucht. In seinem Ortsverband seien die Reaktionen »zwar nicht offen ablehnend, aber durchaus verhalten« gewesen, sagt Zülow. Gegen drei weitere Anwärter trat er an, nahm an Podiumsdiskussionen teil, führte Gespräche mit Parteimitgliedern. »Das hat schon Spaß gemacht – allerdings war ich einfach nicht so gut vernetzt.«
So zog Zülow gegen seinen Kontrahenten CarlPhilipp Sassenrath den Kürzeren, einen Juristen, der Beamter im Bundeswirtschaftsministerium und Referent der UnionsBundestagsfraktion war. Und während Sassenrath in den Bundestag einzog, verpasste Zülow
das von Friedrich Merz ausgerufene »Rambo Zambo« im KonradAdenauerHaus und besuchte stattdessen eine Karnevalsparty in Köln. »Die Politik will keine Quereinsteiger«, resümiert Zülow in seinem Büro zwei Tage nach der Wahl. Das sei ein Problem, weil das Land auf diese Weise an den Lebensrealitäten der Menschen vorbeiregiert werde. Zülow möchte es mit Blick auf die Landtagswahlen in NordrheinWestfalen in zwei Jahren weiter mit der Politik versuchen.
Sandra Stein aus Sundern bekommt dagegen jetzt ihre Chance – wenn auch aller Voraussicht nach in der Opposition. Die Jungparlamentarierin bremst das nicht: »Man muss daran glauben, dass man etwas bewegen kann«, sagt sie. Und das gehe auch, wenn man sich mit anderen zusammentue und anpacke.
Vor vier Jahren, als der Dorfladen in Hagen schließen sollte, hat sie ihn mit einigen Mitstreitern gerettet. Das war für sie der Startschuss, sich auch politisch zu engagieren. In Berlin will sie an die Rahmenbedingungen ran und »für günstige und sichere Energie
David Zülow, 49, führt ein Elektrounternehmen in Neuss und engagiert sich in der CDU
sorgen«. Außerdem will sie »kleine und mittlere Betriebe von der Berichtspflicht entlasten« und sich dafür starkmachen, »dass der AI Act innovationsfreundlich und bürokratiearm« umgesetzt wird, gerade für den Mittelstand sieht sie bei KI enorme Chancen. Zudem will Stein es Startuplern erleichtern, zu gründen und an Risikokapital zu kommen. Und die dreifache Mutter strebt verlässliche Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeitmodelle an. Dann könnten der Mittelstand und das Handwerk mehr Frauen einstellen.
Als ihr Zug in Berlin ankommt, macht sie noch fix ein erstes Foto mit dem Reichstag im Hintergrund. Sie hat jetzt viel zu tun: Empfänge, Infoveranstaltungen, Gespräche, Netzwerktreffen, Personal rekrutieren, Büro beziehen, sich für den Wirtschaftsausschuss melden, eine Wohnung suchen. Aber eine Frage noch, Frau Stein: Lassen Sie den SuperwomanAnstecker zum Fraktionstreffen dran?
Kurzes Nachdenken. Sie wirkt unentschieden. »Ein bisschen SuperheldenUnterstützung«, sagt sie dann, »kann eigentlich nie schaden.«
Foto: Zülow AG