Wings for Life Magazin - Zehnte Ausgabe

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WINGS FOR

Wir haben ein Ziel. Querschnittslähmung heilen. Dafür fließt jeder Euro, den Sie spenden, zu 100 % in die Forschung. AUSGABE Nº 10

www.wingsforlife.com

STIFTUNG FÜR RÜCKENMARKSFORSCHUNG

Über Nacht querschnittsgelähmt Philipp schlafwandelt und stürzt dabei in die Tiefe.

MENSCHEN Dianne fällt in ein anderes Leben

FORSCHUNG Sieben Projekte im Fokus

FUNDRAISING Der Wings for Life World Run schreibt Geschichte


Make Your Body Smile. immun PLUS MIT VITAMIN C + D & ZINK*

*Zink, Vitamin C & D tragen zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei. Empfohlene Verzehrseinheit: ein Glas (250 mL) pro Tag. Ganz allgemein empfehlen wir eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise.


Coverfoto: Henry Welisch

VORWORT

IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger- Straße 11 – 15, 5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU 63611700, www.redbullmediahouse.com Redaktion und Produktion: Red Bull Media House Co-Publishing, Am Grünen Prater 3, 1020 Wien, Tel.: + 43/1/90 221-0 Mitarbeiter dieser Ausgabe: Markus Böttinger, Claire Browning, Vieri Failli, Anita Gerhardter, Lara Goritschnig, Sebastian Kösterke, Verena May, Dianne Vitkus Redaktion: Marco Gröbner, Christina Herbst Managing Director Publishing: Stefan Ebner Head of Co-Publishing: Susanne Degn-Pfleger Art Director: Dominik Uhl Fotoredaktion: Matti Wulfes Grafik: Andreea Gschwandtner Lithografie: Clemens Ragotzky Lektorat: Monika Hasleder, Belinda Mautner Producer: Friedrich Indich, Walter Sadaba, Sabine Wessig Herausgeber & General Manager: Andreas Kornhofer Druck: Offset 5020 Druckerei & Verlag Gesellschaft m.b.H. Bayernstraße 27 5072 Wals-Siezenheim Österreich In Kooperation mit Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung Fürstenallee 4 5020 Salzburg Österreich Tel.: +43/662/65 82-4244 E-Mail: office@wingsforlife.com Firmenbuchnummer: FN 251592p Rechtsform: Privatstiftung, gemeinnützig Firmenbuchgericht: Landesgericht Salzburg Geschäftsführung: Anita Gerhardter

WINGS FOR

AUSGABE Nº 10

www.wingsforlife.com

Wir haben ein Ziel. Querschnittslähmung heilen. Dafür fließt jeder Euro, den Sie spenden, zu 100 % in die Forschung.

STIFTUNG FÜR RÜCKENMARKSFORSCH UNG

Über Nacht querschnittsgelähmt Philipp schlafwandelt und stürzt dabei in die Tiefe.

MENSCHEN Dianne fällt in ein anderes Leben

FORSCHUNG Sieben Projekte im Fokus

FUNDRAISING Der Wings for Life World Run schreibt Geschichte

Liebe Freunde und Unterstützer, Sie halten gerade die 10. Ausgabe unseres LIFE-Magazins in den Händen. Für uns in der Redaktion ist dieses kleine Jubiläum etwas ganz Besonderes. Denn wir schreiben jede Geschichte selbst und versuchen, diese im Magazin zum Leben zu erwecken. Auch in dieser Ausgabe steckt wieder viel Arbeit und Liebe zum Detail. Wir hoffen, Sie haben viel Freude beim Lesen. Ab Seite 32 blicken wir zurück auf den Wings for Life World Run 2021, den weltweit größten Lauf aller Zeiten. Sage und schreibe 184.236 Menschen liefen mit der App für all jene, die es nicht mehr können. Für Menschen wie Philipp Kuttin, der beim Schlafwandeln vom Balkon fiel und seitdem querschnittsgelähmt ist (Seite 18). Oder für Dustine West, der auf dem Heimweg von einem Auto angefahren wurde und seinen beruflichen Traum begraben musste (Seite 58). Genau wie wir setzen Philipp und Dustine große Hoffnung in die Forschung. In hochbegabte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Antje Kroner-Milsch vom Medical College in Wisconsin. Die deutsche Professorin forscht nach „Abfangproteinen im Blut“, um schädliche Entzündungen im Rückenmark zu verhindern. Mehr über dieses und weitere spannende Forschungsprojekte erfahren Sie ab Seite 24. All dies wäre nicht möglich ohne Ihre treue Unterstützung. Danke, dass Sie an uns spenden! Aufgrund Ihrer Hilfe können wir so vielen Betroffenen weltweit Hoffnung schenken. Ihr Wings for Life Team ... LIFE | 3


INHALT AUSGABE Nº 10 6 Dermatom-Atlas Die betroffenen Hautregionen nach einer Rücken­ marksverletzung.

18 Über Nacht

querschnittsgelähmt

Philipp schlafwan­ delt und stürzt in ein anderes Leben.

30 Wussten Sie …

… wie stark eine Querschnitts­ lähmung ins Leben eingreift?

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46 Das ist meine Geschichte

Dianne genießt den lauen Sommer­ abend am Dach. Dann fällt sie.

58 Punkt für Punkt Dustines Hände sind gelähmt. Dennoch malt er.

Fotos: Roman Burri, Richie Hopson, Katie Lozancich, Taris L. Smith, Predrag Vuckovic, Henry Welisch

MENSCHEN

32


8

46 24 FORSCHUNG 24 Forschungs­ projekte im Fokus

Sieben spannende Ansätze auf der Suche nach einer Heilung.

44 Trials Finder

„Dating-Plattform“ für Betroffene und klinische Studien.

FUNDRAISING 52 Scientific Meeting

Zum ersten Mal virtuell mit einer eigens kreierten Plattform.

56 Talente im Fokus

Fragen an Abel Torres-Espin, Neurowissenschaftler in den USA.

64 Wissensquiz

Elf gefinkelte Fragen, um das Forschungswissen zu testen.

66 Geförderte Projekte

Zahlen und Fakten zu unseren aktuellen Forschungsprojekten.

8 Moment­

aufnahmen

Grandiose Spendenaktionen für die Forschung.

32 Der größte Lauf aller Zeiten

Der Wings for Life World Run schreibt Geschichte.

STANDARDS 3 Vorwort,

Impressum ... LIFE | 5


QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Dermatom-Atlas

C2 C3

Jeder Rückenmarksnerv versorgt eine bestimmte Muskelgruppe (Myotom) und eine bestimmte Hautregion (Dermatom). Aus dem Dermatom-Atlas lässt sich ableiten, welche Hautregionen nach einer Verletzung des Rückenmarks betroΩen sind.

C4 C5 T1 T2 T3 T4

C6

T5

T1

T6 T7

C5

T8

C8

T9 T 10

WIRBELSÄULE UND SPINALNERVEN

T 11 C1 C2 C3 C4 C5 C6 C7 C8 T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T 10 T 11

Der Mensch hat insgesamt 31 Spinalnervenpaare (Ausnahmen möglich). Jedes dieser Paare ist einem bestimmten Rückenmarkssegment zugeordnet. Die Spinalnerven treten zwischen zwei Wirbeln aus der Wirbelsäule aus und verzweigen sich dann in viele Äste.

C6

L1 C7

T 12

C8 L2 S 2–3 L3

vorne L4

T 12 L1 L2 L3 L4 L5 S2 S3 S4 S5 Co

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S1

L5 Legende Grün: zervikale Spinalnerven (C 1–C 8) Blau: thorakale Spinalnerven (T 1–T 12) Lila: lumbale Spinalnerven (L 1–L 5) Rot: sakrale Spinalnerven (S 1–S 5) und coccygealer Spinalnerv (Co)

S1 L5


C2 C3 C4 C5 C6 C7 C8

T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8

VERLUST VON EMPFINDUNGEN

C6

T9 T 10 T 11 T 12 L1 L2 L3 L4 L5 S1 S2

C8 C7

C6 S3

C8

C7

S4 S5 L1 hinten

S1 L5

S2

L2

Nach einer Verletzung des Rückenmarks leiden die BetroΩenen an einer Vielzahl von schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. Dazu gehört in der Regel auch der Verlust der Sensibilität. Das heißt, die Betroffenen können unterhalb der Verletzungsstelle nichts oder nur mehr eingeschränkt fühlen. Sie spüren keine Berührungen anderer Menschen, merken nicht, ob etwas brühend heiß oder eiskalt ist, und empfinden auch keinen Schmerz. Letzteres kann zu ernsten Problemen führen, wenn sich zum Beispiel aus einer eigentlich kleinen Hautirritation ein Druckgeschwür entwickelt. Im Dermatom-Atlas kann man gut erkennen, welche Regionen bei welcher Verletzungshöhe betroΩen sind. Auch hier gilt: je höher, desto schlimmer. Sind die sensiblen Fasern auf Höhe des ersten Brustwirbels verletzt, kann der Patient von der Brust abwärts bis zu den Zehen nichts mehr fühlen. Dieser totale Verlust der Sensibilität tritt glücklicherweise nicht bei allen Patienten ein. Viele können zumindest teilweise noch etwas spüren, wenn es nicht zu einem kompletten Ausfall aller sensiblen Fasern gekommen ist.

Dermatom, altgriechisch dérma = Haut; tomḗ = (Ab-)Schnitt Ein Dermatom ist ein Hautbereich, der von den sensiblen Nervenfasern eines Spinalnervenpaars innerviert wird. Mikrosensoren in der Haut nehmen Informationen wie Druck, Schmerz oder Temperatur auf, leiten sie über die Nerven zum Rückenmark und von da aus weiter zum Gehirn.

S2 S1

L4 S1 L5 L4

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Illustration: Netter illustration used with permission of Elsevier Inc.

L3


MOME NTAUFNAHME N

Riesenerfolg beim GipfeltreΩen „Das ist ein Wahnsinn. Heute ist ein Traum in Erfüllung gegangen!“ Mit diesen emotionalen Worten verkündete Anita Gerhardter gemeinsam mit Heinz Kinigadner die RekordSpendensumme von 522.550 Euro beim alljährlichen Charity Dinner. Die Gäste feierten bei spätsommerlichen Temperaturen im Schloss Gabelhofen in der Steiermark, boten bei der Auktion um die Wette und machten den Abend unvergesslich.

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Foto: Andreas Schaad, Jörg Mitter


MOME NTAUFNAHME N

Erfolg am Green Joe Delagrave versenkt einen Putt bei der Wings for Life Golf Classic 2021 in Louisville, Kentucky. Der Rollstuhl-RugbySpieler war einer von vielen besonderen Gästen unserer USAGolftour mit zwei weiteren Stationen in Carlsbad, Kalifornien, und Savannah, Georgia. Durch Live-Auktionen und großzügige Sponsoren kamen bei den Veranstaltungen mehr als 900.000 Dollar für die Rückenmarksforschung zusammen.

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Foto: Taris L. Smith


Foto: James Robinson & Richie Hopson

MOME NTAUFNAHME N

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Fingerspitzengefühl & Adleraugen Bestes Wetter, das geschichtsträchtige Hedsor House nahe London als Kulisse und die Jagd auf Tontauben: Das war der alljährliche „Clay Day“. Die Gäste verbrachten gemeinsam mit den prominenten Gastgebern Christian Horner und David Coulthard einen spannenden Nachmittag und sammelten Spenden für Wings for Life. Das Ergebnis: umgerechnet knapp 200.000 Euro für die Rückenmarksforschung!

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MOME NTAUFNAHME N

Gebündelte Kraft am Red Bull Ring Die Challenge and GT Days brachten die Hügel rund um den Red Bull Ring in Spielberg gleich zweimal zum Beben. Zuerst mit einem Kräftemessen der Sportwagen, später am Abend dann durch die Spendensumme, die bei der Charity-Auktion zusammenkam: Die Gäste sammelten gemeinsam 84.833 Euro für Wings for Life.

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Foto: Michael Jurtin Photography


Foto: Marv Watson

MOME NTAUFNAHME N

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Mit Gaming Gutes tun David Hunt war Snowboarder, bis ihn ein Unfall einige Zeit pausieren ließ. Während dieser Zeit entdeckte er OnlineGaming und das Streamen über Twitch. Dabei werden Videospiele live im Internet übertragen. Heute nennt sich David GrandPOOBear, ist erfolgreicher Streamer und will mit seiner Reichweite Gutes tun. Bei seinem letzten StreamingEvent „Christmas in July“ sammelte David über 21.000 Dollar für Wings for Life.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

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ÜBER

NACHT

querschnittsgelähmt

Fotos: Henry Welisch, Romina Eggert, Privat

Wie muss es sich anfühlen, wenn man gesund ins Bett geht und mit Querschnitt wieder aufwacht? Plötzlich gefangen im eigenen Körper und unfähig, aufzustehen. Philipp Kuttin hat es erlebt. Das ist seine Geschichte.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Philipp zeigt Fotos von seinem früheren Leben.

E

s ist August. Als Philipp aufwacht, ist es mitten in der Nacht. Um ihn herum ist alles stockfinster. Zuerst weiß er nicht, wo er ist. Er spürt eine leichte Brise um seine Nasenspitze und feuchtes Gras an seinem Ohr. Jetzt fühlt er es auch an seinen Fingern, er liegt in einer Wiese. Über ihm sieht er eine eckige Sil­ houette. Es ist der Balkon seines Hotelzimmers. Zuerst glaubt er zu träumen. Philipp versucht aufzustehen, aber seine Beine bewegen sich nicht. Stechender Schmerz in seinem Rücken. Um ihn herum ist alles still. Allmählich wird ihm klar, dass etwas nicht stimmt. Es ist kein böser Traum. Er ruft nach Hilfe. „Bitte, lass es mir nicht 20 | WINGS FOR ...

so wie dem Luki Müller gehen, bitte nicht so wie dem Luki“, sagt er immer wieder zu sich selbst. Lukas Müller ist ein ehemaliger Trainingskolle­ ge von Philipp, er ist seit einem Sturz auf der Skiflugschanze am Kulm inkomplett gelähmt. Ein Bundesheer­Kollege hört Philipps Hilferufe. Die beiden sind zu der Zeit auf Sommerausflug in Oberösterreich. Sein Kolle­ ge ruft sofort die Rettung, es dauert nicht lange, bis die Sanitäter kommen. „Ich weiß noch, dass mich alle so komisch angeschaut haben“, meint Philipp, als er von der alles verändernden Nacht erzählt. Er ist den ganzen Weg ins Krankenhaus bei Bewusstsein, sein Zustand eine kuriose Mi­ schung aus Schock und Gefasstheit. Seine Eltern


„Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich wollte das nicht wahrhaben.“

Philipp war fünf Jahre lang Nordischer Kombinierer. 2018 beendete er seine Karriere.

Familienzeit: Heinz, Gabriele, Jasmin und Philipp Kuttin beim Urlaub auf der Insel Elba im Jahr 2016.

sind zu dieser Zeit drei Autostunden entfernt, daheim in Kärnten. Sie machen sich sofort auf den Weg. Auch Philipps Schwester Jasmin fährt auf schnellstem Weg zu ihm. Philipp wird operiert. Nach anderthalb Tagen verschlechtert sich sein Zustand rapide, und er erleidet einen Lungenkollaps. Ein gefährlicher Zustand, der das Atmen fast unmöglich macht. Der damals 22-Jährige ist in Lebensgefahr. Seine Familie bangt um sein Leben. „Meine Eltern hat das schwer mitgenommen“, erinnert sich Philipp. Nach einigen Stunden dann die Entwarnung, Philipp ist über den Berg und wieder bei Bewusstsein. Aber sein Körper hat irreversible Schäden. Kurze Zeit später kommt

der Oberarzt mit der Diagnose in das Krankenzimmer: komplette Querschnittslähmung. „Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich wollte das nicht wahrhaben“, sagt Philipp. Die erste Woche im Krankenhaus ist schlimm für ihn. Seine Füße brennen wie Feuer, er braucht starke Schmerzmittel. Es sind Nervenschmerzen, die auch heute noch manchmal kommen. Das ist aber nicht alles, womit Philipp ab jetzt zurechtkommen muss. Blase und Darm funktionieren nicht mehr, er ist auf Hilfe angewiesen. „Man spürt es einfach nicht mehr.“ Nach seiner Zeit im Krankenhaus geht es für fast fünf Monate auf Reha nach Murnau und Bad Häring. Es folgen Tage gefüllt mit Physiotherapie und Regenerationsübungen. Philipp lernt Dinge, die er in seinem neuen Leben braucht. „Du musst dich von einem Tag auf den anderen mit einem Katheter beschäftigen, um überhaupt auf die Toilette gehen zu können. Das war eine große Hürde für mich“, so Philipp. Er triΩt auf viele Frischverletzte – Verzweiflung und HoΩnungslosigkeit liegen in der Luft.

DER STURZ IN EIN ANDERES LEBEN Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Philipp weiß bis heute nicht genau, was in dieser Augustnacht passiert ist. Getrunken hatte er nichts. Aber er ist schon einmal schlafgewandelt. „Vor fünf Jahren hat mich meine Mama in der ... LIFE | 21


QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Nacht im Badezimmer sitzend gefunden, ich kann mich an nichts davon erinnern“, so Philipp. Fakt ist, dass er in dieser Nacht im August 2020 im Schlaf achteinhalb Meter von einem Balkon im zweiten Stock gefallen ist. „Das war bis jetzt mein tiefster Flug“, sagt er trocken und lacht. Das ist die Art, wie der 23-Jährige mit seinem Schicksal umgeht. Er hat eine SportlerMentalität. Zurückblicken bringt nichts, es geht jetzt mit aller Kraft nach vorne. „Ich habe damit abgeschlossen, wie mein Körper früher war, ich konzentriere mich auf das Jetzt.“ Philipp war selbst Nordischer Kombinierer, er ist der Sohn von Heinz Kuttin, dem zweifachen SkisprungWeltmeister und Olympiamedaillen-Gewinner. Philipp hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Eltern, er wohnt mit ihnen unter einem Dach. „Meine Eltern sind in ein tiefes Loch gefallen, als sie die Röntgenbilder von meinem gebrochenen Rücken gesehen haben“, erzählt der junge Kärntner. Papa Heinz ist nach dem Unfall fast zwei Wochen durchgehend bei seinem Sohn im Krankenhaus. Während Philipp auf Reha ist, wird das Elternhaus barrierefrei umgebaut. „Auf meinem neuen Badezimmer steht ‚PipiLounge‘. Das hat sich meine Schwester nicht nehmen lassen“, sagt Philipp und schmunzelt. Was sich nicht verändert hat, ist die enge Be-

Philipp blickt nicht gern zurück, er konzentriert sich auf die Zukunft.

22 | WINGS FOR ...

ziehung zu seiner Familie. Und seine Liebe zum Online-Gaming. „Ich zocke gerne. Am liebsten im Team, ich war schon immer ein Teamplayer. Durch das Gaming habe ich viele coole Leute kennengelernt. Einige davon haben mich sogar auf Reha in Murnau besucht.“

ALLE FÜR EINEN Philipps Unfall löst eine Welle an BetroΩenheit in seinem Umfeld aus. Die Klagenfurter SkisprungGemeinschaft startet eine Spendenaktion, um dem ehemaligen Teamkollegen zu helfen. Biathlon-Weltmeisterin Lisa Hauser gründet ein Laufteam beim Wings for Life World Run. Das Team „OESV Biathlon für Philipp Kuttin“ hat am Renntag 419 Teilnehmer und sammelt mehr als 11.000 Euro für die Rückenmarksforschung. „Das war ein so geiles Gefühl, dass so viele Leute mit dabei waren und dadurch gleichzeitig mich und meine Zukunft unterstützen.“ Philipp ist gemeinsam mit vierzig Leuten aus seinem Team in der Region Weißensee in Kärnten unterwegs. „Es war ein extrem heißer Tag, aber ich habe am Ende 13,5 Kilometer geschaΩt.“ Als Nächstes geht Philipp nach Wien. Er beginnt ein Sportgerätebau-Studium. „Da freue ich mich schon sehr drauf, das ist genau meins“, sagt er und grinst. Philipp wirkt stark, er schaut nach vorn. Er hat einen Weg gefunden, aus seinem Optimismus Kraft zu schöpfen. Es erleichtert ihm sein Schicksal. Dass er als junger Mensch schon viel durchmachen musste, lässt er sich nicht anmerken. Auf die Frage, was er vermisst, merkt man es ihm aber doch an. „Da gibt’s schon ein paar Sachen. Einfach spontan wohinfahren und mit Freunden fortgehen zum Beispiel, das habe ich immer gerne gemacht“, erzählt Philipp und lässt den Blick in den Himmel schweifen. „Und natürlich das Fliegen. Die Leichtigkeit. Wenn es eine Heilung gäbe, würde ich am liebsten wieder Ski springen oder Fallschirm springen gehen.“


Rückhalt: Seine Mama Gabriele ist für Philipp einer der wichtigsten Menschen im Leben.

... LIFE | 23


FORSCHUNG

Projekte im Mittelpunkt Gerade in diesem Moment forschen zahlreiche schlaue Köpfe an einer Heilung von Querschnittslähmung. Mit verschiedensten Ideen, Methoden und Herangehensweisen wollen sie ihr Ziel erreichen. Hier rücken wir sieben Forschungsprojekte ins Rampenlicht.

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Abfangjäger im Blut MEDICAL COLLEGE OF WISCONSIN, INC., NEUROSURGERY, USA

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Der Narbe auf der Spur

Gewebeschaden entsteht bei einer Rückenmarksverletzung in zwei Phasen: Nach dem ursprünglichen Trauma des Unfalls kommt es zu nachfolgenden Schäden durch Einblutungen und Entzündungen. Blutabbauprodukte wirken toxisch und können eine Entzündung zusätzlich verstärken. Die deutsche Wissenschaftlerin Antje Kroner-Milsch arbeitet an Methoden, um den entstehenden Schaden möglichst zu minimieren. Eine Anreicherung von Abfangproteinen soll dabei helfen, den toxischen BlutfarbstoΩ „Häm“ zu binden. Das Labor in Wisconsin erforscht das bei Patienten mit einem hohen Querschnitt, wo besonders viele Körperfunktionen betroΩen sind. Die HoΩnung ist, mit den Abfangproteinen den Sekundärschaden eindämmen zu können und zu verhindern, dass es nach dem Unfall zu Einblutungen und Entzündungen kommt.

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Fotos: Wimmer Photography, Erik Cronberg

KAROLINSKAINSTITUT, STOCKHOLM, SCHWEDEN

Der menschliche Körper repariert geschädigtes Gewebe in der Regel nicht. Stattdessen ersetzt er es mit dauerhaftem Narbengewebe. Solche Narbenplatten behindern jedoch das Nervenwachstum. Christian Göritz und sein Team haben sich daher auf die Suche nach den Treibern dieser Narbenbildung gemacht. Dabei sind sie auf Bindegewebszellen gestoßen, sogenannte Perizyten, die in dem Prozess eine Schlüsselrol-

le spielen könnten. Diese Zellen sind normalerweise an der Blutgefäßwand zu finden. Die Forscher untersuchen, welche Moleküle und Immunzellen für das Einwandern dieser Zellen verantwortlich sind. Dieses Wissen würde helfen, Medikamente zu entwickeln, um Narbenbildungen in Zukunft gering zu halten. Das soll eine Regeneration der Nervenfasern und die funktionelle Erholung verbessern. ... LIFE | 25


FORSCHUNG

3

Mit dem Glückshormon zu mehr Bewegung UNIVERSITY OF LOUISVILLE, KENTUCKY SPINAL CORD INJURY RESEARCH CENTER, USA

Eine Querschnittsverletzung zerstört Nervenzellfortsätze, sogenannte Axone. Die Folge ist der direkte Untergang von Nervenverbindungen. Chemische Signalmoleküle können im Rückenmark dadurch nicht mehr so gut verbreitet werden. Einer dieser wichtigen BotenstoΩe ist Serotonin, weithin aus der Hirnforschung als das Glückshormon bekannt.

Unter Strom – selbständiges Stehen

Ein erhöhter Serotoninspiegel im Rückenmark könnte durch die noch erhaltenen Nervenzellfortsätze wieder zu mehr Motorik führen. Diesen interessanten Ansatz verfolgen Jessica D’Amico und David RouΩet von der Universität Louisville, USA. Sie untersuchen an Patienten, ob sich mit unterschiedlich dosierten Serotonin-Tabletten die Nervenerregbarkeit während eines Bewegungstrainings steigern lässt.

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TORONTO REHABILITATION INSTITUTE, TORONTO, KANADA

Es gibt verschiedene Arten der Stromtherapie. Mit elektrischer Stimulation lassen sich gelähmte Muskeln kurzzeitig aktivieren. Bei anderen Verfahren zielt der elektrische Reiz auf zentrales Nervengewebe (Gehirn und Rückenmark) oder peripheres Nervengewebe. Für beide Anwendungen können Elektroden auf die Haut geklebt werden. Kei Masani und Dimitry Sayenko aus Kanada kombinieren beides und 26 | WINGS FOR ...

stimulieren Rückenmark und Muskeln gleichzeitig. Mit dieser doppelten Stromtherapie soll es möglich werden, ohne Hilfsmittel frei zu stehen. Ihr Ziel ist die Entwicklung von Leggings, in die diese Technik eingearbeitet ist. Für ein stabiles Stehen müssen sie aber zunächst die Grundlagen einer solchen Kombinationstherapie schaΩen.


5 Das Rätsel der Immunabwehr

Fotos: University of Cambridge, Pixabay, Sharon McCutcheon

UNIVERSITY OF CAMBRIDGE, CLINICAL NEUROSCIENCES, GROSSBRITANNIEN

Wie die Krankheitsprozesse in unserem Körper nach einer traumatischen Querschnittsverletzung exakt ablaufen, ist noch nicht genau entschlüsselt. Eine chronisch verlaufende Entzündung spielt beim Zelluntergang und der Ausbildung einer Narbe aber wohl eine zentrale Rolle. Die Entzündung wird sowohl durch ortsansässige Immunzellen, die Mikroglia, als auch durch patrouillierende Fresszellen aus dem Blut, die Makrophagen, befeuert. Welcher Zelltyp dabei welche Rolle übernimmt, ist schwierig zu klären. Denn eingewanderte Fresszellen erscheinen im gleichen Gewand wie die Mikroglia. Stefano Pluchino und sein Team aus Cambridge wollen jetzt dem Geheimnis der beiden Zellpopulationen auf die Spur kommen. Genanalysen und Fluoreszenzmarker, also die fluoreszierende Markierung von Zellen, helfen dabei. Auf diesem Wege wollen die Forscher den genauen Ablauf der Entzündungsreaktion enträtseln. ... LIFE | 27


FORSCHUNG

Auf der Suche nach dem richtigen Typ Stammzelle

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Einer Gruppe von Wissenschaftlern um Grégoire Courtine aus Lausanne ist es kürzlich gelungen, dass chronisch verletzte Patienten wieder ihre ersten Schritte machen konnten. Dieses Projekt hat viel Aufmerksamkeit erregt. Die Forscher verwendeten elektrische Rückenmarksstimulation in Höhe der Lendenwirbelsäule und kombinierten diese mit einer Roboter-gestützten Gangrehabilitation. Nun versuchen sie, das Konzept auch auf Patienten mit hohem Querschnitt (Tetraplegiker) zu übertragen. Je höher ein Querschnitt, desto mehr Körperfunktionen sind beeinträchtigt. Diese Patienten wünschen sich vor allem, ihre Arme und Hände besser bewegen zu können. Noch sind Vorexperimente notwendig, um mit Stimulation auch Arm- und Handfunktion wiederherzustellen. Die Forscher entwickeln Protokolle, die die richtigen anatomischen Ansatzpunkte und den optimalen zeitlichen Ablauf umfassen. Zusammen mit Rehabilitation soll die Methode die Greifbewegung der Hände verbessern. 28 | WINGS FOR ...

Stimulation in Raum und Zeit ÉCOLE POLYTECHNIQUE FÉDÉRALE DE LAUSANNE, GENF, SCHWEIZ

7 Fotos: Texas A&M University, Roman Burri

TEXAS A&M UNIVERSITY, BIOLOGY, USA

In der Stammzelltransplantation steckt viel HoΩnung auf Heilung. Transplantierte neurale Vorläuferzellen, sogenannte neural progenitor cells, können bereits an der Verletzungsstelle unterschiedliche Typen neuer Nervenzellen erzeugen. Sie werden über Verknüpfungen in das verletzte Nervensystem eingebaut. Das macht die Zellen zu attraktiven Kandidaten, um die motorischen Netzwerke wiederherzustellen. Ein durchschlagender Erfolg konnte bisher nicht verzeichnet werden. Ein Grund für das Ausbleiben einer erfolgreichen Erholung könnte sein, dass man noch zu wenig über die Aufgaben und das Potenzial der unterschiedlichen Nervenzelltypen weiß. So stellt sich etwa die Frage, welche Zelltypen im Zusammenspiel notwendig sind, um eine Beinbewegung wiederherzustellen. Dies bearbeitet Wissenschaftlerin Ashley Tucker nun in den USA. Die Ergebnisse sollen die Forschung einen wichtigen Schritt nach vorne bringen, um eine Stammzelltransplantation für den Menschen zu entwickeln.


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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Ein Querschnitt ist nur schwer zu verkraften, viele Betroffene leiden unter psychischen Erkrankungen.

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Wussten Sie, wie …

stark Querschnittslähmung ins Leben eingreift?

E

in Kopfsprung ins flache Wasser, ein Fahrradsturz oder ein Ver­ kehrsunfall – all das kann zu einer dauerhaften Lähmung und einem Leben im Rollstuhl führen. Nicht mehr gehen zu können ist jedoch nur die Spitze des Eisberges. Und das ist schon schlimm genug. Menschen, die das durchmachen müssen, wird der Boden unter den Füßen weggerissen. Es erschüttert die eigene Existenz in den Grund­ festen. Man wird seiner Autonomie und Privatsphäre beraubt. Die BetroΩenen und ihre Familien durchlaufen kurz nach dem Trauma eine emotionale Achterbahnfahrt. Diese reicht von Nicht­wahrhaben­ Wollen, Traurigkeit und Angst über Frustration bis hin zu Wut. In der Akutphase, also kurz nach dem Unfall, weisen bis zu 30 Prozent der Querschnittspatienten behandlungsbedürftige depressive Symptome auf. Hier ist menschliche Unterstützung notwendig.

Foto: Stefan Voitl

Längerfristig können sich daraus aber auch ernsthafte Erkrankungen entwickeln: Angststörungen oder Depressionen, die einer speziellen Behandlung bedürfen. Infolge einer Depression sind Querschnitts­ gelähmte vermehrt bettlägerig. Das hat weiter reichende Folgen: ein geringerer Fortschritt in der Rehabilitation oder Komplikationen wie Druck geschwüre oder Infektionen. Manche BetroΩene kommen aus diesem tiefen Loch nie wieder heraus. Sie ertragen ihr Schicksal nicht. In einer dänischen Untersuchung lag die Suizidrate bei Menschen mit Querschnitt fünfmal höher als bei ge­ sunden Menschen. Eine traurige Zahl, die sichtbar macht, wie sehr eine Person unter einer Querschnittsverletzung leiden kann.

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

Der größte Lauf aller Zeiten Was für ein Tag. Was für ein Gefühl beim Startschuss. Niemals zuvor nahmen so viele Menschen zeitgleich an einem Laufevent teil. 184.236 Teilnehmer aus 195 Nationen liefen beim Wings for Life World Run 2021 für diejenigen, die es nicht können. Weltrekord! Manche liefen allein, andere in kleinen Gruppen. Manche gingen, andere rollten. Ob in brütender Mittagshitze in Österreich oder mit der Stirnlampe in Australien. Alle waren über die App miteinander verbunden Sprüchen zu neuen Höchstleistungen pushen. Das Ergebnis: ein sensationeller Tag und 4,1 Millionen Euro für die Rückenmarksforschung!

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Foto: Mykyta Zavilinskyi

und ließen sich von den motivierenden


KIEW, UKRAINE

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

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Foto: Ken Leanfore

SYDNEY, AUSTRALIEN

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

Foto: Predrag Vuckovic

ROSE, MONTENEGRO

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

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Foto: Sebastian Marko

SALZBURG, ÖSTERREICH

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

Foto: Daniel Sommer

MÜNCHEN, DEUTSCHLAND

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WINGS FOR LIFE WORLD RUN

Die Extraportion Motivation aufs Ohr Auf die Audio-Experience sind wir besonders stolz. Sie ist das Herzstück der Wings for Life World Run App. Am Renntag feuern bekannte Stimmen wie Tom Walek, Gregor Bloéb oder Frank „Buschi“ Buschmann die Teilnehmer an und informieren sie über den Rennverlauf. Hier ein kleiner Auszug an Sprüchen vom Event 2021.

„Schau dir diese knackigen Waden an. Und wie deine Haare im Wind wehen bei diesem Klasse-Laufstil. Du bist eine Augenweide!“

„Kann sein, dass der Bundespräsident heute noch mit dir telefonieren will. Kein Wunder: Du bist der Stolz dieses Landes!“

„Und, spürst du das? Fangen deine Muskeln schon an zu brennen? Die Kalorien schmelzen jedenfalls nur so dahin. Du bist ein Brennofen!“

„Die Staubwolke da am Horizont, bist du das? Ich bin schon zwei Kilometer hinter dir.“

KLEINE KOSTPROBE? Ein paar Highlights von 2021 zum Reinhören.

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Foto: iStock by Getty Images/Jobalou

„Hallöchen, hier ist dein Catcher Car, deine fahrende Ziellinie. In 15 Minuten nehme ich die Verfolgung auf.“

„Naaa, du Asphalt-Tiger? Bist du schon auf Betriebstemperatur? Mach weiter so!“


8. MAI 2022

N E N N Ö K T H C I N S E E I D , E L L A R Ü F N WELT E WIR LAUFEN Z N A G R E D F U A HEN ZEIT GLEIC GEMEINSAM ZUR

SEI DABEI


FORSCHUNG

„Dating-Plattform“ für BetroΩene und klinische Studien

Querschnittsgelähmte Menschen interessieren sich oft für klinische Studien, in der HoΩnung ihren Gesundheits­ zustand zu verbessern. Leiter von klinischen Studien wieder­ um suchen händeringend nach geeigneten Probanden. Diese neue Website soll beide zueinanderbringen.

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O

Fotos: Shutterstock

hne klinische Studien geht es nicht. Sie sind nötig, um Sicherheit und Wirksamkeit von neuen Therapieformen zu überprüfen. Die erfolgreiche Erprobung am Menschen ist zudem gesetzlich vorgeschrieben, bevor ein neues Medikament oder eine neue Behandlung zugelassen werden kann. Auch wenn die Teilnahme an einer klinischen Studie keine Verbesserung des eigenen Gesundheitszustands verspricht oder zum Ziel hat, würden viele Querschnittspatienten gerne an einer solchen teilnehmen. Denn die HoΩnung ist groß. Aber bei welcher klinischen Studie? Und was genau geschieht bei den einzelnen Studien? Schon bei der Beantwortung dieser einfachen Fragen stehen BetroΩene und ihre Familien meist an. Es gibt zwar eine anerkannte Datenbank, auf der man alle klinischen Studien weltweit finden kann. Für Laien ist diese jedoch ein recht unübersichtlicher Dschungel. Zudem sind die meisten Studien in Fachsprache beschrieben, sodass sich selbst der eigene Hausarzt nicht leichttut, den Inhalt zu verstehen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hatte die Idee, eine eigene Website nur für klinische Studien im Bereich Querschnittslähmung zu erstellen – übersichtlich und in einfacher Sprache. Wings for Life hat diese Website nicht nur finanziert, sondern auch von Grund auf neu designt und technisch umgesetzt. Herausgekommen ist eine Plattform, die genau auf die Bedürfnisse der verschiedenen Nutzer abgestimmt ist. BetroΩene können schnell und einfach passende Studien finden und diese dann direkt

über die Website kontaktieren. Außerdem werden sie per E-Mail benachrichtigt, sobald eine neue, für sie interessante Studie erscheint. Studienleiter wiederum verlieren weniger Zeit bei der Suche nach geeigneten Teilnehmern. Und Forscher schätzen die Möglichkeit, die Daten über Studien besser auswerten zu können. Eine Win-win-Situation für alle und ein weiterer Baustein, um neue Behandlungen künftig schneller zu den Patienten zu bringen. Wie Sie herauslesen können, sind wir ziemlich stolz auf unseren Beitrag zum neuen SCI Trials Finder. Ein großes Dankeschön an die Firma intuio, die den Relaunch geleitet hat.

Jetzt online: www.scitrialsfinder.net

Mobile-optimiert: Die meisten Internetnutzer surfen über ihr Mobiltelefon.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Ich bin Dianne Vitkus, und …

DAS IST MEINE GESCHICHTE

Fotos: Katie Lozancich, Malakhai Pearson, Privat

Vor eineinhalb Jahren wurde mein Leben auf den Kopf gestellt. Ein kleiner Ausrutscher – und alles, was ich kannte, war auf einmal vorbei.

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Eine inspirierende junge Frau: Dianne ist Wings for Life Ambassador.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Vor dem Unfall: Dianne erkundet die Natur Arizonas.

Dianne verbringt gerne Zeit mit ihren Freundinnen Carolyn und Kristin.

Starke Familie: Dianne mit ihren Eltern am Hafen von Boston.

„In diesem Moment wusste ich, dass mein Leben nie wieder dasselbe sein würde.“ 48 | WINGS FOR ...


D

amals arbeitete ich als Arzthelfe­ rin in der Chirurgie in Syracuse, New York. Mein absoluter Traum­ beruf. Mein Onkel war Kiefer­ chirurg und hat mich quasi dazu inspiriert. Ich assistierte den Oberärzten im Operationssaal und überwachte den Zustand der Patienten nach ihrer OP. An dem besagten Tag kam ich nach einer Zwölf­Stunden­Schicht nach Hause und ließ mich erschöpft auf die Couch fallen. Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich ei­ nen wundervollen Sonnenuntergang. Ich woll­ te den Abend genießen und kletterte mit einer Decke unter dem Arm die Leiter zum Dach hin­ auf. Ich lag lange dort oben. Beobachtete, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand, und bewunderte anschließend den Sternenhimmel. Ich begann zu frösteln und wollte wieder hinun­ terklettern. Als ich auf die Leiter stieg, rutschte ich aus und fiel aus dreieinhalb Metern Höhe auf den harten Zementboden. Ich war etwas benommen und spürte nur einen Schmerz in meiner rechten Schulter. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, das wird mor­ gen früh wohl wehtun. Seltsamerweise hatte ich sonst keine Schmerzen. Als ich aufstehen wollte, wurde mir schnell klar, warum das so war. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nichts fühlen. Alles unterhalb meiner Brust war taub. In diesem Moment wusste ich, dass mein Leben nie wieder dasselbe sein würde. Ich hatte dreißig Minuten Zeit, um mich auf das Chaos und die Ungewissheit vorzubereiten, bevor mich jemand fand und den Notruf wählte. Dreißig Minuten, in denen ich über die vergange­ nen 28 Jahre nachdachte. Dreißig Minuten, um darüber nachzudenken, wie privilegiert mein Leben gewesen war. Hätte ich etwas anders gemacht? Ich hatte mich nach der Ausbildung gerade erst eingelebt. War das alles umsonst? Werde ich jemals in meinen Traumberuf zu­

Die 28-Jährige lebt in Boston, Massachusetts.

rückkehren können? Mir ging so viel durch den Kopf. Ich wollte es nicht wahrhaben, ahnte aber, dass die Freiheit, die ich über mein Leben hatte, vorbei war. Trotzdem blieb ich ruhig. In Panik zu geraten, hätte nicht geholfen. Alles, was ich tun konnte, war tief durchatmen und warten. Bei dem Sturz habe ich mir das rechte Schul­ terblatt gebrochen. Ich erlitt einen Lungen­ kollaps. Dabei sammelt sich Luft zwischen der Lunge und der Brustwand an und erschwert das Atmen. In einer Not­OP wurde meine Wir­ belsäule fixiert. Ich brauchte einen Luftröhren­ schnitt, eine Ernährungssonde und ein Beat­ mungsgerät. Vier lange Wochen lag ich auf der Intensivstation in Syracuse. Ich dachte nie, dass

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

Ihre Freunde waren eine starke Stütze nach dem Unfall.

ich es nicht schaffen würde. Aber wenn ich so zurückblicke, habe ich wohl jeden Tag um mein Leben gekämpft. Als mein Zustand schließlich stabil war, wurde ich ins Spaulding Rehabilitation Hospital in Boston verlegt. Dort war ich zwei Monate in einer intensiven stationären Reha. Eigentlich dachte ich, dass ich mit Rückschlägen gut umgehen kann. Als ich 18 Jahre war, hat man Typ-1-Diabetes bei mir diagnostiziert. Aber ein Leben mit Querschnitt ist etwas anderes. Man muss jeden Tag kämpfen und hat keine Wahl. Aber ich habe zumindest die Wahl, ob ich mit Groll oder mit einem Lachen im Gesicht kämpfe. Ich bin nach wie vor optimistisch. Das kommt wohl von den vielen Sportwettkämpfen. Ich bin mit drei Sportarten aufgewachsen und habe auf dem College Lacrosse gespielt. Nach dem College machte ich viel Intervalltraining. Ich lief einen Marathon, radelte und wanderte regelmäßig. Während meiner sportlichen Laufbahn hatte ich definitiv viele Hindernisse zu überwinden. Aber egal was kam, meine Lebensfreude hat mich immer nach vorne getrieben. Was mir auch unglaublich geholfen hat: Ich habe ein großartiges Umfeld, wo mir jeder den Rücken stärkt. Ich glaube, das ist meine Rettung. Ich kann vielleicht nicht mehr gehen, aber diese Menschen geben mir so viel Kraft. Wie sagt man so schön: Glück wird nicht in Etappen gemessen. Man misst es an den Beziehungen im Leben. Den Beziehungen, die bleiben. Alle haben sich so um mich gekümmert. Sogar völlig Fremde haben nicht nur mich, sondern auch meine Familie unterstützt. Sie schickten Karten, Blumen und Luftballons. Sie spendeten Geld oder kochten für mich.

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„Eines Tages werde ich wieder gehen können.“

Am Anfang hatte ich viel Hoffnung, bald wieder etwas zu spüren oder mich bewegen zu können. Aber über die Monate verschwand diese Hoffnung langsam. Ich wollte meine Erwartungen auch nicht zu hoch schrauben, nur um dann enttäuscht zu werden. Aber als ich von Wings for Life erfuhr, all den klinischen Studien und der Forschung – all der Arbeit, um eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden –, machte mir das wieder Hoffnung. Eines Tages werde ich wieder gehen können. Und dieses Comeback wird so schön sein.


Dianne hat viel durchmachen müssen, trotzdem strahlt sie.

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FORSCHUNG

Die digitale Eventplattform mit „Austrian Touch“.

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Zum ersten Mal virtuell:

Das Scientific Meeting 200 Teilnehmer, 15 Stunden Präsentationen und 31 Live Talks – das ist das Ergebnis des ersten virtuellen Scientific Meetings.

J

edes Frühjahr findet das Wings for Life Scientific Meeting statt. Zu der hoch­ karätig besetzten Konferenz reisen Wissenschaftler aus aller Welt nach Salzburg. Sie stellen ihre Forschungsprojekte vor, tau­ schen sich aus und stoßen neue Kooperationen an. Im Jahr 2020 musste das Meeting wegen der

Pandemie kurzfristig ausfallen. Ein zweites Jahr wollten wir jedoch in keinem Fall aussetzen. Also haben wir die Konferenz ins Netz verlegt und dafür eigens eine digitale Eventplattform im „Austrian Style“ konzipiert. Mit dem Wings for Life­Gebäude als Main Stage und einem Bier­ garten zum Networking.

Foto:s Brandmood, Christina Herbst

Das Organisationsteam ist happy, dass alles geklappt hat.

Vielen Dank an die Firma Brandmood. Die Eventspezialisten sorgten hinter den Kulissen für einen reibungslosen Ablauf.

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FORSCHUNG

Drei Fragen an unseren wissenschaftlichen Direktor, Prof. Dr. Dr. Jan Schwab Jan, wie hat dir das virtuelle Scientific Meeting gefallen?

Es war ein würdiges Wings for Life-Symposium. Forscher aus der ganzen Welt waren zugeschaltet. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv, einige gar enthusiastisch. Der Aufwand hat sich gelohnt. Wir haben viele neue Erkenntnisse präsentiert bekommen.

2.

Was genau ist in den drei Tagen passiert?

Das Scientific Meeting erfüllt die Aufgabe eines „Investigator Meetings“. Im Rahmen dessen berichten von Wings for Life geförderte Wissenschaftler über den aktuellen Fortschritt ihrer Projekte. Darunter befinden sich komplett neue, überraschende und 54 | WINGS FOR ...

unveröΩentlichte Ergebnisse – was einen großen Reiz des Meetings ausmacht. Die Themen reichen von der Grundlagenwissenschaft über präklinische Forschung bis hin zur frühen klinischen Testung. Es ist ermutigend, zu sehen, dass sich eine Reihe geförderter Projekte nun auf dem Weg hin zur klinischen Testung befinden.

3.

Warum ist das Scientific Meeting so wichtig für die Teilnehmer?

Es ermöglicht sehr direkten Austausch, Kritik, Networking und Kooperation. Alles Dinge, um ein wissenschaftliches Projekt zu verbessern. Das ist für alle interessant und wichtig. Auch für Wings for Life, da die Investition in die aufwendig ausgewählten Projekte weiter aufgewertet und damit eΩektiver wird. Besonders für Patienten, die auf eine Therapie hoΩen.

Foto: David Robinson

1.

Jan Schwab war maßgeblich am Aufbau der Stiftung 2004 beteiligt.


brandmood steht für die Kunst, Momente mit Emotionen aufzuladen und Menschen zu begeistern.

Als Partner mit internationaler Erfahrung konzipieren wir Ihr Event mit Liebe zum Detail und einem maximalen Qualitätsanspruch. Denn ein Event wird nur dann großartig, wenn es bis ins kleinste Detail perfekt ist.

brandmood.com


FORSCHUNG

Talente im Fokus Abel Torres-Espin, PhD Neurowissenschaftler an der Universität von Kalifornien, San Francisco (UCSF), USA

Wie sind Sie zur Forschung gekommen? Jeder kennt diese Kinder – und auch einige Erwach­ sene –, die hinter jede Tür oder in jede Schublade schauen müssen. Ich bin so ein Mensch. Meine Neu­ gierde bestimmt meinen Umgang mit der Welt. Die Forschung ist ein Ventil für diese Neugier. Es gibt mir die Möglichkeit, jeden Tag aufs Neue überrascht und fasziniert zu sein. Außerdem interessiere ich mich für kluge Menschen, und davon gibt es in der For­ schung jede Menge. Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus? Vor drei Jahren bin ich aus dem Labor in die daten­ wissenschaftliche Forschung gewechselt. Seitdem sitze ich etwa 90 Prozent meines Arbeitstages vor dem Computer. Meine Tage bestehen aus Daten­ recherche, Programmieren, Schreiben, Lesen und vielen TreΩen mit Kollegen. Ab und zu unterrichte ich. Und die E­Mails darf man natürlich auch nicht vergessen.

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Worauf sind Sie besonders stolz? Ich stamme aus einfachen Verhältnissen und bin der erste Akademiker in meiner Familie. Es macht mich stolz, dass ich die Möglichkeit hatte, zu studieren und zur Forschung beizutragen. Wie entspannen Sie nach einem langen Tag? Das kommt darauf an. Wenn ich allein sein möchte, trinke ich ein Bier, lese oder beschäftige mich mit kreativem Programmieren. Wenn ich Lust auf Ge­ sellschaft habe, gehe ich mit Freunden klettern oder etwas trinken. Haben Sie eine bestimmte Lebensphilosophie? Ausgewogenheit, Liebe und Geduld. Ich glaube, dass Extremismus im Leben unseren Verstand vergiftet. Deshalb versuche ich, die Dinge ausgewogen anzu­ gehen. Wenn man zu viel nachdenkt, geht nichts weiter. Wenn man zu forsch handelt, ist man immer beschäftigt, ohne wirklich nachzudenken. Ich liebe, was ich tue, und die Menschen, die mich umgeben. Und ich predige Geduld, weil ich das Leben als einen langen Weg sehe, der Zeit braucht. Welche Träume und Ziele verfolgen Sie? Ich möchte anderen Forschern die Arbeit erleichtern. Das ist mein wissenschaftliches Ziel. Dazu entwickle ich Methoden, die den Prozess der Datenerfassung und ­analyse vereinfachen. Daten sollen dadurch genauer und nachvollziehbarer werden. Ein beruf­ licher Traum ist ein transparenter und freier Zugang zur Wissenschaft.

Foto: Martin Lugger

W

oran arbeiten Sie zurzeit? Es gibt jede Menge Daten, die in Kran­ kenhäusern automatisch erfasst wer­ den. Diese Daten werden bis dato aber nicht wirklich genutzt. Das wollen wir ändern. Wenn ein Patient mit einer Rückenmarksverletzung eingeliefert wird, dann misst man beispielsweise den genauen arteri­ ellen Druck. Wir glauben, dass diese Daten bei der Behandlung anderer Patienten helfen können. Wo­ möglich können wir dadurch den Genesungsverlauf voraussagen.


„Ich möchte anderen Forschern die Arbeit erleichtern.“

Dr. Torres-Espin ist es mithilfe der Förderung von Wings for Life gelungen, eine Festanstellung an der University of California zu erhalten. Hier beschäftigt er sich mit Big Data und maschinellem Lernen, wo Computer eine Vielzahl an Daten lesen und Muster erkennen. Diese Muster sollen eine genauere Bestimmung des zukünftigen Zustands eines Betroffenen ermöglichen. Mehr dazu unter: www.wingsforlife.com/forschung ... LIFE | 57


Dustine West arbeitet hart, um seinen Traumjob zu bekommen. Kurz darauf macht ein Unfall auf dem Heimweg alles zunichte. Jetzt sind Papier und Stift seine neue Leidenschaft – und eine Art Flucht aus dem Alltag.

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Fotos: Richie Hopson, privat

QUERSCHNITTSLÄHMUNG


Dustine kann seine Hände kaum bewegen, dennoch malt er großartige Kunstwerke.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

„Ich weiß nur, dass ich in einem Krankenhausbett aufgewacht bin, ohne sprechen oder mich bewegen zu können.“

N

mehr. Nur, dass ich in einem Krankenhausbett aufgewacht bin, ohne sprechen oder mich be­ wegen zu können“, sagt Dustine. „Das Gehirn hat die Angewohnheit, Traumata auszublenden. Deshalb bin ich in gewisser Weise dankbar, dass ich mich an die Einzelheiten dieses Tages nicht erinnern kann.“ Der 48­Jährige erleidet schwere Verletzun­ gen – unter anderem am Rückenmark. Er wird ins künstliche Koma versetzt. Als er aufwacht, sieht er seine Familie an seiner Seite. Kurze Zeit später kommt der Arzt mit der Diagnose: inkom­ pletter Querschnitt. Dustine wird als Tetraplegi­ ker eingestuft. Das bedeutet, dass sowohl seine Beine als auch seine Arme gelähmt sind. „Sie sagten mir, ich würde meine Beine nicht mehr spüren und nie wieder lau­ fen können. Ich hatte so viele Fra­ gen. Wo bin ich? Warum bin ich DUSTINE WIRD hier? Wie konnte das passieren? ANGEFAHREN Ich hatte solche Angst“, erinnert Dann kommt der 16. Jänner 2011. er sich. Es ist ein kühler Tag in Dus­ Dustine war sein ganzes Le­ tines Heimatstadt London. Sei­ ben lang sehr aktiv. Für ihn ist die ne Schicht ist zu Ende. Dustine neue Situation ein Schock. „Der trinkt noch eine Tasse KaΩee, Ernst der Lage war nicht nur für bevor er sich auf sein Fahrrad Dustine liebte seine Arbeit bei der British mich, sondern auch für meine Fa­ schwingt, um nach Hause zu Transport Police. fahren. Er nimmt seine übliche milie schwer zu verkraften.“ Route. Die Straße ist schlecht Er wird in eine Reha­Einrich­ beleuchtet. Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein tung gebracht, wo er die nächsten sieben Monate Auto erfasst ihn, er wird zu Boden geschleudert. verbringt. Dustines Frau ist jeden Tag an seiner Der Unfallverursacher lässt Dustine auf dem As­ Seite. Sie gibt ihre Arbeit auf, um für ihren Part­ ner da zu sein. „Ich hatte schlechte Tage und dann phalt zurück und begeht Fahrerflucht. Er wird wieder bessere. Meine Frau war meine Rettung. später ausgeforscht und wegen Trunkenheit am Sie war immer da, um mich zu unterstützen. Die Steuer angeklagt. „Ich erinnere mich an nichts

ach elf Jahren im Sicherheitsdienst triΩt Dustine eine Entscheidung. Er will endlich den Beruf ausüben, von dem er schon immer geträumt hat. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Mut dazu hatte, meinen sicheren Job zu verlassen. Bei der Polizei anzufangen war eine ziemlich große Sache für mich“, sagt Dustine. „Ich bin so gerne in meine neue Arbeit gegangen. Selbst wenn ich früh aufstehen musste. Mein Team war großartig.“ Dustines Einsatz im neuen Job zahlt sich aus. Gleich im ersten Jahr erhält er zwei Auszeich­ nungen. „Mir wurde klar, dass man in diesem Job schnell lernen muss. Nichts bereitet einen auf das vor, womit man jeden Tag zu tun bekommt.“

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Dustine verbringt am liebsten Zeit mit seiner Familie. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau in London.

Die Wände in Dustines Haus sind voll von seinen Kunstwerken. Er porträtiert gerne bekannte Persönlichkeiten.

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QUERSCHNITTSLÄHMUNG

An diesem Platz verbringt Dustine viele Stunden und malt.

„Ich würde alles tun, um mein altes Leben zurückzubekommen.“

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Familie hat mich ermutigt, mich anzustrengen, vor allem bei der Physiotherapie – ich hatte großes Glück, dass sie für mich da waren.“

DER REALITÄT ENTFLIEHEN Eines Tages bekommt Dustine Besuch von einer Ergotherapeutin. Sie ermutigt ihn, sein altes Hobby, die Malerei, wieder aufzunehmen. Er soll am wöchentlichen Kunstkurs teilnehmen. „Wie soll ich zeichnen, wenn ich meine Hand nicht mehr gut bewegen kann?“, denkt Dustine. Er zögert, besucht den Kurs aber schließlich trotzdem – und seine Leidenschaft für Stift und Papier lebt wieder auf. „Ich habe Malen immer geliebt. Schon als kleiner Bub in der Schule oder als Erwachsener, wenn meine Freunde mich um Skizzen baten. Als ich bei der Polizei war, verlor ich den Bezug dazu, ich hatte ja kaum Freizeit.“ In dem Kurs entdeckt er das sogenannte „Stippling“, zu Deutsch Punktieren. Eine Zeichentechnik, bei der Licht- und Schattenbereiche nur mit Punkten erzeugt werden. Damit gelingt es ihm, trotz seiner eingeschränkten Beweglichkeit fantastische Zeichnungen zu erstellen. Das neue Hobby hilft ihm außerdem mental in dunklen Zeiten: „Stippling hat mir in der Reha geholfen. Wenn ich allein war, fing ich an, über mein Leben und über das, was passiert ist, nachzudenken. Die Kunst half mir, damit umzugehen.“

EIN LEBEN IN HOFFNUNG Heute stehen ganze Kisten voll mit ausdrucksstarken Porträts in seinem Büro. Hier verbringt Dustine die meiste Zeit. Er hört Radio und malt von früh bis spät. Außerdem setzt er sich für Behinderte ein. „Ich möchte dazu beitragen, die

Viele einzelne Punkte ergeben atemberaubende Kunstwerke. Dustines Motiv: ein Formel-1-Helm.

Stigmatisierung von Menschen im Rollstuhl zu überwinden, und kämpfe für ihre Rechte.“ Er arbeitet mit einigen Wohltätigkeitsorganisationen zusammen. Seine Zeichnungen helfen dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. „Ich möchte den Leuten zeigen, dass ich zwar im Rollstuhl sitze und meine Beine nicht richtig funktionieren, aber dass ich ein Hobby haben kann wie jeder andere Mensch auch.“ Seinen Blick richtet er nach vorne. „Bitte nicht falsch verstehen, in den letzten zehn Jahren habe ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen können. Ich habe Frustrationen erlebt, und es hat eine Weile gedauert, bis mir das klar wurde. Aber das Leben ist zu kurz. Man muss die positiven Seiten sehen“, so der Engländer. Wird er jedoch auf das Thema Heilung angesprochen, werden seine Augen groß: „Wo kann ich mich anmelden?! Meine Familie und ich waren vor dem Unfall so glücklich. Ich würde alles tun, um mein altes Leben zurückzubekommen.“ ... LIFE | 63


FORSCHUNG

Wissensquiz Wissen Sie über das Nervensystem Bescheid? Hier können Sie leidenschaftlich grübeln und mitraten. Testen Sie Ihren Grips mit unseren gefinkelten Fragen im ultimativen Wissensquiz. Los geht’s – und bitte nicht schwindeln!

1. Zum zentralen Nervensystem gehören unter anderem …

4. Eine Querschnittslähmung resultiert z.B. aus einer Schädigung …

A. das Großhirn, das Rückenmark, der Ischiasnerv B. das Großhirn, der Nervus trigeminus, das Rückenmark C. das Großhirn, das Kleinhirn, das Rückenmark D. das Kleinhirn, das Rückenmark, der Ischiasnerv

A. des Knochenmarks B. des Parasympathikus C. des Rückenmarks D. der Wirbelsäule

2. Das vegetative Nervensystem steuert … A. die Funktion der inneren Organe wie z. B. Atmung, Verdauung und Herzschlag B. die Vegetation C. die Motorik D. die Sensorik

5. Als Liquor cerebrospinalis bezeichnet man … A. süße alkoholische Getränke B. eine der drei Hirnhäute C. das Nervenwasser D. eine Gehirnblutung

3. Der Sympathikus ist ein …

6. Wie viel wiegt das Rückenmark eines Erwachsenen durchschnittlich?

A. liebenswerter Mensch B. Teil des vegetativen Nervensystems C. Teilbereich des Ischiasnervs D. Hirnnerv, der die Mimik steuert

A. 35 Gramm B. 95 Gramm C. 215 Gramm D. 330 Gramm

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7. Führt eine Verletzung der Wirbelsäule immer zu einer Querschnittslähmung?

9. Der lateinische Name für das Rückenmark lautet …

A. nein B. ja C. ja, aber nur wenn die Bandscheiben ebenfalls geschädigt werden D. ja, aber nur wenn ein Trümmerbruch des Wirbelkörpers vorliegt

A. Medulla spinalis B. Cerebrum C. Cortex cerebri D. Adductor longus

8. Wen oder was bezeichnet man als Pia mater? A. den weichen Teil der Plazenta B. die hawaiianische SüßkartoΩel C. die wissenschaftliche Koordinatorin bei Wings for Life D. die weiche Hirnhaut

10. Tetraplegiker ist der Name für … A. eine gut versiegelte Milchverpackung B. einen Menschen mit hohem Querschnitt C. einen Philosophen der Spätantike D. einen Neurowissenschaftler

11. Was ist ein Motoneuron? A. ein Bestandteil eines BotenstoΩes B. ein afrikanisches Motorradtaxi C. eine Nervenzelle des motorischen Nervensystems D. ein Smartphone-Modell

>9

3–9

<3

Mehr als neun richtige Antworten:

Drei bis neun richtige Antworten:

Weniger als drei richtige Antworten:

Wahnsinn, Sie müssen Wissenschaftler oder Experte sein. Gehirn, Rückenmark oder Nervensystem – Ihr nahezu grenzenloses Wissen lässt uns vor Ehrfurcht erstarren. Chapeau!

Solide! Ihr Wissen zum menschlichen Körper kann sich sehen lassen. Sie sind auf dem Weg, ein Experte zu werden. Jetzt wäre es schlau, Ihr aufblitzendes Know-how weiter auszubauen.

Puh, wie sollen wir Ihnen das möglichst schonend beibringen? Sagen wir es so: Sie haben noch recht wenig Ahnung, und die Luft nach oben scheint schier grenzenlos. Aber hey: Es ist nie zu spät, Neues zu lernen.

Auflösung: Frage 1: C; Frage 2: A; Frage 3: B; Frage 4: C; Frage 5: C; Frage 6: A; Frage 7: A; Frage 8: D; Frage 9: A; Frage 10: B; Frage 11: C ... LIFE | 65


FORSCHUNG

So forscht Ihre Spende

Geförderte Projekte

64

1

ZIEL

LAUFENDE

FORSCHUNGS­ PROJEKTE

33% Grundlage

Überprüfung von grundlegenden wissenschaftlichen Thesen

QUERSCHNITTSLÄHMUNG HEILEN

15

AUSTRALIEN BELGIEN DEUTSCHLAND ENGLAND FINNLAND ISRAEL ITALIEN KANADA

LÄNDER

NIEDERLANDE ÖSTERREICH PORTUGAL SCHWEDEN SCHWEIZ SPANIEN USA

FORSCHUNGSBEREICHE Rekonstruktion

Bioinformatik

42%

9

4

Neuroprotektion

5

Remyelinisierung

1

Präklinik

Untersuchung der gewonnenen Erkenntnisse im lebenden Organismus

8

Klinik

Erprobung von Therapien und Medikamenten am Menschen

20

Plastizität

9

7 Rehabilitation

25%

Imaging

1

Regeneration

Sekundärschaden

GESAMTZAHL GEFÖRDERTER PROJEKTE

259

11

19

25

36

44

55

63

82

111

125

144

172

191

211

239

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

3 durchschnittliche Förderjahre pro Forschungsprojekt 66 | WINGS FOR ...

2021

Detaillierte Beschreibungen der Projekte finden Sie unter www.wingsforlife.com/forschung


KREATIVE IDEEN WERDEN WIRKLICHKEIT #DIEOFFSET

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Unsere Mission:

Auch Sie können helfen. 100 % der Spendengelder kommen der Rückenmarksforschung zugute.

Wir freuen uns über Ihre Unterstützung! SPENDENKONTEN ÖSTERREICH Bankhaus Carl Spängler & Co., Salzburg, IBAN: AT27 1953 0001 0001 1911 BIC: SPAEAT2S Empfänger: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung, Fürstenallee 4, A-5020 Salzburg DEUTSCHLAND Bayerische Landesbank, München, IBAN: DE13 7005 0000 0000 0119 11 BIC: BYLADEMM Empfänger: Wings for Life Spinal Cord Research e. V., Görlitzer Straße 21, D-83395 Freilassing SCHWEIZ PostFinance, IBAN: CH12 0900 0000 8520 6015 2 BIC: POFICHBEXXX Empfänger: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung, Fürstenallee 4, A-5020 Salzburg


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