Wings for LIFE Magazin - Ausgabe N°13

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Make Your Body Smile

immun POWER

MIT MAGNESIUM + VITAMIN D

*Magnesium trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei und Vitamin D trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei.

Ganz allgemein empfehlen wir eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise.

Impressum

Medieninhaber, Eigentümer und Verleger:

Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15, 5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU 63611700 www.redbullmediahouse.com Geschäftsführer:

Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber

Produktion:

Red Bull Media House GmbH, Am Grünen Prater 3, 1020 Wien, Tel.: +43/1/90 221-0

Redaktion: Christina Herbst, Stefanie Schwarz

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Markus Böttinger, Lara Goritschnig, Marco Gröbner, Verena May, Brandon Peters, Beatrice Sandner

General Manager Red Bull Media House Publishing:

Stefan Ebner

Head of Co-Publishing:

Katrin Sigl

Art Director: Silvia Druml-Shams

Fotoredaktion: Eva Kerschbaum

Projektmanagement: Jennifer Silberschneider

Lithografie: Clemens Ragotzky

Lektorat: Hans Fleissner

Producer: Sabine Wessig

Druck: Offset 5020 Druckerei & Verlag Gesellschaft m.b.H., Bayernstraße 27, 5072 Wals-Siezenheim, Österreich

In Kooperation mit: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung

Fürstenallee 4, 5020 Salzburg, Österreich

Tel.: +43/662/65 82-4244

E-Mail: office@wingsforlife.com

Firmenbuchnummer: FN 251592p

Rechtsform:

Privatstiftung, gemeinnützig

Firmenbuchgericht:

Landesgericht Salzburg

Geschäftsführung: Anita Gerhardter

Liebe Freunde und Unterstützer,

dieses Jahr ist für uns ein ganz besonderes – und das möchten wir mit Ihnen teilen. Vor 20 Jahren wurde die Wings for Life Stiftung mit einer Vision gegründet: Querschnittslähmung heilbar zu machen. Ab Seite 24 erzählen Anita Gerhardter, Heinz Kinigadner und Jan Schwab (Cover) Ihnen unsere Gründungsgeschichte, voller bewegender Momente und bedeutender wissenschaftlicher Fortschritte.

Heute, zwei Jahrzehnte später, scheint unser großes Ziel greifarer denn je. Dank des unermüdlichen Engagements von Wissenschaftlern wie Prof. Michael Kilgard, der mit seiner klinischen Studie zur Vagusnerv-Stimulation den Weg für eine revolutionäre Therapie ebnet (ab Seite 54).

Der Wings for Life World Run ist ein Tag voller Hoffnung (ab Seite 36), besonders für Menschen wie Tina Hötzendorfer, die seit 2008 querschnittsgelähmt ist. Wir haben sie und viele andere Betroffene nach ihren Wünschen befragt.

Führende Wissenschaftler der Rückenmarksforschung geben uns ab Seite 10 spannende Einblicke, wie realistisch diese Träume sind.

All das wäre ohne Ihre Unterstützung nicht möglich –von Herzen danke, dass Sie an unserer Seite sind.

Viel Freude beim Lesen, Ihr Wings for Life Team

Inhalt

Menschen

10 Faces of Hope

Betroffene teilen ihre Hoffnungen mit uns – und Forscher ihre Gedanken dazu.

30 Alle Zügel aus der Hand Lisa liebt das Reiten –bis sie gezwungen wird, die Kontrolle abzugeben.

48 Zwei Schicksale, eine Mission

Sarah Hundert und Roland Gassner bringen Wings for Life nach Liechtenstein.

70 Kolumne

CEO Anita Gerhardter: Wenn die Welt plötzlich stillsteht.

Forschung

54 Ein Nerv, der Leben verändert

Professor Michael Kilgard steht am Anfang einer revolutionären Therapie.

60

Talente im Fokus Im Gespräch mit Dr. Faith Brennan von der Queen’s University in Kanada.

62 Neues aus der Forschung Wir rücken sieben Projekte und eine klinische Studie ins Rampenlicht.

Fotos: Helge Kirchberger, Natasha Swanson, Jonathan Zizzo, Michele Peloza

36 30

Stiftung

24

20 Jahre Wings for Life Ein Blick in unser Fotoalbum: die Geschichte einer bewegenden Mission.

46 Das Scientific Meeting Sechs Gründe, unser wissenschaftliches Symposium in Salzburg zu lieben.

68 Meistgelesene Geschichten Über das „Valley of Death“ und das Labyrinth der Rückenmarksforschung.

Fundraising

6 Events around the World Zusammen für eine Heilung: Wir bündeln unsere Kräfte rund um den Globus.

36 Gemeinsam läuft’s am besten Die schönsten Momente des Wings for Life World Run, des größten Laufs der Welt.

STANDARDS

3 Vorwort, Impressum

69 Unsere Forschungsprojekte 2024/25

Coverfoto: Limex Images/ Andreas Schaad Fotos Rückseite: Helge Kirchberger

Events around the World

Unser großes Ziel ist es, eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden. Mit jeder wertvollen Spende kommen wir dem einen Schritt näher.

Großbritannien

Auf die Tontauben, fertig, los! Freunde und Partner kamen im idyllischen Oxfordshire zusammen, um sich beim alljährlichen Wings for Life „Clay Day“ mit Formel-1Stars wie David Coulthard, Daniel Ricciardo oder Sergio Pérez im Tontaubenschießen zu messen. Nach einem gemeinsamen Dinner boten unsere Gäste in der LiveAuktion, was das Zeug hält –am Ende durften wir uns über eine Spendensumme von 425.000 Pfund freuen.

Österreich

Kickoff für die Rückenmarksforschung

Spannende Matches, jubelnde Fans und jede Menge Spaß: Das war der dritte Birdies & Friends Soccer Cup. Unsere Freunde von Birdiefy Events haben sich damit wieder selbst übertroffen. 17 Teams kickten in Fuschl am See für Wings for Life und sammelten großartige 125.000 Euro.

USA

Gute Unterhaltung und große Hoffnung Hoch oben in den Hügeln von Los Angeles feierte unser Cord Club LA eine glanzvolle Rückkehr. Die preisgekrönte TVModeratorin Sophie Morgan führte durch den Abend, während Unterstützer bei der eleganten Charity Gala auf Prominente trafen.

Gemeinsam sammelten sie über 505.000 Dollar für Wings for Life.

Liechtenstein

Premiere im Fürstentum

Liechtenstein

Heuer fand unser erstes Charity Dinner in Liechtenstein statt – ganz im Zeichen der Rückenmarksforschung. Unsere Gäste unterhielten sich prächtig und boten bei Exponaten wie dem Kunstwerk von Leon Löwentraut um die Wette. Der Abend wurde durch eine Spendensumme von 484.500 Schweizer Franken gekrönt.

Fotos: Marv Watson, Roland Korner

EIN AUSFLUG IN DIE WELT DER

KUNST, KULINARIK UND FLIEGEREI

Ursprünglich geplant, um die stetig wachsende Sammlung historischer Flugzeuge der The Flying Bulls zu beherbergen, ist der Hangar-7 heute ein Synonym für avantgardistische Architektur, moderne Kunst und Spitzengastronomie. All das macht ihn zu einem der vielfältigsten Ausflugsziele der Region.

Für eine Reise durch Tag und Nacht eignet sich der Hangar-7 wie kaum ein anderer Ort. Jede Tageszeit taucht Flugzeuge, Rennboliden und die vielen Exponate in eine andere Stimmung. Und die lässt sich nirgendwo sonst so angenehm, komfortabel und genussvoll erleben wie bei einem Frühstück im Carpe Diem Lounge–Café, bei einem Gastkochmenü im Restaurant Ikarus oder einem Cocktail in der Mayday Bar

Wolfgang ist seit einem Sturz mit dem Fahrrad hoch querschnittsgelähmt. Heute ist er verheiratet und Papa von zwei Kindern.

10 WINGS FOR LIFE

Menschen

Faces of Hope

Wir haben ein Gedankenspiel gemacht und querschnittsverletzte Menschen gefragt, was sie am liebsten tun würden, gäbe es eine Heilung. Einige der einflussreichsten Koryphäen der Rückenmarksforschung geben Einblicke, wie realistisch diese Träume sind.

„Gäbe es eine Heilung, würde ich durch das ganze Haus tanzen.“

Julia hat sich bei einem Autounfall ihr Rückenmark verletzt. Sie ist Mama einer kleinen Tochter.

Prof. Michael Sofroniew ist Neurowissenschaftler an der University of California und Teil des wissenschaftlichen Beratergremiums von Wings for Life. Seine Entdeckungen rund um die „gliale Narbe“, die nach einer Rückenmarksverletzung entsteht, waren bahnbrechend für das Forschungsfeld.

„Wenn wir in dem, was wir tun, Erfolg haben, werden Patienten Funktionen zurückerlangen –Bewegungen der Finger, Hände, Arme und Beine.“

Patrik hatte einen Motorradunfall und ist seitdem querschnittsgelähmt. Im Alltag ist er auf Hilfe angewiesen.

„Ich vermisse die einfachen Dinge. Durch den Schnee stapfen oder durchs Laub gehen. Oder mit meiner Freundin Hand in Hand gehen.“

Prof. Aileen Anderson ist Neurowissenschaftlerin, Leiterin des Sue & Bill Gross Stem Cell Research Center der University of California. Sie ist Teil des wissenschaftlichen Beratergremiums von Wings for Life und eine Pionierin auf dem Gebiet der Stammzelltransplantation in das verletzte Rückenmark.

„Es gibt einen mühsamen, aber unaufhaltsamen Fortschritt, der in die richtige Richtung geht.“

Tina ist seit einem Snowboardunfall hoch querschnittsgelähmt. Heute ist sie Unternehmerin, Ehefrau und Mutter eines Sohnes.

„Wenn ich nur einen Finger bewegen könnte, würde

mir das so helfen. Ich könnte mir vielleicht meine Haare wieder selbst zusammenbinden. Es sind diese Kleinigkeiten, die trotzdem die Welt bedeuten.“

„Ich kann mir vorstellen, dass einer der nächsten Schritte darin bestehen wird, die Handfunktion teilweise wiederherzustellen.“

Prof. Jan Schwab ist Neurowissenschaftler und Neurologe an der Ohio State University. Er ist nicht nur Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Direktor bei Wings for Life, sondern auch der Entdecker von Immunfehlfunktionen, die eine neurologische Funktionserholung behindern.

Angelino verunfallte beim Paragleiten und verletzte sich dabei sein Rückenmark. Heute ist er dreifacher Paraclimbing-Weltmeister.

„Ich würde so gerne wieder auf einen Berg gehen.“

Prof. Stephen Strittmatter ist Neurologe und Neurowissenschaftler an der Yale University in Connecticut. Er ist Teil des wissenschaftlichen Beratergremiums von Wings for Life und hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit der Lösung des molekularen Rätsels beschäftigt, wie man beschädigte Nerven wieder zum Aussprossen bringt.

„Die Entwicklung von Grundlagenwissen und die Umsetzung in Therapien für querschnittsgelähmte Menschen – darum geht es uns. Und dies ist der richtige Ort, um das zu tun.“
„Ich spüre ein ständiges Kribbeln in den Beinen –das sind Nervenschmerzen, die mich rund um die Uhr begleiten.“

Michaela stürzte beim Downhillen und ist seither querschnittsgelähmt. Sie studiert Luft- und Raumfahrttechnik.

Prof. Andrew Maas ist Neurochirurg an der Universitätsklinik Antwerpen und ein internationaler Pionier in der Behandlung und Erforschung von Verletzungen des zentralen Nervensystems (Neurotraumata). Er ist seit vielen Jahren ein integraler Teil des Wings for Life Beratergremiums.

„Wir können unser Wissen weiter ausbauen und Patienten viel besser behandeln als bisher. Wenn wir erfolgreich sind, könnten Betroffene wieder gehen.“
„Die Möglichkeit, bestimmte Zellen und Medikamente beim Patienten sicher in das verletzte Rückenmark zu verabreichen, hat neue Wege eröffnet. Wir können das jetzt. Und ja, es gibt Hoffnung.“

Prof. Armin Curt ist Neurologe an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich und hat wesentliche Grundlagen für die Therapietestung bei Rückenmarksverletzten gelegt. Er ist klinischer Direktor bei Wings for Life und langjähriges Mitglied des Beratergremiums.

20 Jahre Wings for Life

Unzählige Erinnerungen, Geschichten und besondere Menschen, die für uns die letzten 20 Jahre prägten

Ein weitläufiger Raum in Salzburg. Fotos, die auf dünnen Fäden von der Wand hängen und sich kaum sichtbar bewegen. Jedes einzelne Bild erzählt eine Geschichte – und ist Teil einer beispiellosen Reise. Der Reise von Wings for Life.

Anita Gerhardter, Heinz Kinigadner und Jan Schwab treffen sich für uns zu einer außergewöhnlichen Zeitreise: Die Geschäftsführerin, der Gründer und der wissenschaftliche Direktor von Wings for Life – Herz, Seele und Hirn der Stiftung – spazieren umher zwischen groß ausgedruckten Fotos, die von der Wand hängen. Schnappschüsse. Momentaufnahmen. Erinnerungen.

„Ich glaube, wir alle können uns noch an die Zeit erinnern, in der dieses Foto hier entstanden ist“,

sagt Heinz Kinigadner und greift nach einem der Bilder. Es zeigt einen jungen Mann in einem Krankenbett: Heinz’ damals 19-jähriger Sohn Hannes, plötzlich hoch querschnittsgelähmt nach einem Sturz. „Ich habe dieses und einige andere Fotos hier selbst gemacht – kann sie mir aber eigentlich noch immer nicht anschauen …“ Anita Gerhardter ist schon damals eine langjährige Freundin der Familie Kinigadner. „Ich erinnere mich noch ganz genau – ich hab das anfangs alles völlig von mir weggeschoben. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dieses Foto hier“, sagt sie und streift vorsichtig über ein Bild von Hannes während seiner Rehazeit, „das tut richtig weh.“ Heinz nickt. „Eigentlich ist es nicht erklärbar, was in so einer Situation in einem vorgeht, und für

UNSERE ENTSTEHUNGSGESCHICHE

2003 2004 2005 2006 2008

Hannes Kinigadner verunfallt schwer und bleibt querschnittsgelähmt.

Heinz Kinigadner und Dietrich Mateschitz gründen Wings for Life mit dem Ziel, Querschnittslähmung heilbar zu machen.

Förderung der ersten elf Forschungsprojekte im Grundlagenbereich und Aufbau eines unabhängigen Begutachtungsverfahrens (Peer Review).

Gründung des „Scientific Advisory Board“ – eines Gremiums aus internationalen Spitzenforschern, das als wissenschaftlicher Beirat fungiert.

Das erste wissenschaftliche Symposium findet in Salzburg im Hangar­7 statt – mit 33 Spezialisten der Rückenmarksforschung aus aller Welt.

Hirn, Herz und Seele der Wings for Life Stiftung:

Jan Schwab, Anita Gerhardter und Heinz Kinigadner (v. li.)

Außenstehende nicht vorstellbar. Es ist, als würde sich die Welt aufhören zu drehen. Stillstand.“

Gründung von Wings for Life

Die Suche nach einer schnellen Heilung für Hannes endet abrupt mit einer großen Enttäuschung. „Damals gab es einfach nichts. Von einer klinischen Studie am Menschen waren wir sehr weit entfernt“, so Heinz Kinigadner. Zu dieser Zeit ist er bereits viele Jahre eng mit Red Bull-Gründer Dietrich Mateschitz befreundet. „Es war schnell klar, dass die einzige Chance, etwas zu verändern, eine europäische Stiftung ist“, ergänzt

2009 2011 2012 2014

Zhigang He ermöglicht etwas, was im zentralen Nervensystem bisher als unmöglich galt: die Regeneration von Nervenfasern durch die Blockierung des Enzyms PTEN.

Jan Schwab und Kollegen beschreiben die schwächenden Auswirkungen einer Rückenmarksverletzung auf das Immunsystem – und die Tatsache, dass dadurch Infektionen begünstigt werden.

In der Schweiz startet unter der Leitung von Armin Curt die erste kontrollierte klinische Studie, bei der humane neurale Stammzellen in das verletzte Rückenmark transplantiert werden.

Erste gemeinsame Summer School von Wings for Life & ISRT in London zur gezielten Förderung und Ausbildung von Nachwuchsforschern.

Startschuss zum ersten Wings for Life World Run. Die weltweite Aufmerksamkeit bringt die Rekordzahl von 253 eingereichten Forschungsanträgen.

Fotos: Limex Images/Andreas Schaad, Wings for Life, David Robinson, Stefan Weiß, Marv Watson, privat

ES KANN JEDEN TREFFEN

Die Hauptursache für Querschnittslähmungen sind Unfälle im täglichen Leben.

50 %

Verkehrsunfälle 24 % Stürze

Jan Schwab – zu dieser Zeit Neurowissenschaftler in Berlin. „Beeindruckend war von Beginn an, dass Herr Mateschitz sagte: ‚Wir machen das.‘ Es war klar, dass das eine Vision und eine Mission ist –und dass es schwierig wird.“ Anitas Blick ruht auf dem Schwarz-WeißFoto von Dietrich Mateschitz. „‚Geht nicht gibt’s nicht‘ – das war so sein Credo.“

fördern exzellente Projekte, die schon mittelfristig das Potenzial haben, Funktionen zu verbessern“, erklärt Gerhardter. „Wir sind kein Öltanker, sondern agieren wie ein Schnellboot. Wir brauchen nicht ewig lange, um in Fahrt zu kommen. Wir agieren rasch.“

Andauernder Fortschritt

3 % Extremsport

17 % andere Ursachen

6 % Sport

2004 wird von ihm und Heinz Kinigadner die Stiftung Wings for Life gegründet. Das Ziel: Rückenmarksforschung fördern und so eine Heilung für Querschnittslähmung finden. Seitdem ist der Fortschritt sichtbar. „Wir haben einen hochselektiven mehrstufigen Prozess etabliert. Forscher reichen Förderanträge ein. Experten teilen uns Bewertungen – auf internationalem Standard – mit, und wir

Die drei gehen zu weiteren Fotos und bleiben vor dem des renommierten Forschers Sam David stehen. Heinz Kinigadner erklärt: „Ich bin stolz, dass uns solche Menschen so maßgeblich begleitet haben. Sam David hat beispielsweise als Erster bewiesen, dass Regeneration im Rückenmark möglich ist. Oder hier: Zhigang He – auch ein Pionier. Er hat einen Schalter gefunden, der Nervenwachstum wieder ermöglichen kann, und zwar in

Gründung des Accelerated Translational Program (ATP) zur schnelleren Umsetzung von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die klinische Testung am Patienten.

Die klinische Studie „Nogo-Falle“, bei der die motorische Funktion verbessert werden soll, wird mit sieben Millionen Dollar gefördert –der bis dato größten Fördersumme.

Grégoire Courtine gelingt es, bei drei inkomplett chronisch verletzten Patienten die Gehfunktion durch Elektrostimulation bedeutend zu verbessern.

Zur gleichen Zeit kann Jerry Silver in den USA im Modell die Atmung bei chronischer Querschnittslähmung wiederherstellen.

Michael Kilgard bringt die Stimulation des Vagusnervs in die klinische Testung. Ziel ist es, die Handfunktion bei hoch Querschnittsverletzten zu verbessern (mehr dazu auf Seite 54).

einem Ausmaß, das man nicht für möglich gehalten hat.“

Jan Schwab nickt. „Wenn man Patienten in die Augen schaut, weiß man sofort, was ihnen diese Hoffnung bedeutet. Diese Studien sind Schneepflüge für das ganze Feld. Da ist Wings for Life maßgeblich involviert. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren nicht gebummelt. Wir decken Grundlagenforschung, Translation und klinische Studien ab – das können sonst nur große Pharmaunternehmen. Das ganze Feld ist in Bewegung, und wir sehen uns ermutigt, weiterzumachen.“

Anita Gerhardter ist es besonders wichtig, den Wings for Life World Run hervorzuheben. Sie beschreibt eines von unzähligen Fotos, auf denen Teilnehmer für die gute Sache laufen. „Die Idee dafür brachte ein Event-Spezialist

von Red Bull zu mir, und ich war begeistert. Ein Konzept, bei dem wir tausende Menschen auf einen Schlag erreichen, wo wir Spenden generieren und ein Bewusstsein schaffen. Mittlerweile sind wir das weltweit größte Lauf-Event“, sagt sie stolz, „der Wings for Life World Run hat sich zu einem Symbol der Hoffnung für Menschen mit Querschnittslähmung entwickelt“ (mehr auf Seite 36). Heinz Kinigadner – selbst jedes Jahr an der Startlinie – ergänzt: „Jeder beim World Run hat verstanden, wofür wir laufen. Für die Sache. Und das ist wahnsinnig emotional und schön.“

Die drei blicken stolz auf die letzten Jahre. „Wings for Life hat wesentlich dazu beigetragen, den Bereich der Rückenmarksforschung zu beleben. Wenn man sich anschaut, wie viele Wissenschaft-

Relaunch des „SCI Trials Finder“ als Plattform für Patienten, um sie besser mit klinischen Studien in Kontakt zu bringen.

Wings for Life fördert Monica Perez’ „NervGen“-Studie mit drei Millionen Dollar. Ziel ist, die Narbe an der Verletzungsstelle für regenerierende Nervenfasern durchlässiger zu machen.

324 bis dato geförderte Forschungsprojekte in zwanzig Ländern und erstmals mehr als eine Viertelmillion Teilnehmer beim Wings for Life World Run.

ler sich heute mit dieser Thematik beschäftigen – da hat sich sehr viel getan, und das macht Hoffnung“, so Anita Gerhardter. Sie greift nach einem Foto, auf dem Hannes in einem Exoskelett steht. „Mein großer Wunsch ist – und der gilt für alle Betroffenen: Ich möchte den Hannes so sehen. Nämlich ohne Exoskelett ( ).“

Heinz Kinigadner nickt sichtlich gerührt. „Ich bin nach wie vor zu hundert Prozent davon überzeugt, dass es keine Ewigkeit mehr dauern wird.“ WAS IST EIN EXOSKELETT?

Das ist ein mechanisches Gerüst, ein Stützkorsett. Betroffene verwenden es zu Therapiezwecken.

Mehr Infos zu laufenden Projekten gibt es auf Seite 62 und unter www.wingsforlife.com

Fotos: Stefan Weiß, Samo Vidic, EPFL for Wings for Life World Run, Tyler Wick, Jonathan Zizzo, Mary Rafferty, Dominik Czerny

Lisa mit einem der Therapiepferde, mit denen sie regelmäßig Hippotherapie macht.

AlleausZügel der Hand

Lisa liebt Reiten.

Dann kommt es nach einer Trainingseinheit auf dem Pferd zu einem schweren Sturz, der ihre größte Angst wahr werden lässt: Lisa muss die Kontrolle abgeben.

Ich bin dem Pferd nicht böse. Es hat keinen Fehler gemacht – und ich auch nicht. Es war einfach ein richtig blöder Unfall“, sagt Lisa. Seit sie fünf Jahre alt ist, reitet die 28-jährige Niederösterreicherin. Erst in jeder freien Minute, später bei Turnieren. „Ich bin sehr ehrgeizig – wenn ich reite, hatte ich aber immer schon das Gefühl, dass ich ein bisschen loslassen und alles andere ausblenden kann. Da bin ich ganz im Moment.“

Lisa streichelt vorsichtig über die warmen Nüstern von Spotty – ihrem Therapiepferd. Da ist Respekt, Zuneigung und ein tiefes Vertrauen in das Tier. „Wieder reiten zu können war nach meinem Unfall mein größter Antrieb.“

Die große Unabhängigkeit

Lisa lebt auf der Überholspur. Ihre Eltern Karin und Walter beschreiben ihre Tochter als rastlos, risikofreudig und selbstbewusst. „Lisa war schon immer sehr zielstrebig“, erinnert sich ihr Vater. „Sie ist viel gereist – oft sehr spontan und auch allein.“

Lisa erklärt: „Ich wollte nicht von den Plänen anderer abhängig sein und habe vieles selbst in die Hand genommen. Ich mochte es, wenn viel los war, und wollte jeden Tag produktiv gestalten.“

Lisa arbeitet in der Vertragsabteilung einer Autovermietung, verbringt ihre Freizeit im Reitstall, reist gerne und modelt. Eine Macherin, die wehrlos dabei zusehen muss, wie ihr Ende 2022 nach einem unverschuldeten Sturz alles aus den Händen gleitet.

„Ich wollte mich aufrichten, habe meine Beine aber nicht mehr gespürt.“
Lisa

„Für mich war es ein Tag wie jeder andere. Ich war im Reitstall und bin nach dem Training noch locker ausgetrabt. Ich habe das Pferd Denada zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre betreut, wir waren vertraut miteinander.“

Dann knickt Denadas Vorderfuß völlig unerwartet ein, sie stolpert. „Dabei bin ich quasi über sie gefallen – und sie auf mich drauf.“ 600 Kilo – mit voller Wucht auf Lisa. Beim Versuch, sich aufzurichten, rammt das Pferd Lisa einen Huf in den Rücken, bevor es verunsichert davontrabt. Lisa bleibt

Lisa modelt regelmäßig. Hier mit Denada – dem Pferd, das auf sie stürzte.

im kalten Sand der Reithalle liegen. „Ich hatte sofort eine ganz komische Körperwahrnehmung und wusste, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich wollte mich aufrichten, habe meine Beine aber nicht mehr gespürt.“ Lisa beobachtet, wie alle aus dem Stall zu ihr laufen – und schließlich der Notarzt eintrifft.

Nie die Hoffnung aufgeben

„Wir wollten spazieren gehen, und ich sah ihre Nummer am Display“, erinnert sich Lisas Mama Karin. „Es war aber nicht Lisa – sondern der Hufschmied. Er sagte mir, dass Lisa schwer verletzt sei.“

Lisa wird operiert und auf die Intensivstation gebracht. Der Anfang eines monatelangen Aufenthalts im Krankenhaus. „Ein Arzt hat mir damals erklärt, dass Lisas Halswirbel verschoben sind und es keine klare Diagnose für die

Zukunft gibt. Und dass wir nie die Hoffnung aufgeben sollen.“

Als Lisa zu sich kommt, hat sie keine Ahnung davon, wie schwer ihre Verletzung tatsächlich ist. Sie versucht ihre Hände und Finger zu bewegen – schafft es aber nicht. „Nach einem Gespräch mit meinem behandelnden Arzt ist mir klar geworden, dass ich wirklich nicht einmal mehr imstande bin, einen Löffel selbst festzuhalten. Ich war so wütend …“ Lisas Mama Karin nickt betroffen. „Meine Tochter meinte zu mir: Mama, bitte schau mich an. Ich bin ein Pflegefall.“ Am schlimmsten trifft Lisa der Kontrollverlust über ihren Körper – und über ihr Leben. „Plötzlich war ich nicht mehr selbständig und brauchte dauernd Hilfe. Darum zu bitten und diese auch anzunehmen war und ist mir immer noch sehr unangenehm.“

Zurück aufs Pferd

Im Krankenhaus muss Lisa wochenlang liegen und leidet an einem Dekubitus*. „Ich hatte wirklich keine Ahnung davon, was so eine Querschnittslähmung alles mit sich bringt.“ Später – auf Reha – darf sie sich irgendwann endlich das erste Mal in einen Rollstuhl setzen.

Lisas Beine und Arme sind von ihrer Rückenmarksverletzung betroffen. Die Funktionen in ihrem rechten Arm erholen sich, sie kann ihre Finger wieder bewegen und nach etwas greifen. Ihr halbes Jahr auf Reha beschreibt

* Ein Dekubitus ist ein Druckgeschwür der Haut und entsteht durch eine anhaltende Druckbelastung. Viele Betroffene leiden durch das viele Sitzen oder Liegen daran und müssen ihre Haut regelmäßig entlasten, um schweren Infektionen vorzubeugen.

Lisa und ihre Mama Karin haben eine enge Beziehung zueinander.

Lisa wie in einer Blase: „Der Rollstuhl ist dort etwas ganz Normales. Ich habe Gleichgesinnte kennengelernt und konnte mich viel mit anderen austauschen“, denkt sie zurück. „Und ich habe Manuel kennengelernt. Er ist seit einem Motorradunfall vom 6. Brustwirbel abwärts querschnittsgelähmt und war auf Nach-Reha.“ Manuel wird für Lisa eine große Stütze – die beiden verlieben sich. „Seine Verletzung ist für mich kein Problem. Er kann sich so gut in mich hineinversetzen – mit einer gehenden Person würde ich das vielleicht gar nicht ertragen.“

Lisa bittet ihre behandelnden Ärzte und Therapeuten fast täglich, wieder aufs Pferd steigen zu dürfen. Anders als früher. Mit Hilfe. Aber sie möchte wieder in den Sattel.

„Reiten war einfach immer meine Leidenschaft, und ich weiß,

wozu ich imstande bin, wenn ich mir etwas vornehme. Ich wollte unbedingt Hippotherapie* machen.“

Am 4. April, nur vier Monate später, sitzt Lisa tatsächlich das erste Mal nach ihrem Unfall wieder im Sattel auf einem Pferd. Ein überwältigendes Gefühl.

Ein neues Leben

„Das Leben hält so viele Herausforderungen bereit, und ich sehe alles als eine Erfahrung, die mich stärker macht“, ist Lisa sicher. Sie lebt mittlerweile gemeinsam mit Manuel in einer barrierefreien Wohnung, arbeitet als Einkäuferin und ist sogar schon nach Las Vegas gereist. Fotografiert zu werden – so wie früher für Modeljobs – ist ihr noch unangenehm, sagt

* Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Behandlungsform auf speziell ausgebildeten Pferden.

sie. „Damals mochte ich Fotos von mir. Mich jetzt im Rollstuhl zu sehen ist sehr schwer für mich. Oft kann ich gar nicht glauben, dass diese Beine zu mir gehören.“

Ihre Eltern bewundern Lisa für ihre Stärke. „Auch für uns ist das alles neu“, sagt Lisas Mama Karin. „Man denkt an so vieles nicht, was eigentlich selbstverständlich, aber plötzlich eine riesige Herausforderung ist. Simple Dinge – aufs WC gehen, Lebensmittel im Supermarktregal erreichen oder einfach nur Glas in den Glascontainer werfen.“ Ihre Tochter nickt.

„Das würde ich wirklich so gern machen – oder einfach kurz aufstehen und allein etwas aus dem oberen Schrank holen …“ Gäbe es eine Heilung von Querschnittslähmung, weiß Lisa genau, was sie sofort machen würde. „Ich würde ganz allein – ohne Hilfe – ausreiten. Ich würde genießen, dass ich frei bin und endlich die Kontrolle wiederhabe.“

Fotos: Michele Peloza, privat
Lisa mit ihren Eltern beim Reitstall. Die beiden unterstützen ihre Tochter und sind stolz auf sie.
Lisa mit ihrem Freund Manuel

WIR LAUFEN FÜR DIE, DIE ES NICHT

KÖNNEN

Foto: Philip Platzer

W IEN ÖSTERR E HCI

Gemeinsam läuft’s am

Noch nie sind so viele Menschen gleichzeitig bei einem Laufevent zusammen auf der Strecke gewesen.

Alle starten zur selben Uhrzeit, rund um den Globus. Heuer waren über eine Viertelmillion Menschen beim Wings for Life World Run mit dabei. 265.818, um genau zu sein. Ganz egal, ob auf der eigenen Lieblingsstrecke mit der App oder bei einem Flagship Run: Die Teilnehmer haben eine unglaubliche Summe von 8,1 Millionen Euro gesammelt. 100 % davon fließen direkt in die Rückenmarksforschung und helfen, eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden.

Ein riesengroßes Dankeschön an alle – World Runner, Freiwillige und Sponsoren – für die großartige Unterstützung!

Foto: Dominik Czerny
Foto: Suguru Saito
Foto: Natasha Swanson
Foto: Sebastian Marko

ÖSTERREICH Z ILLE RTAL

Scientific Meeting

Sechs Gründe, unser alljährliches wissenschaftliches Symposium zu lieben.

1

Gemeinsamer Hotspot

An diesen zwei Tagen im Mai trifft sich gefühlt die gesamte Welt der Rückenmarksforschung in Salzburg. Beim vergangenen Meeting präsentierten 95 Teilnehmer aus 15 Nationen ihre neuesten Forschungsergebnisse. Hochinteressant.

2

Netzwerken im Fokus

Neben 20 Live Talks bieten wir Wissenschaftlern auch den feinsten Rahmen, um sich auszutauschen, sich bei einem Kaffee zu besprechen und ihre Bekanntschaften zu vertiefen. Netzwerken für den Fortschritt? Gefällt uns!

3

Smells like Science Spirit

Wir lieben diesen speziellen Vibe, der hier in der Luft liegt. Ob bei den Vorträgen oder den Poster Sessions bis hin zum Abendprogramm. Alle Teilnehmer haben ein Ziel: das Leben von Menschen mit Querschnittslähmung zu verbessern. Und das verbindet.

4

Ein Hoch den Youngsters

Wir setzen auf Nachwuchsförderung. Dazu veranstalten wir nicht nur unsere Summer School für junge Talente, sondern verleihen jedes Jahr beim Scientific Meeting Preise für das beste Poster. Ganz im Sinne der Anerkennung und Motivation.

5

Wir schaukeln das Kind schon

Die Forscherin Aya Takeoka reiste mit ihrer kleinen Tochter an. Und weil wir keinesfalls auf ihr Wissen verzichten wollten, haben wir Ablaufpläne gegen ihre Babytrage getauscht und sie bei der Betreuung unterstützt.

6

Schlaue Partie

Wenn Forscher vom King’s College in London neben jenen der Harvard Medical School und die wiederum neben jenen der Berliner Charité sitzen, muss es klarerweise vor Intelligenz in der Luft nur so knistern. Gänsehaut!

Sarah und Roland engagieren sich gemeinsam für Wings for Life: „Es ist so wichtig, dass es die Chance auf eine Heilung gibt.“

Zwei Schicksale, eine Mission

Sarah Hundert und Roland Gassner haben etwas gemeinsam: Beide sind seit einem Unfall querschnittsgelähmt –und haben deshalb Wings for Life in ihre Heimat Liechtenstein gebracht.

Roland, du bist kurz vor deinem Unfall Papa geworden. Zwei Tage nach der Geburt deines Sohnes warst du plötzlich querschnittsgelähmt. Was ist passiert?

Roland: Mein Sohn Luca wurde 2009 geboren, und ich war zu der Zeit im Krankenhaus bei meiner Frau. Am Abend traf ich mich dann mit Freunden, um auf meinen Sohn anzustoßen. Wir sind dann in der Nacht heimgefahren, und es hat geschneit. Ich war der Beifahrer. Dann passierte der Unfall. Wir sind in einer Kurve von der Straße abgekommen und 150 Meter die Böschung hinuntergestürzt.

Woran kannst du dich noch erinnern?

Roland: Ich weiß noch, dass ich im Auto eingeklemmt war und richtig gefroren habe. Ich habe sofort gespürt, dass irgendetwas nicht

Schöne Erinnerungen: Roland gemeinsam mit seinem Sohn Luca beim Familienurlaub in Venedig

Sarah und Roland sind nicht nur gute Freunde, sondern auch Stiftungsräte von Wings for Life in Liechtenstein.
Fotos: Mona Lechner, Helge Kirchberger

stimmt. Mein Freund hat dann Hilfe geholt, aber wir waren irgendwo im Wald, sehr abgelegen. Ich weiß noch, dass ein Polizist mit mir gesprochen hat, aber danach habe ich keine Erinnerungen mehr.

Wie ging es weiter?

Roland: Ich wurde ins Krankenhaus geflogen und dort notoperiert. Zwei Tage später lag ich auf der Intensivstation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil. Ich hatte Wasser in der Lunge, Rippenbrüche, Splitter im Kopf – die Liste meiner Verletzungen war eine ganze A4-Seite lang. Ich befand mich im künstlichen Koma und hatte Albträume. Die Wände haben sich bewegt, und ich habe mich verfolgt gefühlt. Die Zeit dort war ein Horror für mich.

Sarah, wie war das bei dir?

Sarah: Ich weiß noch, dass ich beim Aufwachen auf der Intensivstation wütend war, weil meine neue Downhill-Kleidung bei der

Sarah arbeitet im Eventmanagement und ist leidenschaftliche Para-Skiathletin.

„Ich habe sofort gespürt, dass irgendetwas nicht stimmt.“
Roland Gassner

Roland lebt in Vaduz und ist Inhaber eines Architekturbüros.

Erstversorgung zerschnitten wurde. Ich war voller Morphium und hatte das Ausmaß meiner Verletzung noch gar nicht wahrgenommen. Mein Unfall passierte beim Downhillfahren bei den Schweizer Meisterschaften in Zermatt. Ich war damals erst 18 Jahre alt und noch in der Ausbildung. Ich nahm als Hobbysportlerin teil und kam zu spät an, deshalb konnte ich die Strecke vorab nicht besichtigen. Beim Trainingslauf bin ich in eine Kurve gefahren und habe zu spät gesehen, dass ein zwei bis drei Meter hoher Sprung kam. Ich war zu langsam und hatte nicht genügend Schwung, um den Sprung zu schaffen. Ich bin dann am Hang mittig auf den Kopf aufgeschlagen und am Rand liegen geblieben.

Wann hast du gemerkt, dass du querschnittsgelähmt bist?

Sarah: Ich hatte einen Genickbruch und musste eine Halskrause tragen. Ich durfte mich nicht selbst bewegen, sondern musste jedes Mal klingeln, wenn ich mich

drehen wollte. Deshalb wurde mir das Ausmaß meiner Verletzung erst bewusst, als ich die Halskrause ablegen und mich aufgrund meiner Rückenmarksverletzung trotzdem nicht bewegen konnte. Ich brauchte plötzlich jemanden, der mit mir auf die Toilette geht. Jemanden, der mich wäscht, anzieht und aus dem Bett hebt.

Und wie bist du damit umgegangen?

Sarah: Meine Zimmernachbarin war auch sehr jung. Wir wurden mit der Zeit immer mobiler und waren zusammen unterwegs. Es war schon schwierig, aber wir haben das Beste daraus gemacht. Wir haben begonnen, uns gegenseitig zu helfen, und hatten so mehr Freiheit. Bei meiner Familie war das anders. Die Situation war sehr schlimm für sie. Es macht sie sehr traurig, und sie hadern heute noch damit – mehr als ich.

Roland: Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass meine Familie

mehr darunter leidet als ich. Die ersten Monate waren wirklich hart, aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Durch meine Verletzung habe ich das Aufwachsen meines Sohnes sehr intensiv miterlebt, weil ich viel zu Hause war. Ich habe ihn kilometerweit auf meinen Knien herumgerollt. Das hat er geliebt. Er hat dann immer einen Weg gesucht für uns beide und ist damit groß geworden.

Ihr beide setzt euch für eine Heilung von Querschnittslähmung ein. Wie genau?

Roland: Als ich vor ein paar Jahren für eine Operation im Krankenhaus war, lief in meinem Zimmer die Übertragung des Wings for Life World Run. Ich habe damals gedacht, was für eine coole Veranstaltung das ist. Gemeinsam mit Sarah habe ich kurz darauf ein Laufteam auf die Beine gestellt,

am Ende sind wir gemeinsam mit 140 Teilnehmern gelaufen. Das ist dann immer weiter gewachsen.

Sarah: Ich kenne Roland seit einem Besuch in seinem Architekturbüro, kurz nach meinem Unfall. Ich hatte viele Fragen zum Rollstuhl, und wir haben uns dann immer besser kennengelernt. Als Roland mir eines Tages von Wings for Life erzählte, war ich sofort Feuer und Flamme dafür. Wir wollten, dass die Stiftung in der Schweiz und in Liechtenstein viel bekannter wird, und haben das aktiv vorangetrieben. Letztes Jahr wurde dann tatsächlich eine eigene Wings for Life Stiftung in Liechtenstein gegründet – die Geschäftsführerin Anita Gerhardter und der Stiftungsgründer Heinz Kinigadner ernannten uns zu Stiftungsräten. Forschung braucht viel Geld, deshalb ist es unser Ziel, einige Großfirmen als

Partner zu gewinnen. Die Stiftung ist so wichtig, auch für alle, die nach uns kommen und sich verletzen. Es ist wichtig, dass es für sie eine Chance gibt. Und eine Hoffnung auf Heilung.

Gibt es etwas, was ihr euch wünscht?

Roland: Ja, bei mir hat es mit meinen Schmerzen zu tun. Ich lebe seit meinem Unfall täglich damit. Sie kommen und gehen, und ich kann sie nicht beeinflussen. Es fühlt sich an, als ob man schubweise Elektroschocks bekommt. Das ist ein Thema, das mich sehr müde macht, weil es einfach extrem wehtut. Mein großer Wunsch wäre es, schmerzfrei zu sein.

Sarah: Ich bin zum Glück sehr unabhängig und mobil und kann das meiste selbst machen. Das Nichtlaufenkönnen ist für mich also nicht das Schlimmste. Für mich wäre das selbständige Steuern von Blase und Darm das Wichtigste. Wenn das wieder ginge, das wäre so schön.

Was würdet ihr machen, wenn es morgen eine Heilung gäbe?

Sarah: Ich liebe Sport, egal ob Skifahren, Tennis oder Wakeboarden. Es wäre toll, all das wieder mit den Beinen machen zu können.

Roland: Bei mir hat es auch mit Bewegung zu tun. Ich habe damals in der Rehaklinik etwas für mich beschlossen: Wenn ich je wieder gehen kann, dann mache ich den Jakobsweg. 800 Kilometer. Einfach nur gehen.

Starkes Team: Sarah und Roland wollen Wings for Life auch in Liechtenstein und der Schweiz bekannter machen.
Foto: Mona Lechner

Ein Nerv, der Leben verändert

Er ist der faszinierendste Nerv unseres Körpers – und spielt eine Schlüsselrolle in der Behandlung von Rückenmarksverletzungen: der Vagusnerv. Professor Michael Kilgard hat einen Weg gefunden, dessen Fähigkeiten zu nutzen. Der Beginn einer revolutionären Therapie.

Foto: Jonathan Zizzo

Professor Michael Kilgard ist einer der führenden Wissenschaftler für neuronale Plastizität.

Dieser kleine Chip (rechts) hat das Potenzial, Leben zu verändern. Er wird am Hals der Patienten implantiert, direkt am Vagusnerv.

„Wir haben herausgefunden, dass die VagusnervStimulation auch bei Querschnittslähmung hilft.“
Michael Kilgard

Schon einmal vom Vagusnerv gehört? Er verläuft vom Gehirn durch den Hals bis in den Bauchraum. Er ist einer der längsten Nerven im Körper und reguliert lebenswichtige Funktionen wie die Herzfrequenz oder die Verdauung. Im Vergleich zu motorischen Nerven, die wir für Bewegungen nutzen, ist der Vagusnerv nicht aktiv steuerbar. Das Spannende: Wenn man diesen Nerv mit elektrischen Impulsen stimuliert, dann können sich neue Nervenverbindungen bilden – was im besten Fall Bewegungen ermöglicht.

Eine neue Ära der Nerventherapie

Der Nervus vagus ist von außen leicht zugänglich – was ihn für die Behandlung von neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie oder Tinnitus sehr attraktiv macht. Prof. Michael Kilgard hat sich genau das zunutze gemacht. Gemeinsam mit seinem Team an der University of Texas in Dallas forscht er seit 25 Jahren an den besonderen Fähigkeiten des Nervs. Michael Kilgard ist ein Vorreiter auf dem Gebiet der VagusnervStimulation, kurz VNS, und ihm sind bahnbrechende Entdeckungen gelungen: „Die Stimulation funktioniert – das haben wir bei Schlaganfallpatienten bereits in Kombination mit Physiotherapie getestet“, so Kilgard.

Auf den ersten Blick scheinen Schlaganfälle und Querschnittslähmungen eher wenig gemein zu haben. Doch es gibt eine entscheidende Verbindung: In bei­

den Fällen sind Nerven im zentralen Nervensystem beeinträchtigt oder gestört. Betroffene können also je nach Verletzungsgrad unter anderem ihre Hände, Arme und Beine nicht mehr bewegen. „Wir haben herausgefunden, dass die Vagusnerv­ Stimulation auch bei Querschnittslähmung hilft. Wir wollen deshalb Geräte entwickeln, die Menschen mit Rückenmarksverletzungen helfen sollen, ihre Arme und Beine wieder selbst zu kontrollieren.“

So funktioniert die Vagusnerv-Stimulation Kilgard und sein Team haben den Prozess der VNS stark modernisiert. Früher mussten Elektroden um den Nerv gewickelt werden.

Zusätzlich wurde ein Stimulationsgerät auf Höhe der Brust implantiert und mit den Elektroden verbunden. Heute ersetzt ein winziger Chip die alten Drahtelektroden und den großen Stimulator. Der Eingriff dauert nicht länger als 30 Minuten und ist deutlich schonender für die Patienten.

Ein um den Hals getragener Bügel versorgt den Chip mit Energie. Sobald der Stimulator eingeschaltet ist, werden sanfte Stromstöße über den Nerv zum Gehirn gesendet. Dort werden jene Regionen aktiviert, die beispielsweise für das Lernen von neuen Bewegungen zuständig sind. Dann passiert etwas Bemerkenswertes. Etwas, das Forscher Plastizität ( ) nennen. Das Gehirn lernt, dass es

Dieser Bügel wird um den Hals gelegt, kommuniziert drahtlos mit dem Chip und versorgt ihn mit Energie.

seine Schaltkreise verändern und noch intakte Bahnen ansteuern muss, um bestimmte Bewegungen auszulösen: „Wenn man den Nerv während einer bestimmten Rehabilitationsübung stimuliert, verdreifacht sich die Anzahl neuer Nervenverbindungen. Das hilft

iWAS IST NEURONALE PLASTIZITÄT?

Die Architektur unseres Gehirns und Rückenmarks verändert sich täglich. Nach neuen Erfahrungen oder Impulsen entstehen neue Verbindungen zwischen Nervenzellen. Vorhandene Wege werden ausgebaut, ungenutzte wieder blockiert. Diese Fähigkeit zur Neuverschaltung von Nerven nennt man neuronale Plastizität. Ohne sie könnten wir nichts Neues lernen.

Menschen, sich nach einer Rückenmarksverletzung schneller zu erholen“, ist der Neurowissenschaftler überzeugt.

Hoffnungsschimmer für Querschnittsgelähmte Doch was bedeuten all diese technischen Fortschritte in der Praxis? Hier kommt der entscheidende nächste Schritt: die Anwendung an Patienten. Die Ersten, die von der VNS profitieren, sind Menschen mit inkompletten Rückenmarksverletzungen. Menschen wie Amanda. Sie hatte 2015 einen Autounfall und ist seitdem querschnittsgelähmt: „Zum Glück habe ich einiges an Beweglichkeit zurückgewonnen. Ich kann meine Arme ganz gut bewegen. Aber bei meinen Händen – da tut sich leider nicht viel.“

Amanda ist eine von insgesamt 19 Personen, die an der klinischen Studie von Michael Kilgard in Texas teilgenommen haben. „Ich habe mich dafür entschieden, weil es einfach Sinn ergab und diese neue Therapiemöglichkeit am wenigsten invasiv erschien. Und ich habe enorme Fortschritte gemacht“, so die US-Amerikanerin.

Die Studienteilnehmer wurden jeweils über eine Dauer von 18 Tagen behandelt. Dabei mussten sie Aktivitäten durchführen, die ihnen im alltäglichen Leben Probleme bereiten – wie ein Hemd zuknöpfen, Schuhe binden oder Knöpfe drücken.

„Wir integrieren spielerische Elemente, bei denen die Patienten Knöpfe drücken oder bestimmte Bewegungen ausführen müssen“, so Kilgard. Währenddessen wird

Michael Kilgard bei der Therapie mit Amanda, einer der Patientinnen, die an der klinischen Studie in den USA teilgenommen haben.

Fotos: Jonathan Zizzo

der Stimulator über eine App aktiviert, und Signale werden an das Gehirn gesendet. Diese Signale stärken die Nervenverbindungen:

„Die Bewegungen werden dann immer stärker, und der SpielHighscore der Patienten steigt, was ihre Motivation zu weiterem Training erhöht“, berichtet Studienleiter Michael Kilgard.

Durchbruch in der Therapie

Von der Grundlagenforschung im Labor bis zur klinischen Anwen-

dung am Patienten ist es ein schwerer und langer Weg. Umso bedeutender ist es, dass Michael Kilgard die Studie erfolgreich beenden konnte. Die Veröffentlichung der Resultate wird mit Spannung erwartet. Sind die Ergebnisse signifikant? Ist die Therapie effektiv?

„Die Resultate sind zwar noch nicht veröffentlicht, aber sie sind positiv“, so der Texaner. Die Patienten können Gegenstände tatsächlich besser greifen, und die Forscher stellten eine eindeutige

Verbesserung der Handfunktion fest. „Wir haben das 25 Jahre lang geplant. Es war ein echtes Abenteuer, und jeder dieser Menschen hat eine besondere Geschichte. Wir freuen uns sehr darauf, aus derzeit 19 künftig 1.900 Patienten zu machen“, verkündet der Neurowissenschaftler stolz.

Nach erfolgreicher Zulassung könnte die Therapie schon in wenigen Jahren verfügbar sein und vielen Menschen helfen. Für Patienten wäre es dann sogar möglich, das Gerät nach einem kurzen Eingriff in der Klinik ganz einfach zu Hause zu benutzen.

Diese klinische Studie beweist das enorme Potenzial der Vagusnerv-Stimulation. Sie ist eine echte Hoffnung für Betroffene und birgt die Kraft, ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Kilgard und sein Team arbeiten unermüdlich weiter, um als Nächstes auch die Geh-, Blasen- und Darmfunktion verbessern zu können. Damit querschnittsverletzte Menschen wie Amanda ein selbständigeres Leben führen können: „Meine größte Hoffnung ist es, wieder in jeder Hinsicht unabhängig zu sein. Ich bin auf dem besten Weg dorthin.“

Wie wir unterstützen:

Wings for Life hat das Vorläuferprojekt und die klinische Studie von Michael Kilgard bereits mit insgesamt 1,1 Millionen Euro unterstützt.

Vielen Dank, dass Sie mit Ihren Spenden Projekte wie dieses ermöglichen und uns helfen, eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden.

Die Patienten müssen gewisse Bewegungen durchführen, während der Vagusnerv stimuliert wird.

Talente im Fokus

Dr. Faith Brennan ist Neurowissenschaftlerin an der Queen’s University in Kingston, Ontario, Kanada.

Dr. Brennan, was hat Ihr Interesse an der Rückenmarksforschung geweckt?

Als Kind war ich fasziniert davon, wie Dinge funktionieren. Ich fühlte mich zur Neurowissenschaft hingezogen, weil es in diesem Bereich so viel zu entdecken gibt und ich das Gefühl hatte, dass Forschung für Menschen mit Rückenmarksverletzungen einen großen Unterschied machen könnte.

Wie würden Sie Ihr aktuelles Projekt beschreiben?

Eine Rückenmarksverletzung löst eine massive Entzündungsreaktion im Körper und im verletzten Gewebe aus. Immunzellen, die sogenannten Makrophagen, spielen eine Schlüsselrolle in dieser Reaktion. Sie haben die Fähigkeit, das verletzte Gewebe zu heilen oder weiteren Schaden am umliegenden

gesunden Rückenmark zu verursachen. Das von Wings for Life unterstützte Projekt zielt darauf ab zu verstehen, wie wir die schützenden Eigenschaften von Makrophagen verstärken können, um die Erholung nach einer Rückenmarksverletzung zu fördern.

Wie ist es, ein eigenes Forschungslabor zu leiten?

Ich fühle mich unglaublich privilegiert. Es ist eine große Verantwortung, aber auch eine große Bereicherung, mit so engagierten Menschen arbeiten zu dürfen. Ich liebe es zu sehen, wie die Augen der Studenten aufleuchten, wenn sie neue Entdeckungen machen.

Was war die wichtigste Lektion in Ihrer bisherigen Karriere?

Ich glaube, es ist wichtig, flexibel zu bleiben – auch was den wissenschaftlichen Prozess betrifft. Manchmal sind die zufälligen Beobachtungen die aufregendsten; ungewöhnliche Dinge kann man leicht übersehen, wenn man nicht offen für Neues ist. Die Daten können einen oft überraschen.

Haben Sie eine Lebensphilosophie?

Es kann sehr wertvoll sein, jeden Tag an seinen Projekten zu

arbeiten. Mit vielen kleinen Schritten kann man im Laufe der Zeit wirklich große Ziele erreichen. Es ist beruhigend, zu wissen, dass ich nicht unbedingt außergewöhnlich sein muss, sondern einfach nur beharrlich.

Sie sind in Australien geboren, leben aber in Kanada. Wie gefällt es Ihnen dort?

An einem typischen Wintertag daheim in Australien hat es zwischen 11 und 21 Grad. Der kanadische Winter ist ein bisschen kälter. Außerdem sind Spinnen in Kanada eher selten, sodass ich meine Schuhe nicht immer auf unerwartete Gäste überprüfen muss.

Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?

An Rennwochenenden schaue ich immer Formel 1! Ich bin ein großer Fan von Max Verstappen und Yuki Tsunoda.

Was wünschen Sie sich?

Ich möchte mit meiner Forschung neue, aufregende Erkenntnisse ans Licht bringen. Meine Hoffnung ist, dass dieses Wissen genutzt werden kann, um Therapien zu entwickeln – damit Menschen mit Rückenmarksverletzungen mehr Lebensqualität erhalten.

Foto: Christoph Platzer
„Ich möchte mit meiner Forschung neue, aufregende Erkenntnisse ans Licht bringen.“
Faith Brennan

Faith Brennan befasst sich mit der Entzündungsreaktion nach einer Rückenmarksverletzung. In ihrer Forschung interessiert sie sich besonders für die Zelltypen Makrophagen und Mikroglia und deren Einfluss auf die mögliche Genesung.

Mehr dazu unter: wingsforlife.com/forschung

imProjekteRampenlicht 7

Forscher weltweit arbeiten unermüdlich daran, eine Heilung für Querschnittslähmung zu finden. Sieben Forschungsprojekte – sowie eine sehr spannende klinische Studie –nehmen wir hier genauer unter die Lupe.

Magnetfeld macht mobil

Tokyo Metropolitan Institute of Medical Science, Tokio, Japan

Bei einer Rückenmarksverletzung führen zerstörte motorische Bahnen zu Lähmungen. Mit seinem Team möchte Toshiki Tazoe die unterbrochene Informationsautobahn vom Gehirn zu den Muskeln umleiten – und zwar durch einen technischen Trigger. Dabei setzen sie auf die schonende Methode einer Magnetstimulation des Rückenmarks von außen. Über eine Computerschnittstelle soll es chronisch Verletzten ermöglicht werden, mithilfe der Stimulation wieder gehen zu können. Wiederholt angewandt soll das die plastische Neuromodulation anregen. So könnten erhalten gebliebene Bewegungskreisläufe gestärkt und ausgebaut werden. Sollte der Nachweis der Machbarkeit in ihrer aktuellen Studie gelingen, planen Tazoe und sein Team zu diesem neuartigen Rehabilitationsansatz eine klinische Studie.

Toshiki Tazoe bei seinem Vortrag am wissenschaftlichen Symposium von Wings for Life

Toshiki Tazoe möchte die unterbrochene Kommunikation zwischen Gehirn und Muskeln neu vernetzen – mithilfe von Magnetstimulation.

Viele kluge Köpfe, ein Ziel: die Forschergruppe rund um Toshiki Tazoe vom Tokyo Metropolitan Institute of Medical Science

In der Hülle liegt die Kraft Department of Neuroscience, Ohio State University, Columbus, USA

Nach einer kompletten Querschnittslähmung bleiben trotzdem oft Nerven miteinander verbunden. Diese Restverbindungen funktionieren aber nur noch beeinträchtigt. Christina Marion von der Ohio State University sucht einen Weg, diese Verbindungen wieder funktions­

Christina Marion im Austausch mit Prof. Hans Lassmann von der Medizinischen Universität Wien

tüchtig zu machen. Mit Medikamenten und Trainingseinheiten setzt sie Nervenfasern gezielt Reizen aus. Ihr Augenmerk gilt dabei der Nervenschutzschicht, dem sogenannten Myelin. Diese Hüllschicht macht Nervenbahnen leitungs­ und damit leistungsfähiger. Mit der Neuausbildung dieser Schutzschichten könnten am Ende wichtige Funktionen zurückgewonnen werden. Selbst lange Zeit nach der Schädigung.

Weniger Stress, mehr Wachstum

Department of Neurosciences, University of California, San Diego, USA

Nach einer Rückenmarksverletzung entstehen auf zellulärer Ebene sogenannte „Stress-Körnchen“. Diese Sofortreaktion ist mikroskopisch klein, übt aber eine gewaltige Kontrolle auf Reparaturvorgänge aus. Wie sie genau wirken, ist bis heute nicht geklärt.

Marc Hernaiz-Llorens erforscht in San Diego diese mRNA-ProteinAnsammlungen. Sein Ziel ist es, die Kernproteine dieser Stressprodukte auf Molekülebene auszuschalten. Damit sollen die Erholung und das Wachstum von Nervenzellen entscheidend gefördert werden.

Neutrophile heizen Entzündung an

Department of Biology, College Station, Texas A&M University, USA

Kurz nach einer Rückenmarksverletzung schwemmen molekulare Stresssignale in die Blutbahn. Infolgedessen wandern Immunzellen in die Verletzung ein. Den großen Teil machen sogenannte neutrophile Zellen aus. Positiv: ihre Aufgabe als Müllabfuhr. Neben der Beseitigung von Zellabfall gibt es aber eine Kehrseite der Medaille: Sie rufen eine Entzündung hervor. Diese sorgt für noch größere Zellschäden im Rückenmark. Shelby Reid untersucht mit ihrem Team, wie die Neutrophilen diese Entzündung verursachen. Gelingt es, den exakten Schaltkreis zu verstehen, besteht die Hoffnung auf mehr motorische Erholung.

Marc HernaizLlorens in seinem Labor an der University of California in San Diego

Shelby Reid von der Texas A&M University

Mit Stammzellen gegen den Schaden

Die Tage und Wochen nach einer Rückenmarksverletzung sind verheerend: Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, zu Gewebsuntergang und Narbenbildung. Natürliche Prozesse werden fehlgeleitet – so zum Beispiel das Einwandern von Immunzellen in die Verletzung. Anstatt nur zerstörte Zellen abzutransportieren, entstehen durch Entzündungsvorgänge weitere Schäden. Mit einer Stammzelltherapie will man in diesen Prozess eingreifen. Das Ziel von Oona Jung ist die Erarbeitung einer neuartigen Stammzelltherapie. Dabei kombiniert sie Faktoren, die eine Gewebeerholung anstoßen – mit jenen, die die Immunreaktion beeinflussen. Die Hoffnung: der Grundstein für eine sichere und leicht anwendbare Therapie.

Ependymzellen für eine durchlässige Narbe

IIBCE, Neurofisiología Celular y Molecular, Montevideo, Uruguay

Die Forschergruppe von Raúl Russo in Montevideo setzt auf Ependymzellen. Diese bilden die dünne Barriere zwischen Nervenwasser und zentralem Nervensystem. Nach einer Rückenmarksverletzung reagieren sie mit der Bildung von Zellen für das Narbengewebe. Russo möchte die Ependymschicht nun so beeinflussen, dass eine möglichst durchlässige Narbe entsteht. Das schafft die wichtige Voraussetzung für das Wiederaussprossen von Nervenzellen. Der Schlüssel liegt im Verständnis über die Befehlsweitergabe der Zellen untereinander. Sie unterhalten sich über Kommunikationskanäle, sogenannte Connexone. Diese wiederum bestehen aus Proteinen, sogenannten Connexinen, die jetzt manipuliert werden sollen. Ist der richtige Kommunikationskanal entdeckt, will das Team ein Werkzeug entwickeln, um die richtige Botschaft zu senden. Das Ziel: eine neue therapeutische Maßnahme.

Oona Jung vom Ludwig Boltzmann Institut in Wien
Raúl Russo im Austausch mit Forscherkollegen bei seinem Besuch am Wings for Life Scientific Meeting

Vom Jucken und Gehen

University of Auckland, Anatomische und Medizinische Bildgebung, Neuseeland

Ein Medikament gegen Juckreiz soll Querschnittsgelähmten wieder zum Gehen verhelfen. Im Tiermodell konnte mit dem Medikament bereits die Aktivierung der Entzündung durch Stützzellen und Mikroglia nach einer Rückenmarksverletzung gehemmt werden. Simon O’Carroll untersucht jetzt das Medikament Nalfurafin in einem klinisch relevanten Modell. Sein Ziel: das Einwandern von Immunzellen verringern und das Überleben von Nervenzellen und Stützzellen fördern. Dies soll zur verbesserten Gehfähigkeit nach einer Verletzung führen.

Simon O’Carroll (ganz rechts) zusammen mit seinem Team von der Universität Auckland

DISCUS-Studie

Mit Spannung verfolgen wir auch von uns geförderte klinische Studien

Die Koordinatoren der DISCUS-Studie: Lukas Grassner, Samira

li.)

Nach einer Verletzung schwillt das Rückenmark an und wird gegen die umgebenden Knochen gedrückt. Das behindert die Durchblutung, führt so zu erhöhtem Druck im Rückenmark und dadurch zu immer mehr Gewebeschäden. Bekannt ist, dass man diesen Druck mindern kann, indem man Teile der Knochen entfernt. So hat das Rückenmark etwas mehr Platz.

Bei DISCUS wird nun untersucht, ob es hilfreich ist, zusätzlich auch die harte Hirnhaut (Dura) um das Rückenmark zu eröffnen und anschließend mit einem Patch wieder zu verschließen. So könnte durch mehr Platz weniger Schaden entstehen. In zahlreichen europäischen Zentren – unter der Koordination von Marios Papadopoulos, Samira Saadoun und Lukas Grassner – wird dies nun an Patienten getestet. Sollten die Ergebnisse positiv sein, könnte diese Methode zukünftig schwerwiegende Folgeschäden verhindern und zur Standardbehandlung für akute Rückenmarksverletzungen werden.

Saadoun und Marios Papadopoulos (v.

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Was der Weg in Richtung einer Heilung mit einem Labyrinth zu tun hat und was die größten Hürden sind: ein Einblick in unsere meistgelesenen Geschichten.

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Auf der Strecke bleiben

Viele wertvolle medizinische Entdeckungen schaffen es nie bis zum Patienten. Sie scheitern an einer Hürde, die der Wissenschaft großes Kopfzerbrechen bereitet: dem Valley of Death. Eine ganze Reihe von Maßnahmen soll hier für Abhilfe sorgen.

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Die Geschichte der Rückenmarksforschung

Das Puzzle vervollständigt sich

Früher hat man Menschen mit Querschnittslähmung nicht einmal behandeln können. Heute machen die ersten Patienten wieder eigene Schritte – der Rückenmarksforschung und vielen klugen

Köpfen sei Dank. Eine Chronik der wichtigsten Ereignisse und Erkenntnisse.

Die Geschichte hier nachlesen.

Im Forschungs-Labyrinth

Auf dem Weg zu einer Heilung

Wird es in Zukunft möglich sein, Querschnittslähmung zu heilen? Und warum ist das so schwierig? Diese beiden Fragen werden uns mit Abstand am häufigsten gestellt. Auf die erste können wir aus tiefer Überzeugung mit Ja antworten: Es wird eine Heilung geben. Für die zweite ziehen

wir gerne den Vergleich mit einem Labyrinth heran: Der Weg ist kompliziert, aber machbar. Es gibt Richtungsweiser und Abkürzungen, aber auch viele Sackgassen.

QR-Code scannen und nachlesen.

Unsere Forschungsprojekte

15 Länder

Australien

Belgien

Deutschland

Frankreich

Querschnittslähmung heilen

Großbritannien

Japan

Kanada Neuseeland

Grundlagen Überprüfung von grundlegenden wissenschaftlichen Themen

Präklinik Untersuchung der gewonnenen Erkenntnisse im lebenden Organismus

Klinik Erprobung von Therapien und Medikamenten am Menschen

Österreich

Portugal Schweden

Schweiz

Spanien

Uruguay USA

Plastizität

Kolumne

Wenn die Welt plötzlich stillsteht

Anita Gerhardter ist seit 2008 die Geschäftsführerin der Wings for Life Stiftung.

Heinz Kinigadner beschreibt den Unfalltag seines Sohnes Hannes oft mit den Worten: „… da ist plötzlich die Welt für uns stillgestanden!“, um das Undenkbare, das Unvorstellbare, diesen brutalen Schock anschaulich zu machen.

Mich hat damals die Nachricht von Hannes’ Unfall in Griechenland im Urlaub erreicht. Ich saß an einem Strand und habe meinem damals elfjährigen Sohn beim übermütigen Herumspringen im Wasser zugeschaut. Völlig unfähig, diese furchtbare Nachricht auch nur in Ansätzen zu verstehen oder durchzudenken, was das nun bedeutet, saß ich wie betäubt da und habe mir nur gedacht: „Was habe ich für ein Glück. Ich darf hier sitzen und meinem unversehrten, gesunden Kind beim Spielen zuschauen!“ Währenddessen mussten die Kinigadners am Kran-

kenbett ihres schwerstverletzten Sohnes sitzen. Hätte mir zu dieser Zeit jemand gesagt, dass ich einmal meine ganze Energie und Kraft in ein Projekt stecken würde, das sich Hannes’ größter Hoffnung – der Heilung von Querschnittslähmung – widmet, hätte ich diese Person für verrückt erklärt. Aber wenn die Welt plötzlich stillsteht, dann verändern sich die Prioritäten und die Pläne, die man hatte.

Wings for Life ist zu meinem persönlichen Herzensprojekt geworden. Die Forschungsarbeiten, die wir mit Ihrer Hilfe unterstützen dürfen, sind der Schlüssel zu einer Zukunft ohne körperliche Einschränkungen. Eine realistische Hoffnung für querschnittsverletzte Menschen. Unser größter Antrieb, für den mein Team und ich jeden Tag unser Bestes geben. Danke, dass Sie diesen Weg mit uns gehen.

Foto: Helge Kirchberger

SPENDENKONTEN

Empfänger: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung, Fürstenallee 4, A-5020 Salzburg

DEUTSCHLAND DKB BANK , IBAN: DE98 1203 0000 1307 2642 65, BIC: BYLADEM1001

Empfänger: Wings for Life Spinal Cord Research e. V., Görlitzer Straße 21, D-83395 Freilassing SCHWEIZ PostFinance, IBAN: CH12 0900 0000 8520 6015 2, BIC: POFICHBEXXX

Empfänger: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung, Fürstenallee 4, A-5020 Salzburg

LIECHTENSTEIN LGT Bank AG, IBAN: LI64 0881 0000 0720 5703 0, BIC: BLFLLI2X

ÖSTERREICH Bankhaus Carl Spängler & Co., Salzburg, IBAN: AT27 1953 0001 0001 1911, BIC: SPAEAT2S

Unsere Mission: F L I E SST DIREKTIN DIE FORSCHUNG JEDER EURO 100 GARANTIE%

Empfänger: Stiftung für Rückenmarksforschung – Wings for Life, Herrengasse 21, 9490 Vaduz

Auch Sie können helfen.

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