Wings for LIFE Magazin - Zwölfte Ausgabe

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AUSGABE Nº 12 www.wingsforlife.com

MAGAZIN DER STIFTUNG FÜR RÜCKENMARKSFORSCHUNG

Hannes Kinigadner Warum seine Geschichte auch die von Wings for Life ist.

Neues aus der Forschung Welche spannenden Ansätze und Methoden uns Hoffnung geben.


Make Your Body Smile immun POWER MIT MAGNESIUM + VITAMIN D

*Magnesium trägt zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung bei und Vitamin D trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei. Ganz allgemein empfehlen wir eine ausgewogene Ernährung und eine gesunde Lebensweise.


Vorwort

Foto: Wingmen Media

Impressum Medieninhaber, Eigentümer und Verleger: Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15, 5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU 63611700 www.redbullmediahouse.com Geschäftsführer: Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber Redaktion und Produktion: Red Bull Media House Brand Studio, Am Grünen Prater 3, 1020 Wien, Tel.: + 43/1/90 221-0 Redaktion: Christina Herbst, Stefanie Schwarz Mitarbeiter dieser Ausgabe: Markus Böttinger, Vieri Failli, Lara Goritschnig, Marco Gröbner, Verena May, Brandon Peters, Beatrice Sandner Head of Red Bull Brand Studio: Susanne Degn-Pfleger Chefin vom Dienst: Mariella Reithoffer Art Director: Simone Fischer Fotoredaktion: Marion Batty, Eva Kerschbaum Grafik: Andreea Gschwandtner Projektmanagement: Jennifer Silberschneider Lithografie: Clemens Ragotzky Lektorat: Hans Fleissner Producer: Sabine Wessig Druck: Offset 5020 Druckerei & Verlag Gesellschaft m.b.H. Bayernstraße 27 5072 Wals-Siezenheim Österreich In Kooperation mit: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung Fürstenallee 4 5020 Salzburg Österreich Tel.: +43/662/65 82-4244 E-Mail: office@wingsforlife.com Firmenbuchnummer: FN 251592p Rechtsform: Privatstiftung, gemeinnützig Firmenbuchgericht: Landesgericht Salzburg Geschäftsführung: Anita Gerhardter

Liebe Freunde und Unterstützer, in dieser Ausgabe möchten wir Ihnen zeigen, wieso wir ­voller Hoffnung sind. Uns erreichen immer mehr spannende ­Forschungsansätze aus aller Welt (ab Seite 54). Wir haben ­unseren klinischen Direktor, Prof. Armin Curt, befragt, wieso es dennoch so lange dauert, eine Heilung für Querschnitts­ lähmung zu finden (ab Seite 24). Manche Wissenschaftler forschen aus einem sehr persönlichen Grund, so wie Atena Zahedi. Ihr Bruder wurde als Kind über­ fahren und ist seither querschnittsgelähmt. Sie möchte ihm helfen und sucht mittels Stammzellen nach einer Heilung (ab Seite 60). Auch Hannes Kinigadner lebt mit einer Querschnittslähmung – mittlerweile seit zwanzig Jahren. Er ist der Grund, warum es Wings for Life gibt. Lesen Sie ab Seite 16 alles über seine und auch unsere Geschichte. Außerdem zaubert uns der Wings for Life World Run schon seit zehn Jahren ein Lächeln auf die Lippen. Einer der schönsten Momente passierte dieses Mal in Wien (ab Seite 34). Viel Freude beim Lesen – und von Herzen danke, dass Sie an uns spenden! Ihr Wings for Life Team

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16 „Ich werde aus diesem Rollstuhl wieder aufstehen!“ Hannes Kinigadner

Menschen 16 Dieser eine Tag

Mit dem Unfall von Hannes Kinigadner be­ gann auch die Geschichte von Wings for Life.

22 Was wäre, wenn …

… es eine Heilung für Querschnittslähmung gäbe? Sechs Betroffene und ihre Antworten.

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Forschung 46 Ein Gefühl wie

tausend Nadelstiche

Wie sich Michaelas Leben und das ihrer Familie nach einem Skiunfall komplett veränderte.

66 Kolumne

Steffi Schwarz: Einfach aufstehen und hier rausgehen.

24 Warum gibt es noch keine Heilung?

Armin Curt ist k ­ linischer Direktor bei Wings for Life. Wir haben dem ­Insider die großen Fragen der Forschung gestellt.

30 Forscher unter sich

Beim Scientific Meeting treffen 120 Wissen­ schaftler aufeinander. Ihr gemeinsames Ziel: Querschnittslähmung heilbar zu machen.

Fotos: Helge Kirchberger, Tomislav Moze for Wings for Life World Run, Stefanie Korherr, Akemi Hoshi

Inhalt


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34 Fundraising 44 Talente im Fokus

Im Gespräch mit Joanna Stanicka vom ­Biotech-Start-up Axonis.

54 Neues aus der Forschung

Sieben spannende Ansätze auf der Suche nach einer Heilung.

60 Sie forscht

6 Momentaufnahmen Besondere Aktionen für die gute Sache.

34 Zehn Jahre Wings

for Life World Run

Der Wings for Life World Run begeistert auf der ganzen Welt.

STANDARDS

3 Vorwort,

Impressum

33 Unsere Forschungsprojekte 2023/24

52 Wussten Sie, dass ... ... jede Querschnitts­ lähmung anders ist?

für ihren Bruder

Atena Zahedi hatte für ihre Berufswahl einen ganz persönlichen Grund.

Coverfoto: Helge Kirchberger

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Fundraising

Foto: Lisa-Marie Reiter/AW Photography

Kicken für den guten Zweck Sie haben es schon wieder getan: Unsere ­Freunde von der Reise­ agentur The Travel Birds ­organisierten das zweite Jahr in Folge den großartigen Birdies & Friends Soccer Cup. 16 Teams traten gegen­ einander an, während sie von ihren Fans mit selbst ­gebastelten Schildern und Tanz-Performances zur Höchstform g­epusht wurden – wie die Volcano Bulls, die erneut siegreich blieben. Am Ende sammelten die „­Birdies“ nicht nur Spenden in Höhe von 120.000 Euro für Wings for Life, sondern ­bescherten uns allen einen Tag, der unvergessen bleibt.

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Fundraising

Foto: Ian Witlen

Ein „Shoey“ für die Rückenmarksforschung Exklusive Gespräche mit Formel-1-Stars und eine Spendensumme von 250.000 Dollar: Das CharityDinner The Driving Force hatte sein US-Debüt beim Großen Preis von Miami und endete mit einem echten Highlight. Die Live-Auktion gipfelte in einem sogenannten „Shoey“. Dabei tranken Christian Horner und Aaron Baker aus den Schuhen von Star-Fahrer Daniel Ricciardo – und erzielten so weitere 15.000 Dollar für die Rücken­marksforschung!

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Foto: World’s Toughest Row

Fundraising

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In 43 Tagen über den Pazifik Ein Moment, den die beiden wohl nie vergessen werden. Catharina Streit und ­Wolfgang Fankhauser stellten sich der Pacific Challenge und ruderten 43 Tage lang über den P ­ azifik – in ZweiStunden-Schichten, ohne Unterbrechung. Sie starteten in Kalifornien und kamen ganze 4.500 Kilometer später und 15 Kilogramm leichter in Hawaii an. Am Ende ver­ steigerten die beiden Abenteurer ihr Ruderboot namens „Frida“ und unterstützten Wings for Life mit groß­ artigen 33.000 Euro.

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Fundraising

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MaxMontgom

Foto: WanderingGoose,

Erfolgreiche Gourmet-­ Reise am Green Unterstützer, Partner und Freunde trafen sich im London Golf Club zum zweiten Gourmet Golf. Bei jedem der 18 Löcher erwartete die Gäste ein kleines kulinarisches Highlight. Dazu gab es einen Kricket-Wett­ bewerb, eine spannende BMX-Show von Matthias Dandois und die einzigartige Chance zum Abschlag von der Red Bull-Bar Deck87. Am Ende durften wir uns über 56.000 Pfund für die Rückenmarksforschung freuen.


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Foto: Limex Images/Jörg Mitter

Fundraising

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Rekord-Abend im Palais Unser alljährliches CharityDinner, das Gipfeltreffen, führte uns heuer nach Wien. Gemeinsam mit unseren Gästen feierten, lachten und tanzten wir in einem echten Prunkbau, dem Palais Rasumofsky. Am Ende überschlugen sich die Ereignisse – unsere Gäste boten bei den Exponaten um die Wette, und der Abend wurde von einer unglaublichen Spendensumme von 830.000 Euro gekrönt.

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Querschnittslähmung

Foto: Helge Kirchberger

Hannes Kinigadner blickt dank der Forschungs­ fortschritte von Wings for Life zuversichtlich in die Zukunft.

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„Ich werde aus diesem Rollstuhl wieder aufstehen!“ Vor genau 20 Jahren hatte Hannes Kinigadner einen Unfall und ist seither hoch querschnittsgelähmt. Er ist der Grund, warum es Wings for Life gibt. Das ist seine – und unsere – Geschichte.

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Querschnittslähmung

Der Tag, der alles veränderte

Es ist der 26. Juli 2003. Hannes ist erst 19 Jahre alt, als er bei einem Benefiz-Motocross-Rennen in Österreich an den Start geht. „Ich erinnere mich, dass es ein schöner Sommertag war. Mir ging es richtig gut.“ Wenige Minuten später fährt Hannes los und kämpft sich nach vorn. In einer schnellen Linkskurve kann er dann plötzlich dem Motorrad eines gestürzten Fahrers nicht ausweichen. Er wird über den Lenker geschleudert, prallt mit dem Kopf auf dem Boden auf und bleibt bewegungslos am Bauch liegen. Das Rennen wird sofort abgebrochen. „Ich erinnere mich noch an jede Sekunde“, erzählt Hannes, „als ich dalag und alle rund um mich zusammen­liefen. Ich war beunruhigt und habe jemanden gebeten,

mir meine Schuhe auszuziehen. Als man mir sagte, dass die schon ausgezogen worden waren, bekam ich Angst. Ich habe das alles nicht gespürt …“ Hannes ist schwerst verletzt. Auf der Intensivstation erleidet er zwei Herzstillstände, einen Kleinhirninfarkt und erstickt fast. Er kämpft ums Überleben, und immer, wenn er zu sich kommt, ist da diese Panik. Als sich nach wochenlangem Bangen sein Zustand endlich stabilisiert hat, wird er zum ersten Mal in einen Rollstuhl gesetzt. „Das weiß ich noch genau“, sagt er mit be­legter Stimme. „Zwei

„Dieser Unfall hat alles verändert. Meine Privatsphäre war futsch. Meine Flexibilität. Meine Freiheit.“ Hannes Kinigadner

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Krankenschwestern halfen mit und haben immer wieder gesagt, wie gut ich das mache. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Da war mir plötzlich bewusst, dass ich wirklich ab dem fünften Halswirbel querschnittsgelähmt bin. Das war der schwärzeste Tag in meinem Leben. Da ist die Welt für mich zusammengebrochen.“ Gibt es eine Heilung?

Hannes’ Vater, der zweifache Motocross-Weltmeister Heinz Kini­ gadner, erzählt später: „Hannes hat mich zu dieser Zeit gefragt, ob ich jemals einen Rollstuhlfahrer gesehen hätte, der nicht einmal

Hannes Kinigadner im Krankenhaus. Der damals 19-Jährige schwebt wochenlang in Lebensgefahr.

Fotos: Helge Kirchberger, privat

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ch bin von den Schultern abwärts gelähmt. Von da an kann ich nichts mehr spüren und nichts mehr bewegen. Also nicht meine Beine, nicht meine Hände – nicht einmal einen Finger kann ich rühren“, sagt Hannes Kinigadner und schaut an sich runter.


Hannes hat die Leidenschaft für den Motorsport trotz seines Unfalls nicht verloren – und auch nie seinen Optimismus.

Wenige Monate vor dem Unfall (von links): Isabell, Hannes, Waltraud und Heinz Kinigadner.

seine Finger bewegen kann. Bei einem so hohen Querschnitt wie seinem ist das alles mitbetroffen. Da liegt das eigene Kind, das darum bittet, ihm eine Fliege aus dem Gesicht zu verjagen.“ Hannes ist überfordert, braucht plötzlich ständig Hilfe. Er kann nicht mehr allein essen, nicht mehr allein duschen oder auf die Toilette gehen. Er kann sich nicht mehr allein im Bett umdrehen oder eine Flasche Wasser öffnen. „Dieser Unfall hat alles ver­ändert. Meine Privatsphäre war von einem Tag auf den anderen futsch. Und auch meine Flexibilität. Meine Freiheit.“

Seine liebevolle Familie hilft Hannes, in diesem neuen Leben zurechtzukommen. Doch Heinz Kinigadner will mehr. Gemeinsam mit seinem Freund, Red BullGründer ­D ietrich Mateschitz, lässt er Experten auf dem Gebiet der Rückenmarksforschung nach Salzburg ein­fl iegen. Er will einen Status quo erheben und wissen, wo und wie sein Sohn schnellstmöglich geheilt werden kann. Die Fakten sind niederschmetternd. „Meine Querschnittslähmung war nicht heilbar“, sagt Hannes. „Die Ärzte und Wissen­ schaftler erklärten zwar, dass sich verletzte Nervenzellen im Rü-

ckenmark regenerieren können, aber auch, dass die Forschung in diesem Bereich komplett unter­ finanziert war.“ Nach sieben Monaten kommt Hannes vom Krankenhaus und der Reha endlich nach Hause. Heinz Kinigadner been­det seine Motorsportkarriere – und übernimmt die Pflege seines Sohnes. Eine harte Situation. Für alle. Hannes ist ehrlich: „Man ist dankbar dafür, dass einen jemand so auffängt. Aber es ist natürlich extrem schwer, intime Dinge in diesem Alter zuzulassen.“ Die Kraft von Wings for Life

Heinz Kinigadner und Dietrich Mateschitz setzen alles in Bewe­ gung und gewinnen Experten, um die Stiftung Wings for Life zu gründen. Die Rückenmarksforschung soll damit vorangetrieben und für Hannes – und alle anderen Querschnittsgelähmten – eine Heilung gefunden werden. WINGS FOR LIFE

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Querschnittslähmung

„Natürlich bin ich manchmal ungeduldig. Aber ich weiß auch, dass sich in der Forschung gerade richtig viel bewegt.“ Hannes Kinigadner

Endlich wieder frei sein

Wie sein Vater Heinz Kinigadner ist auch Hannes immer noch begeistert vom Motorsport. Die beiden reisen gern. Hannes trainiert regelmäßig und arbeitet im Familienunternehmen. 20

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Die Kinigadners sind bei jedem Wings for Life World Run am Start – hier mit Ex-Skirennläufer Stephan Eberharter im Zillertal.

„Meinen Alltag kann man aber nicht mit dem eines gesunden Menschen vergleichen“, sagt er. „Es beginnt schon in der Früh. Ich kann nicht aufstehen, wann ich will. Ich muss warten, bis jemand kommt und mir hilft. Dann brauche ich Hilfe im Bad, beim Waschen und beim Anziehen. Dabei vergehen sicher zwei Stunden.“ Er hat Routine – „aber das geht den ganzen Tag so weiter. Ich brauche immer jemanden um mich.“ Auch nach zwanzig Jahren hat die G ­ eschichte von Hannes nichts von ihrer Schwere, aber auch nichts von ihrer Kraft und nichts von ihrer unerschütterli-

chen Hoffnung verloren. „Ich bin mir sicher, dass ich wieder aus diesem Rollstuhl aufstehen werde“, sagt er. „Wenn es so weit ist, werde ich wieder ein normales Leben führen und froh sein, dass ich wieder selbständig bin. Dass ich keinen Rhythmus mehr brauche. Dass ich flexibler bin. Dass ich frei bin.“

Wings for Life

will Geschichte schreiben. Wir geben 100 Prozent aller Spenden in die Rückenmarks­ forschung, um Querschnitts­ lähmung zu heilen. Danke, dass Sie uns dabei helfen!

Fotos: Christian Forcher for Wings for Life World Run, Helge Kirchberger

„Dafür war und bin ich sehr dankbar. Es motiviert mich und gibt mir Hoffnung“, sagt Hannes. 2008 übernimmt Anita Gerhardter die Geschäftsführung der Stiftung und professionalisiert sie. Sie bringt die richtigen Leute zusammen, schafft eine Schnittstelle zwischen Forschung und Marketing und gibt im Mai 2014 den Startschuss für den ersten Wings for Life World Run (siehe Seite 34). Heute ist Wings for Life weltweit angesehen, vereint die schlauesten Köpfe der Wissenschaft und fördert aussichtsreiche Projekte mit Millionenbeträgen (mehr dazu auf Seite 54). Forschung braucht einen langen Atem. Das ist auch Hannes klar. „Natürlich bin ich manchmal ungeduldig. Aber ich weiß auch, dass sich in der Forschung gerade richtig viel bewegt.“


„Wenn es so weit ist, werde ich wieder ein normales Leben führen und froh sein, dass ich wieder selbständig bin. Dass ich keinen Rhythmus mehr brauche. Dass ich flexibler bin. Dass ich frei bin.“ Hannes Kinigadner

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Querschnittslähmung

Was wäre, wenn … „Könnte ich meine Beine endlich wieder bewegen, würde ich kein einziges Mal mehr den Lift oder die Rolltreppe nehmen. Egal in welcher Situation: Ich würde jede einzelne Stufe zu Fuß gehen.“

Tina Pesendorfer ist seit einem Sturz ab dem 9. Brustwirbel komplett gelähmt.

„Mir fehlt das Berggehen. Und ich würde gerne einfach wieder durch den Ort spazieren. So wie früher.“ Benni Falkner ist seit einem Bergunfall vom 3. Halswirbel abwärts gelähmt.

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Fotos: Privat, Maria Kirchner, Jörg Baumgartner/Kuckuck Artwork, Jackscorner/Thomas Griesbeck, Michele Peloza

… es morgen eine Heilung für Querschnittslähmung gäbe? Diese Betroffenen verraten uns ihre ganz persönlichen Träume und Hoffnungen.


„Das Schlimmste ist für mich tatsächlich, dass ich nicht mehr Gitarre spielen kann wie früher. Das bricht mir auch nach 13 Jahren immer noch das Herz.“ Gabor Schneider ist seit einem Kopfsprung ins Wasser ab Höhe des 4./5. Halswirbels querschnittsgelähmt.

„Ich würde gerne einmal mit meiner Freundin wandern gehen. Auch wenn ich selbständig bin, habe ich immer noch die Hoffnung auf eine Heilung.“

„Wenn es eine Heilung gäbe, würde ich sofort ans Meer fahren. Ich würde durch den Sand gehen, ins seichte Wasser und dort die Wellen spüren. Ich weiß noch, wie man da ein bisschen einsinkt und es an den Zehen kitzelt. Das vermisse ich sehr.“

Tina Hötzendorfer ist seit einem SnowboardUnfall vom 6. Halswirbel abwärts gelähmt.

„Ich möchte irgendwann mit meinem Sohn über die Wiese laufen und das Gras zwischen den Zehen spüren. Das wäre so schön. Ich kann es gar nicht erwarten, dass dieser Traum Wirklichkeit wird.“

Chrissi Obwexer Rückenmarksquetschung zwischen dem 10. und 11. Halswirbel bei einem Autounfall.

Florian Brungraber ist seit einem Paragleit-Unfall ab dem 1. Lendenwirbel inkomplett querschnittsgelähmt. WINGS FOR LIFE

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Forschung

Herr Professor, warum gibt es noch keine Heilung?

Foto: Stefanie Korherr

Armin Curt ist klinischer Direktor bei Wings for Life und leitet das Querschnittszentrum an der Uniklinik Balgrist in Zürich. Wir haben dem Insider die großen Fragen der Forschung gestellt.

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Armin Curt setzt Hoffnung in die Antikörpertherapie: Sie soll die Wieder­ aussprossung verletzter Nerven anregen.

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Forschung

Armin Curt schätzt den täglichen Kontakt zu seinen Patienten: „Dann weiß ich, wofür und für wen ich forsche!“

Fotos: Stefanie Korherr

Armin Curt beim Rehabilitationstraining mit einem Querschnittspatienten.

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Herr Professor, fallen wir ­direkt mit der Tür ins Haus: Warum dauert es so l­ ange, eine Heilung zu finden? Eine Querschnittslähmung, ein Schlaganfall oder ein SchädelHirn-Trauma teilen alle dasselbe Dilemma: Es gibt keine einfache Reparatur für Verletzungen im zentralen Nervensystem, einfach weil es so komplex ist. Das alles zu verstehen braucht sehr lange – und es braucht auch sehr lange, etwas grundlegend zu verändern. Nehmen wir zum Beispiel Multiple Sklerose. Diese Krankheit ist eigentlich schon über hundert Jahre bekannt, und erst jetzt kommen die ersten wirklich nennenswerten Erfolge. Die Gabe von neuen Immunmedikamenten verändert etwas. Das ist ein Glückstreffer, ein Wunder. Und auch meine Hoffnungs-Story für Querschnitts­ lähmung. Was verzögert Ihrer Meinung nach Fortschritte? In den 70er-, 80er-, 90er-Jahren hat man gesehen, dass man Querschnittsgelähmte rehabilitieren kann – und diese Patienten in den Alltag integriert werden und wieder arbeiten können. Das haben viele so als ausreichend hingenommen. Bei bösartigen Erkrankungen mit Todesfolge ist man da mutiger – man nimmt in der Behandlung mehr Risiken auf sich. Als wir vor Jahren in Zürich begonnen haben, mit Stammzellen zu arbeiten, liefen unsere Telefone heiß. Man hat uns gewarnt, den Zustand eines Querschnitts­ patienten damit nicht noch zu

verschlimmern. Aber natürlich bremst diese vorsichtige Herangehensweise auch den Fortschritt. Das heißt, viele Wissenschaftler bleiben in der Grundlagenforschung. Fehlt ihnen der lange Atem? Man hat in der Grundlagenforschung mittlerweile schon so vieles entdeckt. Das, was ich noch als Student gelernt habe, ist inzwischen nicht mehr wahr. Das Wis-

„Was ich als Student gelernt habe, ist schon nicht mehr wahr. Das Wissen ist hier wirklich explodiert.“ Armin Curt

sen ist hier wirklich explodiert. Vieles wurde schon getestet, und man merkte: Nein, das ist es nicht. Man muss dann alles neu auf­ legen. Oder man entdeckt etwas und testet immer weiter. Dafür braucht es gute Forscher, die von einer Sache überzeugt sind und auch dranbleiben.

Sie und Ihr Team sind überzeugt. Auch von Ihrer NISCIStudie. Erzählen Sie uns bitte mehr darüber. Die Basisarbeit begann schon 2001 mit dem EMSCI-Netzwerk (European Multicenter Study about Spinal Cord Injury; Anm.). Dafür wurden europaweit 22 Zentren zusammengeschlossen, um Daten über Betroffene zu sammeln. Wir wollten die Erholung von Patienten besser verstehen und sie miteinander vergleichen können. Der Aufwand war gigantisch, aber durch die gute Zusammenarbeit der teilnehmenden Zentren ist es uns gelungen. Das klare Ziel unserer NISCI-Studie war es, die Hand- und Armfunktion bei hoch Querschnittsgelähmten mithilfe eines Medikaments zu verbessern. Dafür haben wir nun jahrelang Daten gesammelt und verblindet getestet (siehe Seite 28). Was kam dabei heraus? Das primäre Ziel wurde nicht bei allen, aber bei vielen Patienten erreicht. Wir sahen einen sehr guten Trend – und sammelten enorm viele Daten. Zum Beispiel konnten wir sehen, dass bestimmte Patientengruppen sehr viel besser auf die Behandlung reagiert haben. Das hilft uns, weitere Studien zu designen. Jetzt ist die Frage, wie wir das mit Ansätzen anderer Forscher kombinieren können. Wir sind für alles offen und planen auch schon die nächsten Schritte. Es wird vielleicht nicht gleich eine Heilung geben, aber einen Durchbruch, indem wir das Nervensystem zur besseren Erholung anregen. WINGS FOR LIFE

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Forschung

Armin Curt erklärt, dass es in seinem Forschungsbereich einen langen Atem braucht, aber dass es berechtigte Hoffnung und ein klares Ziel gibt.

Das wünschen wir uns auch … Was Wings for Life macht, ist absolut authentisch. Die Geschichte von Hannes Kinigadner ist die Basis von all dem. Die Arbeit hat Bedeutung, und man weiß, wofür das alles gemacht wird. Sie haben bereits eine gewisse Seniorität. Was raten Sie dem Forschernachwuchs? 28

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Wenn man so wie ich klinisch „aufwächst“ und jeden Tag Patienten sieht, dann weiß man, wofür und für wen man forscht. Das praktizieren wir auch mit unseren Nachwuchs-Forschern, und für sie ist klar: Sie versorgen jeden Tag ihre Patienten. Sie sind emotional verbunden mit ihnen. Und sie forschen für sie. Wir wollen die Motivation mit einem Sinn behaften. Ich finde, diese Verbindung von Forschung und Praxis fehlt in vielen Einrichtungen. Das ist bestimmt eine Herausforderung für die nächste Generation.

Eine Heilung für Querschnittslähmung: Sind Sie bei dem Gedanken optimistisch, oder haben Sie Bauchschmerzen? Man braucht schon einen langen Atem. Aber es lohnt sich, und es gibt berechtigte Hoffnung, dass man hier etwas findet.

Über die NISCI-Studie

NISCI (Nogo-A Inhibition in acute Spinal Cord Injury) ist eine abgeschlossene europäische Studie in spezialisierten Zentren für Querschnittslähmung. Im Mittelpunkt stand die Behandlung mit Antikörpern bei 126 Patienten mit akuter ­unfallbedingter hoher Querschnittslähmung. Die Studie zielte darauf ab, durch die Antikörpertherapie die Körperfunktionen und Lebensqualität von Tetraplegikern zu verbessern.

Prof. Dr. Armin Curt (rechts) wickelte die NISCI-Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Norbert Weidner ab.

Fotos: Stefanie Korherr, Carolin Franz

Welche Rolle spielt Wings for Life dabei? Mittlerweile eine sehr große! Wings for Life selektiert seriös, ist aber auch risikofreudig. Denn es werden auch Ansätze gefördert, die kontrovers diskutiert werden. Davon bin ich sehr beeindruckt. Einige der Projekte, die Wings for Life beispielsweise seit zwanzig Jahren finanziert, kommen jetzt tatsächlich in die Klinik. Viele Wissenschaftler, die an Patienten forschen, wollen mit Wings for Life arbeiten. Ich hoffe sehr, dass die Stiftung dafür belohnt wird – in dem Sinne, dass eine Heilung für Patienten gefunden wird.

Gibt es etwas, was Sie von Ihren Patienten gelernt haben? Ich bin tief beeindruckt davon, wie Menschen mit so einem Schicksal umgehen. Eine absolute Mehrzahl der Patienten erlebt nach einem Unfall tiefe Krisen, bewältigt diese und arrangiert sich schließlich mit dieser neuen Situation. Querschnittsgelähmte kommen wieder in ihrem Alltag zurecht und sind auch wieder zufrieden. Natürlich würde aber keiner von ihnen sagen: Bitte keine Verbesserung, es ist alles gut so …


redbulletin.com


Betroffene und Forscher sind sich einig, was hier in Salzburg allgegenwärtig ist: Wissenschaft ist Hoffnung.

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Foto: Limex Images/Heiko Mandl

Forschung


Forscher unter sich 120 Wissenschaftler aus aller Welt, 71 Projekt-Vorstellungen und ein gemeinsames Ziel – Querschnittslähmung heilbar machen. Das war unser diesjähriges Scientific Meeting.

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arauf sind wir unheimlich stolz: Die Elite der Rückenmarksforschung ist auch in diesem Jahr unserer Einladung gefolgt und gab sich beim Scientific Meeting in Salzburg die Ehre. Zwei intensive Tage – vollgepackt mit teils streng geheimen Forschungsergebnissen, spannenden Diskussionen und neuen Ideen für künftige Kollaborationen. Dr. Antje Kroner-Milsch vom Medical College Wisconsin in den USA war eine der Teilnehmerinnen. Wir haben ihr einige Fragen gestellt. WINGS FOR LIFE

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Forschung

Nach zwei Jahren k ­ onnten wir uns beim Scientific ­Meeting wieder persönlich treffen. Wie war’s? Am meisten habe ich mich auf die Vorträge meiner Kollegen und auf anregende Diskussionen gefreut. Ich liebe den wissenschaftlichen Austausch, das habe ich sehr vermisst. In den letzten beiden Jahren haben wir uns zwar virtuell getroffen, aber ein digitaler Austausch ist einfach nicht dasselbe. Ich genieße das persönliche Aufeinandertreffen sehr.

gen können, welche Arbeit geleistet wurde. Vor allem aber ist es sehr inspirierend zu hören, woran Kollegen arbeiten. Neue Fragen zu diskutieren und gemeinsam Ideen zu spinnen. All das nehme ich von diesem Meeting mit. Wie kamen Sie genau auf ­diesen Forschungsbereich? Ich war immer schon fasziniert von Neurowissenschaften und

vom Nervensystem. Sam David, einer meiner Mentoren, hat mich dazu gebracht, mich mit Rückenmarksverletzungen auseinanderzusetzen. Die Faszination hat mich seither nicht losgelassen. Auf diesem Gebiet zu forschen ist für mich sehr wertvoll und wichtig. Was bleibt Ihnen noch von Salzburg in Erinnerung? Ganz klar: die Topfenknödel!

„Es ist sehr inspirierend zu hören, woran Kollegen arbeiten.“ Antje Kroner-Milsch

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Der persönliche Austausch und das Networking der Forscher sind essenziell für weitere Fortschritte: Lukas Grassner, Marios Papadopoulos und Samira Saadoun (von links).

Fotos: Limex Images/Heiko Mandl, Limex Images/Andreas Schaad, Wimmer Photography

Was nehmen Sie von diesem Austausch mit? Es ist enorm wichtig, dass wir über die Fortschritte berichten und zei-


Forschung

Unsere Forschungsprojekte 2023/24

1 Ziel

16 Länder Australien Belgien Deutschland England

Frankreich Italien Japan Kanada

Neuseeland Niederlande Österreich Portugal

Grundlage

Überprüfung von grundlegenden wissenschaftlichen Themen

42%

Querschnitts­ lähmung heilen

Präklinik

Untersuchung der gewonnenen Erkenntnisse im lebenden Organismus

40%

62

Klinik

laufende Forschungs­ projekte

Erprobung von Therapien und Medikamenten am Menschen

18%

Schweden Schweiz Uruguay USA

Forschungsbereiche

4 protektion Neuro­

Imaging

1

10

Remyelini­sierung

2

Sekundär­ schaden

11

16

Re­konstruktion

Regeneration

3 Bioinformatik

Gesamtzahl geförderter Projekte 11

19

25

36

44

55

63

82

111

125 144 172

191

299

211 239 259 276

5

2 Biomarker

Rehabilitation

Illustration: Getty Images/iStock

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2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023

Detaillierte Beschreibungen der Projekte finden Sie unter www.wingsforlife.com/forschung

Plastizität

3

Jahre Förderung im Schnitt pro Forschungsprojekt

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Foto: Naim Chidiac

Zehn Jahre Wings for Life World Run 34

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Er sorgte für den Gänsehaut-­ Moment bei der zehnten Ausgabe des Wings for Life World Runs: Lukas Müller. Beim Flagship Run in Wien stand der inkomplett Querschnitts­ gelähmte aus seinem Rollstuhl auf und legte über zwei Kilometer auf Krücken zurück. Tausende ­jubelten ihm im Vorbeilaufen zu. „Von so vielen Menschen an­ gefeuert zu werden und zu wissen, dass die ganze Welt gerade unter­ wegs ist – ich weiß gar nicht, wie ich dieses Gefühl in Worte fassen soll“, erzählt Lukas ­sichtlich berührt.

Von Herzen Danke an alle, die dabei waren!

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Foto: Philipp Carl Riedl

Auch uns fehlen die Worte: Rund um den Globus waren 206.728 Teilnehmer für die gute Sache am Start. Egal ob im Rolli, gehend oder laufend. Gemeinsam konnten wir unglaubliche 5,8 Millionen Euro für die Rückenmarksforschung sammeln. Wir sind überglücklich.


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Foto: Jason Halayko

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Foto: Mpumelelo Macu

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Talente im Fokus

Dr. Stanicka, aus welchem Grund sind Sie Forscherin geworden? Als ich noch ein Kind war, wurde meine Cousine schwer krank. Sie nahm an einer der ersten klinischen Studien zur AntikörperImmuntherapie teil – und konnte sich vollständig erholen. Heute ist sie Mutter und erfolgreich im Beruf. Ihre Genesung mitzuerleben war so inspirierend – ab da war für mich klar, dass ich Wissenschaftlerin werden wollte. Was fasziniert Sie an den Neurowissenschaften? Mich fasziniert die Komplexität der Schaltkreise von Gehirn und Rückenmark – und die Tatsache, dass sich Neuronen so sehr von anderen Zellen im Körper unterscheiden. Aber als Unternehmerin sehe ich im Bereich der Neurowissen44

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War das der Grund, Ihr Unternehmen Axonis zu gründen? Ganz genau. Es ist sehr befriedigend, an Behandlungsmöglichkeiten und Lösungen für diese Probleme zu arbeiten und bei der klinischen Umsetzung ganz vorne mit dabei zu sein. Woran arbeiten Sie aktuell? Ich treibe die Entwicklung unseres „KCC2-Potentiators“ (siehe Infobox rechts) voran. Das ist eine orale, nicht-invasive Behandlung mit kleinen Molekülen, die die Neurologie revolutionieren könnte – auch im Bereich von Rückenmarksverletzungen. Was sind die nächsten ­Schritte, um den Ansatz in die Klinik zu bringen? Wir befinden uns derzeit in der präklinischen Phase. Unser unmittelbares Ziel sind toxikologische Studien, um nächstes Jahr damit in die klinische Testung zu gehen. Auf welche Meilensteine Ihrer Karriere sind Sie besonders stolz? Auf jeden Fall auf meine Arbeit bei

Axonis. Als ich anfing, hatten wir keine Investoren und kein Labor. Heute sind wir ein voll funktionsfähiges Biotech-Start-up. Ich bin stolz darauf, wie weit wir gekommen sind, und freue mich darauf, unsere Medikamente so weiter­ zuentwickeln, dass sie bald für Patienten verfügbar sein werden. Was tun Sie außerhalb der ­Arbeit am liebsten? Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meinem Mann und meinen beiden Kindern sowie mit meinen Hobbys, zu denen Gartenarbeit, Lesen und Kochen gehören. Haben Sie eine bestimmte ­Lebensphilosophie? Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder erreichen kann, was er will, solange er bereit ist, hart dafür zu arbeiten. Ich bin sehr zielstrebig – ich muss handeln, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe. Was sind Ihre Träume und Ziele für die Zukunft? Die Entwicklung von KaliumChlorid-Cotransporter-(KCC2-) Medikamenten ist mein wichtigstes Ziel für die Zukunft. Über die nächsten Ziele werde ich später nachdenken – Fokus ist der Schlüssel!

Foto: Limex Images/Andreas Schaad

Dr. Joanna Stanicka ist Neuro­ wissenschaftlerin und CEO des ­Biotech-Start-ups Axonis.

schaften einen großen Bedarf an Behandlungsmöglichkeiten. Ein Problem, das gelöst werden muss.


Joanna Stanicka forscht an einem neuen Wirkstoff, der die Aktivität des ­Ionen‑Transporters KCC2 nach einer Querschnitts­ lähmung wieder steigern soll. Dadurch soll die Re­ generation verbessert und Schmerz und Spastizität verringert werden. Mehr dazu unter: wingsforlife.com/forschung

„Ich bin stolz darauf, wie weit wir gekommen sind.“ Joanna Stanicka

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Querschnittslähmung

Ein Gefühl wie tausend Nadelstiche

Foto: Akemi Hoshi

Michaela Hauser ist Mama von zwei Kindern und gerade in ihrer sportlichen Hochphase. Dann geht sie mit ihren Arbeitskollegen Ski fahren. Ihre Bindung geht auf, sie stürzt und kommt erst Monate später als komplett anderer Mensch wieder nach Hause.

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Die Familie ist die wichtigste Stütze seit ihrem Unfall: Michaela mit ihrer Tochter und ihrem Mann.

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Querschnittslähmung

Michaela, seit einem Skitag mit Kollegen bist du querschnittsgelähmt. Was ist passiert?

Ich habe den Ausflug, so wie je­ des Jahr, für alle organisiert. Wir waren im Skigebiet Dachstein West. Der Schnee war schon ein wenig weich, aber das Wetter war herrlich. Es war kurz vor Mittag, und wir wollten gerade zur Hütte fahren. Neben mir war ein Ski­ anfänger, der immer näher zu mir rübergefahren ist. Ich wollte ihm ausweichen und habe eine Kurve gemacht. Dann hat sich meine Bindung geöffnet. Ich bin dahin­ geschlittert und hab mit meinem rechten Ski vorne eingefädelt. Dann hat es mich überschlagen. Ich habe ein lautes Knacken ge­ hört … und dann war alles vorbei.

Das muss ein Riesenschock gewesen sein …

Das war es, aber ich war wie in einem Tunnel. Es ging nur ums Überleben. Als gelernte Kranken­ schwester bin ich alle Szenarien durchgegangen. Ich habe zuerst gar nicht an eine Rückenmarks­ verletzung gedacht. Ich dachte, die Hüfte sei gebrochen. Meine Kolle­ gen sind dann gleich zu mir geeilt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich gesagt habe, niemand dürfe mich berühren. Binnen 15 Minuten war dann der Notarzt-Hubschrau­ ber da. Es ging alles ganz schnell. Das Notfall-Team hat mich in den Hubschrauber eingeladen und ins Krankenhaus geflogen.

„Ich habe den Bruch in meinem Körper, ein lautes Knacken, ganz deutlich gehört.“ Michaela Hauser

Du hast also den Bruch in ­deinem Körper gehört?

Wie jedes Jahr organisierte Michaela einen Skitag mit ihren Kollegen – bis zu ihrem Unfall. 48

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Fotos: Akemi Hoshi, privat

Ja, ganz deutlich. Ich bin dann am Rücken gelandet und kopfüber noch weitergerutscht. Der Kragen meiner Jacke hat sich mit Schnee gefüllt und so meinen Kopf stabili­ siert – das war mein Glück. Ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein, aber gespürt habe ich nichts mehr.


Was war deine Diagnose?

Die Diagnose war ein Bruch auf C7, also auf Höhe der Halswirbelsäule. Und damit einhergehend ein inkompletter Querschnitt. Wie hast du dich gefühlt, als du davon erfahren hast?

Ich hatte so eine Wut in mir. Auf alles und jeden. Als Krankenschwester war ich es immer gewohnt, anderen zu helfen. Ich war immer die Starke. Und auf einmal war ich hilflos. Als mein Mann mit meinen beiden Kindern zu mir ins Krankenhaus kam – damals waren sie neun und dreizehn –, konnte ich sie nicht umarmen. Das war das Schlimmste für mich. Die ersten beiden Wochen habe ich gar nichts bewegen können. Dann konnte ich einen Finger ein wenig rühren. Ich weiß noch, dass ich zu meinem

Mann gesagt habe: „Wenn das so bleibt, wie es jetzt ist, kann ich so nicht leben.“ In dieser Zeit habe ich unermüdlich trainiert und wollte so viel Physiotherapie wie möglich – weil ich gedacht habe, dass viele Funktionen zurückkommen werden. Zum Teil sind sie das …

Ja, ich habe Restfunktionen in meinen Armen und Beinen. Ich habe deshalb gelernt, ein paar Schritte auf Krücken zu gehen. Ich habe mich anfangs nirgends zugehörig gefühlt – nicht zu den Rolli-Fahrern, aber auch nicht zu den Gehenden. Die Tatsache, dass ich inkomplett gelähmt bin, ist für mich gleichzeitig Fluch und Segen. Inwiefern?

Ich habe jeden Tag Schmerzen. Es fühlt sich an wie tausend Nadel­

Die gelernte Kranken­ schwester kann einige Schritte mit Krücken gehen – und hat sich so ein wenig Selb­ ständigkeit behalten.

stiche. So, als würde der ganze Körper brennen. Im Winter, wenn es kalt ist, spüre ich es noch stärker. Mittlerweile habe ich gelernt, damit zu leben. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber eigentlich bin ich froh darüber. Denn die Spastik und die Schmerzen ermöglichen mir ein bisschen Körpergefühl. Sie ermöglichen mir, meine Füße zu spüren und so weit wahrzunehmen, dass ich einige Schritte gehen kann. Effektives Gehen ist es nicht, aber ich bin dadurch eini­ germaßen unabhängig. WINGS FOR LIFE

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„Ich bin mit einem blauen Auge davongekommen und kann einigermaßen selbständig leben.“ Michaela Hauser

Gäbe es eine Heilung, würde Michaela zuerst laufen gehen – und dann mit ihrer Familie auf den Berg.

Für mich kam der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste. Kurz nach meiner Verletzung war ich unausstehlich. Der Rollstuhl war mein Feind. Ich habe gedacht, alle starren mich an und glotzen. Ich habe mich selber nicht mehr gemocht. Dann habe ich begonnen zu lernen, das alles zu akzeptieren. Wie ist es deiner Familie damit gegangen?

Ich bin richtig froh, dass meine Kinder beim Unfall schon so groß wa50

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ren. Sie haben gewusst, dass wir da jetzt durchmüssen. Kinder sind die unproblematischsten Menschen in so einer Situation. Sie gehen am normalsten damit um. Ich hätte mir nie gedacht, dass eine Querschnittsverletzung so ein komplexes Thema ist. Und was alles damit verbunden ist. Jeder sieht immer nur das „Nicht-gehen-Können“. Aber da gehört so viel mehr dazu. Ich bin mit einem blauen Auge davongekommen und kann einigermaßen selbständig leben. Ich habe zwar eine Dranginkontinenz* und muss meinen Tag danach planen,

aber ich brauche keine Assistenz und niemanden, der mit mir ins Badezimmer geht. Jeder, der fähig ist, diese Dinge selbst zu machen, der tut es – auch wenn es drei- oder viermal so lange dauert. Selbständigkeit in irgendeiner Weise, das ist persönlich so wichtig. Dafür und für meine großartige Familie bin ich unendlich dankbar. Was wünschst du dir für deine Zukunft?

Ich mache viel Physiotherapie. Mein größtes Ziel ist es, dass ich das auch weiterhin machen und

Fotos: Akemi Hoshi, privat

Du wirkst wie ein sehr starker Mensch …


Querschnittslähmung

meine Selbständigkeit so lange wie möglich erhalten kann. Was wäre, wenn es morgen eine Heilung gäbe?

Mein Mann und ich waren sport­ lich immer sehr aktiv. Er nimmt nach wie vor an vielen Läufen und Marathons teil. Da sehe ich schon immer mit einem wehmütigen Auge zu. Kurz nach dem Unfall

habe ich immer geträumt, dass ich gerade laufen bin. Draußen, zwischen den Feldern. Ich habe die frisch gemähten Wiesen gerochen. Wenn es morgen eine Heilung gäbe, dann würde ich am liebsten genau das machen: laufen gehen. Und danach mit meiner Familie raus in die Natur und gemein­ sam auf den Berg gehen. Das wäre so schön.

i

WAS IST EINE DRANGINKONTINENZ?

* Das ist eine Form der Harn­ inkontinenz. Betroffene spüren plötzlich das starke Bedürfnis, eine Toilette benutzen zu müssen – ohne vorherige Anzeichen.

Mit Familie und Freunden war sie beim Wings for Life World Run.

Kurz nach dem Unfall war der Rollstuhl ihr Feind, inzwischen hat Michaela ihn nicht nur akzeptiert, sondern schöpft auch wieder Hoffnung.

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Querschnittslähmung

Wussten Sie, dass …

F Bei Querschnittsverletzungen gilt: je höher, desto schlimmer.

WOLFGANG ILLEK ist Head of Fundraising bei Wings for Life und seit einem Fahrradsturz hoch querschnittsgelähmt.

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ür mich waren Querschnittsgelähmte immer Menschen, die nicht gehen können. Bis ich selbst einen schweren Unfall hatte. Als ich damals im Krankenhaus zu mir kam, konnte ich meine Arme nur noch eingeschränkt, meine Hände und F ­ inger gar nicht mehr bewegen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Vom Halsbereich abwärts spüre ich keine Berührungen und keine Temperatur mehr – nicht einmal den Schmerz eines Nadelstichs. Jede Querschnittsverletzung ist anders. Und damit auch die körperlichen Folgen. Wie viele Funktionen verloren gehen, ist abhängig von der Höhe und dem Ausmaß der Schädigung. Und weil motorische, sensible und vegetative Bahnen sehr nahe beieinanderliegen, sind auch Bandbreite und Kombinationsmöglichkeiten der neurologischen Defizite groß. Vereinfacht gilt: je höher, desto schlimmer. Schon bei einer Verletzung des Sakralmarks, also des Ausläufers des Rückenmarks, sind die Folgen verheerend. Bereits ab da sind Blasen-, Darm- und Sexual­ funktion betroffen. Etwas höher, auf Höhe des Lendenmarks, sind dazu auch keine Hüft-, Bein- und

Fußbewegungen mehr möglich. Wenn ein Patient auf Höhe des Brustmarks verletzt ist, kommen noch fehlende Rumpfkontrolle, Temperaturregulation und Bauchmuskulatur dazu. Ist die Verletzung wie bei mir an der schlimmsten Stelle passiert – auf Höhe des Halsmarks –, sind zudem auch noch die Atmung, Arme, Hände und Finger betroffen. So kann der eine Querschnittsgelähmte aufstehen und spürt, wenn kaltes Wasser über seine Beine fließt, während der andere nicht einmal selbständig atmen kann und auf Hilfe angewiesen ist. Rund 60 Prozent aller Betroffenen haben eine komplette Querschnittslähmung und ungefähr 40 Prozent eine inkomplette; bei Letzterer sind noch Restfunktionen erhalten. Und um es noch komplizierter zu machen, können auch nur Teile der sensiblen Qualitäten beeinträchtigt sein: Schmerz- und Temperaturwahrnehmung, Lageund Vibrationsempfinden, Berührungsempfinden, Druckempfinden und vieles mehr. Diese unzähligen Versionen eines Querschnitts machen auch der Forschung zu schaffen. Eine Heilung soll schließlich jedem helfen.

Fotos: Helge Kirchberger, Philipp Horak

… jede Querschnittslähmung anders ist?


Der Querschnitt und seine unzähligen Versionen: Manche Betroffene brauchen sogar Hilfe beim Trinken.

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Forschung

7Projekte,

die es in sich haben Weltweit arbeiten führende Wissenschaftler an einer Heilung von Querschnitts­lähmung. Mit verschiedenen Ansätzen und Methoden wollen sie ihr Ziel erreichen.

Fotos: Brenna Tysinger, privat

Hier rücken wir einige von uns geförderte Forschungsprojekte ins Rampenlicht.

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Wenn B-Zellen Feuer legen

Universität Hasselt, Abteilung für Immunologie und Infektiologie, Belgien

Nervenkabel leitungsfähig halten

Universität von Louisville, Kentucky Spinal Cord Injury Research Center, USA Nerven sind wie elektrische ­Kabel. Das Leitungskabel wird von Axonen, also dem Fortsatz ­einer Nervenzelle, gebildet. Die Isolierschicht besteht aus ­Unterstützerzellen – der Myelin­ schicht. Gemeinsam kümmern sich ­A xone und Myelin um die ­rasche W ­ eiterleitung von Infor­ mationen. Rückenmarksverlet­ zungen zerstören diese Struktur, und die Schwellung hindert die Nerven am reibungslosen Arbeitsablauf. Forscher um David Stirling testen chemische Blocker und versuchen, diese Schwellung zu verhindern. Die große Hoff­ nung: die Verbindungen der Ner­ venbahnen zu erhalten und eine bessere Erholung zu erzielen.

David Stirling von der Universität von Louisville.

Nerven sind wie elektrische Kabel. Rückenmarks­ verletzungen verursachen Schwellungen, die die Leitungs­ fähigkeit unterbrechen. Chemische Blocker sollen die Schwellung verhindern.

Bei einer Rückenmarksverletzung wird auch das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen. Der Körper reagiert mit einer Ent­ zündung. So wird im Zuge der ­sogenannten „Sekundärschädi­ gung“ an der Verletzungsstelle noch ­zusätzlich Gewebe zerstört. ­Eine Forschergruppe um Judith Fraussen aus Belgien konnte zei­ gen, dass sogenannte „B-Zellen“ hier eine Schlüsselrolle spielen. Sie sind Teil des Immunsystems und mitverantwortlich, Erreger abzuwehren. Die Forscher ­möchten nun klären, wie diese B‑Zellen in die Entzündungs­ antwort eingreifen. Das könnte die Voraussetzung für neue Therapie­ansätze sein.

Judith Fraussen forscht an der ­Universität Hasselt.

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Forschung

Weichmacher für die Narbe

Universität Boston, Biomedical Engineering, USA Bei der Wundheilung nach einer Rückenmarksverletzung entsteht ein undurchlässiges Narben­ gewebe. Es ist biologisch als Schutzfunktion wichtig, weil es die Entzündungsreaktion ­eingrenzt. Aber für wiederaus­ sprossende Nervenzellen erweist es sich als unüberwindbares ­Hindernis. Die Forschergruppe um Timothy O’Shea testet des­ halb eine neue Strategie: Mittels Injektion werden Enzyme direkt an den Ort der Narbe eingebracht. So soll das Gewebe aufgeweicht und die Verletzungsstelle durch­

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Margaret Hospital Photographics

lässiger werden. Sie verwenden speziell entwickelte Trägerstoffe in Nanogröße. Kombiniert wird das G ­ anze mit der Transplanta­ tion neuraler Stammzellen – die ein Wiederauswachsen von Nervenzellen bewirken sollen.

Fotos: Channing Johnson, Princess

Timothy O’Shea (rechts) und sein Forscherteam von der Universität Boston.


Erfolgverheißender Dreifach-Ansatz

Projektionsfasern als Schlüssel

Boston Children’s Hospital, F. M. Kirby Neurobiology Center, USA Projektionsfasern sind eine ganz besondere Gruppe von Nerven­ zellen. Sie verbinden zahlreiche Regionen des Gehirns mit dem ­Rückenmark. Die Fasern sind funktionell bedeutsam – denn sie leiten verschiedene autonome, ­sensorische und motorische Signale hin und her. Auf eine Verletzung reagieren sie unterschiedlich. Manche Zellgruppen sind bei Ver­ letzungen w ­ iderstandsfähiger – ­andere sprechen besser auf eine Behandlung an. Daher sollte man mit Projek­tionsfasern sehr diffe­ renziert umgehen. Carla Winter aus Boston versucht nun zu ver­ stehen, welche Faktoren den Unter­ schied ausmachen. Das Wissen über die Mechanismen könnte ein entscheidendes, fehlendes Puzzle­ stück sein – für die Entwicklung ­einer individuell angepassten und wirksamen Therapie nach einer Rückenmarks­verletzung.

Carla Winter forscht an der Harvard Medical School in Boston.

Krembil Research Institute, University Health Network, Universität Toronto, Kanada

Mit einem Dreifach-Ansatz ­ ollen Forscher um Charles w ­Tator aus Toronto einer Heilung näherkommen: Im Modell wird zuerst eine Substanz, genannt „Ampakine“, in die Verletzung verabreicht. Diese soll den Kal­ ziumeinstrom in Zellen verän­ dern und sie überlebensfähiger machen. Dann erfolgt die Ein­ spritzung eines Antikörpers. Dieser verringert, dass das Wachstum der Nervenzelle ­gehemmt wird. Zuletzt werden neurale Stammzellen trans­ plantiert, um die Schadensstelle mit neuen Nervenzellen zu fül­ len. Ein ambitioniertes Projekt, das auf erfolgversprechenden Ergebnissen der einzelnen ­A nsätze beruht. Die Kombina­ tion des Trios wurde allerdings ­bisher noch nicht bei Rücken­ marksverletzungen untersucht.

Charles Tator von der Universität Toronto. WINGS FOR LIFE

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Forschung

Fitnessprogramm für Stammzellen Houston Methodist Research Institute, Center for Neuroregeneration, USA

Iris Leister von der BG Unfallklinik Murnau.

Blutdruck treibt ­Erholung auf die Spitze

Zentrum für Rückenmarkverletzte BG Unfallklinik Murnau, Deutschland

Von Stammzellen versprechen sich Forscher schon lange, dass sie geschädigte und abgestorbene Nervenzellen ersetzen oder zu einem Wiederauswachsen von Nervenzellen verhelfen kön­ nen. Im Labor gibt es dazu hoffnungsvolle Ansätze, zum Beispiel den von Philip J. Horner und seinem Team: In einem Experiment versuchen sie, neurale Stammzellen vor einer Transplantation aufzubereiten. Damit sollen sie fit gemacht werden und sich bes­ ser in das jeweilige Gewebe der Transplantatstelle integrieren. Mithilfe von elektrischer Stimulation sollen die Nerven dann ­gezielt nachwachsen. Stammzell-Transplantate und elektrische Stimulation sind zwei sehr vielversprechende Technologien. ­Sollte dieser Ansatz Früchte tragen, könnte er wirklich weit­ reichende Verbesserungen für viele unterschiedliche Arten von Nerven­verletzungen bringen.

UCSF Brain & Spinal Injury Center, San Francisco, USA

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Philip J. Horner (vorne Mitte) mit seinem Team vom Houston Methodist Research Institute.

Fotos: Privat

Bei einer akuten Querschnitts­ verletzung spielt der Blutdruck eine wichtige Rolle. Frühere Studien ­ergaben, dass das Rückenmark bei erhöhtem Blutdruck besser durch­ blutet wird – was die neurolo­gische Erholung beeinflusst. Die Standard­ empfehlung ist daher, den Blut­ druck notfalls mit Medikamenten hochzuhalten – auch wenn diese nicht individuell an Patienten ange­ passt sind. Wissenschaftler um Iris Leister überprüfen jetzt den Nutzen eines angehobenen Blutdrucks neu. Zukünftig sollen die Zielwerte dem Patientenalter, der Verletzungs­ schwere und der medizinischen Vorgeschichte besser entsprechen. Dafür analysieren die Forscher ­intensivmedizinische Daten. Das Ergebnis soll Patienten eine erhöhte Chance auf Erholung bringen.


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Atena Zahedi machte sich jahrelang Vor­ würfe wegen des ­Unfalls ihres kleinen Bruders – obwohl sie damals selbst noch ein Kind war.

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Foto: Limex Images/Andreas Schaad

Forschung


Sie forscht für ihren Bruder Atena Zahedi ist erst zehn Jahre alt, als ihr kleiner Bruder am Strand im Iran einen schrecklichen Unfall erleidet. Die Familie sucht verzweifelt nach Hilfe. Und nach Hoffnung. Bis Atena die Sache selbst in die Hand nimmt – und für ihren Bruder zur Forscherin wird.

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Forschung

Atena, während sich ihre Augen mit Tränen füllen. „Mein Bruder war bei Bewusstsein und hat mich angesehen. Alles war offen, seine Haut war weg, er sah aus wie ein Brandopfer.“ In der Kleinstadt gibt es keinen Krankenwagen. Keine Sanitäter. Atena läuft, so schnell sie kann. Sie holt ihre Mutter. Ein Taxi bringt die drei in die Hauptstadt. Der Körper ihres kleinen Bruders liegt in ihren Armen, er ist nur in ein Handtuch gewickelt: „Er verlor so viel Blut. Es ist ein Wunder, dass er überlebt hat.“ Im Krankenhaus in Teheran weigern sich die Ärzte, den Jungen zu operieren. Sie raten Atenas Mutter, nach Hause zu gehen, denn „es lohnt sich nicht, das Kind am Leben zu halten“, erinnert sich Atena kopfschüttelnd. Auch nach fast dreißig Jahren kann sie das Verhalten der Ärzte

nicht fassen: „Meine Mutter hatte als Hebamme zum Glück medizinische Grundkenntnisse, sie konnte meinen kleinen Bruder irgendwie stabilisieren. Aber die Knochen seiner Hüfte und seiner Beine waren in Millionen Teile zerschmettert – genauso wie seine Wirbelsäule. Er musste operiert werden.“ In ihrer Verzweiflung reist die Mutter mit ihrem Sohn nach England und hofft dort auf Hilfe. Dann wird auch in London die Behandlung eingestellt. Der letzte Ausweg sind die USA, wo bereits ein Onkel der Familie lebt. Also gehen sie dorthin – und kehren ihrem Leben im Iran für immer den Rücken. Viele Ärzte, keine Hoffnung

Bei der Ankunft in Kalifornien wird Atenas Bruder sofort in ein Krankenhaus gebracht: „Er hatte unzählige Operationen an seiner Wirbelsäule, an den Hüften und Beinen. Es war eine Tortur für ihn, aber er war so tapfer.“ Die Zahedis kommen im Ronald-McDonaldKinderhaus unter, einer Einrichtung für Familien von Patienten. Dort bleiben sie lange Zeit. Lange bleiben auch die Vorwürfe, die

Atena Zahedi (links, mit ihrer Mutter) und ihre Familie haben die Heimat verlassen, um das Leben ihres kleinen Bruders zu retten.

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Fotos: Limex Images/Andreas Schaad, Wings for Life, privat

D

ie Freude ist groß, als Atenas Familie 1994 in den Norden Irans reist. Eine Woche Urlaub am Kaspischen Meer. Tanten, Onkel, Cousins – alle sind dabei. Sie sind gerade erst angekommen. Die Luft riecht nach Sommer und Unbeschwertheit. Atena, ihr kleiner Bruder und ihre Cousins spielen am Strand. Sie bauen Sandburgen. Nebenan wird der Strand vergrößert und dafür Sand aufgeschüttet. Ein riesiger Lastwagen bringt die nächste Fuhre Sand, nur dieses Mal ist er zu nah an den Kindern. Dann geht alles ganz schnell. Der Fahrer legt den Rückwärtsgang ein, fährt nach hinten und übersieht dabei Atenas Bruder. Er überrollt den zweijährigen Jungen. „Es war so schrecklich. Diese Bilder haben sich in mein Gedächtnis gebrannt“, erinnert sich


Prof. Aileen Anderson und Dr. Atena Zahedi (Mitte) bei einer Wings for Life Lab Tour an der University of California, Irvine.

Atena Zahedi weiß genau, wofür sie forscht: „Mein Bruder ist sehr stolz auf mich, und ich bin sehr stolz auf ihn.“

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Forschung

Atena sich macht: „Es hat Jahre der Therapie gebraucht, um zu ver­ stehen, dass auch ich damals noch ein Kind war. Als große Schwester habe ich mir Vorwürfe gemacht und mir für alles die Schuld ge­ geben.“ Die Iranerin, die beim Unfall erst zehn Jahre alt war, habe viele schlaflose Nächte verbracht, in denen sie sich wünschte, mit ih­ rem Bruder tauschen zu können, um das Leid von ihm zu nehmen. Neuer Hoffnungsschimmer

„Auch wenn ich nicht weiß, wann es eine Heilung gibt, weiß ich: Forschung ist wichtig!“ Atena Zahedi

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In ihrer Forschungsarbeit in Kalifornien setzt Atena Zahedi auf Stammzellen und deren Potenzial zur Heilung von Querschnittslähmung.

Mal etwas über Stammzellen – und deren Potenzial zur Behandlung von Krankheiten. Das inspiriert Atena, ihr Doktoratsstudium in Neurowissenschaften und Stamm­ zellforschung fortzusetzen. Während ihres Studiums be­ sucht sie eine weitere Konferenz. Dort lernt sie Prof. Aileen Ander­ son kennen, eine Spezialistin für Stammzell- und Rückenmarks­ forschung. „Als ich ihren Vortrag hörte, dachte ich: Das ist es, was ich machen muss“, so Atena. „Ich wusste es sofort. Für mich klang es wie ein Wunder.“ Sie führt ein lan­ ges Gespräch mit Prof. Anderson und erzählt ihre Geschichte. Atena beweist sich, bekommt ein Stipen­ dium, und die beiden beschließen, zusammenzuarbeiten. Heute, viele Jahre später, ist Atena an der Uni­ versity of California in Irvine fest angestellt. Sie forscht gemeinsam mit Prof. Aileen Anderson an

Stammzelltherapien für Rücken­ marksverletzungen – für eine Hei­ lung von Querschnittslähmung. Niemals aufgeben

„Mein Bruder ist sehr stolz auf mich. Und ich bin auch sehr stolz auf ihn. Er ist ein wunderbarer Mensch.“ Atenas Bruder lebt heute in Chicago und arbeitet für eine Organisation, die behinder­ te Menschen unterstützt. Er sitzt querschnittsgelähmt im Rollstuhl, führt ein selbständiges Leben – aber kämpft bis heute mit den Fol­ gen seines Unfalls. Auf die Frage, was sich Atena für ihn wünscht, antwortet sie: „Dass er nie die Hoffnung verliert. Auch wenn ich nicht weiß, wann es eine Heilung gibt, weiß ich, dass Forschung wichtig ist. Und wenn Hoffnung da ist und solange die Menschen nicht aufgeben – dann ist alles möglich.“

Foto: Privat

Sie ist oft an seiner Seite am Kran­ kenbett. Sein Zustand wird nur langsam besser. Jahrelang trifft Atena auf so viele Ärzte. Aber sie alle betreiben nur Schadens­ begrenzung. Vom Wieder-gehenKönnen ist nie die Rede. Da ist keine Hoffnung – bis sie das Gan­ ze mit 18 Jahren selbst in die Hand nimmt. Im ersten Uni-Jahr besucht Atena einen Kurs in Neurowissen­ schaften. Sie hört von einer For­ schungskonferenz und bemüht sich, dorthin fahren zu dürfen. Auf der Konferenz erfährt sie das erste


LG NN Z U TI M M TE E R AM F O GI

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IS RE E DI

Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass wir für legendäre Events bekannt sind. Bei uns geht es um mehr als Eventplanung – es geht um die Schaffung unvergesslicher Erlebnisse. Unser hochmotiviertes Team kümmert sich um die strategische und logistische Organisation: Von der Ideenfindung bis zur Realisierung wird jedes kleine Detail sorgfältig geplant – serviceorientiert, alles aus einer Hand, maßgeschneidert und somit präzise auf die Bedürfnisse unserer Kunden abgestimmt. Teamgeist ist bei THE TRAVEL BIRDS nicht nur ein Schlagwort, sondern ein Lebensstil. Wir setzen auf Hands-on-Qualität und innovative Ideen, um kreative Eventwelten zu schaffen, die alle Erwartungen übertreffen. Willkommen in der Welt der außergewöhnlichen Events – willkommen bei uns. Bildnachweis: Armin Walcher, Katharina Knapp, Jörg Mitter , Scalaria©MirjaGeh

5020 Salzburg the_travel_birds weare@thetravelbirds.at thetravelbirds.at TEL +43 662 243192 - 0 Petersbrunnstraße 4


Persönlich

Kolumne

Einfach aufstehen und hier rausgehen

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n einem Fotostudio nahe unserer Stiftung in Salzburg treffe ich mich mit Hannes Kinigadner. Sein Unfall ist heuer zwanzig Jahre her – darüber wollen wir reden und ein paar seiner Antworten mitfilmen. Ich kenne Hannes mittlerweile schon lange und recht gut. Ich kenne seine Geschichte und seine körperlichen Einschränkungen. Ich weiß, dass er im Alltag ununterbrochen auf Hilfe angewiesen ist. Ich kenne Hannes aber auch als feinsinnigen Beobachter, ich mag seine Schlagfertigkeit und seinen trockenen Humor. Und ich habe großen Respekt davor, wie er sein Schicksal angenommen hat. Hannes war erst 19, als er keine Wahl hatte. Ein Teenager, der sein Hobby professionalisieren wollte. Der diesen einen großen Traum von einer Motocross-Karriere wahr machen wollte. Für den die größte Freiheit bedeutete, einfach schnell losfahren zu können. Obwohl alles schon so lange her ist, erinnert Hannes sich heute noch an jedes Detail. Er erzählt mir 66

WINGS FOR LIFE

von seiner Zufriedenheit an diesem schönen Tag im Juli 2003. Von dieser einen Linkskurve. Davon, wie er schwer stürzte. Wie er plötzlich seine Hände und Beine nicht mehr

Hannes Kinigadner erinnert sich im Interview, wie ein Tag sein ganzes Leben veränderte.

bewegen konnte. Wie er das erste Mal mit seinem tauben Körper in einen Rollstuhl gesetzt wurde und die Welt nicht mehr verstand.

Hannes ist keiner, der jammert oder Mitleid möchte. Hannes will eine Heilung für seine Querschnittslähmung – und in der Früh endlich wieder alleine aus dem Bett aufstehen können. Zwanzig Jahre wartet er schon darauf, dass die Rückenmarksforschung den Durchbruch schafft und er seine physische Freiheit zurückbekommt. „Hast du manchmal das Gefühl, dass dir die Zeit davonrennt?“, frage ich ihn. Hannes schaut kurz nach oben. Das tut er manchmal, wenn er überlegt. „Ja“, sagt er, „ich bin schon mein halbes Leben in diesem Rollstuhl, und sicher bin ich auch schon ungeduldig geworden …“ Hannes und ich wissen, dass seine Verletzung verdammt kompliziert ist. Dass Forscher auf der ganzen Welt daran arbeiten, sein Problem zu lösen. Dass Wings for Life alldem einen riesigen Push gibt. Und trotzdem wünschen wir uns gerade beide – ohne es zu sagen – dasselbe. Dass wir nach diesem Interview einfach aufstehen und hier gemeinsam rausgehen.

Foto: Privat

von Steffi Schwarz


Ideen, die Wellen schlagen.

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Empfänger: Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung, Fürstenallee 4, A-5020 Salzburg

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