Wien Museum Katalog „Robert Haas. Der Blick auf zwei Welten“

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Robert Haas

Der Blick auf zwei Welten



Robert Haas

Der Blick auf zwei Welten



Robert Haas

Der Blick auf zwei Welten Herausgegeben von Anton Holzer, Frauke Kreutler Texte von Anton Holzer, Frauke Kreutler, Ursula Storch



Inhalt

Matti Bunzl

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Vorwort

Anton Holzer, Frauke Kreutler

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Einleitung

Anton Holzer

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Künstler mit Kamera Robert Haas – ein Fotograf zwischen Wien und New York

Frauke Kreutler

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Fotografische Aneignung einer neuen Welt Robert Haas u nd sein fotografisches Umfeld in den USA

Ursula Storch

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»… an esteemed man of letters …« Robert Haas als Grafiker, Kalligraf und Drucker

180 Robert Haas – Stationen seines Lebens 182

Verzeichnis der in der Ausstellung gezeigten Werke

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Ausgewählte Literatur

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Namensregister

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Dank

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AutorInnen, Bildnachweis, Leihgeber

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Impressum



Vorwort

Die Kulturgeschichte Wiens ist, neben all den großartigen Werken und Leistungen unserer Stadt, auch die Geschichte eines Verlusts. Die fundamentale Zäsur des 20. Jahrhunderts – die Shoa – hat eine Wunde hinterlassen, die nie geschlossen werden kann. Wichtige Ausdrucksformen der Wiener Kultur, von Billy Wilders Hollywood­­­filmen bis zu Karl Poppers Philosophie der offenen Gesellschaft, konnten nur in der Diaspora entstehen. Das Werk von Robert Haas ist Teil dieser gewaltsam transplantierten Wiener Kultur. Als führender Fotograf und Grafiker der Zwischenkriegszeit zwang ihn der nationalsozialistische Terror 1938/39 ins amerikanische Exil. Sein kreatives Werk fand dort eine Fortsetzung, er reüssierte in den USA vor allem als Buchkünstler und Grafiker. Die Fotografie verfolgte er daneben weiter; Teil seiner professionellen Identität sollte sie aber nicht mehr werden. Ein doppelter Verlust also, nicht nur der Abriss einer spannenden Wiener Künstlerkarriere, sondern auch der Fortfall eines Mediums. Umso dankbarer sind wir Miriam Haas und Cathy Haas Riley, den Töchtern von Robert Haas, dass sie uns den Versuch ermöglicht haben, die Lücke zu kitten. Ihre Entscheidung, das Fotoarchiv des Vaters dem Wien Museum zu überantworten, kann den in den 1930er-Jahren aufgerissenen Graben natürlich nicht schließen. Aber sie ermöglicht einen Brückenschlag zwischen Wien und New York, Österreich und den Vereinigten Staaten. Denn das Archiv – zu gleichen Teilen mit Werken aus der Alten und Neuen Welt bestückt – ist gleichsam künstlerisches Dokument und Beispiel für die im 20. Jahrhundert so gewalttätig globalisierte Kultur Wiens. In den USA konnten Aspekte dieser Kultur über- und weiterleben, was einen Ort wie New York auch zu einem Angelpunkte der Wiener Geistesgeschichte macht. Die Rückkehr von Robert Haas nach Österreich ist vor allem das Verdienst von Anton Holzer. Der Foto­­­­­­­historiker entdeckte den Nachlass im Zuge seiner Arbeit an der Wien-Museum-Ausstellung zur österreichischen Atelierfotografin Trude Fleischmann, die, so wie Haas, ihre künstlerische Karriere in New York fortgesetzt hat. Dort wie da war unsere Mitarbeiterin Frauke Kreutler seine wissenschaftliche und kuratorische Partnerin. Die Resultate sprechen für sich, haben diese doch die Kultur- und Fotogeschichte Wiens und Österreichs um fundamentale Positionen bereichert und gezeigt, dass die Karrieren von exilierten Fotograf­ innen und Fotografen nur im politischen und ästhetischen Spannungsfeld zwischen Europa und Amerika nachvollziehbar sind. Für tatkräftige Unterstützung in diesem Zusammenhang sind wir dem Botstiber Institute for Austrian-American Studies zu besonderem Dank verpflichtet. Die Kulturgeschichte Wiens ist weiterhin die Geschichte eines Verlusts. Doch die Ausstellung Robert Haas: Der Blick auf zwei Welten macht diesen konkret. Kein Gewinn natürlich, aber eine – wenn auch un­endlich partielle und sicher nicht wirklich verdiente – Restitution.

Matti Bunzl, Direktor Wien Museum

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Anton Holzer, Frauke Kreutler

Einleitung

Robert Haas gehört zweifellos zu den großen österreichisch-amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Sein Werk reicht von berührenden Alltags- und Sozialstudien aus dem Wien der Zwischenkriegszeit bis hin zu faszinierenden Aufnahmen des amerikanischen Way of Life, von einfühlsamen Porträts großer Künstlerinnen und Künstler bis zur Street-Photography in New York. Sein fotografisches Œuvre umfasst viele Themen und vereint den Blick auf zwei Kontinente. Dieses beeindruckende Lebenswerk ist noch nie in einer großen Überblicksausstellung gezeigt worden, weder in den USA noch in Europa. Das ist durchaus erstaunlich und bedarf einer Erklärung. Robert Haas’ Fotografien sind – um es pointiert zu formulieren – auf beiden Seiten des Atlantiks in Vergessenheit geraten. Als jüdischer Emigrant und vielseitig begabter Künstler ist Haas gewissermaßen »zwischen die Stühle« geraten. Nach seiner Flucht vor dem NS-Regime im Jahr 1938 erinnerte sich in Österreich und in Europa jahrzehntelang niemand mehr an den großen Fotografen und Künstler.1 In den USA wurde er vorwiegend als Druckkünstler und Grafiker wahrgenommen und kaum als Fotograf.2 Nun, 20 Jahre nach dem Tod von Robert Haas, kann sein herausragendes fotografisches Werk in einer umfassenden Präsentation im Wien Museum wiederentdeckt und gewürdigt werden. Anhand zahlreicher noch nie gezeigter Vintage-Prints werden seine Fotografien im künstlerischen und gesellschaftlichen Kontext seiner Zeit verortet. Ausstellung und Katalog vermitteln zugleich auch ein faszinierendes Stück öster­­­­­­­rechischamerikanischer Foto- und Kulturgeschichte. Die Wiederentdeckung des Fotografen Robert Haas wäre ohne den Beitrag der Familie Haas, insbesondere seiner beiden Töchter Miriam Haas und Cathy Haas Riley, nicht möglich gewesen. Sie haben den künstlerischen Nachlass ihres Vaters für die Nachwelt gesichert und diesen im Herbst 2015 dem Wien Museum anvertraut. In den folgenden Monaten wurden die Bilder archiviert, digitalisiert und wissenschaftlich aufgearbeitet, sodass das fotografische Werk von Robert Haas künftig von Wien aus einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist. Miriam Haas und Cathy Haas Riley haben dem Museum für die Vorbereitung der Ausstellung aber auch die umfangreiche Arbeitskorrespondenz ihres Vaters sowie eine vielstündige Interviewserie über seine Biografie und sein Werk zur Verfügung gestellt, die sie in seinen letzten Lebensjahren mit ihm geführt haben. Beides, Korrespondenz wie Tonbandgespräche, erwiesen sich als überaus wertvolles Quellenmaterial für die Forschungsarbeit zu Robert Haas, die hier vorgestellt wird.

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Robert Haas: Auf einer Landwirtschaftsmesse, Ödenburg (Sopron) 1937 [Wien Museum]

Robert Haas, geboren 1898 in Wien, hatte seine künstlerische Karriere als Grafiker und Druckkünstler im Umkreis der Wiener Moderne in den 1920er-Jahren begonnen. 1925 gründete er zusammen mit Carry Hauser und Fritz Siegel die Officina Vindobonensis, ein künstlerisches Atelier, in dem er anspruchsvoll gestaltete Bücher druckte, Plakate gestaltete und andere grafische Entwürfe herstellte. Nach einer Ausbildung bei der bekannten Wiener Atelierfotografin Trude Fleischmann wandte sich Haas in den 1930er-Jahren verstärkt der Fotografie zu und etablierte sich rasch als international erfolgreicher Fotojournalist. Bekannt wurde er mit seinen eindrucksvollen Bildern und Reportagen, die in zahlreichen illustrierten Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Haas war kein rasender Reporter, der mit seiner Kamera den Neuigkeiten des Tages hinterherhetzte. Vielmehr war er ein aufmerksamer Flaneur, der auf seinen Streifzügen durch die Großstadt Wien, aber auch durch das ländliche Österreich mit offenen Augen unterwegs war und der zugleich einen Blick für die Poesie des Alltags bewahrte. Erfolg hatte Haas auch mit seinen Starporträts, etwa auf den Salzburger Festspielen, die er Mitte der 1930er-Jahre ausführlich dokumentierte. Society-Fotograf war er aber zeitlebens keiner. Lieber bewegte er mit seiner Kamera hinter und abseits der Bühne, um einen neugierigen Blick auf das gesellschaft­ liche Leben jenseits der Scheinwerfer zu wagen. Haas stand am Höhepunkt seiner Karriere als Fotograf, als er 1938 vor dem nationalsozialistischen Regime fliehen musste. Über London kam er nach New York, wo er ab 1939 eine neue Heimat fand. Als einem der wenigen österreichischen Fotografen, die flüchten mussten, gelang es ihm, sein gesamtes Archiv mit in die Emigration zu retten. Darunter waren Tausende von Abzügen und Negativen sowie die vollständige Arbeitskorrespondenz. In New York setzte Haas seine fotografische Tätigkeit fort, doch er konnte als Foto­ journalist nicht mehr Fuß fassen. Stattdessen wandte er sich neuerlich, wie bereits in seinen künstlerischen Anfängen in Wien, der Druckkunst und der Grafik zu. 1941 gründete er in New York unter dem Namen Ram Press eine künstlerische Druckerei, die er jahrelang erfolgreich führte. Unter anderem arbeitete er mit dem Museum of Modern Art, dem Guggenheim Museum und der Frick Collection zusammen. Neben seinem ›Hauptberuf‹ des Druckkünstlers schuf Haas in den 1940er- und 1950er-Jahren ein beeindruckendes fotografisches Werk. In eindringlichen Bildern dokumentierte er den amerikanischen Alltag. Haas passte unter dem Einfluss innovativer amerikanischer Fotoströmungen, etwa der Fotokampagnen der

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Farm Security Administration oder der Street-Photography, sein fotografisches Vokabular der Neuen Welt an und schuf ein herausragendes Werk, das den Vergleich mit bekannten amerikanischen Fotoarbeiten dieser Jahre nicht zu scheuen braucht. Dieses umfasst Reise- und Landschaftsaufnahmen, Architektur- und Stadtbilder sowie Straßenszenen seiner neuen Heimatstadt, der Metropole New York. Aber auch die in Österreich begonnene Tradition der Künstlerporträts setzte er in den USA fort – neben vielen anderen porträtierte er Albert Einstein, Arturo Toscanini, Oskar Kokoschka und Paul Robeson. Ein Gutteil der Künstler, die Haas mit seiner Kamera ablichtete, waren Emigranten wie er. Während er in seinen Alltags- und Straßenszenen den amerikanischen Way of Life aufsog und einfing, baute er in vielen seiner amerikanischen Porträts eine Brücke zwischen der Alten und der Neuen Welt. Das fotografische Werk von Robert Haas ist also – in biografischer, aber auch in ästhetischer Hinsicht – zutiefst geprägt von dieser Zäsur. Flucht und Vertreibung sind in sein künstlerisches Lebenswerk eingeschrieben, aber auch Aufbruch und neue Chancen, die sich dem Emigranten in seiner neuen Heimat New York boten. Es ist das Anliegen dieser Ausstellung und dieses Katalogs, beide Seiten dieser Künstlerbiografie zu rekonstruieren, also den Blick auf zwei Welten zu eröffnen.

Robert Haas: Alltagsszene im ländlichen Amerika, USA 1940er-Jahre [Wien Museum]

Anmerkungen 1

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1983 fand die erste und bis 2016 einzige Ausstellung des

von Robert Haas an der Fairleigh Dickinson University in New

Werks von Robert Haas in Österreich statt. Die Schau im

Jersey gezeigt. Vgl. James Fraser (Hg.): Robert Haas. Printing,

Österreichischen Museum für angewandte Kunst (heute

Calligraphy, Photography, Fairleigh Dickinson University

MAK) in Wien konzentrierte sich auf das grafische und

1984 (Besprechung in der New York Times vom 3. Juni

druckkünstlerische Werk. Vgl. Robert Haas: Schrift, Druck,

1984). Ebenfalls 1984 fand eine kleine Haas-Ausstellung

Photographie. Mit einer Einleitung von Hanna Egger (Aus-

in der Bibliothek des New York City College of Technology

stellungskatalog Österreichisches Museum für angewandte

in Brooklyn statt. In der Einladung wurde Haas als „printer

Kunst), Wien 1983.

and calligrapher“, aber nicht als Fotograf vorgestellt. 1985

1984 wurden auf die Initiative von James Fraser die (druck-) grafischen und einige ausgewählte fotografische Arbeiten

schließlich wurden grafische und einige wenige fotografische Werke von Haas in der San Francisco Public Library gezeigt.

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anton Holzer

Künstler mit Kamera robert Haas – ein Fotograf zwischen Wien und new York

Rasanter hätte die fotografische Karriere von Robert Haas (1898–1997) kaum beginnen können. Anfang der 1930er-Jahre hatte er sich, von der Grafik und der Druckkunst kommend, der Fotografie zugewandt. Innerhalb kürzester Zeit wurde Haas ein ausgezeichneter Fotojournalist, der mit seinen Bildern rasch international bekannt wurde. Sein fotografisches Œuvre ist umfangreich, thematisch breit gestreut und ästhetisch überaus vielschichtig. Zu seinem Repertoire gehören einfühlsame Porträts und Alltagsstudien, aber auch eindrucksvolle Stadt- und Sozialreportagen, Industrie- und Architekturaufnahmen, Sach- und Werbefotografien sowie Reisebilder und Landschaften. Es vereint – in gemäßigter Form – das Erbe der Moderne, der Haas als Künstler zeitlebens verbunden war. Am Beginn seiner künstlerischen Karriere war Haas unter anderem von den Ideen der Avantgarde geprägt, mit deren Protagonisten er seit den 1920er-Jahren in engem Kontakt stand. Im darauf folgenden Jahrzehnt wurde er zu einem herausragenden Vertreter des modernen Fotojournalismus, der mit seinen subtil gebauten Fotoreportagen Furore machte. In den USA entstanden schließlich ab den 1940er-Jahren faszinierende Stadt-, Alltags- und Reisebilder, die keinen Vergleich mit den großen amerikanischen Fotografinnen und Fotografen seiner Zeit zu scheuen brauchen.1 Mitte der 1930er-Jahre war Haas auf dem Höhepunkt seiner österreichischen Fotokarriere angekommen. Im Jahr 1937 erhielt er den Auftrag, für den österreichischen Pavillon der Weltausstellung in Paris ein überdimensionales Fotopanorama zu entwerfen und auszuführen. Dieses Werk brachte ihm viel Anerkennung und Aufmerksamkeit ein. Aber lang konnte sich Haas nicht im Erfolg sonnen. Bereits ein Jahr später, 1938, nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, verlor er mit einem Schlag Arbeit und Existenzgrundlage. Am 30. September 1938 flüchtete Haas aus Wien. Er ging nach England und später in die USA. Hier gelang es ihm, sich eine neue berufliche Zukunft aufzubauen. Zunächst setzte er auf die Fotografie, später arbeitete er mit großem Erfolg als Drucker und Schriftkünstler in New York. Das Leben und das künstlerische Werk von Robert Haas zerfallen also in zwei deutlich getrennte Abschnitte, die Wiener Zeit bis 1938 und die Zeit in New York ab 1939. Beide werden im Folgenden umfassend dargestellt.

Abb. S. 12 Robert Haas: Selbstporträt mit Rolleiflex, Wien 1935 (Reproduktion vom Negativ)

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Weltausstellung, Paris 1937 Abb. 1 Julius Scherb: Blick in den österreichischen Pavillon, Weltausstellung, Paris 1937 [Wien Museum]

Die monumentale Fotomontage, die Haas 1937 für den österreichischen Pavillon der Pariser Weltausstellung (Exposition Internationale des Artes et Techniques dans la Vie Moderne) schuf, nimmt in seinem fotografischen Werk eine Sonderstellung ein (Abb. 1). Allein in technischer Hinsicht sprengte dieses Werk bisherige Standards im Umgang mit Fotografie. Der 8,66 Meter hohe und 30,25 Meter breite Fotofries war die größte Fotomontage, die bis dahin hergestellt worden war. Gänzlich neu war die überdimensionale fotografische Inszenierung freilich nicht: Bereits einige Jahre zuvor waren, wenn auch deutlich kleinere, fotografisch montierte Landschaftsbilder im Schweizer Pavillon der internationalen Ausstellung in Lüttich 1930 und bei der Weltausstellung in Brüssel 1935 gezeigt worden.2 Ausnahmsweise verarbeitete Haas hier nicht eigene, sondern fremde Fotos. Es handelte sich außerdem um eine Auftragsarbeit der österreichischen Regierung. Als solche wirft sie ein interessantes Licht auf den politischen Kontext der österreichischen 1930er-Jahre. Finanziert und organisatorisch betreut wurde das Pariser Ausstellungsprojekt vom österreichischen Bundesministerium für Handel und Verkehr. Dieses nutzte die enorme internationale Aufmerksamkeit der Weltausstellung, um Imagewerbung für das Land und seinen Fremdenverkehr zu machen. Immerhin 34 Millionen Menschen besuchten die Weltausstellung zwischen dem 25. Mai und dem 25. November 1937. Den Auftrag für die Montagearbeit hatte Haas vom Architekten des österreichischen Pavillons, Oswald Haerdtl, erhalten, mit dem er bei der Umsetzung eng zusammenarbeitete.3 In der Mitte des Wandbildes ist die Großglockner Hochalpenstraße zu sehen, links die Packstraße und rechts die Gesäusestraße. Insbesondere die 1936 eröffnete

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Großglockner Hochalpenstraße galt als propagandistisches Aushängeschild der christlichsozial orientierten österreichischen Regierung und zugleich als visuelles Aushängeschild der staatlichen Fremdenverkehrswerbung. Die montierte österreichische Ideallandschaft stand für ein antiurbanes, patriotisch angehauchtes, touristisch verklärtes Österreich. Im Frühjahr 1937 arbeitete Haas mit Hochdruck an der Ausführung der Montage. Das Gesamtbild wurde in 149 1 x 1 Meter große Bild­ felder zerlegt, die von der Wiener Firma Leutner einzeln vergrößert wurden.4 Bei der Inszenierung nahm sich Haas viele Freiheiten. Die Bergblumen im Vordergrund vergrößerte er enorm, die Großglockner-Straße und die Autos hob er visuell heraus und kombinierte sie ohne Übergang mit den Gletschern im Hintergrund. Über der Horizontlinie montierte er als Himmel einen hellblau eingefärbten Textilstreifen, in den er mittels Spritzpistole dramatisch ausgefranste Wolkenfetzen setzte. »Vieles ganz falsch, Teile von links nach rechts verschoben, umgekehrt kopiert etc., aber ein guter Gesamteindruck«, schrieb Robert Haas am 19. April 1937 inmitten der Vorbereitungsarbeiten an seinen Bruder.5 Teile der monumentalen Arbeit wurden, bevor sie nach Paris abgeschickt wurden, im April 1937 in Wien in den Räumen des österreichischen Hagenbundes probeweise aufgestellt (Abb. 2). Einige Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung am 25. Mai 1937 stand für Haas fest: »Eine Riesenplage, aber ein voller Erfolg.«6 Die Reaktionen auf den Pavillon und das Panorama waren tatsächlich überwiegend positiv. In vielen österreichischen und internationalen Zeitungen wurde in großer Aufmachung über die Montage berichtet. Doch ganz ungetrübt war Haas’ Freude über das vollendete Werk nicht. Denn in den Erfolg mischte sich der bittere Beigeschmack des Antisemitismus, den Haas inmitten der Vorbereitungsarbeiten zu spüren bekam. In einem Interview erinnerte er sich Jahre später an das einschneidende Ereignis: »Da hat mich der Haerdtl eines Tages angerufen und gesagt: ›Herr Ingenieur, ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll, aber die haben herausgefunden, dass Sie ein Jude sind. Das soll aber besser nicht bekannt werden. Würden Sie bereit sein, einen arischen Gehilfen aufzunehmen?‹«7 Unter Druck gab Haas nach und willigte ein, in der Endausführung mit dem jungen Maler und Ausstellungsgestalter Günther Baszel zusammenzuarbeiten, der dann im Katalog prominent aufschien. Als Haas im Mai 1937 zusammen mit Baszel nach Paris fahren wollte, um den Aufbau der Montage zu überwachen, stieß er im Ministerium auf taube Ohren.8 Er reiste nicht nach Paris und hat daher die fertige Montage nie mit eigenen Augen gesehen.

Abb. 2 Robert Haas bei der Vorbereitung des Panoramas in Wien, Frühjahr 1937 [Wien Museum]

Dieser Vorfall erschien, rückblickend gesehen, wie ein Vorbote der katastrophalen politischen Entwicklung, die wenige Monate später einsetzen und die das Leben von Robert Haas grundlegend verändern sollte. Anfang März 1938 erhielt Robert Haas die Verständigung, dass ihm, zusammen mit anderen Preisträgern, am 10. März 1938 im Marmorsaal des Bundesministeriums für Handel und Verkehr am Wiener Stubenring die höchste Auszeichnung der Weltausstellung, der Grand Prix, überreicht werde.9 Doch zur Preisverleihung sollte es nicht mehr kommen. Zwei Tage später, am 12. März 1938, marschierten Hitlers Truppen in Wien ein. Die Ausstellung der Diplome wurde unter dem neuen NS-System auf die lange Bank geschoben, nicht zuletzt deshalb, weil nicht wenige jüdische Preisträger unter den Prämierten waren und diese nun nicht mehr geehrt werden sollten.10 Erst Monate später, am 20. August 1938, wurden die Preisträger schriftlich über die endgültige Zuerkennung der Preise informiert.11 Die Briefe an die jüdischen Adressaten wurden zwar ausgestellt, aber – in bürokratisch gekleideter Perfidie – einfach nicht abgeschickt. »Bleibt im Ministerium«, heißt es lapidar auf dem Akt.12 Am 18. Oktober 1938 – Haas war inzwischen seit drei Wochen im Exil in London – erhielt er ein letztes Schreiben in Sachen Preisverleihung »Die Ausfertigung der Verleihungsurkunde«, so teilte man ihm mit, »hat erst begonnen. Wann die Ihnen zuerkannten Urkunden fertiggestellt sein werden, lässt sich leider nicht übersehen.«13 Eine glatte Lüge.

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Julius Scherb: Blick in den österreichischen Pavillon der Weltausstellung, Paris 1937 Aufbau der Fotomontage im österreichischen Pavillon, Weltausstellung, Paris 1937

Abb. S. 16 Robert Haas: Vorbereitungsarbeiten für die Fotomontage, Wien Frühjahr 1937 (Reproduktion vom Negativ)

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Die Fotomontage, die 1937 im österreichischen Pavillon der Weltausstellung in Paris gezeigt wurde, war 8,66 Meter hoch und 30,25 Meter breit. Sie zeigte österreichische Gebirgszüge, die in den 1930er-Jahren durch Bergstraßen erschlossen wurden. In der Mitte des Panoramas ist die Großglockner Hochalpenstraße zu sehen, links die Packstraße, rechts die Gesäusestraße. Reproduktion vom verkleinerten, 1983 von Robert Haas hergestellten Positiv.

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Vorbereitungsarbeiten für die Fotomontage, Wien Frühjahr 1937 (Reproduktionen vom Negativ)

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Abb. 3 Robert Haas: Kinder in Bad Goisern, Salzkammergut, 1913 [Wien Museum] Abb. 4 Atelier Ferdinand Grega: Robert Haas (links) mit seinen beiden Brüdern Paul und Georg, Wien um 1916 [Sammlung Familie Haas]

Die frühen Jahre Robert Haas hat das Fotografieren erst relativ spät zum Beruf gemacht. Als er um 1930 eine Fotoausbildung bei der bekannten Wiener Atelierfotografin Trude Fleischmann absolvierte, war er bereits über 30 Jahre alt und seit mehreren Jahren als Grafiker und (Mit-)Inhaber einer im Kunstbereich tätigen Druckerei tätig. Als Fotograf begann er damals aber nicht ganz von vorn. Er hatte sich seit vielen Jahren als Amateur mit dem Medium beschäftigt. Bereits als Zwölfjähriger hatte er, im Jahr 1910, von seinem Vater, der selbst Amateur­ fotograf war, eine Kamera geschenkt bekommen. Es war eine von der Dresdner Fotofirma Internationale Camera Actiengesellschaft produzierte ICA mit 9 x 12 Zentimeter großen Glasplattennegativen. Der Apparat war vor allem dann im Einsatz, wenn die Familie Haas unterwegs war, etwa bei Verwandtenbesuchen in Böhmen und Ungarn oder auf Reisen in den österreichischen Alpen und nach Italien (Abb. 3).14 Dass Robert Haas eine künstlerische Laufbahn einschlagen sollte, legte sein familiärer Hintergrund keineswegs nahe. Er wuchs in einer bürgerlichen, sehr bildungsbewussten jüdischen Umgebung in Wien auf.15 Die Familie seines Vaters Daniel Haas (1866–1950), der in Wien einen kleinen Textilgroßhandel betrieb,16 stammte ursprünglich aus der slowakischen Stadt Púchov, die während der K.-u.-k.-Monarchie zu Ungarn gehörte.17 Er importierte feine Stoffe (u. a. Brokate) aus Frankreich und verkaufte sie an Bürgerinnen und Bürger und wohlhabende Bauern in ländlichen ungarischen Gebieten. Die meist mehrtägigen Verkaufsreisen übernahm er selbst und war daher viel unterwegs. Die Familie der Mutter Ernestine Haas, geborene Pick (1870–1939), kam aus dem böhmischen Städtchen Mladá Boleslav (Jungbunzlau). Robert Haas hatte zwei Brüder: Sein älterer Bruder Paul (1896–1989) wurde Chemiker, sein jüngerer Bruder Georg (1905–1981) wurde Zoologe und Paläontologe. Als Robert Haas am 16. April 1898 in Wien geboren wurde, lebte die Familie in der Berggasse 39 im neunten Wiener Gemeindebezirk. 1911 erlaubten es die gut gehenden Geschäfte der Familie, in eine größere Wohnung in der Zelinkagasse 9 im nahe gelegenen ersten Bezirk zu ziehen. Die Familie Haas lebte also vor 1914 in gut abgesicherten bürgerlichen Verhältnissen. Man leistete sich eine Köchin und eine weitere Dienstbotin. Den ausgedehnten Sommerurlaub verbrachte man standesgemäß in Bad Goisern im Salzkammergut. Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, investierte der Vater in patriotischer Absicht einen Großteil seines Vermögens in Kriegsanleihen, eine Entscheidung mit fatalen Folgen, wie sich nach Kriegsende zeigen sollte. Die beiden ältesten Söhne der Familie Haas nahmen am Krieg teil, zunächst rückte der ältere Bruder Paul ein. Am 29. Mai 1916 wurde auch Robert Haas einberufen, trotz eines Hüftleidens, das ihm als Kind zu schaffen gemacht hatte, das er aber mit viel ärztlicher Hilfe gut ausheilen konnte (Abb. 4). Das Gymnasium hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, das Reifezeugnis erhielt er erst im Oktober 1916, als er schon in Uniform war.18 Nach der militärischen Ausbildung war Haas zunächst in Prag stationiert, später wurde er nach Siebenbürgen an die rumänische Front und schließlich an den österreichisch-italienischen Kriegsschauplatz beordert. 1917/18 war er als Artilleriebeobachter am Piavefluss in Norditalien im Einsatz, eine überaus gefährliche Tätigkeit, wie er sich später erinnerte.19 Während seiner Kriegszeit hatte er stets eine leichte Rollfilmkamera der Marke Icarette (Negativformat: 4 x 4 Zentimeter) im Gepäck, mit der er Szenen und

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Reiseeindrücke an der Front und im Hinterland festhielt. Auch einige Porträts, die Haas in Uniform zeigen, sind überliefert (Abb. 5). Anfang November 1918 war der Krieg zu Ende. Haas wurde im Rang eines Fähnrichs aus der Armee entlassen.20 Die Kriegsanleihen, die der Vater gezeichnet hatte, waren nun wertlos geworden. Dadurch geriet sein Unternehmen in Schwierigkeiten. Zusätzlich verschärft wurde die Lage Anfang der 1920er-Jahre durch die galoppierende Inflation. Dazu kam, dass die ehemaligen nordungarischen Absatzgebiete des Textilunternehmens Haas nun im Ausland lagen: Die Tschechoslowakei und Ungarn waren nach dem Krieg selbstständig geworden. Aus diesen Gründen war der Vater von Haas nach 1918 gezwungen, sein Geschäftslokal im ersten Bezirk aufzugeben und den Textilhandel von der Wohnung aus weiterzuführen. Die beiden Dienstbotinnen mussten entlassen werden, es fehlte sogar das Geld, um eines der Zimmer in der weitläufigen Wohnung einzurichten. Es wurde zum Rückzugszimmer der Söhne – und zur ersten Dunkelkammer von Robert Haas.21

Von der Technik zur Kunst Unmittelbar nach seiner Rückkehr ins zivile Leben inskribierte Haas im Herbst 1918 an der Technischen Hochschule in Wien im Fach Maschinenbau (Abb. 6). Ab dem Studienjahr 1920/21 spezialisierte er sich auf den Bereich Elektrotechnik.22 Ende 1924 schloss Haas sein Studium erfolgreich ab.23 Elektroingenieur wurde er aber keiner. Seine Orientierung in Richtung Kunst kam nicht über Nacht, sondern hatte sich in der gesellschaftlichen Umbruchszeit nach 1918 langsam angekündigt. Bereits während seines Technikstudiums begann Haas, sich in anderen Bereichen umzusehen. Er machte – parallel zu seinem Technikstudium – eine Ausbildung im Bereich Grafik und Schriftkunst und besuchte 1920/21 an der Universität Wien zwei Semester lang Lehrveranstaltungen im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Statistik und Musik.24

Abb. 5 Robert Haas (links) als Soldat im Ersten Weltkrieg, 1917 [Wien Museum] Abb. 6 Robert Haas, um 1918 [Wien Museum]

Es war offenkundig: Der Erste Weltkrieg hatte das fest gefügte gutbürgerliche Leben der Familie Haas tief erschüttert. Die Autorität des Vaters hatte nach 1918 Risse bekommen, als es ihm in den ersten Nachkriegsjahren nur mehr mit Mühe gelang, das finanzielle Auskommen der Familie zu sichern. Robert Haas trug mit Nachhilfestunden dazu bei, das schmale Familieneinkommen aufzubessern. Mit dem ersten eigenen Geld begann er Bücher zu kaufen, die über die klassischen Werke der Familienbibliothek (Goethe, Schiller, aber auch das bildungsbürgerliche 20-bändige Meyers Konversationslexikon) hinausgingen. Oft war er, so erinnerte er sich später, in der Buch- und Kunsthandlung Hugo Heller am Bauernmarkt 3 zu Besuch. Er interessierte sich schon früh für Bände zur Geschichte und Ästhetik der Grafik, aber auch für grafisch anspruchsvolle Reihen wie etwa die Insel-Bücherei oder schön gestaltete Märchensammlungen.25 Folgenreich für sein späteres Berufsleben wurde die freundschaftliche Begegnung mit dem drei Jahre älteren Künstler Carry Hauser, den er bereits im Gymnasium über einen Schulfreund kennengelernt hatte.26 Hauser, der kurz vor dem Krieg an der Wiener Kunstgewerbeschule studiert hatte, eröffnete ihm in den 1920er-Jahren viele Verbindungen zur Wiener Kunstszene, unter anderem zum Künstlerkreis des Hagenbundes und zu Mitgliedern des österreichischen Werkbundes.27 Er war es wohl auch, der ihn nach Kriegsende mit

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dem Typografen und Grafiker Rudolf von Larisch in Verbindung brachte. Dieser unterrichtete an der Wiener Kunstgewerbeschule.28 Seit 1918 oder 1919 besuchte Haas neben seinem Technikstudium einige Jahre lang Larischs Kurs »Ornamentale Schrift und Heraldik«, zunächst an der Kunstgewerbeschule, ab 1920, als Larisch dorthin wechselte, an der Akademie der bildenden Künste.29 Die Begegnung mit Larisch hat Haas’ künstlerisches Werk tief greifend geprägt. Die daraus resultierende Beschäftigung mit der Kalligrafie sowie mit Schriftbildern sollte Haas neben dem künstlerischen Druck und der Fotografie sein ganzes Leben lang begleiten. Seit den 1920er-Jahren war Haas immer wieder als Schriftgrafiker im Ausstellungsbereich tätig.30 Aber auch Carry Hauser und sein Kreis prägten Haas’ Werk, vor allem in den 1920er-Jahren. Hauser machte ihn unter anderem mit der Technik des künstlerischen Holzschnitts bekannt, der in der expressionistischen und neusachlichen Avantgarde der Nachkriegsjahre eine wichtige Rolle spielte. 1922 gestalteten und druckten Hauser und Haas gemeinsam ein kleines, künstlerisch gestaltetes Buch mit einem Text von Hans Sachs, Ein Tischzucht. Illustriert war es mit Holzschnitten von Carry Hauser. Gedruckt wurde das Werk in der Wiener Druckerei Jahoda & Siegel.31

Abb. 7 Robert Haas: Atelierhaus, in dem die Officina Vindobonensis untergebracht war, Wien um 1925 [Wien Museum]

Haas hatte also bereits mehrjährige künstlerische Erfahrungen gesammelt, als er im Juli 1925 zusammen mit seinen beiden Freunden Carry Hauser und Fritz Siegel, dem Sohn des Druckereimitbesitzers Emil Siegel, in der Schützengasse 9 im dritten Wiener Gemeindebezirk unter dem Namen Officina Vindobonensis eine eigene künstlerische Werkstatt eröffnete (Abb. 7).32 Diese spezialisierte sich auf den Druck künstlerischer Bücher, aber auch auf den Entwurf und den Druck von Gebrauchsgrafik, etwa Broschüren, Einladungen und Plakate.33 Ab Mitte der 1920er-Jahre gestaltete und druckte Haas zahlreiche Plakate für bekannte Wiener Kunsteinrichtungen, etwa die Wiener Philharmoniker, die Wiener Festwochen, das Künstlerhaus, das Museum für Kunst und Industrie, den Hagenbund und besonders häufig für die Wiener Secession. Er entwarf aber auch Bucheinbände, etwa für den Krystall Verlag und für die Druckerei Jahoda & Siegel, sowie Zeitschriftenumschläge.34 Zudem gestaltete er Briefköpfe, Signets und Logos für private Auftraggeber. Daneben war Haas auch als Schriftgrafiker für diverse Ausstellungen tätig und gab in seiner künstlerischen Werkstatt Kalligrafieunterricht. Den Ruf als anspruchsvoller künstlerischer Spezialdrucker erarbeitete sich Haas mit der Produktion zahlreicher, oft kunstvoll illustrierter Bücher. Diese realisierte er teilweise auf eigenes Risiko, oft als Auftragswerke. Gedruckt wurde häufig auf der Handpresse, aber auch im Offsetdruck. Bis 1938 druckte Haas insgesamt 21 künstlerisch gestaltete Bände, darunter Werke des katholischen Schriftstellers Heinrich Suso Waldeck, von Hugo von Hofmannsthal, Ferdinand von Saar und Johann Wolfgang von Goethe.35

Eine Freundschaft fürs Leben In den 1920er-Jahren verkehrte Haas regelmäßig in Künstlerkreisen und an Künstlerstammtischen in Kaffeehäusern.36 Zu seinen Freunden und Bekannten gehörten Mitglieder des Hagenbundes (etwa die Maler Franz Lerch, Ludwig Heinrich Jungnickel, Georg Jung und, wie erwähnt, Carry Hauser) sowie des Werkbundes (etwa Clemens Holzmeister). Über Vermittlung von Carry Hauser nahm er an den Treffen des Hagenbundes teil.37 Auch mit dem einflussreichen Kunsthistoriker Heinrich Schwarz, der an der Österreichischen Galerie im Belvedere tätig war, war Haas bekannt. Nach und nach wurde die Officina auch zu einem Künstler- und Intellektuellentreffpunkt. Man kam etwa bei regelmäßig stattfindenden Atelierfesten zusammen. Neben vielen der genannten Künstler waren in der Officina auch Louis-Ferdinand Céline, Elias und Veza Canetti, Heinrich Suso Waldeck, Fritz Wotruba, Anton Faistauer, Arnold Zweig, Alfred Kubin und andere zu Gast.38 Eingespannt in dieses dichte Netzwerk der Wiener Kunstszene, saugte Haas die innovativen künstlerischen Strömungen seiner Zeit gewissermaßen nebenbei auf. Auf diese Weise kam er, ohne noch selbst eine

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Richtungsentscheidung getroffen zu haben, mit den Zugängen und Themen der künstlerischen Avantgarde in Kontakt, zunächst etwa mit dem Expressionismus, der ab der Mitte der 1920er-Jahre mehr und mehr der Neuen Sachlichkeit wich. Vor diesem Hintergrund ist nicht erstaunlich, dass Haas schon Mitte der 1920erJahre auch mit innovativen Vertreterinnen und Vertretern der modernen Fotografie in Berührung kam. 1926, ein Jahr nach der Gründung der Officina, fotografierte der bekannte Wiener Architekturfotograf Julius Scherb die Werkstatt und die Arbeit von Haas und Hauser an der Handpresse (Abb. 8). Wenig später, um 1928, gab Haas bei der bekannten Wiener Fotografin Grete Kolliner, die für ihre moderne Bildsprache bekannt war, eine weitere Fotoserie über seine Arbeit in der Werkstatt in Auftrag. Eine der Abbildungen zeigt in einer eindrucksvollen Großaufnahme die Hände von Haas bei der Arbeit im Atelier (Abb. 9). Das Interesse für das Medium Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel lag in den Jahren um 1930 in der Luft. Zeitungen und Magazine begannen, fotografische Bilder nicht mehr nur als bloße Dokumente, sondern als künstlerische Statements zu veröffentlichen.39 Innerhalb der Amateurbewegung kam es ab Mitte der 1920er-Jahre zur Herausbildung moderner Strömungen, die sich vom konservativen Mainstream absetzen wollten. 1930 wurde auf Anregung des österreichischen Werkbundes in Wien die bahnbrechende deutsche Werkbund-Ausstellung Film und Foto (FiFo) gezeigt, die ein Jahr zuvor als Manifest der fotografischen Moderne in Stuttgart zusammengestellt worden war. Eine der österreichischen Fotografinnen, die 1930 in dieser Ausstellung vertreten waren, war Trude Fleischmann. Haas hatte sie Ende der 1920er-Jahre persönlich kennengelernt. Und es ist anzunehmen, dass er die Wiener Ausstellung gesehen hat. Fleischmann sollte in der fotografischen Entwicklung von Haas eine entscheidende Rolle spielen.

Abb. 8 Julius Scherb: Robert Haas und Carry Hauser bei der Arbeit an der Handpresse, Wien 1926 [Wien Museum] Abb. 9 Grete Kolliner: Handstudie (Robert Haas bei der Arbeit im Atelier), Wien um 1928 [Wien Museum] Abb. 10 Trude Fleischmann: Robert Haas mit seinen Brüdern Georg und Paul, Wien 1928 [Sammlung Familie Haas]

Haas erinnerte sich später, dass er die Fotografin über die Mutter seines Freundes Eugen Tarnay kennengelernt hatte. Diese war Silberschmiedin, hatte ihr Atelier in der Nachbarschaft von Fleischmanns Fotoatelier und vermittelte den Kontakt zur Fotografin.40 Das erste Treffen dürfte bereits 1928 zustande gekommen sein, denn aus diesem Jahr stammt ein von Fleischmann aufgenommenes Porträt, das die drei Brüder Haas zeigt (Abb. 10). Fleischmanns Atelier befand sich in der Ebendorferstraße 3 im ersten Wiener Gemeindebezirk ganz in der Nähe des Rathauses. Um 1930 war Trude Fleischmann die wohl bekannteste Wiener Atelierfotografin, zu ihrem breiten Kundenkreis gehörte das Who’s who der Wiener Künstlerszene. Sie war für ihre modernen, jedoch nicht der radikalen Avantgarde verpflichteten Porträts, ihre Schauspiel-, Tanz- und Aktszenen bekannt.41 Zwischen 1929 und 1931 absolvierte

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Abb. 11 Robert Haas: Monika Rückauf und Alix Roth, Wien 1935 [Wien Museum] Abb. 12 Robert Haas: Trude Fleischmann beim Schwimmen. Die Aufnahme entstand bei einem Donauausflug, Wien 1933 [Wien Museum]

Haas bei ihr eine vertiefende Fotoausbildung.42 Haas war nicht der einzige Schüler der Fotografin, mehrere junge Frauen (und einige Männer, etwa Frank Elmer und Matthias Tarnay) wurden Anfang der 1930er-Jahre in Fleischmanns Atelier ausgebildet und assistierten bei ihrer Arbeit. Unter ihnen waren Monika Rückauf, Maria Wölfl, Erika Andersen, Käthe Serog und Alix Roth. Zwei von ihnen hat Haas 1935 in einem wunderbaren Doppelporträt festgehalten (Abb. 11). Haas erlernte bei Fleischmann das gesamte Spektrum der Atelierarbeit, das Einrichten der Kamera, die Inszenierung der Modelle, aber auch die Arbeit im Hintergrund: das Entwickeln der Bilder, das Vergrößern und die Retusche. Umgekehrt erhielt Fleischmann durch Haas Einblick in die grafische und drucktechnische Arbeit. Er entwarf für sie Logos, Briefköpfe und Exlibris. 1931 arbeiteten die beiden bei einer Buchproduktion zusammen. Fleischmann lieferte die Umschlagabbildung – eine Porträtaufnahme – für den Band Brot der Seele von Hans Berstl. Die grafische Gestaltung des Einbands und des Innenteils lag in den Händen von Haas.43 Gedruckt wurde das Buch in der Officina. Robert Haas und seine drei Jahre ältere Fotolehrerin verstanden einander auf Anhieb, aus dem Lehrverhältnis wurde bald eine Freundschaft, die – sogar über die schwierigen Jahre der Emigration hinweg – ein Leben lang halten sollte. Die beiden teilten nicht nur das Interesse an der Fotografie, auch ihr Freundeskreis berührte sich. Fleischmann und Haas waren in ihrer Freizeit ebenfalls viel gemeinsam unterwegs. Haas erinnerte sich, dass er mit Fleischmann in den 1930er-Jahren regelmäßig Berg- und Skiausflüge machte. Im Spätwinter verbrachten sie meist mehrere Tage zusammen in bekannten österreichischen Skiorten, etwa in Saalbach, Obergurgl oder auf dem Arlberg. Im Sommer unternahmen sie, oft begleitet von anderen Freunden und Freundinnen, Faltbootfahrten auf der Donau und Ausflüge ans Wasser (Abb. 12).44 Fleischmanns Atelier in der Ebendorferstraße war in den 1930er-Jahren ein wichtiger Treffpunkt der Wiener Künstlerszene. Die Fotografin veranstaltete regelmäßig Feste und, so erinnerte sich Haas später, sogar richtige Bälle.45 Fleischmann und ihr künstlerisches Umfeld waren umgekehrt auch oft bei Haas in der Officina zu Gast.

Abb. S. 27 Robert Haas: Fritz Wotruba, Bildhauer, Wien 1936

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In manchen der Fotos von Haas, insbesondere in seinen Porträts, ist der fotografische Einfluss Fleischmanns unverkennbar. So wie sie legte auch Haas Wert darauf, die Starre des herkömmlichen Atelierporträts aufzulösen. Stattdessen sollten in der fotografischen Inszenierung das individuelle Gesicht und der Charakter der Porträtierten herausgearbeitet werden. Ähnlich wie seine Lehrerin rückte er mit seiner Kamera nahe an die Modelle heran und hob in seinen Bildern Gesicht und Körper vom neutralen, weißen oder schwarzen Hintergrund ab. Anders als Fleischmann jedoch nahm er die Porträts immer wieder im Freien auf, wobei er manchmal von der frontalen Inszenierung abrückte und neue Blickwinkel erprobte.



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Monika Rückauf, Fotografin,

Suska,

Wien 1938

Wien 1930er-Jahre

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Fritz Wotruba, Bildhauer,

Emil Pirchan, Architekt und

Wien 1936

Bühnenbildner, Wien 1935


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Susi Wenger, KĂźnstlerin,

Harald Peter Gutherz,

Wien 1930er-Jahre

Schriftsteller und Schauspieler, Kabarett Literatur am Naschmarkt, Wien 1934

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