Von Prachtlibellen, Baumläufern und Türkenbundlilien (Kurzvorschau)

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Babuschkas im Schnee Über Nacht ist Schnee gefallen – das erste Mal in diesem Winter. In der Stadt Zürich sind es zwar nur wenige Zentimeter, und Bäume und Sträucher haben sich ihres Wintermantels längst wieder entledigt, aber immerhin. Gerade wurde bekannt, dass 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen war. Gefolgt vom Jahr 2014. Was für ein trauriger Rekord. Bei der Tramhaltestelle Triemli wartet Theres, eine Freundin, die mich bei meinem heutigen Spaziergang über den Üetliberg begleitet, wetterfest verpackt. Seit vielen Jahren mache ich diesen Gang regelmässig bei Wind und Wetter, mal bei Regen, mal bei Sonne, und doch entdecke ich jedes Mal etwas Neues und staune darüber, wie selektiv meine Wahrnehmung ist. Heute liegt mein Fokus auf den Knospen von Bäumen und Sträuchern, denn ich bereite eine Exkursion zu diesem Thema vor. Knospen sind Wundertüten. Wer im Winter einen Haselzweig schneidet und mit nach Hause nimmt, kann beim Austrieb beobachten, was alles in einer einzigen Knospe steckt: männliche Blüten, weibliche Blüten und Triebe mit weiteren Knospen, die sich zu Blättern entfalten. Wie in einer Babuschka sind Knospen in Knospen verpackt. Anders als der Hasel besitzen manche Gehölze wie Ulme und Kornelkirsche zwei verschiedene Typen von Knospen: aus den kugeligen werden Blüten, aus den länglichen Blätter. Beide Arten kommen am Üetliberg vor. Ich strecke meinen Arm aus und reibe mit den Fingern über eine Bergahornknospe. Die schuppenförmigen Blätter, mit denen der Bergahorn seine Knospen umhüllt, sind von einer Wachsschicht überzogen; ich spüre sie gut. Schuppenblätter wie Wachsschicht schützen die Anlagen und reduzieren die Verdunstung auf ein Minimum. 7


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