g e s u n d w e rd e n | Harninkontinenz
Harninkontinenz: Was tun, wenn’s tropft? Harninkontinenz, besser bekannt als Blasenschwäche, bezeichnet den ungewollten Abgang von Urin. Im Laufe des Lebens trifft es rund jede dritte Frau. Und auch Männer sind betroffen. Trotzdem ist das Leid nach wie vor mit Scham behaftet. Wir brechen mit dem Tabu, reden darüber und erfahren: Meist ist eine Heilung oder zumindest deutliche Besserung möglich. Text: Andreas Krebs
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ielleicht trifft es einem so hart, weil es uns an unsere Vergänglichkeit erinnert. Wenn es unwillkürlich tropft oder wir uns gar wieder einnässen wie ein Baby, dann ist das unangenehm. Aber in der Regel kein Drama. Es gibt Hilfsmittel wie Einlagen; und die Aussicht auf Heilung oder zumindest starke Besserung. Man ist mit dem Problem auch nicht alleine: Schätzungsweise 500 000 Menschen in der Schweiz leiden an einer Form der Harninkontinenz, dem unwillkürlichen Verlust von Urin. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der Betroffenen; Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Hauptursache einer Harninkontinenz bei Männern ist eine operative Entfernung der Prostata (Prostatektomie). Neben Alten leiden Schwangere und Übergewichtige besonders häufig an Harninkontinenz. «Der unkontrollierte Abgang von Harn muss nichts mit der Blase zu tun haben», erklärt Apotheker Simon Trösch. «Es gibt viele möglichen Ursachen.» Oft liege dem Problem eine schwache Beckenbodenmuskulatur zugrunde. Auch eine Bindegewebeschwäche oder die hormonelle Umstellung in den Wechseljahren – insbesondere ein Mangel an Östrogen – könne zur Harninkontinenz führen respektive diese verschlimmern; ebenso starkes Übergewicht, Nervenstörungen, eine vergrösserte Prostata, eine Blasenentzündung oder eine hyperaktive Blase («Reizblase»). Bei letzterer haben Betroffene ständig das Gefühl, aufs WC zu müssen, obwohl die Blase nicht voll ist. Sehr selten sind Grunderkrankungen wie z. B. Tumore, Multiple Sklerose oder Verletzungen der Rückenmarksnerven verantwortlich für eine Harninkontinenz. «Es ist wichtig, zunächst die Ursache zu ergründen», betont Trösch. Denn je nach Anamnese fällt die Behandlung unterschiedlich aus.
Unterschiedliche Formen der Inkontinenz Die gute Nachricht: «Eine Harninkontinenz ist in den meisten Fällen heilbar beziehungsweise deutlich verbesserbar», weiss Trösch. «Die Behandlung muss individuell angepasst werden – an die Ursache, die Art und das Ausmass der Beschwerden sowie an die Lebenssituation der
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«Der unkontrollierte Abgang von Harn muss nichts mit der Blase zu tun haben.»
Betroffenen.» Liegt der Inkontinenz zum Beispiel eine Blasenentzündung zugrunde, muss natürlich diese ursächlich behandelt werden. Gemäss der International Continence Society (ICS) unterscheidet man fünf Formen der Harninkontinenz: • Dranginkontinenz: Der Harnverlust tritt durch einen starken, nicht zu unterdrückenden Harndrang auf. Ursachen: Alter, Multiple Sklerose, Parkinson, Alzheimer, Schlaganfall, Blasensteine und -entzündung, psychosomatische Faktoren. Symptome: plötzlicher, starker Harndrang; unfreiwillige Blasenentleerung. • Stress- oder Belastungsinkontinenz: Harnverlust bei körperlicher Anstrengung. Ursachen: schwacher Beckenboden; operative Entfernung der Prostata. Symptome: unkontrollierter Harnverlust beim Tragen schwerer Lasten, Treppensteigen sowie beim Husten, Niesen oder Lachen. • Unbewusste Inkontinenz: Harnverlust der nicht wahrgenommen wird und auch nicht mit Harndrang einhergeht. • Post-miktionelles Tröpfeln: Nachtröpfeln von Urin nach der willentlichen Blasenentleerung. • Kontinuierlicher Harnverlust: Ständiger Verlust von Urin. Weiter gibt es Mischformen. Am häufigsten ist die Belastungsinkontinenz. Ursache ist oft eine ungenügende Funktion des Schliessmuskels der Harnröhre infolge einer Schwächung der