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voM SPrüChleIN ZuM ZeugNISSPruCh
voN dr elISabeth fraNk
Schon bevor kinder selbst zu sprechen beginnen, lieben sie rhythmische Sprüche. unsere acht Monate alte enkeltochter strahlt über das ganze gesicht, wenn ein el ternteil mit einem Sprüchlein beginnt. die rhythmik des gesprochenen Wortes lässt sie aufmerksamst lauschen. kinder erkennen bald, wenn ein Spruch wiederholt wird und freuen sich darüber. Wenn sie es dann formulieren können, fordern sie dieselben Sprüche immer wieder ein und begeben sich mit ihrem ganzen körper und ihrer ganzen au fmerksamkeit in den rhythmus. auch im kindergarten werden Sprüche gepflegt. Sie erschaffen innere bilder, die in reigen, bewegungen und Spiele umgesetzt werden. kinder brauchen die Sprüche nicht aktiv zu üben; durch deren Wiederkehr und die kindliche Nachahmung prägen sich diese in ihnen ein. Sprüche sind ein teil des rhythmus, der das kleinkind seinen körper und die bildekräfte entwickeln lässt.
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Wenn das kind in die Schule kommt, wird die lehrerin die Pflege der Sprüche weiterführen. Neben dem rein spielerischen element im kindergarten wird nun auch der erwachte Wille mit eingebunden. gu t zu beobachten ist in der ersten klasse dabei die entwicklung des einzelnen kindes, wie es sich in diese rhythmik hineinbegibt (oder sich schwer damit tut), aber auch, wie die klasse beim gemeinsamen Sprechen zu einem ganzen wird.
Während eines ganzen Schuljahres, erstmals in der ersten kl asse, dann jedes Jahr, erlebt der lehrer seine kl asse und die einzelnen k inder. e s entsteht ein b ild in ihm von jedem k ind, von seinen talenten, seinen Schätzen, die es mitgebracht hat, von den Steinen, die dem k ind am Weg liegen, von seinem d enken, fühlen und Wollen und seinem temperament. ausgehend von diesem bild, sucht der lehrer nun einen Spruch für jedes k ind aus und schenkt ihm diesen für das kommende Schuljahr. e s ist sein persönliches ge schenk für dieses individuelle k ind auf dem Weg durch ein neues Schuljahr. Nicht mehr die kl asse wird den Spruch gemeinsam sprechen, sondern jedes k ind seinen eigenen, der es beschreibt und begleitet. d er Spruch hat das b ild des k indes zum Inhalt; er hat aber auch l aute und rhythmen. Jedes dieser elemente hat seine b e deutung und spezifische pädagogische Wirkung.
Im Sommer, während der ferienmonate, sagt das kind den Spruch im beisein seiner el tern und nimmt ihn mit in den Schlaf. die el tern hören ruhig und andächtig zu. Wenn er dem kind zu schwierig ist, können sie (oder die geschwister) ihn mit dem kind sprechen. Wie immer gehen die el tern den Weg gemeinsam mit ihrem kind, bis sie es dann im herzen begleiten, während das kind allein seinen Weg weiter geht. Jede Woche wird das kind im nächsten Schuljahr seinen individuellen Spruch vor der klasse und der lehrerin sprechen. Sie wird dem kind helfen, wenn es die Worte noch nicht findet, wenn es zu leise spricht, die konsonanten oder vokale noch nicht klar artikulieren kann, oder der rhythmus stolpert. Sie arbeitet mit dem kind ein ganzes Jahr an seinem Spruch. alleine vor der klasse zu stehen und seinen Spruch aufzusagen, ist eine große herausforderung für das kleine Menschenwesen. es ist aufgabe der lehrerin, dass das kind trotz unsicherheit und angst den Mut entwickelt, sich mit seinem Spruch zu zeigen. dies geschieht mit leichtigkeit, liebe und auch humor. Natürlich hilft es, dass jedes kind der klasse einmal pro Woche vorne steht. auch lernen die anderen kinder die Sprüche ihrer Mitschüler von Woche zu Woche besser kennen, sprechen sie innerlich schon mit und helfen gerne aus.
Jedes Jahr- vom ende der 1. bis zur 7. klasse- bekommt das kind nun gemeinsam mit seinem Zeugnis einen Spruch, der vom lehrer einfühlsam ausgesucht wurde. die Motive dieser Sprüche sind jeweils den al tersstufen angepasst, manchmal sind es Sprüche oder gedichte, die es schon gibt, manchmal schreibt der lehrer sie selbst. In der Mittelstufe kann es angebracht sein, den Spruch auch einmal ruhen zu lassen, nachdem das kind ihn sich zu eigen gemacht hat.
am Jahresende nimmt der junge Mensch dann nicht nur seinen eigenen Spruch mit, sondern auch alle anderen. So wirken alle Sprüche bei allen kindern mit ihrer kraft zur verwandlung.
Lehrerinnen und Lehrer wurden abwechselnd erwähnt. Immer ist aber auch das andere Geschlecht gemeint (Anmerkung der Autorin).
taguNg:
Seit ihrer Gründung vor 100 Jahren versteht sich die Waldorfpädagogik als „Pädagogik ihrer Zeit“ – als Versuch, auf aktuelle gesellschaftliche Fragen und Herausforderungen pädagogisch zu antworten. Das derzeitige Jubiläumsjahr ist daher auch eine gute Gelegenheit, zu schauen und zu zeigen, wo und wie Waldorfpädagogik sich heute positioniert, welche zentralen pädagogischen Ideen, Ansätze und Erfahrungen sie beitragen kann zu einer humanen Gesellschaft. Im Mittelpunkt der am 17. und 18. Oktober in der Diplomatischen Akademie Wien stattfindenden Tagung „Sinn-Bildung durch Welt-Begegnung“ sollen daher v. a. zwei zentrale gesellschaftliche Herausforderungen und die sich daran anschließenden pädagogischen Fragen stehen: festvortrag, Podiumsdiskussion, ehemaligen-befragung und viel dialog…
Wie kann es gelingen, Heranwachsende in einer Zeit zunehmender Virtualisierung und Medialisierung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Technik und mit Natur zu verhelfen, und wie ist auf die zunehmende soziale, kulturelle und religiöse Pluralisierung unserer Gesellschaft pädagogisch zu antworten?
Aus waldorfpädagogischer Perspektive spielen bei beiden Fragen zwischenmenschliche Beziehungen eine entscheidende Rolle. Auch dies soll daher bei der Tagung besprochen werden. Veranstaltet wird das Symposion im Auftrag des Österreichischen Waldorfbundes vom Zentrum für Kultur und Pädagogik in Kooperation mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Bewusst wurde dabei diese Form einer gemeinsamen Veranstaltung gewählt, um Waldorfpädagogik auch im Rahmen der Tagung ins Gespräch zu bringen mit anderen pädagogischen Konzepten und Ideen.
Eröffnet wird die Tagung am Abend des 17. Oktobers mit einem Festvortrag des langjährigen Waldorflehrers und Lehrerbildners Walter Riethmüller sowie einer daran anschließenden Podiumsdiskussion über Herausforderungen einer modernen Pädagogik des 21. Jahrhunderts. Der Vormittag des darauffolgenden Freitags, 18. Oktober, gehört denjenigen, die im Mittelpunkt aller waldorfpädagogischen Überlegungen stehen: den Schülerinnen und Schülern, die im Rahmen von Schulfeiern an mehreren Waldorfschulen im Wiener Raum Waldorfpädagogik erlebbar machen. In der Diplomatischen Akademie geht es dann um
14 Uhr weiter, zunächst mit einer Präsentation der ersten Ergebnisse der derzeit laufenden Waldorf-EhemaligenBefragung. Dirk Randoll und Jürgen Peters von der Alanus Hochschule werden ausführen, wie österreichische WaldorfabsolventInnen auf ihre Schulzeit zurückblicken, was für die Ehemaligen das Prägendste ihrer Schulzeit war, etc. Ein spannender Einblick in die Erfahrungen und Einschätzungen ehemaliger WaldorfschülerInnen erwartet uns. Daran anschließend, wird in Arbeitsgruppen den oben skizzierten aktuellen Themen und Fragen nachgegangen. PädagogInnen und ErziehungswissenschaftlerInnen aus dem Bereich der Waldorfpädagogik, aber auch von anderen Hochschulen und Universitäten, werden dabei in Kurzvorträgen ihre Überlegungen vor- und vor allem zur Diskussion stellen; im Sinne des oben genannten gemeinsamen Gesprächs. Wir freuen uns auf eine spannende und anregende Veranstaltung im Zeichen des Dialogs.
„Sinn-bildung durch Welt-begegnung. Waldorfpädagogik im gespräch“ 17. - 18. ok tober 2019 diplomatische akademie Wien favoritenstraße 15a, 1040 Wien
PS: An der oben erwähnten Ehemaligen-Befragung können alle ehemaligen österreichischen Waldorfschülerinnen und -schüler noch bis zum 30. Juni teilnehmen. Wer das noch nicht getan hat, bekommt über das Schulbüro gerne den Link zur Onlinebefragung zugeschickt…