Erwin Messmer
Gedichte aus meiner Küche
Den Alltag bekochen
Erwin Messmer
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Erwin Messmer
Gedichte aus meiner Küche
Den Alltag bekochen
Erwin Messmer
© 2025 by orte Verlag
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Verlagshaus Schwellbrunn, Appenzeller Verlag AG Im Rank 83, 9103 Schwellbrunn verlag@orteverlag.ch
Verlagsauslieferung in die EU: HEROLD Fulfillment GmbH, Daimlerstrasse 14, D-85748 Garching service@herold-fulfillment.de
Bilder Inhalt und Umschlag: Erwin Messmer
Porträt, Seite 192: Manfred Kern
Gestaltung Umschlag und Inhalt: Brigitte Knöpfel
Gesetzt in Utopia und Din
Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn
ISBN 978-3-85830-348-6 www.orteverlag.ch
Gleich geht’s los 10
Pasta 17
Das katholische Fadengericht. Ein Puzzle 18
Pasta zubereiten 23
Pastasauce zubereiten 26
… Spaghettini vesuvio 28
… Spaghettini aglio, olio, peperoncino e prezzemolo 30
… Linguine sfiziose 33
Spaghettini alla siracusana 35
Spaghettini mit Kürbis, Maroni und schwarzen Oliven 37
Spaghettini marinara 41
Penne al tonno 43
Pasta con sarde 45
Spaghetti carbonara 49
Orecchiette mit Salbei und Sardellen 52
Orecchiette al limone 56
Risotto 59
Grundrezept und Varianten 60
… Klassischer toskanischer Risotto 63
… Spargelrisotto 63
Brennnesselrisotto 63
Safranrisotto 64
Kartoffeln 67
… Bratkartoffeln 69
… Gebratene Kartoffelscheiben aus dem Ofen 71
… Gekochte Kartoffeln gebraten 73
Rösti 74
Salzkartoffeln mit Petersilie 76
Gratin dauphinois 77
Kartoffelstock 79
Fleisch 83
Meisterwerke an der Orgel, Meisterstücke auf dem Teller 84
Siedfleisch mit Markbein, Gemüse und Bratkartoffeln 87
… Italienische Kalbsinvoltini 89
… Hackbraten 91
… Fegato di vitello alla veneziana 94
… Gebratene Kalbsleber mit Salbei 97
… Les rognons de veau à la moutarde 100
Kalbskoteletten aus dem Ofen 103
Lammkoteletten 104
Lammragout 107
Urner Häfelitopf: Schaaf und Chaabis 111
Einbalsamiertes Chüngeli: Kaninchen an Balsamico 113
Schnelles pikantes Huhn 115
Le Coq au Vin bourguignon 118
Branzino al forno 126
Kleines Innereienbrevier 129
Gemüse und Pilze 137
Der Abschied des Metzgers 138
… Auberginen- oder Zucchettitranchen aus dem Ofen 140
… Gebratene Spargeln 143
Spargeln aus dem Ofen mit Zitronen, Knoblauch und Minzedip 144
Gekochte Spargeln mit Estragondip 148
Blauchruut (Rotchabis) 150
Rahmspinat 153
Gedämpfte Tomaten 154
Rosenkohlblättchen im Rahm 155
Eierschwämme mit Quarkgnocchi 158
Panierte Schirmlinge 160
Kefen «chinesisch» 163
Gattinara oder Italia Italia! 164
Salate 167
… Rüeblisalat 169
Randensalat 170
Fenchelcarpaccio 172
Zucchetticarpaccio mit Baumnüssen und Dill 173
Rucolasalat süss-sauer 175
Löwenzahnknospen gebraten 176
Heides Nordischer Kartoffelsalat 177
im Küchenalltag 181
… Zimtbrot mit Ei und Käse 182
… Mayonnaise 184
… Crevettencocktail 186
… Guacamole 187
… Eieromelette 189
Erwins Müesli 190
Der Koch meditiert stehend, lässt Hitze, Wasser, Dämpfe, Düfte, aber auch Zischen und Brodeln auf sich einwirken und erreicht damit ein unendlich harmonisches Glücksempfinden. Kochen ist Meditation, Psychotherapie und Aphrodisiakum.
Urs Leander Haller-Dirr
Aus: Der kleine Fettpolsterer. Anleitung zum Bauchfüllen. Vorwort zu Band 6/7 (Printkopie). Stans 2021.
Dieses Buch war als Überraschung gedacht: für meine inzwischen erwachsenen Kinder Seline und Paul. Doch der Erste, der damit überrascht wurde, bin ich selbst, zumal ich meist ohne Anleitung koche. Ich hätte nie damit gerechnet, je ein Rezeptbuch zu schreiben. Doch Paul lag mir anlässlich seiner Besuche immer wieder mit dem Anliegen in den Ohren, doch bitte wenigstens die wichtigsten Rezepte aus meiner Küchenpraxis schriftlich festzuhalten, damit ich dereinst, nach meinem seligen Ende, doch noch auf angenehme Weise weiter präsent bliebe. Wenn Seline mit am Tisch sass, unterstützte sie ihren Bruder in seinem Anliegen nach Kräften. Meine Ausflüchte, ich hätte sonst schon genügend am Hals und könne mir für Kochrezepte leider nicht auch noch die Zeit nehmen, liefen ins Leere. Und klar, wer wollte denn nicht ewig leben, auf welche Weise auch immer! Paul und Seline haben wohl nicht an ein Buch gedacht, eher an ein paar lose Blätter. Aber wenn ich etwas in Angriff nehme, dann gleich richtig.
Zu Pauls 30. Geburtstag lag das vorliegende Buch als Prototyp auf seinem Gabentisch. Die Überraschung war perfekt, Pauls Freude gross.
Da ich wie gesagt so gut wie nie nach Rezept koche, sind meine Kochkünste einfach und währschaft geblieben, sodass diese Anleitungen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum je besonders raffinierte Gerichte zum Gegenstand haben. Aber als Tipps für die wohlschmeckende Alltagsküche können sie ihren bescheidenen Zweck durchaus erfüllen.
Inspiration für meine Kocherei geben mir kulinarische Erlebnisse in Restaurants, die mich besonders erfreut haben und die ich dann
Noch schnell den Wein öffnen bitte, das Essen kommt gleich auf den Tisch! Paul, der Mundschenk.

versuche nachzukochen. Meist gelingt mir das mit Resultaten, die sich vor den professionell zubereiteten Vorlagen zumindest nicht zu verstecken brauchen. Auch lese ich regelmässig die Kolumnen von Christian Seiler im Magazin des Tagesanzeigers und hie und da mache ich mich auch im Internet schlau. Beides dient vornehmlich als Anregung, denn Rezepte setze ich meist nicht nach dem Buchstaben um, sondern nach Lust und Laune. Genauso zu verfahren, empfehle ich all denen, die in diesen Seiten schmökern. Ich bin mir dessen bewusst, dass mein Kochrepertoire heute nicht mehr ganz dem Zeitgeist entspricht, und wahrscheinlich werden schon meine Grosskinder das vorliegende Kompendium als etwas ziemlich Exotisches beurteilen. «Leber?! Wääh!» oder gar «Fleisch, pfui!» werden sie vielleicht ausrufen. Es ist halt nichts so konstant wie der Wandel, was schon Goethe erkannte. Mein eigenes Genussleben fiel noch in die alte Kulinarikepoche, die sich durch einen ebenso frugalen wie fleischeslustigen Speisezettel auszeichnete. Diesen hatte ich von Kindsbeinen an lieben und schätzen gelernt, etwa anlässlich meiner regelmässigen Aufenthalte bei meiner Grossmutter mütterlicherseits, Emma Lutz- Engelberger, oder durch die ebenfalls bodenständige, aber raffiniertere Küche von Erna, meiner Mutter. Sie war eine ausgezeichnete und fantasievolle Köchin. Wenn ich heute selbst am Herd stehe, erspüre ich in den Düften und Dämpfen, die aus den brodelnden Töpfen strömen, auch stets ein wenig den Geist meiner Mutter.
Schliesslich erhielt ich bereits im Primarschulalter einen Vorgeschmack der «gehobenen» Kochkunst, als Gast bei den legendären Weihnachtsessen im Haus meines Grosspapas Anton Messmer, bei denen Onkel Toni, unterstützt von seiner Halbschwester Sely und der liebenswerten Haushälterin Marie, den Kochlöffel schon beinah in Richtung Gault-Millau-Sphären schwang. Was aber gutes Essen ist, präsentierte sich ansonsten Tag für Tag am Familientisch.
Ausgehend von Mutters Kochkunst hat sich meine Art zu kochen kontinuierlich weiterentwickelt. Die Männer und Frauen aus Italien, die als in breiten Kreisen ungeliebte sogenannte Gastarbeiter in
die Schweiz kamen, waren nicht nur unverzichtbare Arbeitskräfte, welche zu einem Spottlohn die Schweizer Volkswirtschaft in Schwung hielten. Sie haben uns auch mit ihren wunderbaren Speisen bekannt gemacht. Meine Studienjahre in Fribourg liessen mich zudem die Küchendüfte der Romandie und des nicht mehr allzu entfernten Frankreichs schnuppern. Und so bahnte sich bereits in der klitzekleinen Küche unserer WG am Chemin de Grandfey in Fribourg eine gewisse kulinarische Globalisierung an, umgesetzt durch Studenten diverser Nationen, die dort aufeinandertrafen: Deutschland, Italien (Südtirol!), Norwegen, Schweiz. Nur mit den Küchen aus entfernteren Kontinenten kam ich seltener in näheren Kontakt, auch wenn ich heute zwischendurch gern mal libanesisch, mexikanisch, chinesisch oder indisch essen gehe.
Ausgespart in diesem Buch bleiben Backwaren und Süssspeisen. Desserts habe ich in jüngeren Jahren verschmäht, erst im Alter von etwa 40 Jahren begann ich gewisse Süssigkeiten zu schätzen. Seither gönne ich mir zwischendurch ein Dessert im Restaurant, doch zu Hause komme ich nie auf solche Gedanken. Mein Nachtisch daheim besteht in aller Regel aus einer Havanna oder einer Pfeife guten Tabaks.
Was mich bei der Durchsicht dieser Rezeptreihe überrascht hat: Bei fast allen Speisen ist Olivenöl mit im Spiel – eine Essenz, die meine Mutter wohl kaum gekannt haben dürfte. Und sehr viele Rezepte, vor allem im Pastabereich, weisen als Würzbasis zusätzlich Knoblauch und Peperoncino auf. Die gehören bei mir zur Grundsubstanz vieler Pastasaucen, beinah wie Salz und Wasser. Das bedeutet aber nicht fantasielose Eintönigkeit, denn Knoblauch und Peperoncino, dosiert eingesetzt, vermählen sich in diversen Saucen mit den je übrigen Zutaten ganz unterschiedlich.
Manchmal schmecke ich eine Pasta, deren Sauce auf Olivenölbasis zubereitet wird, mit Rahm ab. Olivenöl und Rahm? Eine italienische Todsünde! Aber mir schmeckt’s.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was ist original? Gute Köche lassen sich in erster Linie von ihrer Intuition leiten. Wie

viele Manifeste zur originalen Zubereitung von Spaghetti carbonara habe ich schon gehört und gelesen! Gegensätzlicher geht es kaum. Rahm zum Ei? Petersilie als Garnitur? Olivenöl? Alles total daneben! Olivenöl, das man fälschlicherweise für das Anbraten des Specks verwendet, obendrein noch mit Knoblauch und Paprika würzen? Noch schlimmer! Speck oder Schinken? Guanciale, Pancetta oder gar Lardo? Parmesan oder Pecorino? Oder beide Sorten gemischt? Ewige Dispute! Die originale Carbonara ist unbekannt. Es wird sogar gemunkelt, dieses Gericht sei ursprünglich nicht eine italienische, sondern eine amerikanische Spezialität gewesen.
Die vorliegende Rezeptsammlung kann, wie alle Kochbücher, nur als Ausgangspunkt für individuelle, weiterführende Ideen nützlich sein. Als Sprungbrett für die eigene Intuition, die immer stark mit persönlichen Vorlieben und Abneigungen verbunden ist. Auch ich koche meine während langer Jahre eingeübten Favoriten plötzlich anders, greife aus einer Eingebung heraus zur Zuckerdose statt nur zum Meersalz oder erkühne mich aus einer Laune heraus, geräucherten Speck mit Sardellen zu kombinieren.
Gut ist nicht unbedingt, was richtig ist. Gut ist aber immer, was schmeckt. In diesem Sinn: Guten Appetit!
Die folgenden Rezepte sind, wenn nicht anders vermerkt, jeweils für zwei Personen berechnet.
Schon als Knabe wusste ich recht genau, was für mich im Gaumen zusammenpasst. Zum Geburtstag wünschte ich mir jeweils Tomatenspaghetti mit paniertem Kalbshirn. Das pikant Säuerliche der Spaghettisauce, der Röstgeschmack der Paniermehlkruste und die Zartheit des gebackenen Hirns, die sich wunderbar verband mit den etwas zu weich gekochten Teigwaren – das war einfach unübertrefflich. Aber darüber will ich gar nicht schreiben, auch nicht über andere geglückte, nur scheinbar paradoxe Kombinationen: nicht über die Kräuterschnecken auf Sauerkraut in der Zürcher Kronenhalle, nicht von der Ente mit in Laphroaig-Whisky marinierten, gedörrten Apfelschnitzen im Berner Restaurant National, nein, ich bleibe bei den Tomatenspaghetti. Ohne Hirn. Bei dieser Wunderkombination von Teig und Sauce, wie wir sie auch in der Ferienkolonie vorgesetzt bekamen, abends in der Jugendherberge, nach anstrengendem Fussmarsch von der Lenzerheide nach Arosa. Ich will bei dieser matschig roten, von Sauce triefenden, weichen Fadenmasse verweilen, die man mühelos mit der Gabel hätte zu Brei zerdrücken können. Was wir aber nicht taten, denn schon als Kinder spürten wir, dass Spaghetti, selbst in der Konsistenz von Kartoffelstock, auf jeden Fall immer noch Spaghetti bleiben mussten: ein magisches Kindergericht, von dem wir herunterschlingen durften, so viel wir nur mochten.
Später, in den Studentenjahren, wagte ich mich selbst an den Kochherd, und es gäbe so manchen Spaghettiplausch in geselliger Runde zu würdigen. Irgendwann hörten wir zum ersten Mal etwas von der richtigen Al-dente-Cottura, und mit etwas Konzentration gelang sie uns auch. Mittels der neu in den Supermarktregalen aufge-
tauchten Pelati und der in Gläsern erhältlichen getrockneten Kräuter liess sich eine ganz passable Sauce zusammenbrauen, die im Lauf der Jahre gewiss nicht an Raffinesse einbüsste.
Dennoch: «Beim Italiener» um die Ecke schmeckten sie anders, die Spaghetti, und zwar – so ungern wir es uns eingestanden – einfach besser! Jahrelang wusste ich nicht, woran dies lag. Und darüber brütete ich auch immer in Italiens Trattorien, besonders während Ferienaufenthalten auf Sizilien. Zum Beispiel im Barcajolo, jenem Beizchen am linken Rand des Strandes von Mazzaro. Es liegt etwas versteckt hinter den bunt gestrichenen Fischerbooten, die an der Wasserkante in Bereitschaft stehen, und in der Mittagshitze lässt es sich dort gemütlich bei einem Glas Weisswein und einem Teller Spaghetti im Schatten einer Pergola sitzen. Die Spaghetti alla siracusana präsentierten sich dort nicht einfach als Teigwaren mit einer Sauce aus frischen Tomaten, grünen Peperoni, Auberginen, schwarzen Oliven, Kapern und Sardellenpüree. Es waren nicht Spaghetti mit Sauce, eher eine Art Saucenspaghetti. Aber auch dieses Wort will den Sachverhalt nicht ganz treffen. Denn wenn ich diese Teigwaren um meine Gabel wickle, habe ich ganz klar ein Röllchen Spaghetti siracusane dran, den herrlichen Duft von Tomaten, Knoblauch und Peperoni in der Nase, und der Gaumen nimmt diese Offenbarung nicht als ein Teigwarengericht mit Sauce wahr, sondern als eine Einheit. Sauce und Pasta sind gleichsam unzertrennlich, sogar das Gemüse erweist sich als äusserst anschmiegsam! Und der im Süden Italiens besonders rigoros interpretierte Al-dente-Garpunkt verhindert, bei aller Olivenölseligkeit der Sauce, ein Abgleiten ins allzu Sämige. Dank zäher Forschungsarbeit und unterstützt von einigen glücklichen Zufällen ist es mir inzwischen gelungen, daheim durchaus konkurrenzfähige Siracusane zuzubereiten. Meine Kinder, mehrfach sizilienerprobt auch sie, halten diese sogar – parteiisch, wie Kinder eben sind, aber nicht grundsätzlich beschränkt in ihrem kulinarischen Urteilsvermögen – für die besten der Welt. Diese Methode lässt sich problemlos auf andere, einfachere Arten von Tomatenspaghetti übertragen. Dass nämlich traditionell für die Sauce immer auch et-
