JOURNAL FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE Ausgabe 1-2022

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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rotz aller medizinischer Fortschritte stellt Leberkrebs eine wachsende gesundheitliche Herausforderung für die westliche Welt dar. Mögliche Ursachen sind nicht alkoholbedingte Fettlebererkrankungen (NAFLD) bzw. nicht alkoholbedingte Steatohepatitiden (NASH), im Vordergrund stehen allerdings Alkoholkonsum und Hepatitis-C-Virus-Infektionen als Auslöser [1,2]. In asiatischen Ländern und Afrika hingegen überwiegen die viralen Ätiologien, insbesondere Hepatitis-B-VirusInfektionen [2]. In Deutschland macht das hepatozelluläre Karzinom (HCC) mit 65 % das Gros der Leberkrebsfälle aus. Es wird häufig erst in fortgeschrittenen Stadien (Barcelona Clinic Liver Cancer [BCLC] B und C) diagnostiziert, in denen eine Heilung nicht mehr möglich ist und bei denen lebenszeitverlängernde Therapien eingesetzt werden [1, 3]. Als neuer Standard für die systemische Erstlinie des fortgeschrittenen hepatozellulären Karzinoms (HCC) hat sich die Kombination aus Atezolizumab und Bevacizumab etabliert. Bei der Mehrzahl der Patienten ist sie sicher und wirksam einsetzbar, aber es gibt auch Patienten, für die sie aufgrund von Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten nicht geeignet ist. Auf einem Symposium anlässlich der Jahrestagung 2021 der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) erörterte Professor Marcus-Alexander Wörns, Dortmund, die Frage, welche Patienten dies betrifft und welche Patientengruppen möglicherweise alternativ von einer Therapie mit den Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) Lenvatinib oder Sorafenib profitieren.

Therapiewahl in der Erstlinie des HCC: Aktuelle Leitlinien und klinische Erfahrungen Dynamische Therapielandschaft

Im palliativen Setting des HCC haben sich die Therapieoptionen in den letzten Jahren zunehmend diversifiziert (Übersicht bei [4]). In den Jahren nach der Zulassung der ersten Systemtherapie im Jahr 2007 – des Multityrosinkinaseinhibitors (MKI) Sorafenib – scheiterten zunächst mehrere Phase-III-Studien. Erst eine Dekade später bewies Lenvatinib als weiterer MKI in der REFLECTStudie seine Nichtunterlegenheit gegenüber Sorafenib beim medianen Gesamtüberleben (OS) mit 13,6 versus 12,3 Monaten [5]. Hochsignifikante Überlegenheit (p < 0,0001) demonstrierte Lenvatinib hingegen in den klinisch relevanten sekundären Endpunkten im unabhängigen radiologischen Review nach mRECIST (modified Response Evaluation Criteria in Solid Tumours): eine Verdopplung des progressionsfreien Überlebens (PFS: 7,3 vs. 3,6 Monate) und der Zeit bis zum Progress (TTP: 7,4 vs. 3,7 Monate) sowie eine hohe Ansprechrate (ORR: 40,6 % vs. 12,4 %) [5]. Mit der Zulassung von Lenvatinib im Jahr 2018 für die Erstlinienbehandlung des HCC und der Einführung weiterer Wirkstoffe für die Folgelinien – den beiden MKI Regorafenib und Cabozantinib und dem anti-VEGF (vaskulärer en-

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dothelialer Wachstumsfaktor)-Rezeptor 2 Antikörper Ramucirumab – sind nun mehrstufige Therapien möglich [4, 6]. Im Jahr 2020 hielt schließlich mit der Kombination aus dem Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab und dem gegen VEGF gerichteten Antikörper (AB) Bevacizumab auch die Immunonkologie (IO) Einzug in die Therapielandschaft des HCC [7]. Leitlinienempfehlungen für die Erstlinienbehandlung

Die Kombination aus Atezolizumab und Bevacizumab (IO+ABKombination) wird vom Update der ESMO-Leitlinie sowie von der neu überarbeiteten S3-Leitlinie aufgrund der Ergebnisse in der Zulassungsstudie IMbrave150 für die Erstlinie des fortgeschrittenen HCC empfohlen [3, 8, 9]. In den koprimären Endpunkten hatte die Kombination signifikante Vorteile gegenüber Sorafenib gezeigt (medianes OS: 19,2 vs. 13,4 Monate; medianes PFS: 6,9 vs. 4,3 Monate im unabhängigen Review gemäß RECIST 1.1). Und auch das ORR im HCC-spezifischen mRECIST war positiv (33,2 % vs. 13,3 %) [10]. Was in den Leitlinien aber auch zum Ausdruck kommt: Nicht für alle HCC-Patienten ist die IO© VERLAG PERFUSION GMBH


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