Das Pilgergeschäft von Ise durch die Edo-Zeit: seeing is believing

Page 4

Edo über den Tôkaidô – relativ zügig und auch bequem in einer kago 駕 籠 (Sänfte) durchgeführt werden. Die auf Weisung des bakufu ausgebauten und von vielen der Zollschranken befreiten Heer- bzw. Handelsstraßen des Landes, die gokaidô 五街道, erleichterten Fernreisen für jeden mit Grund und offizieller Genehmigung, der tegata 手形. Die Betreiber von Unterkünften, Gaststätten, Bade-, Tee- und Freudenhäusern, Inhaber von Geschäften, das lokale Handwerk und der Agrarsektor profitierten vom hohen Menschen- und Güteraufkommen auf den Straßen und an den Pilgerorten, die sich zu Handelsplätzen entwickelten.

Marktwirtschaftliche Kräfte: Porters Modell und das shidan seido Das Pilgerwesen war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und gab vielen Menschen Arbeit und Einkommen. Wie erklärt sich der anfängliche Erfolg von Ise im Pilgergeschäft? Wie veränderten sich Markt, Kundschaft und Marketing im Laufe der Edo Zeit? In diesem Essay wird gezeigt, dass Ise eine „Wiedergeburt“ erlebte und den initialen wirtschaftlichen Erfolg primär den politischen Umständen der Machtübernahme, der Propaganda und der Regulierung des Markts durch die Tokugawa verdankte. Zunehmendem marktwirtschaftlichen Druck und Kundenerwartungen begegneten die Geschäftsleute von Ise-Yamada mit neuen Produkten und Konsolidierung. Um den Wettbewerb und die Dynamik innerhalb einer Branche und dessen finanzielle Attraktivität zu verstehen, entwickelte Michael Porter 1979 das „Modell der fünf Kräfte“.5 Gegenstand dieser Arbeit ist dessen Anwendung auf das „Pilgergeschäft von Ise“. Porter unterscheidet drei horizontale Kräfte – Bedrohung durch neue Wettbewerber, Konkurrenz im lokalen Markt, Bedrohung durch Ersatzleistungen – und zwei vertikale Kräfte – Verhandlungsstärke der Lieferanten und Verhandlungsstärke der Kunden. Kunden, Geschäftsleute und Zulieferer werden als unabhängige Akteure betrachtet, es gibt keine Kollusion bzw. (geheimen) Absprachen. Institutionelle Bevorteilung und politische Verflechtungen sind in Porters Model strukturelle Faktoren und tauchen deshalb nicht explizit auf. Diese makroökonomischen Faktoren und die Kollaboration der Akteure sind allerdings zur Erklärung des Erfolgs von Ise wesentlich und stellten für neue Wettbewerber Markteintrittsbarrieren dar. Es wird sich zeigen, dass die Voraussetzungen eines „freien“ Wettbewerbs erst im späten 18. Jhd. annähernd erfüllt werden: Informationstransparenz und Kommunikationskanäle erhöhten sich durch die Innovationen im Verlagswesen und der Druckkunst, die Monetarisierung der Wirtschaft war ausreichend vorangeschritten, religiöse und politische Gründe für die Wallfahrt nach Ise im Zuge einer Aufklärung der Bevölkerung eher in den Hintergrund getreten. Zu Beginn der Edo Zeit dominierten jedoch Informations- und Macht-Asymmetrien. Unter den Marktteilnehmern war, innerhalb der durch das bakufu vorgegebenen Rahmenbedingungen, zunächst die Zusammenarbeit zu gemeinsamem Nutzen essenziell. Werbung für die vielfältigen Attraktionen der Pilgerstätte Ise wurde mittels reisender Vertreter in der Form von Bilderpredigten ins Land getragen. Die Funktion der sankei mandala zu diesem Zweck wird erläutert, bevor anhand konkreter Beispiele näher auf die Evolution der Kartografie und des Buchdrucks als „Gamechanger“ für die Veränderungen im Pilgergeschäft eingegangen wird.

5

PORTER, Michael E.: “How Competitive Forces Shape Strategy”. In: Harvard Business Review, Bd. 57, Nr. 2 (1979), S. 137–145.

2


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.