Rahmenbedingungen: die Lage von Ise-Yamada Die 250 Jahre bakufu 幕府 (Militärregierung) [1603-1868] - von der Ernennung Tokugawa Ieyasus 徳川家康 [1543-1616] zum shôgun 将軍(Generalissimus) durch den „japanischen Kaiser“ Go-Yôzei tennô 後陽成天皇 [1571-1617, posthumer Name] bis zur Ankunft der „schwarzen Schiffe“ vor der Küste Nippons 日本 im Jahr 1853 - werden mit inneren Frieden („Pax Tokugawa“) und dem außenpolitischen sakoku 鎖国 (Landesabschließung) verbunden. Praktisch ist die Edo-Zeit, die frühe Neuzeit, geprägt von der Verlagerung politischer Gewalt zum Herrschaftssitz der Tokugawa nach Edo 江戸 (heutiges Tokyo). Der abgeschlossene japanische Binnenmarkt – von internen und externen militärischen Zwängen befreit – hatte beträchtliches wirtschaftliches Potential. 1 Bezeichnend für das Leben in der Edo Zeit war die Praxis des Pilgerns und des Reisens. Engelbert Kämpfer, ein deutscher Arzt, der Ende des 17. Jahrhunderts für die Niederländische Ostindien-Kompanie (VOC) in Nagasaki 長崎 arbeitete, vermerkte in seinen Aufzeichnungen: „Die Japaner sind den Wallfahrten sehr zugetan. Sie haben verschiedene und nach verschiedenen Orten. Die erste und vornehmste geht nach Jsje [Ise].“2 In der Edo Zeit begrüßten die Ise-jingû 伊勢神宮 (Schreine von Ise) bei Uji-Yamada 宇治山田 jährlich Besucherströme von 200,000 – 400,000 Pilgern.3 Es mag zunächst unverständlich erscheinen, warum Menschen aus dem ganzen Land gerade diesen Ort aufsuchten.4 Kämpfers Erklärung: „Jeder Orthodore Sinsja [Gläubige des Shintos] ist verpflichtet, diesen heiligen Ort jährlich oder wenigstens einmal in seinem Leben zu besuchen. Ja eigentlich ist jeder Patriot, wessen Glauben und Sekte er auch sein mag, verbunden, dieses öffentliche Merkmal seiner Verehrung und Dankbarkeit gegen den Stifter und Nationalgott seines Landes an den Tag zu legen.“ Yamada 山田 an der Flussmündung des Miya 宮 war schon im Mittelalter als Shinto 神都 bekannt. Im späten 17. Jhd. sollen ca. 40,000 Menschen in der Stadt, im benachbarten Dorf Uji 宇治 ca. 8,000 Menschen gewohnt haben. Uji-Yamada liegt etwa 100 km Luftlinie (mindestens 150 km Landweg) süd-östlich von Kyôto 京都, im Süden der Ise 伊勢 Domäne (heutiges Mieken 三重県) am Zugang der Bucht von Ise zum Pazifik. Unweit der Hafenstadt Toba 鳥羽 im angrenzenden Landeszipfel der Shima 志摩 Domäne, ist der Ort gut zu See erreichbar. Im Umfeld der Stadt Uji-Yamada fanden sich neben den traditionell dem Kaiserhof verbundenen schintoistischen Schreinen auch viele buddhistische Tempel. Eine Wallfahrt nach Ise unterschied sich jedoch vom beschwerlichen Pilgern zu weit zerstreut liegenden religiösen Stätten: Je nach Wohnort konnte die Rundreise, z.B. von Ôsaka oder Kyôto - aber auch von 1
Nach einer ca. 100-jährigen Periode des schnellen Wachstums im 17. Jhd. – man spricht von einer Verdoppelung der Bevölkerung – stagnierte die Zahl registrierter Untertanen in den Aufzeichnungen des bakufu (1721 – 1846) bei 25 – 27 Mil. Zum Vergleich: die Bevölkerung Englands (ohne Schottland, Wales, Irland) wird für den Zeitraum 1600 – 1720 auf 4 - 5 Mil. geschätzt (Europa: 90 – 100 Mil.) und soll sich erst in den folgenden 125 Jahren (1720 - 1845) auf 16 Mil. Verdreifacht haben (Europa: Verdoppelung auf 200 Mil.). 2 KAEMPFER, Engelbert, Hsg: DOHM, Christian W.: “Viertes Kapitel: Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje”. In: Geschichte und Beschreibung von Japan, Drittes Buch. 3 An anderen Stellen in der Literatur werden 400,000 – 600,000 Besucher für eine Periode im 18. Jhd. genannt. Im Kontext dieses Artikels wäre das Verhältnis zahlender Gäste zu Bettler-Pilgern und die genaue Entwicklung über die Zeit interessant. Eine solche Urquellenarbeit war im Rahmen dieser Hausarbeit nicht möglich. 4 Gründe für Reisen gäbe es: Bruch mit dem Alltag, Zeit zur Besinnung, Neugierde und Wissensdurst, Abenteuerlust, neue Begegnungen und die Kameraderie der Reise, Bewunderung der Mitmenschen bei Rückkehr…
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