Das Pilgergeschäft von Ise durch die Edo-Zeit: seeing is believing

Page 10

noch mehrmals bis zur Bestimmung von Kyôto 京都 in der Heian-Zeit 平安時代 [794-1185] wechseln. Der gekû als Schrein führt seine Geschichte auf das Jahr 478 zurück. Eine naive Lesung der Gründungsmythe schließt einen ursprünglich natürlichen Offenbarungsund andere Verehrungsorte für Amaterasu nicht aus. Könnte Verehrung im stadtnahen gekû vor dem „1. Neubau“ des naikû begonnen haben? Vormachtstellung und Präzedenz von gekû und naikû beschäftigten auch den 3. shogûn Tokugawa Iemitsu [1604 – 1651]. 28 Die Affäre unterstrich Iemitsus Entschlossenheit, die Ise Priester zu korrigieren und Amaterasu dem „Drei Schreine“ Schema seiner göttlichen Legitimation einzufügen. Persönlich besuchte Iemitsu nur Nikkô, auf dessen Besuch durch kaiserliche und shogunale Emissäre er ebenfalls bestand. Ab 1640 wurde ein kôke 高家 (Intendant für zeremonielle Zwecke) in irregulären Abständen nach Ise gesandt. 1648 gestattete er dem tennô wieder, Emissäre zum kanname-sai 神 嘗 祭 (Erntedankfest) nach Ise zu senden. Damit war ein offizielles System etabliert, mit Nikkô und Ise als „Zwillingsorten“ und einer in der Person des Shogunes verkörperten „ewigen heiligen Autorität“, die keiner äußeren Legitimation des tennô mehr bedurfte.

Konstruierte Wirklichkeit: sankei mandala, Karten und Reiseführer Zeitgenössische Lagepläne und Karten des gekû und naikû sind interessant, da archäologische Ausgrabungen aufgrund der Vergänglichkeit von unbehandelten Holz-Stroh-Konstruktionen und dem stetigen Neubaurhythmus wenig aufschlussreich wären. Überlieferte Dokumente sind jedoch nicht repräsentativ und universal, können eine „konstruierte Wirklichkeit“ darstellen und aus moderner Perspektive missverstanden werden. Ein Beispiel sind die Ise sankei mandala 参詣曼荼羅, die verschiedenen Interpretationen standhalten und deren Herkunft Rätsel aufwirft.29 Augenscheinlich handelt es sich dabei um narrative Anleitungen: ausgelegt ähnlich wie eine Karte, werden neben den Sehenswürdigkeiten religiöse Praktiken, mythische Anspielungen, gelebte Traditionen und Verhaltensnormen gezeigt. Anders als eine Karte beschränkt sich das Layout nicht auf räumliche oder gar maßstäbliche Realität. Es wird vermutet, dass sankei mandala Wanderpredigern, kanjin hijiri 勧進聖, als Anschauungsmaterial für improvisierte erzählerische Darbietungen bzw. Bilderpredigten, etoki 絵 解 き , dienten. Format, Abnutzung- und Faltspuren deuten darauf hin, dass kanjin hijiri mit solchen kakemono 掛け物 (Hängerollen) als „Werbepromoter“ auf Reisen gingen. Die Produktion der sankei mandala wird aufgrund der Qualität der Malerei Stadtmalern zugeschrieben. Aufgrund des Inhalts sollen sie im Auftrag von buddhistischen Tempeln angefertigt worden sein.

28

Die Frage wurde von Ise Priestern zur Neujahraudienz 1636 in Edo aufgebracht und an das oberste Gericht geleitet. Der dem Kaiser verbundene kugyô 公卿 Nijô Yasumichi 二条 康道 [1607 – 1677] folgerte, der gekû müsse die Vormachtstellung behalten, da zwar beide Schreine den Titel Amaterasus trugen, der gekû aber den Vorfahren, der naikû den Eltern verbunden sei. Daher müsse die Präzedenz von Neujahrs-Opfergaben, erst am gekû und dann am naikû, beibehalten werden. Iemitsu zeigte sich mit dieser Folgerung unzufrieden. Sein Berater, der Gelehrte Razan Hayashi 林 羅山 [1583 – 1657] publizierte eine Zweitmeinung: bezüglich des gekû gäbe es verschiedene Gründungsmythen: Ninigi 瓊瓊, oder Kunitokotachi 国之常立, Mike-tsu-kami 三狐神 oder eben Toyo‘uke. Amaterasu sei nicht unter ihnen, ihr Name müsse daher mit dem naikû verbunden sein, der in allen Dingen, auch der Präsentation der Opfergaben, deshalb stets die Vormachtstellung genieße. 29 SCHNEIDER, Thomas: „Der Begriff des ie“. Seminararbeit der Japanologie, Universität zu Köln, 2020. Der zweite Teil des Essays beschäftigt sich mit der Problematik der Überlieferung von kulturellem Wissen und Methoden des inter-generationellen Wissenstransfers.

8


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Das Pilgergeschäft von Ise durch die Edo-Zeit: seeing is believing by Thomas5chneider - Issuu