Surprise Nr. 468

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Strassenmagazin Nr. 468 31. Jan. bis 13. Feb. 2020

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkaufenden

Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass

Amazon

Pakt mit dem Teufel

Amazon baut in Seattle eine Notunterkunft für Obdachlose. Zynisch oder echte Hilfe? Seite 8


Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENSTRASSENCHOR CHOR

CAFÉ CAFÉ SURPRISE SURPRISE

Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Sozialwerke

BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND UND BERATUNG BERATUNG

Unterstützung Unterstützung

Job Job

STRASSENSTRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information

SURPRISE SURPRISE WIRKT WIRKT

ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten

STRASSENSTRASSENFUSSBALL FUSSBALL

Expertenrolle Expertenrolle

SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSTADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel wechsel

Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, uns ohne staatliche sind aufHinsicht Spenden Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschenfinanzieren in der Schweiz. Unser Angebot Gelder wirkt inund doppelter – und auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC gewinnorientiert, 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1455 3Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht finanzieren uns ohne1255 staatliche surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

GESCHICHTEN GESCHICHTENVOM VOMFALLEN FALLEN UND UNDAUFSTEHEN AUFSTEHEN Kaufen KaufenSie Siejetzt jetztdas dasBuch Buch«Standort «StandortStrasse Strasse––Menschen MenschenininNot Notnehmen nehmen das dasHeft Heftinindie dieHand» Hand»und undunterstützen unterstützenSie Sieeinen einenVerkäufer Verkäuferoder odereine eine Verkäuferin Verkäuferinmit mit1010CHF. CHF. «Standort «Standort Strasse» Strasse» erzählt erzählt mitmit den den Lebensgeschichten Lebensgeschichten von von zwanzig zwanzig Menschen, Menschen, wie wie ununterschiedlich terschiedlich diedie Gründe Gründe fürfür den den sozialen sozialen Abstieg Abstieg sind sind – und – und wie wie gross gross diedie SchwierigSchwierigkeiten, keiten, wieder wieder aufauf diedie Beine Beine zuzu kommen. kommen. Porträts Porträts aus aus früheren früheren Ausgaben Ausgaben des des Surprise Surprise Strassenmagazins Strassenmagazins ergänzen ergänzen diedie Texte. Texte. Der Der Blick Blick aufauf Vergangenheit Vergangenheit und und Gegenwart Gegenwart zeigt zeigt selbstbewusste selbstbewusste Menschen, Menschen, diedie es es geschafft geschafft haben, haben, trotz trotz sozialer sozialer und und wirtschaftliwirtschaftlicher cher Not Not neue neue Wege Wege zuzu gehen gehen und und einein Leben Leben abseits abseits staatlicher staatlicher Hilfe Hilfe aufzubauen. aufzubauen. Surprise Surprise hathat siesie mitmit einer einer Bandbreite Bandbreite anan Angeboten Angeboten dabei dabei unterstützt: unterstützt: Der Der Verkauf Verkauf des des Strassenmagazins Strassenmagazins gehört gehört ebenso ebenso dazu dazu wie wie derder Strassenfussball, Strassenfussball, derder Strassenchor, Strassenchor, diedie Sozialen Sozialen Stadtrundgänge Stadtrundgänge und und eine eine umfassende umfassende Beratung Beratung und und Begleitung. Begleitung. 156156 Seiten, Seiten, 3030 farbige farbige Abbildungen, Abbildungen, gebunden, gebunden, CHF CHF 4040 inkl. inkl. Versand, Versand, ISBN ISBN 978-3-85616-679-3 978-3-85616-679-3 Bestellen Bestellen beibei Verkaufenden Verkaufenden oder oder unter: unter: surprise.ngo/shop surprise.ngo/shop Weitere Weitere Informationen Informationen T +41 T +41 6161 564 564 9090 9090 | info@surprise.ngo | info@surprise.ngo | surprise.ngo | surprise.ngo | Facebook: | Facebook: Surprise Surprise NGO NGO

Erlebnis Erlebnis


TITELBILD: FOTOMONTAGE BODARA

Editorial

Ablasshandel Während wir hierzulande nur sehr punktuell ­Obdachlosigkeit zu Gesicht bekommen, leben in der US-amerikanischen Tech-Metro­pole Seattle und Umgebung rund 11 000 Wohnungslose. Nur etwas mehr als die Hälfte kommen in Not­ unterkünften unter, die anderen in Zelten, unter Brücken oder im eigenen Auto. Das sind so viele Menschen, wie in Zofingen leben.

Die über 200 notleidenden Familien aber, die demnächst in den Amazon-Neubau in Seattle ein­ ziehen dürfen, stellen wohl nicht infrage, ob sie sich für Imagepflege instrumentalisieren lassen. Wer wird schon mit Kindern die Strasse ­einer Notunterkunft vorziehen? Niemand. Das weiss eben auch Amazon-Firmengründer und Multi­milliardär Jeff Bezos. Mehr ab Seite 8.

Diese Dimensionen kann man sich hierzulande kaum vorstellen. Was man sich hingegen gut ­vorstellen kann, ist der Unmut von Menschen, die sich trotz eines Vollzeitjobs die Miete für ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Denn solche Fälle kennen wir auch aus der Schweiz. Wenn sich dann noch ein ansässiger Grosskonzern – im Falle von Seattle zum Beispiel ­Amazon – gegen jede faire Besteuerung wehrt, fällt es schwer, demselben Konzern gute Ab­ sichten zu unterstellen, wenn er mit grosser Geste eine Notunterkunft eröffnet. Er lindert damit nur ein Problem, das er selbst mitverursacht.

Gute Nachrichten: In der letzten Ausgabe berichteten wir über einen Paragraphen in der Aargauer Sozialhilfeverordnung, der die Zwangsunter­ bringung von Sozialhilfeempfangenden ermöglichte. In der Zwischenzeit hat die Regierung den umstrittenen Gesetzestext aufgehoben. Ein Sieg für die Protestbewegung. Den Artikel von Benjamin von Wyl finden Sie online nachzulesen unter: surprise.ngo/strassenmagazin

SAR A WINTER SAYILIR

Redaktorin

4 Aufgelesen 5 Vor Gericht

Gugus! Dada!

6 Moumouni …

... auf dem gefährlichen Örtchen

7 Sozialzahl

Weniger Sozialhilfebeziehende

8 Amazon

Notunterkunft von Bezos Gnaden

Surprise 468/20

14 Zukunft

Suche nach Hoffnung

20 Migration

29 Wir alle sind Surprise

Der Strassenverkäufer Impressum

24 Kino

Wer wir sind

26 Veranstaltungen

Surprise abonnieren 30 Surprise-Porträt

«Das Leben ist doch schön»

27 Tour de Suisse

Pörtner in Bern Breitenrain

28 SurPlus Positive Firmen

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Aufgelesen

FOTOS: BRYAN ADAMS

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Als sie vor 21 Jahren obdachlos wurde, begann Sam Woodlock (links) das Strassenmagazin The Big Issue zu verkaufen; heute betreut sie andere Verkaufende. Robert Phillip Morrison verkauft in London Strassenmagazine.

Rockstar porträtiert Obdachlose Der Kanadier Bryan Adams ist nicht bloss ein weltbekannter Kuschelrocksänger, sondern auch ein leidenschaftlicher Fotograf, der bereits sieben Bildbände veröffentlicht hat. Sein neuestes Buch trägt den Titel «Homeless». Darin porträtiert er den Alltag und das Leben von 84 obdachlosen Verkaufenden der britischen Strassenzeitung The Big Issue. In einem Interview sagte Adams dazu: «Die Not der Menschen auf der Strasse ist riesig, und wir vergessen das oft. Es ist wichtig, darüber zu berichten, denn sie alle haben ihre Geschichten.» THE BIG ISSUE, LONDON

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Unbezahlbar

Die deutschen Tafeln fordern mehr Unterstützung durch die Poli­tik, was die ehrenamtliche Arbeit betrifft. Im Moment liegt dieses ­Engagement bei den Tafeln bei rund zwanzig Millionen Stunden. Die Tafeln fordern nun kostenfreie ÖV-Tickets für Ehrenamtliche. Darüber hinaus solle ehrenamtliches Engagement bei der Berechnung der Rente positiv ins Gewicht fallen. «Die Arbeit der Ehrenamtlichen ist für eine Gesellschaft unbezahlbar», sagt Jochen Brühl, Vorsitzender der Dachorganisation Tafel Deutschland. ­Würden die 60 000 Freiwilligen einen Mindestlohn erhalten, würde dies die Regierung 180 Millionen Euro kosten. Aktuell versorgen die Tafeln bundesweit 1,6 Millionen Bedürftige.

ASPHALT, HANNOVER

Unangesehen

Neun von zehn Deutschen haben Angst davor, einmal im Altersheim leben zu müssen. Trotzdem werden immer mehr solche ­Einrichtungen gebaut. Gleichzeitig fehlt es an Pflegekräften. Mehr als 23 000 Stellen sind in Deutschland nicht besetzt, rein rechnerisch kommen auf 100 offene Stellen 21 Bewerberinnen. Dabei liegt es nicht am Lohn. «Das Klischee vom schlecht bezahlten Job gilt für die Altenpflegerinnen und Altenpfleger schon lange nicht mehr», sagt Ina Schönwetter-Cramer, Leiterin des Käte-­ Reichert-Heims im Nürnberger Stadtteil St. Johannis. Ihrer Ansicht nach geniesst der Pflegeberuf ­einfach zu wenig Ansehen. «Das muss sich dringend ändern.» Schon heute sind in Deutschland drei Millionen Menschen pflege­ bedürftig, rund eine Million lebt in Heimen.

STRASSENKREUZER, NÜRNBERG

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Vor Gericht

Gugus! Dada! Wenn er überhaupt Aussagen macht, nuschelt der Beschuldigte kaum verständlich vor sich hin. Er bestätigt, eine Bodenlegerlehre angefangen und abgebrochen zu haben und dann auf Baustellen und im Service gejobbt zu haben. Jetzt arbeitet der 37-Jährige wieder als Bodenleger und wird vom Vater unterstützt. Ja, der Ex zahle er Kinderalimente, «manchmal». Nein, er wisse nicht, wie hoch seine Schulden sind. Der vorsitzende Oberrichter verliest sein Strafregister. Seit 2006 ergingen zahlreiche Urteile in mehreren Kantonen. Wegen Diebstahl, Hehlerei, versuchter Nötigung, Schwarzarbeit, Unterlassung von Unterstützungspflichten und Strassenverkehrsdelikten. Heute geht es – zum sechsten Mal – um Fahren ohne Fahrausweis. Zwei Polizist­ innen erwischten ihn, als er verbotenerweise links abbog. Sie fuhren ihm nach und beobachteten, wie der Mann auf der Fahrerseite ausstieg und ein Restaurant betrat. Der Beschuldigte bestreitet. Seine Freun­ din sei gefahren. Die Polizistinnen hätten ihn auf der Fahrerseite gesehen, weil sie ihr Handy im Auto vergessen hatte und er es holte. Sie hätten den Wagen kurz nicht gesehen, weil die Fahrt um die Ecke eines Gebäudes ging. Die Freundin bestätigte zunächst – widerrief aber und wurde wegen Irreführung der Rechtspflege verurteilt. Zu all dem will er nichts sagen. «Wirklich?», fragt der Richter. Schliesslich habe doch er Berufung eingelegt und einen Freispruch verlangt. Doch der Mann schweigt. Dafür zieht sein Anwalt alle Register. Es sei ein «vergiftetes Verfahren». Die Behörden hätten gegen Treu und Glauben und die Unschuldsvermutung verstossen und

des Beschuldigten Verfahrensrechte verletzt, als bei seiner Verhaftung kein Pflichtverteidiger bestellt wurde. Deshalb seien die Beweise nicht verwertbar. Und selbst wenn: Der Sachverhalt sei nicht zweifelsfrei erstellt. Er rekonstruiert den Ablauf gemäss Polizeirapport, inklusive Darstellung, wie weit man in zehn Sekunden gehen kann. Voilà: Es ist möglich, dass der Beschuldigte in der Zeit, als die Polizistinnen ihn nicht sahen, aus dem Auto stieg, zum Restaurant ging, umdrehte und das Handy holte. Der Verteidiger versuche einen Alternativsachverhalt herbeizurechnen, sagt hingegen der Staatsanwalt. Fakt sei: Die Freundin habe zuerst ausgesagt, der Beschuldigte sei gefahren. Dann behauptete, sich geirrt zu haben, sie sei gefahren. Und änderte wieder ihren Standpunkt, als ihr Alkoholtest positiv war. Auch unterschlage der Verteidiger, dass die Polizistinnen den Beschuldigten auf sein Recht auf anwaltliche Vertretung hinwiesen – doch dieser verzichtet habe. Die Richter fragen sich, wie der Verteidiger darauf komme, dass die Polizei 28 km/h fuhr und dass sie dem Beschuldigten so gemütlich hinterhertuckerte: unwahrscheinlich. Die Version des Anwalts lasse auch ausser Acht, dass Anhalten, Motor abstellen, Sicherheitsgurte ablegen und Aussteigen dauert – in dieser Zeit hatten die Polizistinnen längst wieder Blickkontakt. Wegen der Vorstrafen setzt es eine relativ hohe Strafe von einem Jahr Gefängnis unbedingt. Denn, so der leicht verärgerte Ober­richter: «Solche Unbelehrbarkeit habe ich trotz langjähriger Gerichtspraxis noch selten erlebt.»

Y VONNE KUNZ  ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

Ich musste ein wenig sehr fest schmunzeln, als ich mal hörte, wie einer WC-­ Besucherin das allzeit bereite Handdesin­ fektionsmittel in der WC-Kabine auf den Boden fiel. Ein markerschütternder Schrei. Die Abhilfe gegen Bakterien liegt auf dem kontaminierten Boden! Was tun? Die Frau entschied sich nach ­längerem Zögern dazu, das Mittel auf dem Boden zurückzulassen, zu risikoreich. Und ich muss zugeben, dass es auch mich ab und an packt, es ist fast zu einem Spiel geworden: Wie vielen unsichtbaren Monstern kann ich ausweichen? Auch ich öffne die WC-Tür manchmal nur mit dem kleinen Finger. Mag übertrieben sein.

Moumouni …

… auf dem gefährlichen Örtchen Wenn es einen Tick gibt, der gesellschaftlich akzeptiert ist, und wenn die deutsche Grammatik eine Steigerungsform von akzeptiert zulässt, so ist der gesellschaftlich akzeptierteste, am offensten ausgelebte Tick wohl der Ekel vor ­Bakterien in öffentlichen WCs. Er äussert sich in fast abergläubischen Ritualen, um ja nicht in Berührung mit Bakterien zu kommen, die nahezu die Rolle von bösen Geistern übernommen haben. Unsichtbar, heimtückisch und gefährlich! Seit nun Fernsehsendungen wie «Galileo» und Co. verbreitet haben, dass die Gefahr nicht nur von der WC-Schüssel ausgeht, sondern auch vom Türgriff und dem Knauf vom Wasserhahn, finden auf dem WC witzige Szenarien statt im Kampf darum, 6

die Tür mit den frisch gewaschenen Händen nicht anlangen zu müssen. Da timen Besucherinnen des Damen-WCs ihr Händewaschen und Spiegelgucken so, dass sie genau dann fertig sind, wenn ­jemand von aussen die Tür öffnet, oder sich eine andere Person mutig opfert, manchmal mit der Hand im Ärmel. In der Kabine jedoch sind alle auf sich selbst gestellt. Die Spülung könnte so dreckig wie der Türgriff sein, also am besten nur mit WC-Papier betätigen. Und dann spritzen WCs ja angeblich bei der Spülung die Bakterien nur so umher, wer will das schon im Schal haben? Was, wenn der Schal aber genau während des Spülens plötzlich leger vom Hals rutscht, auf den Boden?

Im Gegenzug wirklich VOLLKOMMEN übertrieben ist: im Zugklo den WC-Deckel zu schliessen. Das macht keinen Sinn! In der Häufigkeit sehe ich das auch nur in Schweizer Zügen, in anderen Län­dern hält man sich an die Gesetze der Menschheit: Niemand will einen Zug-WC-Klo­ deckel anfassen! So läuft die Welt, so ist das nun einmal. Nur in der Schweiz nicht. Niemand besteht so sehr auf dem Touri-Klischee von Sauberkeit. Ich habe manchmal das Gefühl, die Übeltäter sind Leute, die einen Punkt daraus ­machen wollen, wie sauber die Schweiz ist. Die BESTE Schokolade, der BESTE Käse, die BESTEN Qualitätsuhren, die PRAKTISCHSTEN Messer, die SCHÖNSTEN Berge, das PRAKTISCHSTE Ab­ fallsystem unter der Spüle und die SAUBERSTEN Zug-WCs. Wer sonst könnte den Zugdeckel freiwillig anlangen wollen, als eine verrückt gewordene Patriotin, die darauf hinweisen möchte, wie sauber er ist? Zugegeben, er ist auch mega-sauber, aber trotzdem nochmals: Niemand will einen Zug-WC-Klodeckel anfassen! Auch nicht in mit Kuhglockengebimmel und Bergkulissen tapezierten Zug-WCs! Wollte ich im neuen Jahr nur mal noch gesagt haben.

FATIMA MOUMOUNI  liebt öffentliche WCs in der Schweiz, weil sie so sauber sind. Doch die Bitte im neuen Jahr: Finger weg vom WC-Deckel im Zug, ausser es gibt triftige Gründe!

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INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK: BEVÖLKERUNGSSTATISTIK, SOZIALHILFESTATISTIK. NEUCHÂTEL 2019.

Die Sozialzahl

Weniger Sozialhilfebeziehende Kurz vor Weihnachten machte das Bundesamt für Statistik auf eine erfreuliche Entwicklung aufmerksam. Die Sozialhilfequote in der Schweiz ging erstmals seit 2008 zurück und beträgt für das Jahr 2018 noch 3,2 Prozent. Bemerkenswert ist vor ­allem, dass die Gesamtzahl der Sozialhilfebeziehenden ebenfalls abgenommen hat. Sie reduzierte sich um rund 5600 ­Personen und umfasst noch 272 738 Menschen, die wirtschaftliche Hilfe von den Sozialdiensten in Anspruch nehmen. Obgleich die Entwicklung in fast allen Kantonen in dieselbe Richtung weist ist, wäre es verfrüht, von einer Trendwende zu reden. Zudem ist unklar, auf welche Ursachen dieser Rückgang zurückzuführen ist. Sicher spielt die positive Situation auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle, obwohl die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse auch in der Schweiz voranschreitet. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die ­Situation der Ausländerinnen und Ausländer in der Sozialhilfe. Auch hier lässt sich die Sozialhilfequote berechnen, indem man die Anzahl der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung mit jener der ausländischen Sozialhilfebeziehenden vergleicht. Diese Sozialhilfequote schwankt in den letzten zehn Jahren zwischen 5,8 und 6,1 Prozent. Dabei ging 2018 auch bei der ausländischen Wohnbevölkerung die Sozialhilfequote erstmals seit fünf Jahren wieder zurück und beträgt noch 6 Prozent. Die absolute Zahl der ausländischen Sozialhilfebeziehenden sank gegenüber dem Vorjahr ebenfalls um rund 3400 Personen auf 128 754 Menschen.

Betrachtet man einzelne Länder, so finden sich dagegen beträchtliche Unterschiede zwischen den Sozialhilfequoten. So weist die ausländische Wohnbevölkerung aus der Europäischen Union und der EFTA-Staaten mit einer Sozialhilfequote von 2,9 Prozent sogar einen geringeren Wert auf als jene der schweizerischen Wohnbevölkerung. Dies spiegelt die hohe berufliche Quali­ fikation der Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus diesen Ländern wider. Ganz anders sieht das für Immigranten aus ­Afrika und Lateinamerika aus. Sie tragen ein sehr viel höheres Armutsrisiko. Hier betragen die Sozialhilfequoten denn auch 29,6 und 12,3 Prozent. Menschen, die aus diesen Regionen in die Schweiz kommen, ­haben oft sehr viel mehr Mühe, sich in den hiesigen Arbeitsmarkt zu integrieren und eine dauerhafte Anstellung zu finden. Es ist darum folgerichtig, dass der Bundesrat in seinem Katalog von Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräfte­ potenzials ein besonderes Augenmerk auf diese Bevölkerungsgruppen wirft. So soll zum Beispiel die «Integrationslehre» ­verlängert und ausgebaut werden. Damit werden neu spät zugewanderte Jugendliche und junge Erwachsene auf eine Berufslehre vorbereitet. Ferner werden Arbeitsintegrationsmassnahmen ergriffen, um schwer vermittelbaren Stellensuchenden mit ­individueller Unterstützung – Coaching, Beratung oder Mentoring – den Weg in eine Anstellung zu ebnen. Damit nimmt der Bundesrat die Bildungseinrichtungen und die Arbeitslosen­ ver­sicherung in die Pflicht und entlastet so die Sozialhilfe.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL  ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Anzahl ausländische Sozialhilfebeziehende (ohne Asylsuchende und Flüchtlinge) und die Sozialhilfequote (in Prozent) der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung 150 000

120 000

99 105

101 681

104 128

112 698

117 575

119 922

122 263

6,0%

6,0%

2014

2015

127 582

132 129

128 754

90 000

60 000

5,8%

5,8%

2009

2010

6,0%

6,1%

6,1%

6,2%

6,0%

5,7%

30 000

0

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2011

2012

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2016

2017

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Charity statt Steuern Amazon Der Onlinegigant Amazon kassiert Milliarden Gewinne, zahlt aber keine Steuern. Dafür eröffnet

er an seinem Hauptsitz in Seattle eine Notunterkunft für Obdachlose. Echte Hilfe oder bloss PR? TEXT  GERD SCHILD FOTOS  MATT LUTTON

Der Onlinehandelsgigant Amazon öffnet seine Türen für Obdachlose: Im Frühjahr eröffnet mit «Mary’s Place Family Center» eine Notunterkunft im neu gebauten Bürokomplex von Amazon in Downtown Seattle. Auf acht Etagen und fast 6000 Quadratmetern Nutzfläche sollen hier temporär 275 Väter, Mütter und Kinder unterkommen. Ziel ist es, wohnungslosen Familien eine sichere Basis zu bieten, von der aus sie möglichst schnell in reguläre Wohnungen ziehen können. Manche sehen in der Zusammenarbeit der Hilfsorganisation Mary’s Place mit dem Wirtschaftsgiganten Amazon einen Pakt mit dem Teufel. Marty Hartman, als Leiterin von Mary’s Place für die neue Notunterkunft verantwortlich, lässt sich aber auf solche Vergleiche nicht ein. «Es ist ein Geschenk», sagt sie. In einem Image-Video sieht man sie mit John Schoettler, der bei Amazon für Bauprojekte zuständig ist. «Wir sind alle Nachbarn, wir leben alle zusammen in der Stadt», sagt Schoettler da. Die Notunterkunft wird von Mary’s Place geführt, zahlreiche Amazon-Mitarbeiter sollen als Ehrenamtliche mitwirken. Für die betroffenen Familien ist die Diskussion über das Für und Wider einer Zusammenarbeit mit Amazon wohl zweit­ rangig: Da die zahlreichen Notunterkünfte in der Stadt aus allen Nähten platzen, sind sie für jede neue temporäre Unterkunft dankbar. Auch wenn der Wechsel von der Strasse in den Glaspalast mit Blick auf die Spheres, das gigantische Amazon-Gewächshaus, manche Betroffene seltsam anmuten mag. Amazon ist in Seattle in den letzten Jahren enorm gewachsen. Weit mehr als 50 000 Mitarbeitende hat der Konzern in der Stadt im Bundesstaat Washington heute, das ist zehnmal mehr als vor zehn Jahren. Gleichzeitig belegt der Onlinehändler in Seattle mehr als ein Fünftel der gesamten Bürofläche der Stadt. Trotzdem zahlte der Konzern einem Bericht des US-amerikanischen Instituts für Steuer- und Wirtschaftspolitik (ITEP) zufolge schon im zweiten Jahr in Folge keine Steuern auf den US-Gewinn, der sich von 5,6 Milliarden Dollar im Jahr 2017 auf 11,2 Mil8

liarden Dollar im Jahr 2018 fast verdoppelt hat. Das letzte Jahrzehnt war auch für Seattle eine Zeit der Rekorde. Seit 2010 ist die Bevölkerung mit 136 000 Neuzuzügen stärker angestiegen als in den dreissig Jahren zuvor - die am schnellsten wachsende Grossstadt der USA. Und nicht nur die Bevölkerung nimmt zu: Auch das mittlere Haushaltseinkommen stieg seit 2010 um 33 000 Dollar auf heute 93 500 Dollar und liegt damit deutlich über dem landesweiten Wert von knapp 62 000 Dollar. «Seattle is dying» Während viele also immer besser verdienen und ihr Essen in den neuen Restaurants und schicken Arkaden geniessen, die hier im Wochentakt eröffnen, werden andere an den Rand gedrängt. Die Durchschnittsmiete in Seattle liegt mittlerweile bei 2000 Dollar im Monat. Selbst Menschen, die einer regulären Arbeit nachgehen, verlieren aufgrund der kontinuierlich steigenden Preise ihre Behausung. Es gibt in Seattle und Umgebung mehr als 11 000 Wohnungslose, rund die Hälfte von ihnen lebt direkt auf der Strasse. Regelmässig lässt die Stadt illegale Zeltlager räumen. Gleichzeitig nimmt der Hass gegen Menschen zu, die auf der Strasse leben. Mitarbeitende von Hilfsorganisationen berichten über Beschwerden aus der Bevölkerung: Es geht um Abfall, um die Zelte in den Parks der Stadt, um die Angst vor Drogen. Eine TV-Dokumentation von 2019 hat dabei einen Nerv getroffen. Ihr Titel «Seattle is dying» prognostiziert plakativ den Tod der Stadt. Produziert von einem Lokalsender, lässt die Sendung Anwohnerinnen, Polizisten, Geschäftsleute und Touristinnen das Bild einer Stadt zeichnen, in der man sich unter anderem wegen der Obdachlosen, wegen Gewalt und Drogen nicht mehr gefahrlos bewegen könne. Die Doku bildet eine grundlegende Verunsicherung ab, ausgelöst durch die immensen Veränderungen. Dabei glänzt Downtown Seattle heute mehr denn je, die Zahl der Verbrechen ist in allen relevanten Bereichen geringer als etwa Anfang der 1990er-Jahre. Gleichzeitig nimmt das Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung zu. Wer am Abend durch die Strassen von Seattle spaziert, sieht an jeder Ecke die Zeichen des Surprise 468/20


Wandels: Zelte, Verschläge oder die beschlagenen Scheiben von alten, am Strassenrand geparkten Autos – und fragt sich womöglich, ob er oder sie auch bald dazugehört. Viele reagieren mit einem klaren Bedürfnis nach Abgrenzung von denen, die es bereits getroffen hat. Und so leiden die Obdachlosen doppelt an den negativen Folgen des neuen Wohlstands: Nicht nur müssen sie sich mit dem Leben auf der Strasse arrangieren, sie werden auch noch zur Zielscheibe gesellschaftlichen Hasses und der Räumungsaktionen durch die Polizei.

Der Victor-Steinbrueck-Park mit seinem Blick auf Seattles Skyline ist als Treffpunkt für Obdachlose und Drogenumschlagplatz bekannt.

Im Grossraum Seattle fehlen schätzungsweise 156 000 bezahlbare Wohnungen.

Für manche ein Retter, für andere ein Teufel: Amazon-Gründer Jeff Bezos. Surprise 468/20

Es fehlt an Geld Den Menschen auf der Strasse könnte besser geholfen werden, hätten die Behörden in der Bundeshauptstadt Washington D.C., im Staat Washington und in der Stadt Seattle mehr Geld – so simpel, so wahr. Dass es daran fehlt, liegt auch an der Steuervermeidungspolitik grosser Unternehmen in den USA. Hier spielt wieder Amazon eine Vorreiterrolle: In den Jahren zwischen 2009 bis 2018 erzielte der Onlinehändler nach eigenen Angaben einen Gewinn von rund 26,5 Milliarden Dollar und zahlte 791 Millionen Dollar Steuern – das ergibt einen effektiven Bundessteuersatz von 3,0 Prozent, wie das ITEP errechnet hat, und liegt somit deutlich unter dem für den Zeitraum überwiegend geltenden Körperschaftssteuersatz von 35 Prozent. Möglich ist das, so die Analysen, aufgrund legaler Steuerschlupflöcher, die auch die meisten anderen grossen Unternehmen nutzen. Statt es dem Staat zu überlassen, stecken Unternehmensgründer wie der Amazon-CEO Jeff Bezos ihr Geld lieber in Stiftungen, ihre eigenen wohlgemerkt. Im Grossraum Seattle sitzen neben der Familie Bezos mit den Microsoft-Gründern Bill Gates und dem kürzlich verstorbenen Paul Allen noch weitere Multimilliardäre, die bei den Steuern zu sparen wissen, um dann Philanthropen zu werden: mit Stiftungen, die ein Milliardenkapital aufweisen. Jeff Bezos gründete im Jahr 2018 mit seiner Frau MacKenzie, von der er mittlerweile getrennt ist, eine mit zwei Milliarden Dollar ausgestattete Stiftung, um wohnungslosen Familien zu helfen und Vorschulen zu schaffen. Davon spendet Amazon etwa 100 Millionen Euro über die nächsten Jahre an Mary’s Place. Für die Hilfsorganisation, die 1999 als Tagestreff in der Kirchgemeinde Mary Magdalene begann, ist die neue Notunterkunft im Amazon-Büroturm natürlich ein Meilenstein. Im Jahr 2016 war Mary’s Place für zwei Jahre in ein altes Hotel gezogen, das Amazon gekauft hatte, um es abzureissen und auf dem Gelände neue Bürotürme zu bauen. Man kam ins Gespräch. Amazon riet Mary’s-Place-Leiterin Marty Hartmann, «gross zu denken». So entstand die Idee für die Notunterkunft im Glasturm, die jetzt kurz vor der Eröffnung steht. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Seattle hat viele Gründe. Tatsächlich kann man nicht nur Amazon, den anderen Tech-Unternehmen und ihrem schnellen Wachstum allein die Schuld an der Krise geben. Im Grossraum Seattle fehlen nach Angaben der Task Force für den Bezirk King County schätzungsweise 156 000 bezahlbare Wohnungen. Dagegen fallen mehr als neunzig Prozent der in den vergangenen Jahren gebauten Wohnungen in die Rubrik Luxuswohnungen. Die Behörden scheinen mit dem rasanten Wachstum der Stadt nicht mitzukommen. Die Seattle Times zeigte kürzlich in einer Analyse von Daten aus dem Rathaus, dass die Zeit für den Erhalt einer Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus seit 2014 um rund sechzig Prozent gestiegen ist. Projektverantwortliche sagen, 9


Umsatz von Amazon weltweit in den Jahren 2005–2018 (in Milliarden US-Dollar) 232,89

250

177,87

200

10

11

12

13

107,01

09

88,99

34,2

08

75,45

24,51

07

61,09

19,17

2005 06

48,08

14,84

0

8,49

50

10,71

100

14

15

135,99

150

16

17

18

QUELLE: MACROTRENDS.NET

Amazons effektiver Steuersatz über die letzten 10 Jahre (in Milliarden US-Dollar) 0,5

0,45

0,4 0,3

0,21

0,2 0,1

0,13 0,03

0,03

0,12

0,0

-0,129

-0,1 -0,2

-0,14 2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

QUELLE: INSTITUTE ON TAXATION AND ECONOMIC POLICY ANALYSIS OF SEC FILINGS

Matratzenstapel in einer Notunterkunft der Union Gospel Mission in Downtown Seattle. Der Unterkunft wird nachgesagt, eine gefährliche und rauhbeinige Klientel zu haben.

Bevölkerungsentwicklung in Seattle 1 000 000

750 000 600K

500 000

AMAZON BOOM

100K

MICROSOFT BOOM

300K 200K

BOEING KRISE

400K BOEING BOOM

0

500K GOLD RAUSCH

250 000

700K

1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 18

QUELLE: S&P/CASE-SHILLER HOME PRICE INDICES

Immobilienpreise in Seattle und Umgebung

275 Dollar pro Arbeitsplatz und Jahr sollten die Unternehmen zahlen. Das ging ihnen zu weit.

80 70

54,03%

Seattle und Umgebung USA gesamt

60 50

28,23%

40 30 20 10 0

2014

2015

2016

2017

2018

2019

QUELLE: U.S. CENSUS BUREAU

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dass die Genehmigungsbehörde nicht schnell genug Personal eingestellt habe. Die Behörde selbst meint, dass die Unternehmen zu lange brauchten, um die erforderlichen Korrekturen an ihren Anträgen vorzunehmen – und so zumindest eine Mitschuld an den Verzögerungen trügen. Ein anderes Problem ist, dass jahrelang viele Initiativen und Projekte von Stadt und Region nebeneinanderherliefen und zu wenig koordiniert waren. Deshalb verpufften viele Gelder, statt wirklich etwas zu bewegen. Dem will man in der Region jetzt Gegensteuer geben. «One Table» heisst ein runder Tisch, der alle Beteiligten aus Stadt und Umland, aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen soll. Dass dieser erst drei Jahre nach Ausrufung des Notstands einberufen wurde, kann man der Politik ankreiden. Ebenso die mangelnde Durchsetzungskraft bei einer der wichtigsten Reformen, die jetzt langsam angegangen wird: die Änderung des Bebauungsrechts. Denn Seattle ist, zugespitzt formuliert, eine einzige Einfamilienhaus-Siedlung – 75 Prozent der Fläche sind entsprechend bebaut. Nach jahrelangen Debatten hat der Stadtrat nun weitreichende Änderungen durchgesetzt, die eine stärkere Verdichtung zulassen sollen, auch durch den Bau kleinerer Häuser in Hinterhöfen.

In der Kapelle der christlichen Hilforganisation City Team ­Ministries werden die Schlafplätze per Losverfahren abgegeben. Wer kein Glück hat, kann in die verrufene Union Gospel Mission weiterziehen.

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Druck aus der Wirtschaft Gleichzeitig konnte man im Frühling 2018 beobachten, dass dem politischen Einfluss der Stadt auf die Wohnraumentwicklung klare Grenzen durch die grossen Unternehmen vor Ort gesetzt werden. Um mehr Geld für bezahlbaren Wohnraum und für Menschen auf der Strasse zur Verfügung zu haben, entwickelte der Stadtrat im Jahr 2018 die sogenannte «Head Tax», eine Art Kopfsteuer. 275 Dollar pro Arbeitsplatz pro Jahr sollten Unternehmen zahlen, die mehr als zwanzig Millionen Dollar Umsatz pro Jahr machen. Der linksliberal dominierte Rat stimmte geschlossen für die Steuer, rund fünfzig Millionen Dollar pro Jahr sollte Seattle damit zusätzlich einnehmen. Weniger als einen Monat später stimmte derselbe Rat mit sieben zu zwei Stimmen dafür, dieselbe Kopfsteuer wieder aufzuheben. Was war passiert? Seattle gilt als fortschrittlich. Hier gab es früh viel Unterstützung für einen Mindestlohn von fünfzehn Dollar pro Stunde und Verordnungen, die Menschen in Schichtarbeit bessere Planung zusichern sollten. Doch die neue Steuer ging den wirt­schafts­freundlichen Kräften zu weit. «Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte», befand Heather Redman, Mitbegründerin einer Risikokapitalgesellschaft und Vorsitzende der Handelskammer von Seattle. Amazon habe bei den Verhandlungen über die Kopfsteuer eigentlich der Einführung von einem Betrag von 275 Dollar zustimmen wollen, sagt die progressive Stadträtin und Arbeitsrechtlerin Teresa Mosqueda. Unmittelbar nach dem Ratsvotum kam jedoch die Kehrtwende. Amazon wandte sich gemeinsam mit anderen Unternehmen wie Starbucks plötzlich offen gegen die Steuer. So stoppte Amazon die Arbeiten an einem Büroturm in der Innenstadt. Ein Sprecher sagte, man überlege sich, stattdessen sogar Büroflächen unterzuvermieten. Eine offene Drohung, nicht weiter zu investieren und das Wachstum in Seattle zu bremsen. «Als Amazon ankündigte, dass sie die Bauarbeiten stoppen, veränderten sie die Dynamik – und sie waren erfolgreich», sagt das ehemalige Ratsmitglied Mike O’Brien. Im Rathaus ging die Angst um, dass Amazon und andere Unternehmen mit einer gros­ sen Kampagne bei den nächsten Wahlen ihnen genehme Politikerinnen und Politiker in den Rat drücken könnten. Gleichzeitig 11


war längst eine Diskussion darüber entbrannt, warum die Stadt trotz der wachsenden Sozialbudgets die Obdachlosigkeit nicht in den Griff bekam. Politischer Gegenwind Bei den Stadtratswahlen im November 2019 wollten die wirtschaftsfreundlichen Kräfte die Unzufriedenheit der Bevölkerung nutzen, um den Stadtrat zu ihren Gunsten zu verändern. Bis zur Affäre um die Kopfsteuer hatte Amazon sich weitgehend aus den Angelegenheiten der Stadt herausgehalten. Und jetzt spendete der Riese 1,4 Millionen Dollar an die Wahlkampfkasse der Handelskammer. Vier Jahre zuvor waren es gerade mal 25 000 Dollar gewesen. Amazon forderte auch seine Belegschaft auf, wählen zu gehen. Erklärtes Ziel: die Wiederwahl der linken Kandidatin Kshama Sawant zu verhindern. Sawant war eine treibende Kraft für die Einführung des Mindestlohns von 15 Dollar gewesen. «Wir dürfen nicht zulassen, dass Jeff Bezos das Rathaus kauft», konterte Sawant – mit Erfolg: Die riesige Wahlspende flog Bezos und Co. um die Ohren. Sawant und andere linke Politikerinnen zogen wieder in den Stadtrat ein. Das Jahr 2020 könnte nun für Amazon ungemütlich werden. Mitte Januar beschloss der Stadtrat eine Verordnung, die jenen Unternehmen Spenden bei lokalen Wahlen untersagt, die zu mehr als fünf Prozent in ausländischem Besitz stehen. Der Entscheid scheint direkt auf Amazon zu zielen – mindestens neun Prozent der Unternehmensanteile befinden sich in nichtamerikanischem Besitz – und ist eine direkte Reaktion auf die Rekordspenden vom November. Nur wenige Stunden nach der Abstimmung startete Ratsmitglied Kshama Sawant ihre Kampagne «Tax Amazon 2020». Ziel: eine faire Besteuerung des Unternehmens. Auch Bürgermeisterin Jenny Durkan liess durchblicken, dass sie an Konzepten für eine stärkere Besteuerung grosser Unternehmen in der Region arbeitet. Jeff Bezos’ Engagement bei Mary’s Place ist derweil schon zum Thema für Witze geworden: «Was? Amazon setzt Mitarbeitende unter Druck, die sich gegen die schlechte Umweltbilanz des Konzerns stellen? Ach, sollen sie noch eine Million an Mary’s Place spenden!» Die zurückgezogene Kopfsteuer hätte Amazon übrigens nur einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr gekostet – weit weniger, als Bezos und seine Kollegen von Microsoft, Starbucks und Co. heute freiwillig für Projekte rund um bezahlbares Wohnen geben.

Ein Obdachloser fragt um Geld für ein Bus­ticket, das ihn zu seiner Familie bringen soll. Er hat sie seit Monaten nicht gesehen – auch weil er sich für seine Lage schämt.

«Wir dürfen nicht zulassen, dass Jeff Bezos das Rathaus kauft.» KSHAMA SAWANT, STADTR ATSABGEORDNE TE

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Kommentar

Es braucht Mut Seattle hat die dritthöchste Zahl von Wohnungslosen in den USA. Etwa ein Drittel von ihnen lebt auf der Strasse. Die Wohnkosten in Seattle sind in den letzten fünf Jahren um 60 Prozent gestiegen. Eine Ursache dafür ist der Zuzug von immer mehr wohlhabenden Menschen. Präsident Trump will nun untersuchen lassen, inwiefern eine Deregulierung des Wohnungsmarktes das Angebot erhöhen könnte.

Die erste Woche schläft man in der Notunterkunft der City Team Ministries gratis, dann kostet ein Schlafplatz 3 Dollar die Nacht. Folglich kommen hier viele unter, die gerade erst auf der Strasse gelandet sind.

Essensmarken und Gelegenheitsjobs werden hier ausgegeben. Viele nutzen das Warten, um sich in der Wärme ein wenig auszuruhen.

Dieser Vorschlag löst das Problem nicht. Private Investoren wollen Profit machen, und Wohnungsuchende, die keinen Profit abwerfen, bekommen in diesem System keinen Wohnraum. Daran wird die Deregulierung nichts ändern. Auch wohltätige Spenden nützen nur vordergründig. So hat Amazon 2 Milliarden Dollar für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit und für Früherziehung bereitgestellt. Auch Apple hat 2,5 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Obdachlosigkeit in Kalifornien zugesagt. Dieses ­Engagement ist notwendig, aber nicht ausreichend. Echte Lösungen im Kampf gegen die Wohnungslosigkeit erfordern jährlich etwa 30 Milliarden Dollar für Wohnungsbauund Wohnraum-Subventionen. Statt so zu tun, als seien sie unsere Retter, sollten die Wirtschaftsgiganten lieber ihre Steuern zahlen wie alle anderen auch. Denn öffentliche Bedürfnisse werden am besten durch öffentliche Mittel bedient, nicht durch private Wohltätigkeit. Seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981–1989) haben wir immer weniger Mittel in öffentliche Güter wie Wohnraum, Gesundheitsversorgung und soziale Dienstleistungen investiert. Die neoliberale Wirtschaftsordnung hatte das Ziel, die Armen zu entmachten und gleichzeitig eine Steuererleichterung nach der anderen zu gewähren, um den Reichtum und die politische Macht der Wohl­ habenden zu vergrössern. Dadurch wurde in den letzten vier Jahrzehnten die Beziehung zwischen den Besitzen­den und dem Wohl der Allgemeinheit gekappt. Die echte Lösung für die Obdachlosigkeitskrise besteht darin, diese Beziehung wiederherzustellen.

FOTO: ZVG

Die Ursachen der Wohnraumkrise sind nicht wirklich kompliziert oder schwer zu finden. Mit etwas politischem Mut sind es auch die Lösungen nicht.

TIM HARRIS ist Gründer und Geschäftsleiter der Strassenzeitung Real Change. Bevor er 1994 nach Seattle zog, gründete er in Boston bereits die Strassenzeitung Spare Change.

REAL CHANGE, SEAT TLE

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Das Klima, die Angst und ich Zukunft Es ist zum Verzweifeln. Scheinbar ungebremst steuern wir dem

ökologischen Selbstmord entgegen. Ich suchte nach glaubwürdigen Argumenten für Hoffnung – und durchschaute mich am Ende selbst. TEXT  ANDRES EBERHARD ILLUSTRATION  LUCA SCHENARDI

«Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken.» So beginnt der New-York-TimesBestseller «Die unbewohnbare Erde» von David Wallace-Wells. Das Buch, das mir ein Freund empfahl, ist ein Tiefschlag für meine bereits angeschlagene Psyche. Es handelt nicht nur von den Folgen der Klima­ erwärmung – was schlimm genug wäre –, sondern zeigt auch auf, wie wahrscheinlich diese sind und wie wenig wir tun, damit es nicht so weit kommt. Nach einigen Seiten halte ich es nicht mehr aus und lege das Buch auf den Nachttisch, wo es lange ungelesen liegen bleiben wird. Für die Verzweiflung, die es in mir auslöst, ist in meinem Alltag zurzeit kein Platz. Ich habe mich dafür entschieden, der Zukunft zu vertrauen, damals vor rund drei Jahren, und ich kann nicht zurück. Meine zwei Kinder sind gerade daran, die Welt zu entdecken. Diese Begeisterung will ich ihnen nicht nehmen. Denn statt ihnen Zukunftsangst einzuimpfen, möchte ich ihnen vorleben, dass es sich lohnt, auf dieser Welt zu sein, und dass es zählt, was sie mit ihrem Leben anstellen. Ich habe also keine Wahl: Ich muss positiv bleiben. Das Bild, das mir Wissenschaft und Medien täglich von der Welt zeichnen, bietet allerdings nicht viel Grund zur Hoffnung. Vor allem beim Thema Klima­erwärmung fehlen mir für Optimismus schlicht die Argumente. Surprise 468/20

Darum habe ich mich auf die Suche gemacht – nach Stimmen, die davon überzeugt sind, dass wir Menschen den Schnellzug in Richtung Apokalypse noch rechtzeitig umlenken können. Damit meine ich nicht jene Zeitgenossen, welche die sorgfältig eruierten Fakten der Wissenschaft anzweifeln oder alles für übertrieben und nicht so schlimm halten. Die Leugner und Skepti­ kerinnen helfen nicht weiter. Ich brauche glaubwürdige Optimisten, die grössten unseres Planeten. Think pink Diese Suche begann ich vor rund einem Jahr. Unser Sohn war anderthalb Jahre alt. Die Turbulenzen der Anfangszeit waren überstanden, in unseren Köpfen wieder Raum für Neues. Mit meiner Frau besuchte ich erstmals seit der Geburt wieder gemeinsam eine Kulturveranstaltung – es war ein Gespräch mit dem Harvard-Professor Steven Pinker, der kurz zuvor ein Buch veröffentlicht hatte mit dem Titel «Aufklärung jetzt!». Vom Moderator wurde der Psychologe mit den Worten angekündigt: «No matter how pink you think, Steven thinks pinker.» Das traf die Haltung des renommierten Wissenschaftlers ziemlich gut. Egal, ob Sicherheit, Gesundheit, Terrorismus oder Demokratie – für alles hatte Pinker eine Statistik bereit, die zeigt: Die Welt wird besser, nicht schlechter. Und Fakten lügen schliesslich nicht.

Was also hat Steven Pinker zur Klimaerwärmung zu sagen? Ich blättere in seinem Mammutwerk. Die Fakten seien «zweifellos alar­mierend» und «zum Haare raufen». Doch der technische Fortschritt werde die Dekarbonisierung, also eine CO2-freie Wirtschaft, letztlich möglich machen. «Uns stehen einige praktikable Möglichkeiten offen, den Schaden abzuwenden, und wir verfügen über die Mittel, um mehr dazuzulernen. Probleme sind lösbar», schreibt er. Die Zukunft kann auch Pinker nicht vorhersehen, und warum sollte ich einem Psychologen mehr Glauben schenken als einem Klimaforscher? Pinker ortet einen Denkfehler, der mir bleiben wird: Wir unterschätzen, wozu die Menschheit in der Lage ist, wenn sie eine Gefahr erkannt hat. Die Entwicklung unserer Umwelt sei insgesamt positiv, so Pinker. Wovon es in den 1970er-Jahren noch hiess, es würde den Planeten zerstören, sei heute weitgehend entschärft. Weltweit sinkt die Geburtenrate, was gegen eine problematische Überbevölkerung spricht. Das angekündigte Ende von Ressourcen wie Öl oder seltenen Metallen ist nicht in Sicht (weil neue Technologien entwickelt oder Alternativen gefunden wurden). Das einst so bedrohliche Ozonloch schliesst sich wieder (wegen des Verbots der Kohlenwasserstoffe FCKW). Die globale Zahl an Atomwaffen geht zu15


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rück (wegen internationaler Abkommen). Tatsächlich sehen wir die Welt schlechter, als sie ist. Eindrücklich zeigte das Hans Rosling in seinem 2018 erschienenen Bestseller «Factfulness». Der inzwischen verstorbene schwedische Medizinprofessor führte mittels verschiedener Befragungen vor, dass Menschen den Zustand der Welt im Schnitt nicht besser einschätzen können als Schimpansen. Fürchte ich mich also nur deshalb vor der Klimaerwärmung, weil ich alles viel zu negativ sehe? Überzeugt bin ich noch nicht. Denn Statistiken bilden immer nur die Vergangenheit ab. Dass etwas noch nie passiert ist, heisst nicht, dass es nie passieren wird. Obwohl wir einen atomaren Weltkrieg bislang verhindern konnten, könnte es ihn dennoch irgendwann geben. Dasselbe gilt für die Klimaerwärmung. Nein, um meine Zukunftsangst zu besiegen, braucht es mehr als den rosa gefärbten Blick in den Palmarès der menschlichen Errungenschaften. Während ich nach weiteren Optimistinnen und Optimisten suche, frage ich mich, ob man in dieser Frage überhaupt positiv denken darf. Für den Philosophen Arthur Schopenhauer war Optimismus «eine wahrhaft ruchlose Denkungsart, ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit». Und irgendwie hat er recht: Selbst wenn wir Lösungen für unsere Probleme finden, bringen diese oft Leid mit sich. Im Fall der Klimaerwärmung könnten wir es zwar schaffen, der totalen Apokalypse zu entgehen. Schon jetzt aber gehören vorwiegend Menschen aus den ärmsten Regionen der Welt zu den grossen Leidtragenden unseres Zögerns. Darf man vor diesem Hintergrund optimistisch sein? Ein vergleichsweise grosser Klimasünder bin ich nicht: Ich habe kein Auto, fliege fast nie, kaufe regionale Produkte, esse meistens vegetarisch und wähle grün. Aber

ich könnte mehr tun – mich einer Umweltorganisation anschliessen, mich vollkommen vegan ernähren oder meine mittelmässig isolierte Altbauwohnung aufgeben. In einem Magazinbeitrag lese ich von 75 weiteren Möglichkeiten, wie ich dem Klima helfen könnte. Kürzer und weniger heiss zu duschen würde beispielsweise Energie sparen. Doch ich liebe duschen – lange und im Winter auch gerne richtig heiss. Der Umwelt bringt das bisschen Energie, das ich dabei spare, doch eh nicht viel. Und warum gerade ich? Sollen die anderen doch erst einmal aufhören, in ihren SUVs herumzukurven. Die Katastrophenlobby Natürlich sind das Ausflüchte. Doch was dahinter steckt, begreife ich erst später. Erst einmal stosse ich in der Bibliothek eher zufällig auf den deutschen Soziologieprofessor Martin Schröder und sein Buch «Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden». Ein Vollblut-Optimist also, und ich kann nicht anders, als das Buch von der Auslage zu nehmen. Auch Schröder ist der Ansicht, dass wir aufgrund verschiedener Denkfehler zu pessimistisch sind. Der Klimawandel sei «das nächste einer ganzen Reihe von Problemen, welche die Menschheit bisher doch recht zufriedenstellend gelöst hat». Der Gegenwartspessimismus stecke uns quasi in den Genen. Und zwar darum, weil uns Negatives viel stärker beeinflusse als Positives. Politik und Medien würden dieses Prinzip bewirtschaften – und zusammen eine Art «Katastrophenlobby» bilden. So sieht es auch Maren Urner in ihrem Buch «Schluss mit dem täglichen Weltuntergang». Die gelernte Neurowissenschaftlerin beschreibt, wie wir durch negative Medienberichterstattung lernen, hilflos zu sein – ein aus psychologischen Studien bekanntes Phäno-

«Nicht die Moral wird entscheiden, ob wir gemeinsam in den Abgrund stürzen oder nicht. Sondern welche Haltung uns dazu bringt, klimafreundlicher zu leben.» 18

men. Urner fordert darum, dass Jour­nalismus konstruktiver, lösungsorientierter und damit «positiver» werden muss, um die Welt realistisch abzubilden. Schröder und Urner erzählen ansprechend, und ich bin ehrlich: Es tut gut, das zu lesen. Als ich eines Abends nach der Arbeit mit dem Velo in die Kita fahre, um die Kinder abzuholen, denke ich wieder einmal darüber nach, ob es legitim ist, optimistisch zu sein. Macht man sich damit nicht auch zum Verbündeten von Klimaskeptikern, die derzeit mit dem Argument eines «Klima-Hypes» Kampagne gegen Umweltschutz machen? Dann trifft mich ein Gedanke wie ein Schlag: Letztlich ist es egal, wie richtig oder falsch es ist, optimistisch zu denken. Denn nicht die Moral wird entscheiden, ob wir gemeinsam in den Abgrund stürzen oder nicht. Sondern welche Haltung uns dazu bringt, klimafreundlicher zu leben. Braucht es dafür die grosse Angst, die viele von uns derzeit empfinden? Bei meinem nächsten Besuch in der Zentralbibliothek Zürich begreife ich allmählich, dass es eine Alternative gibt. Im zweiten Untergeschoss drehe ich am Rollgestell, um mir Platz zu verschaffen, und ziehe das Buch mit der Signatur HC66206 aus dem Regal – das letzte auf meiner Optimisten-Leseliste. «Die Klimakrise wird alles ändern – und zwar zum Besseren», geschrieben von Paul Gilding, einem ehemaligen Greenpeace-Direktor aus Australien. Sofort blättere ich zum Kapitel «Sind wir am Ende?». Gilding ist kein Wissenschaftler, sondern ein Mann aus der Praxis, der sich über viele Jahre mit dieser Frage beschäftigt hat. Er hält die Verzweiflung, die viele derzeit empfinden, für ein gutes Zeichen. Denn «sie markiert das Ende des Leugnens». Nicht mehr lange, glaubt er, und eine «Phase der kollektiven Verzweiflung und Angst» werde eintreten. Zuerst werde es die Wirtschaft treffen, jeden Einzelnen von uns, was zur vollen Akzeptanz führen und uns handeln lassen werde. «Veränderungen vollziehen sich häufig erst langsam, dann aber mit unglaublicher Geschwindigkeit», schreibt er. Gildings Worte wirken wie ein kräftiger Motivationsschub, etwas zu tun, bevor es zu spät ist. Nachdenken lässt mich aber eine andere Stelle. Ob wir Hoffnung oder Verzweiflung empfinden, werde unsere Zukunft stärker beeinflussen als Technik, Politik oder Märkte, schreibt er. Gilding hält darum den BeSurprise 468/20


«Ich verhalte mich manchmal nicht klimafreundlich, weil mir die Überzeugung fehlt, dass es einen Unterschied macht.» schluss, optimistisch zu sein, für die wichtigste und politischste Entscheidung, die jeder Einzelne treffen kann. «Wir müssen daran glauben, dass wir es schaffen können; jeden Tag aufs Neue.» Bei mir ist von der Hoffnung auf ein gutes Ende allerdings nicht mehr viel übrig. Die Realität schiebt sich vor jeden Hoffnungsschimmer, ich lese es täglich in der Zeitung: Trotz Greta wird mehr geflogen. Trotz Klimastreiks wird mehr Fleisch gegessen. Trotz wissenschaftlich glasklaren Fakten endet die internationale Klimakonferenz am Ende des Jahres ergebnislos. Mein persönliches Problem ist aber nicht allein die schwindende Hoffnung. Sondern dass ich vor lauter Verzweiflung infrage stelle, ob ich als Einzelner überhaupt etwas bewirken kann. Die Angst macht mich träge und lethargisch, oder anders gesagt: Ich verhalte mich manchmal nicht klimafreundlich, weil mir die Überzeugung fehlt, dass es einen Unterschied macht. Auch wenn ich mir manchmal wünsch­te, dass es anders wäre: Ich bin ein Kopfmensch, überlege erst, bevor ich handle – meist viel zu lange. Und Erkenntnissen aus der Wissenschaft traue ich häufig mehr als meinem eigenen Gefühl. Darum will ich es jetzt genau wissen: Was macht die Angst mit uns? Sie sei dazu da, uns so lange zu plagen, bis wir in Aktion treten, schreibt die Psychologin Alicia Clark in ihrem Buch «Hack your anxiety». Die Angst ist also überlebenswichtig, denn ohne sie würden wir Gefahren ausblenden. Jedoch: Zu viel Angst bewirkt genau das Gegenteil, sie schwächt, lähmt und blockiert uns, macht uns krank. Als ich noch etwas weiter in die psychologische Forschung eintauche, komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Denn ich stosse auf wissenschaftliche Studien, die untersuchen, was angsteinflössende Darstellungen des Klimawandels Surprise 468/20

mit uns machen. Eine der grössten Arbeiten dazu ist jene des britischen Klimaforschungszentrums Tyndall aus dem Jahr 2009. Sie zeigt: Angst erhöht zwar unsere Aufmerksamkeit für das Thema. Sie hat aber auch zur Folge, dass wir uns persönlich distanzieren, etwa weil wir uns hilflos und überfordert fühlen. «Angst ist kein gutes Instrument, um echtes persönliches Engagement zu fördern», folgern die Autoren. Langsam dämmert mir, warum ich mich also bei manchen meiner eigenen Gewohnheiten in Ausreden flüchte, warum ich mein schlechtes Gewissen immer wieder beruhige, indem ich mir sage: nicht so schlimm. Weil ich die Angst nicht aushalte. Weil die Schere zwischen meiner Verzweiflung und dem scheinbar Wenigen, das ich gegen die Klimaerwärmung tun kann, immer grösser wird. Glaube und Hoffnung Es ist ein kleiner Trost, dass ich vermutlich nicht der Einzige bin, der sich hier etwas vormacht. Der sich selbst belügt, weil er die Angst nicht erträgt. Das lassen auch die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie vermuten, also jenes Fachbereichs, der sich mit den komplexen Mechanismen menschlichen Denkens befasst. Stimmt nämlich unser Handeln nicht mit unseren Überzeugungen überein – ich dusche lange und heiss, obwohl ich das Klima retten möchte –, erzeugt das innere Spannungen. Diese sind sehr unangenehm, wir möchten sie auf jeden Fall auflösen. Doch Gewohnheiten zu ändern ist sehr, sehr anstrengend. Neurologen gehen davon aus, dass es zwischen 18 und 254 Tagen braucht, bis alltägliche Dinge zur Routine werden und wir sie danach ohne grössere Überwindung erledigen. Weil viele das nicht schaffen, suchen sie andere Wege, um sich von ihren inneren Span-

nungen zu befreien. Wie sie das tun, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche sind sich ihrer Angst nicht bewusst und schimpfen stattdessen auf Gretas angebliche Scheinheiligkeit. Andere wählen selektiv jene Informationen aus, die mit ihrem Weltbild übereinstimmen und ignorieren alle anderen – die bevorzugte Strategie der Klimaleugner. Wieder andere geben vor, keine Wahl zu haben oder spielen die Sache herunter – so wie ich, wenn ich wieder einmal lang und heiss dusche. Kurz: Weil wir mit unseren Ängsten nicht klarkommen, überlisten wir uns kurzerhand selbst. Einige Wochen nach dem erfolglosen ersten Versuch nehme ich «Die unbewohnbare Erde» wieder in die Hand – jenes Buch mit dem deprimierenden Auftakt, das seit längerer Zeit auf meinem Nachttisch liegt. Dieses Mal schaffe ich es bis zum Ende – und bin überrascht. Nachdem der Autor über 200 Seiten die «Elemente des Chaos» beschreibt und zwischendurch sogar dem Leser gratuliert, dass er es bis hierher geschafft hat, lässt er gegen Ende Hoffnung aufkommen: «Der Pfad, auf dem wir uns als Planet bewegen, sollte jeden, der darauf lebt, in Angst und Schrecken versetzen, aber wenn wir wie ein Volk denken, liegen alle wichtigen Dinge in unserer Hand (...) Wir müssen uns nur unserer Verantwortung annehmen.» Wieder frage ich mich: Ist es angebracht, daran zu glauben, dass die Menschheit der Apokalypse in letzter Sekunde von der Schippe springt wie ein Actionheld aus Hollywood? Eine Gruppe angesehener Wissenschaftler kritisierte den Autoren David Wallace-Wells in einem offenen Brief. Sein Buch ende viel zu optimistisch. Doch mehr als je zuvor bin ich der Meinung, dass wir zumindest diesen Schimmer Hoffnung brauchen. Und zwar nicht nur unseren Kindern zuliebe. Sondern weil die Angst uns nicht mehr weiterbringt. Wir stehen vor einer grossen Aufgabe, jeder Einzelne von uns. Sie lautet: Aufhören, sich selbst zu betrügen. Und stattdessen anfangen, seine Gewohnheiten zu hinterfragen. Dabei können wir einen Coach gebrauchen, der uns hin und wieder zuruft: «Wir ­müssen daran glauben, dass wir es schaffen können; jeden Tag aufs Neue.» Hintergründe im Podcast: Mehr zu diesem Artikel und Simon Jäggis Essay «Zeit der Utopien» aus Surprise 467 auf: surprise.ngo/talk 19


«Bei mir ist von der Hoffnung auf ein gutes Ende nicht mehr viel übrig.» JOSÉ ÁNGEL SILVA

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Geschenkt wird einem nichts Migration Tag für Tag steht José Ángel Silva an einem Busbahnhof

in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá und verkauft er illegal Zigaretten, Lollis und Bonbons. Weil er muss. Und ein bisschen, weil er will. TEXT  SEBASTIAN SELE FOTOS  RONALD PIZZOFERRATO

Bogotá KOLUMBIEN

September 2009. Als der beste Basketballspieler aller Zeiten – Name: Michael Jordan, Grösse: 1,98, Alter: unsterblich – in eine weitere Hall of Fame aufgenommen wurde, schloss er seine Rede mit den Worten: «Sag niemals nie, denn Grenzen sind, genau wie Ängste, oft nur Illusionen.» Er erhob dabei seine Stimme, wohl um dieser Aussage eine würdige Portion Dringlichkeit zu verleihen. Das Publikum im Saal dankte es ihm mit Applaus. Das Internet mit Millionen von Klicks. September 2019. Ein anderer Mann – Name: José ­Ángel Silva, Grösse: normal, Alter: um die 30 – steht an einem Busbahnhof der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Dort sagt er Dinge, die niemand mitbekäme, würden sie nicht hier stehen. «Die Welt ist einfach so», zum Beispiel, und dass er mit Mitleid nichts anfangen könne. Was Michael Jordan und José Ángel Silva auf den ersten Blick unterscheidet: fast alles. Was sie auf den zweiten Blick verbindet: Die goldgefärbte Silhouette des besten Basketballspielers aller Zeiten steckt in José Ángel Silvas linkem und rechtem Ohrläppchen. Was die beiden auf den dritten, vierten oder hundertsten Blick vereint: die Überzeugung, dass es immer weitergehen muss. Dabei hätte, zumindest für den einen von ihnen, alles anders kommen sollen. Eigentlich hätte es nie so weit kommen sollen, dass José Ángel Silva darüber nachdenken muss, wie man Lollis der Geschmacksrichtungen Erdbeer, Himbeer und Orange am kundenfreundlichsten präsentiert. Er hätte gar nicht erst an diesem Busbahnhof stehen sollen. «Ich träume von einer eigenen Metzgerei», sagt José Ángel Silva. Acht Jahre habe er bereits auf dem Beruf gearbeitet, jeweils Geld zur Seite gelegt. «Ich wusste, welches Lokal ich kaufen möchte.» Doch etwas stellte sich zwischen ihn und seinen Traum: der Niedergang eines Staates, seiner Heimat Venezuela.

«Du musst grosse Dinge zuerst von dir selbst erwarten, bevor du sie tun kannst.» MICHAEL JORDAN

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Das Land – Lage: Nordküste Südamerikas, Einwohner: über 30 Millionen, Sprache: Spanisch mit markantem Akzent – wurde kurz gesagt ein Opfer der Politik. Etwas ausführlicher gesagt war und ist seine Wirtschaft zu stark vom Ölpreis abhängig, führte und führt sein Präsident zu autoritär, eckte und eckt sein Staatsmodell im kapitalistischen Teil der Welt an. Die Folge: Seit 2013 steckt Venezuela in einer Wirtschaftskrise, die rasch in auch zu einer humanitären wurde. Unbezahlbare Nahrungsmittel, nicht vorhandene Medikamente, Inflationsraten von bis zu einer Million Prozent. 2018 lag die Armutsquote bei 90 Prozent. Die Polizei soll im gleichen Jahr 5300 bis 7500 Menschen getötet haben. Über viereinhalb Millionen Venezolaner haben das Land inzwischen verlassen. Für «nichts, nichts, nichts» habe es gereicht, sagt José Ángel Silva.

«Versagen kann ich akzeptieren. Aber ich kann es nicht akzeptieren, es nicht zu versuchen.»

MICHAEL JORDAN

Spricht José Ángel Silva über andere Migranten, spricht er von Menschen, die Dinge tun, die er nie tun würde. Kinder zum Betteln vermieten zum Beispiel. Oder Sachen verkaufen, die man geschenkt bekommen hat. «Das dürfte nicht sein», sagt er dann. «Gott sieht alles.» Die Diskussion darüber, ob es sich bei diesen Vorkommnissen um Einzelfälle handelt oder nicht, ob diese abstrakten Ängste vor einem Gott der Realität entspringen, dürfte ihm egal sein. José Ángel Silva scheint die Abgrenzung zwischen sich und den anderen zu brauchen, um selbst wachsen zu können. Und so meint er, verstanden zu haben, was viele andere nie verstehen werden. «Der grösste Unterschied zwischen Venezuela und Kolumbien liegt darin, dass sich Arbeit hier lohnen kann», sagt er. In Venezuela sei es egal, wie viel man opfere. Es führe zu nichts. Hier dagegen sehe man, nach harter Arbeit, immerhin ein Ergebnis. Es scheint vielen nicht leicht zu fallen, diese neue Realität zu akzeptieren. In Venezuela wa21


ren Gas und Elektrizität umsonst. «Viele Migranten gehen davon aus, dass ihnen auch in Kolumbien alles geschenkt wird», sagt José Ángel Silva. Doch man müsse akzeptieren, dass es eben Dinge gebe, die sich nicht ändern lassen. Die Heimat: ist nicht hier. Das Aufnahmeland: hat seine eigenen Regeln. Das Geld: irgendwo muss es herkommen. Und so steht José Ángel Silva jeden Tag von mittags bis abends an einem Busbahnhof in Bogotà und verkauft Zigaretten, Lollis und Bonbons.

«Scheitern ist der Schlüssel zum Erfolg.»

um Arbeit zu bekommen, braucht man eine Arbeitsbewilligung. Und um eine Arbeitsbewilligung zu bekommen, braucht man einen Pass. Und um einen Pass zu bekommen, braucht man zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. «Unbezahlbar», sagt er. Der gelernte Metzger musste betteln gehen. «Ich habe mich so geschämt.»

«Rennst du gegen eine Wand, kehr nicht um. Finde heraus, wie man sie überwindet.» MICHAEL JORDAN

MICHAEL JORDAN

400 Kilometer war José Ángel Silva zu Fuss gegangen, von der Grenzstadt Cúcuta über den Pass von Berlín, bevor er am 11. August 2018 in Bogotá ankam. «Eigentlich wollte ich in Cúcuta bloss Essen kaufen», sagt er. Doch auf persönliche Pläne nimmt die dortige Realität – Arbeitslosigkeit: 18 Prozent, Grenzen: kontrolliert von Paramilitärs, Entführungen: an der Tagesordnung – wenig Rücksicht. «Alle haben gesagt, in Kolumbien findest du Arbeit.» Aber José Ángel Silva musste feststellen: Die Jobs existieren zwar, doch nicht für ihn. Denn 22

Schritt für Schritt verdiente José Ángel Silva etwas Geld. Schritt für Schritt konnte er im neuen Land ein neues Leben beginnen. Er fand einen Job bei einem Metzger, der Leute auch schwarz anstellt. «Dort musste ich von morgens bis abends arbeiten», zum gleichen Lohn wie hier am Busbahnhof. Doch der Arbeitstag dauerte fünf Stunden länger. «Lieber werde ich auf der Strasse von der Polizei belästigt als von einem Arbeitgeber ausgebeutet», sagt José Ángel Silva. Den Bauchladen, in dem er seine Produkte präsentiert, hat er selbst gebastelt. Surprise 468/20


Eine rechte Regierung begrüsst Migranten Migration Südamerika kämpft mit einer der grössten

Migrationskrisen unserer Zeit. Ausgerechnet das konservativ regierte Kolumbien hält seine Grenzen offen.

Bei den Kinderrechten geben sie sich ­Venezuela und Kolumbien die Hand – zumindest auf dem Graffito.

Im Dezember folgten ihm seine Frau und seine Tochter nach Bogotá nach. Bereits vier Monate später konnte die Tochter dank einer Anlaufstelle für Migranten auf eine Schule gehen. «Mathe ist ihr Lieblingsfach», sagt José Ángel Silva, und dass es wichtig sei, nicht beim Betteln zu bleiben. Sobald sich die Situation in Venezuela bessert, möchte er zurück in seine Heimat. Gleichzeitig setzt der venezolanische Präsident 150 000 Soldaten an die Grenze zu Kolumbien in Marsch. Zehn Jahre zuvor, im September 2009, nannten US-Medien Michael Jordans Rede zur Aufnahme in die Naismith Memorial Basketball Hall of Fame «belanglos» und «unelegant». «Wandle eine negative Situation immer in eine positive um», sagte Michael Jordan einmal. Und José Ángel Silva sagt: «Die Welt ist einfach so.» Es muss immer weitergehen.

Dieser Artikel wurde durch den Medienfonds ‹real21 – die Welt verstehen› unterstützt und entstand in Zusammenarbeit mit Tiziana Amico. Surprise 468/20

Immer wieder betont der kolumbianische Präsident Iván Duque, sein Volk müsse die Venezolaner wie Geschwister behandeln. «Gerade weil wir verstehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen unserem Brudervolk in Venezuela und dem Regime, das die Menschen unter seinem Stiefel zermalmt, gerade deshalb reichen wir unseren Brüdern und Schwestern, die immer wieder über unsere Grenze strömen, die Hand der Freundschaft», sagte er an der UN-Generalversammlung. Die Konsequenz: Die Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela bleibt offen, während andere Nach­barstaaten die ihre schliessen. Mehr als 1,5 Millionen Venezolaner kamen seit Beginn der Krise nach Kolumbien – so viele wie in kein anderes Land. Die Worte des konservativen Präsidenten entspringen aber nicht nur solidarischer Überzeugung, sondern auch einer guten Portion Opportunismus. Denn die 2219 Kilometer lange Grenze ist nicht kontrollierbar. Es existieren gerade einmal sieben legale Grenzübergänge, dagegen stehen Hunderte von illegalen Übergängen unter der Kontrolle der Paramilitärs. Das kolumbianische Volk sieht die Angelegenheit dementsprechend etwas anders als ihr Präsident. Anfang Dezember 2019 zeigten in einer Umfrage 69 Prozent eine ablehnende Haltung gegenüber venezolanischen Migranten. Die Zustimmung für die Regierung sinkt schon seit Längerem. Auch in Kolumbien kam es kürzlich zu einem Generalstreik und zu Protesten. Bereits Ende 2017 lancierte die Weltflüchtlingsorganisation UNHCR in Kolumbien ein Programm, das ausschliesslich die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Menschen aus Venezuela zum Ziel hatte. Noch immer berichten Venezolanerinnen und Venezolaner in Kolumbien, egal aus welcher gesellschaftlichen Schicht, von fremdenfeindlichen Erfahrungen. Im besten Fall waren nicht sie selbst betroffen, sondern Freunde. Im schlimmeren Fall müssen sie sich beim Amt hinter Einheimischen einreihen oder bekommen wegen ihrer Herkunft keine Jobs und Wohnungen. Im schlimmsten Fall sterben sie daran. Im ersten Halbjahr 2019 soll gemäss einer Studie jeden Tag ein Mensch aus Venezuela getötet worden sein. Die Gründe sind Fremdenfeindlichkeit und der fehlende Zugang zu Jobs und Sozialleistungen. Fast jeder zweite aus dem Nachbarland Geflüchtete in Kolumbien hat keine Arbeitsbewilligung. Die Situation in Kolumbien hat sich nicht nur durch die hohe Zahl an Migranten zugespitzt, sondern auch durch deren Zusammensetzung. Kamen zu Beginn der Krise gut Ausgebildete, sind es inzwischen vor allem Menschen aus den unteren Schichten – oft im Glauben, in Kolumbien würde das Leben schon irgendwie besser werden. Über 4,6 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner haben ihre Heimat in den letzten fünf Jahren verlassen. Fast so viele wie in Syrien. Das UNHCR schätzt, dass sich diese Zahl bis Ende 2020 auf 6,5 Millionen erhöhen könnte. 23


Kino  Regisseur Edgar Hagen begleitet Jonas und Helena, beide sind geistig und körperlich eingeschränkt.

Sein Dokumentarfilm «Wer sind wir?» erzählt nicht nur von ihnen, sondern auch von uns selbst. INTERVIEW  DIANA FREI

Edgar Hagen, in einem persönlichen Text erzählen Sie am Anfang Ihres Films von Ihren Erinnerungen an behinderte Menschen, die Sie als Kind als eine Art Ausserirdische wahrnahmen und die für Sie faszinierend waren. Der Film hat den gleichen Grundton. War diese Perspektive Ihre Prämisse oder die Erkenntnis nach der Recherche? Edgar Hagen: Wahrscheinlich beides. Ich habe die tiefe Überzeugung, dass diese Menschen dazugehören und ein Teil von uns sind. Es war aber auch ganz wichtig für mich zu sehen, dass die Eltern von Jonas und Helena in etwas hineingeraten sind, das sie nicht wollten. Niemand wünscht sich ein behindertes Kind. Die Frage ist nun aber: Was machen sie daraus? Das ist ein sehr konstruktiver Ansatz. Das ist auch dramaturgisch interessant. Du bist mit etwas konfrontiert, was du nicht wolltest. Den Weg dann zu gehen, die Probleme zu überwinden, ist das, was eine Geschichte in Gang bringt. Helena und Jonas sind in ihrem Ausdruck beide eingeschränkt. Sie reagiert unberechenbar, er kann nicht reden. Der Fachpsychologe im Film sagt: «Wenn ich etwas vermitteln will, dann versuche ich es, bis es mir gelingt.» Muss man dazu Wissen haben? Eine spezielle Fähigkeit? Oder ein bestimmtes Weltbild? Ich denke, es geht um eine Bereitschaft. Mir fällt auf, dass ich unter den Leuten, die in diesem Bereich arbeiten, extrem offene Leute treffe. In der Schule ist es nicht ein Lehrplan, der Jonas’ Teilnahme möglich macht. Sie haben es einfach ausprobiert. Die 24

Frage war: Ist es okay, wenn Jonas zu euch kommt? Sie sagten: Ja. Und dann haben sie sich überlegt: Wie müssen wir das organisieren, damit es funktionieren kann? Das ist ein experimenteller Zugang, der mir gefällt. Sie sind ein Stück weit aus ihrem Plan ausgebrochen. Wer kleine Kinder hat, weiss, dass man eigentlich permanent stört, wenn man sich auffällig benimmt. Im Film sind viele Menschen zu sehen, die sich nicht konform verhalten. Ist Ihnen das Stören als Thema auch begegnet? Es gibt eine Szene im Schuhgeschäft, die die Mutter gefilmt hat, als Helena noch ein Kind war. Wir sehen in dieser Szene, wie Veronika, die Mutter, an ihre Grenzen stösst. Das im Film darzustellen war wichtig, um ein reales Bild zu geben. Bevor ich zu filmen begann, war Veronika am Anschlag und wusste nicht mehr weiter. Helena ging auf sie los und fing an, ihr die Haare auszureissen. Sie brachte die Tochter dann auch in die Psychiatrie. Ich begann sie zu begleiten, als Helena von zuhause wegging, ins Wohnheim. Ich finde, das ist ein spannender Punkt: Sie übergibt die Tochter in dem Moment der Gesellschaft. Die Frage stellt sich nun: Was machen wir mit diesen Menschen? Einer allein kann das nicht schaffen. Es braucht Netzwerke. Das ist bei Jonas genauso. Die Eltern sagen, dass sie allein völlig überfordert waren. Ich wollte einen Film über den Teil machen, der uns allen gehört: Was machen wir mit Helena, mit Jonas? Das Stören lag in dem Sinn davor, bevor der Film einsteigt. Surprise 468/20

FOTOS: CINEWORX

«Aus dem Plan ausgebrochen»


Drohnenaufnahmen und Augenhöhe Der Dokumentarfilm «Wer sind wir?» von Edgar Hagen entwickelt fast den Grundton eines Weltraum-, eines Unterwasserfilms, der auf die Vielfalt des Lebens fokussiert und das Überwältigende darin findet. Die Kameraarbeit unterstützt das Konzept, indem sie zum einen auf Augenhöhe in einer direkten Begegnung mit Helena und Jonas bleibt. Zum anderen brechen Drohnenaufnahmen diesen Blick wieder auf und zeigen die Sicht von oben, aus der Distanz. Diese Perspektive wirkt wie die Landung an einem surrealen, geheimnisvollen Ort. DIF

Es gibt eine kurze Szene, die angriffig ist: als Jonas Vater vor der Schule steht, die seinen Sohn ablehnte. Wieso gibt es diesen Moment? Mir war wichtig zu zeigen, dass die Familie einen Weg zurücklegen musste, um dorthin zu kommen, wo sie heute steht. Es ist nichts selbstverständlich. Es gab keine Schule, die diese Integration so angeboten hätte. Der Vater hat sich kundig gemacht und wusste, dass sie eine gesellschaftliche Realität sein könnte. Er hat sie aber nicht so vorgefunden, sondern musste sie sich erkämpfen. Er ist dabei auch auf Ablehnung gestossen. Es ist eine Extremsituation, Jonas kann nicht sprechen und muss ernährt werden. Ich fand es spannend, dass genau er nun in eine normale Schulklasse geht. Surprise 468/20

Ich musste bei diesem Film ein paar Mal lachen. Zum Beispiel, als ein Mann im Bett völlig unverständlich wie ein Wasserfall auf seinen Betreuer einredet. Das hat etwas Absurdes. Darf man lachen? Ich finde, man darf lachen. Hier wird transparent, dass die Betreuer auch nicht alles verstehen. Es ist ein Lernprozess, damit umzugehen. Ein Fachpsychologe analysiert diesen Moment: Er merkt, dass der Betreuer nicht authentisch ist. Er gibt nur vor zu verstehen, notiert fleissig und antwortet ständig «Super, super». Der Mann im Bett fühlt sich aber damit nicht verstanden und gerät in eine Schlaufe. Er redet immer mehr, immer schneller und immer unverständlicher. Ich glaube, der Film schafft es, dass sich solche Dinge entschlüsseln. Man weiss zwar nicht, was Jonas denkt oder was Helena denkt. Aber man weiss am Schluss, dass uns gewisse Verhaltensweisen einander nicht näherbringen.

FOTO: ZVG

Es geht dabei auch um die Eltern. Auch sie wollen nicht in eine Parallelwelt abgeschoben werden, in der sich alles nur um die Behinderung dreht. Absolut. Es kommt noch etwas dazu: Jonas’ Vater ist jemand, der eigentlich Karriere machen wollte, entdeckt mit Jonas aber plötzlich noch etwas anderes. Es ist fast ein ikonenhaftes Bild, wie er seinen Sohn herumträgt. Wie er sich dieser Situation, dieser Fürsorge hingibt. Ich finde, die Gesellschaft könnte ganz viel davon vertragen. Der Film erzählt ganz grundsätzlich davon, dass man mit vielen Situationen anders umgehen könnte. Helenas Mutter und Jonas’ Vater sind zwei Figuren, die uns zeigen, was sie aus ihrer zunächst schwierigen Situation heraus entwickeln.

Edgar Hagen, 62, hat in Berlin studiert und arbeitet seit über 30 Jahren als Dokumentarfilmer. Er hat zwei Söhne und lebt in Basel. «Wer sind wir?», Dokumentarfilm, CH 2019, 97 Min. Der Film läuft zurzeit im Kino. 25


BILD(1): TONI SUTER/T+T FOTOGRAFIE, BILD(2): KOSTAS MAROS BILD(3): NESA GSCHWIND BILD(4): ROB LEWIS

Veranstaltungen Bern «Moravagine. Idiot», Musik-Theater-Projekt, Do, 13., bis Sa, 15. Februar, jeweils 20.30 Uhr, Tojo Theater Reitschule Bern, Neubrückstrasse 8. tojo.ch

Moravagine ist ein Stück fantastischer, beklemmender, provokativer und rauschhafter Schweizer Literatur von Blaise Cendrars, erschienen 1926. Die Titelfigur kennt weder Moral noch Ordnung oder Empathie. Mort steht für Tod und Vagine für Leben, und aus heutiger Sicht stehen sie in der Kombination auch für das 20. Jahrhundert und seine Katastrophen. Moravagine ist ein Triebwesen, Patient einer psychiatrischen Klinik, letzter Abkömmling des ungarischen Königshauses. Mithilfe seines Psychiaters flieht er aus der geschlossenen Anstalt, und beide begeben sie sich auf einen exzessiven Roadtrip um die ganze Welt. Das Tojo-Theater fühlt die Odyssee mit und schafft über elektroakustischer Sensoren an Kostümen, Gegenständen und Körpern alptraumartige Trancezustände. DIF

Arlesheim «HIDDEN – Verborgene Orte in der Schweiz», Ausstellung, bis So, 19. April, Di bis So 11 bis 17 Uhr, Forum Würth Arlesheim, Dornwyden­weg 11. forum-wuerth.ch Es gibt Orte, die unbekannt und der Öffentlichkeit unzugänglich sind – Keller, Kraftwerke, Schlachthöfe aller Art. Dann gibt es Orte, die vielen unbekannt aber grundsätzlich zugänglich sind, wie ein Dark Room zum Beispiel. Oder Orte, die zwar vielen bekannt sind, den meisten aber nur aus einer Blickrichtung: das Opernhaus Zürich

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zum Beispiel mit all seinen inneren Gemächern. Die Kunsthistorikerin Catherine Ise-lin und der Fotograf Kostas Maros haben eine ganze Typologie der verborgenen Orte aufgestellt und dann innerhalb von zwei Jahren 25 von ihnen dokumentiert. Das Ziel war, unterschiedliche Lebensbereiche abzudecken – Forschung, Kultur, Politik, Religion, Technik, Verteidigung, Landwirtschaft, Wirtschaft und Soziales. Begleitend dazu entstand eine Porträtreihe der Personen vor Ort, die einen engen Bezug zum fotografierten Raum haben. Die Ausstellung und eine gleichnamige Publikation zeigen nun, was wir normalerweise nicht sehen. DIF

Appenzell «Nesa Gschwend: Memories of Textiles», Ausstellung, bis So, 15. März, Di bis Sa 14 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr, Kunsthalle Ziegelhütte, Ziegeleistrasse 14. h-gebertka.ch Im Leben ist vieles miteinander verwoben. Die St. Gallerin Nesa Gschwend nutzt biografisch aufgeladenes Material wie Textilien oder Haare für ihre Werke. So werden in der textilen Installation «Living Fabrics» zum Beispiel Kleidungsstücke aus der Familie Gschwend von einem Stück subjektiver Erinnerung zu einem Teil kollektiver Erfahrung. Das Haptische gehört zu Gschwends materialbetonter Kunst seit den 1980er-Jahren. Die manuelle Arbeit wird zum Denken mit den Händen und stellt sich auf die gleiche Stufe wie die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Welt. Personen aus allen sozialen Schichten und verschiedensten Nationen sind an dem Werkprozess beteiligt, und was sich daraus entwickelt, ist eine Verknüpfung von individueller und gemeinsamer Erfahrung. Ein Sinnbild für die Notwendigkeit des Miteinanders. DIF

Zürich «Games», Ausstellung, bis 13. April, Di bis So 10 bis 17 Uhr, Do bis 19 Uhr, Levelup für Eltern am Di, 4. Februar und Di, 24. März, je 18 bis 20 Uhr, Landesmuseum Zürich, Museumstrasse 2. landesmuseum.ch Was heute das Gamen ist, war vor ein paar Jahrhunderten noch die «Ausübung höfischer Aktivitäten» – oder fast. Jedenfalls ist auf den Miniaturen des Codex Manesse, einer

der berühmtesten mittelhochdeutschen Liederhandschriften, ein hochrangiger Basler Kleriker dabei zu beobachten, wie er Backgammon spielt. Die Ausstellung «Games» setzt aber erst vor fünfzig Jahren an, und schon das ist eine riesige Zeitreise. Handelte es sich damals noch um ein Randphänomen für Nerds, spielen heute 2,5 Milliarden Menschen weltweit Videogames. Fortnite und Minecraft gehören zum Familienleben wie früher Meerschweinchen und Mensch-ärgere-dich-nicht. Für Eltern, die mit der Entwicklung nicht mehr mithalten können, gibt es im Landesmuseum «Level-up»Abende. DIF

Bern «forever young. Willkommen im langen Leben», multimedialer Rundgang, bis So, 29. März, Di bis So, 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Berner Generationenhaus, Bahnhofplatz 2. begh.ch/foreveryoung.ch Unsere Lebenserwartung hat sich im letzten Jahrhundert verdoppelt, und daraus ergeben sich viele Fragen. Die einen Wissenschaftler erforschen, wie sich der Alterungsprozess aufhalten lässt. Die anderen fragen, wie sich unsere Altersbilder und Lebensmodelle verändern werden. Denn grundsätzlich stammen diese immer noch aus dem letzten Jahrhundert, als man jung erwachsen wurde und sein Leben dann im Korsett meist recht starrer Rollenbilder verbrachte. Mit einem multimedialen Rundgang, Umfragen, Videos und einer Studie zu den Altersbildern der Gegenwart fragt das Berner Generationenhaus , was das Altern mit uns macht, und was wir mit ihm machen. DIF

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tainern belegt, ein Zeichen, dass auch hier die Sanierung und Gentrifizierung droht oder längst im Gange ist. In den Seitenstrassen ist nichts davon zu spüren. An den Balkonen der hübschen Reihenhäuser hängen Tibetfahnen, Lichterketten und auffallend viele Trans­ parente, die für die Konzernverantwortungsinitiative werben. Aber auch vom Frauenstreik hängen Fahnen, von der Gletscherinitiative und von YB. Wer hier seine Ansichten und Sympathien auslüftet, kann sich der Zustimmung und des Wohlwollens seiner Umgebung gewiss sein. Einzig eine dieser sonst nur auf dem Land anzutreffenden Holzfiguren, die von der Geburt eines Kindes zeugen, hängt etwas schräg in der Landschaft bzw. am Balkon.

Tour de Suisse

Pörtner in Bern Breitenrain Surprise-Standorte: Migros, Breitenrainplatz Einwohnerinnen und Einwohner: 5818 Sozialhilfequote in Prozent: 4,64 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 24,7 Wählerstärkste Partei in Prozent (inkl. Lorraine): SP 30,9

Die hypermoderne Grossverteilerfiliale passt nicht so recht in die Gegend. Die Surprise-Verkäuferin sitzt auf dem selber mitgebrachten Hocker neben der leeren Bank im Eingangsbereich. Wenn man sich als Fremder in Quartieren ­herumtreibt, von denen man nicht recht weiss, wo sie anfangen und wo sie ­aufhören, wirkt Bern mitunter grösser, als es ist. Neben dem Quartiertreff, in dem marokkanisches Essen angeboten wird und kulturelle Veranstaltungen stattfinden, zeugen auf einem Milchkasten deponierte, leere Bierflaschen von einer späten Heimkehr. Sie stammen von einer Lokalbrauerei. Ein Hinweis auf eine alternativ-bewusstlebend-mittelständische Nachbarschaft. Es ist nicht der Dosenpöbel, der hier über den Durst trinkt. Gegen diese Einschätzung sprechen die Surprise 468/20

moderne UBS-Filiale und die Autodichte. Doch auch die Velos sind zahlreich, noch zahlreicher sind die Kinderwagen. Ein Gang durch die umliegenden Strassen bestätigt den ersten Eindruck. Ein geradezu idyllisches Viertel mit 20er-Zonen und Spielplätzen, einer davon verwegen und abenteuerlich, mittendrin ein veritables Flugzeugwrack. Andernorts gibt es einen grossen Park und eine Velo­ strasse. Auffällig viele Coiffeursalons und Cafés säumen die Strassen, gemütliche Beizen, Läden für Schönes, Velohändler, eine Outdoorbekleidungsfiliale und ­etwas unerwartet zwei Hotels. Ein AsiaMarket, eine Speedy-Cash-Filiale, in der Konsumgüter zu Bargeld gemacht werden, sowie ein Sonnenstudio lassen ­vermuten, dass die Quartierbevölkerung durchmischt ist. Andererseits ist ein ­kleiner Platz mit Baumaterial und Con­

Der Aussenbereich eines alternativen – wahrscheinlich sagt dazu heutzutage kein Mensch mehr so, also: hippen – Res­taurants ist nachmittags um vier gut ­besucht. Die Männer sind zwischen fünfundzwanzig und fünfundsechzig. Sie tragen Bärte, trinken langsam und genüsslich Bier, das vor Ort gebraut wird. Die Frauen, mit oder ohne Kleinkinder, ­trinken Kaffee. Draussen rauchen Frauen und Männer gemeinsam. Alle haben Zeit. Es ist fast wie in einem anderen Land. Junge Handwerker kommen von der ­Arbeit und trinken ihr Feierabendbier, inzwischen ist es halb fünf. An der Tramhaltestelle gegenüber gibt es ein kleines Rondell, in dem sich die Wohnungslosen treffen. Sie scheinen niemanden zu stören. Oder hoffentlich doch, zumindest ein bisschen, es wäre sonst einfach zu idyllisch hier.

STEPHAN PÖRTNER  Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten 01 Schluep & Degen, Rechtsanwälte, Bern 02 RLC Architekten AG, Winterthur 03 Stellenwerk AG, Zürich & Chur 04 Neue Schule für Gestaltung, Bern 05 SpringSteps GmbH, Bülach 06 Steuerexperte Peter von Burg, Zürich 07 Büro Dudler, Raum- und Verkehrplanung, Biel 08 Infopower GmbH, Zürich 09 Dr. med. dent. Marco Rüegg, Herzogenbuchsee 10 Peter Gasser Schreinerei AG, Feuerthalen 11

Barth Real AG, Zürich

12 Hedi Hauswirth, Psychiatrie-Spitex, Oetwil a. S 13 Ruggle Partner, Rechtsanwalt/Mediation, ZH 14 Al Canton, azienda agricola biologica, Le Prese 15 Happy Thinking People AG, Zürich 16 Stefan Mörgeli Beratungen, Meilen

Merima Menur kam vor drei Jahren zu Surprise – durch ihren Mann Negussie Weldai, der bereits in der Regionalstelle Bern arbeitete. Zuvor lebten sie fünf Jahre getrennt – er in der Schweiz, sie in Äthiopien. Einige Zeit nach ihrer Ankunft in der Schweiz begann Merima auch mit dem Verkauf des Surprise Strassenmagazins und besuchte einen Deutsch-Kurs, mit dem Ziel selbständiger zu werden und eine Anstellung zu finden. Dank Surplus besitzt Merima ein Libero-Abo für die Stadt Bern und kann somit leichter an ihren Verkaufsort reisen. Surplus gibt der 36-Jährigen ausserdem die Möglichkeit, sich einige bezahlte Ferientage zu gönnen.

17 Sonnenreife, Mo Ruoff, Basel

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

18 Maya-Recordings, Oberstammheim 19 Wortstark, Zürich 20 Praxis Carry Widmer, Wettingen 21 DD4U GmbH, IT Projektierung und Beratung 22 Gemeinnützige Frauen Aarau 23 Cantienica AG, Zürich 24 Hervorragend AG, Bern 25 Beratungsgesellschaft f. die 2. Säule AG, Basel Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 15 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

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Wir alle sind Surprise #465: Materialisierte Sehnsüchte

#466: «Woher kommst du?»

«Scharfe Analyse, ehrliche Worte»

«Reichhaltig und aktuell»

Erst bin ich an der Surprise-Verkäuferin beim Hirschengraben Bern vorbeigerauscht – den nächsten Laden fixierend in Gedanken an die noch fehlenden Weihnachtsgeschenke. Doch dann hörte ich in meinem Rücken «Schöne Weihnachten», ging zurück und kaufte die aktuelle Ausgabe. Ich empfand eine gewisse Verpflichtung, so kurz vor Weihnachten noch etwas Gutes zu tun. Nun, nach ein paar wirklich intensiven (um nicht zu sagen stressigen) Weihnachtstagen kam ich endlich dazu, einen Blick ins Magazin zu werfen. Dabei bin ich an Diana Freis Artikel hängengeblieben. Er ist einer der besten, den ich jemals gelesen habe. Danke für die scharfe Analyse und die ehrlichen Worte. Die Lektüre dieses Artikels war eine angenehme Pause vom Alltag. S. CAPAT T,  ohne Ort

Vielen Dank für die tollen Berichte in eurer neusten Ausgabe! Es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wie reichhaltig und aktuell eure Berichterstattung und wie kurzweilig alles geschrieben ist. Ein riesen Lob und bitte weiter so! C. OT T,  Winterthur

#465: Schöne Bescherung

«Ergreifend»

#466: «Meine Tochter fand ich auf der Strasse»

Das Porträt über Leyla Osman hat mir die Sprache verschlagen. Die Frau zieht nun also acht Kinder nach und einen Mann dazu. Wie sollen sich diese Kinder hier integrieren, in dem Alter? Es wäre interessant, irgendwann mal lesen zu können, was aus diesen Kindern geworden ist und wieviel dies den Staat kostet. Ich gehe davon aus, dass auch der Mann keine Arbeit finden wird. Ich bin nun bald 60 Jahre alt, arbeite immer noch 100 Prozent ohne Unterbruch und habe noch nie im Leben Unterstützung erhalten. Einen Leserbrief habe bis heute auch noch nie geschrieben. Surprise werde ich aber ganz bestimmt nie mehr kaufen.

So etwas liest man nirgendwo sonst. Ein grosses Dankeschön den Redaktoren, die sich immer wieder Sinnvolles einfallen lassen, um uns zu mobilisieren für Sensibilität, Solidarität, für andere. Die Kindheitserinnerungen sind berührend, ergreifend, schön, und sie zeigen Hintergründe, die vieles verstehen lassen und unsere Vorurteile zunichte machen.

D. MÜLLER,  Zürich

I. TUDOR A,  Zürich

«Wieviel dies den Staat kostet»

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Diana Frei (dif), Klaus Petrus (kp) Reporter: Andres Eberhard (eba), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99
 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

Surprise 468/20

Ständige Mitarbeit
 Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Semhar Negash, Stephan Pörtner, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Tim Harris, Matt Lutton, Eva Mell, Luca Schenardi, Gerd Schild, Sebastian Sele, Ronaldo Pizzoferrato Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck  AVD Goldach Papier  Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage  28 800 Abonnemente  CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto:
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Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

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FOTO: KLAUS PETRUS

Surprise-Porträt

«Das Leben ist doch schön» «Ich singe seit eineinhalb Jahren im Surprise Strassenchor. Zu meinen Lieblingsliedern gehört «Don’t worry, be happy» von Bobby McFerrin. Darin heisst es, dass man immer gut gelaunt sein kann, auch wenn alles schiefgeht. Das passt zu meinem Leben, denn ich habe schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Seit dreissig Jahren habe ich eine bipolare Störung, ich bin manisch-depressiv. Es gibt Zeiten, da bin ich fröhlich und euphorisch, das sind die manischen Phasen. Dann aber erlebe ich auch depressive Zeiten, in denen ich mich wie an einem Abgrund fühle. In solchen Momenten versuche ich mich daran zu erinnern, dass das Leben doch eigentlich schön ist: Don’t worry! Meine psychische Erkrankung hat begonnen, als ich noch in Hamburg lebte und mit 28 Jahren an der Fachhochschule kurz vor meiner Diplomprüfung zum ­Bibliothekar stand. Damals war ich überfordert. Ich hatte eine dominante Freundin, die mich unbedingt heiraten wollte, weil sie bald 30 wurde. Dazu kam die Diplomprüfung, und kurz zuvor war mein Vater verstorben. Das war mir alles zu viel. In den manischen Phasen, die einen Monat dauern ­können, bin ich aufgestellt, unternehmungslustig und sehr kreativ. Ich arbeite in der Kreativwerkstatt des ­Bürgerspitals in Basel, wo ich oft male. In diesen manischen Phasen habe ich viele Ideen und kann sie auch umsetzen. Die Kehrseite ist, dass ich dann einfach draufloslebe. Ich gebe mein Geld für alles Mögliche und ­Unmögliche aus, und es gibt Nächte, die ich durchmache. Ich komme dann gar nicht auf die Idee, dass es mir gut tun würde zu schlafen. Ist die Phase vorbei, macht sich der Schlafmangel bemerkbar. Und die Kreativität und all die positiven Aspekte, die ich während der manischen Phase erlebe, fehlen mir im Nachhinein. In depressiven Zeiten habe ich immer wieder Suizid­ gedanken. Aber ich weiss, es gibt viele liebe Leute um mich herum, die sehr traurig wären, wenn ich nicht mehr da wäre. Es könnte ja auch sein, dass ein Suizidversuch nicht gelingt. Dann wäre ich vielleicht querschnittsgelähmt und noch schlimmer dran als zuvor. Ausserdem bin ich ein gläubiger Mensch. Ich bin ­überzeugt, dass Gott mich so gemacht hat, wie ich bin, und dass er mich lieb hat, wie ich bin. Das gibt mir Halt. Im Allgemeinen bin ich zufrieden mit meiner Stimmung, solange ich Medikamente nehme. Etwas traurig bin ich nur darüber, dass ich nicht mehr so gute Freundschaf30

Simon Schiegg, 57, aus Basel singt seit eineinhalb Jahren im Surprise Strassenchor. Er schätzt den Zusammenhalt, der ihm in schweren Zeiten eine Stütze ist.

ten habe wie früher. Vor zehn Jahren war das noch ­anders. Dann aber starb einer meiner Freunde, weil er zu viel trank und zu ungesund lebte. Eine Freundin von mir nahm sich das Leben, weil sie ständig starke Schmerzen hatte, und eine andere brach den Kontakt zu mir ab, weil sie es nicht ertragen konnte, dass ich ­immer mal wieder in die Klinik muss. Ich brauche Kontakte und Freundschaften sehr. ­Deshalb ist der Surprise Strassenchor für mich ein Halt. Im ­vergangenen Herbst ging es mir psychisch nicht gut, und ich musste wieder in eine Klinik. Trotzdem ging ich weiterhin in den Chor. Ich war sehr ängstlich und habe mich zu dem Zeitpunkt nicht getraut, alleine unterwegs zu sein. Aber es kam immer jemand vom Chor, um mich zu begleiten. Da habe ich den Zusammenhalt und die familiäre Atmosphäre erlebt. Das hat mir gut getan und mir sehr geholfen.»

Aufgezeichnet von EVA MELL Surprise 468/20


Das ist Olga. Olga verkauft Peatón in Peru. Ihr Verkäufer ist einer von mehr als 9000 Verkäufern in 35 Ländern, die jeden Tag Strassenzeitungen verkaufen. Sie gehören zu den mehr als 4 Millionen Lesern weltweit, die Strassenzeitungen unterstützen und so Leben verändern.

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Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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