Surprise Nr. 458

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Strassenmagazin Nr. 458 6. bis 19. September 2019

CHF 6.–

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Waldbrände

Die Brandlöscher In Russland kämpfen ein paar Dutzend gegen eine ökologische Katastrophe Seite 10

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Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren. BETEILIGTE CAFÉS IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstrasse 18 | Bäckerei KULT «Elsi», Elsässerstrasse 43 | BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Café Bohemia, Dornacherstr. 255 Café-Bar Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | Café Restaurant Haltestelle, Gempenstr. 5 | Kiosk Amann, Claragraben 101 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreffpunkt Lola, Lothringerstr. 63 | Les Gareçons to go, Badischer Bahnhof | Rest. Manger & Boire, Gerbergasse 81 | Trattoria Bar da Sonny, Vogesenstr. 96 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | Radius 39, Wielandplatz 8 | Café Spalentor, Missionstrasse 1 | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Treffpunkt Breite, Zürcherstrasse 149 IN LENZBURG feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4-Markt Baselstrasse, Baselstr. 66 | Restaurant Quai4, Alpenquai 4 | Quai4-Markt Alpenquai, Alpenquai 4 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Restaurant Brünig, Industriestrasse 3 | Arlecchino, Habsburgerstrasse 23 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN BERN Café Kairo, Dammweg 43 | Café MARTA, Kramgasse 8 | Café Tscharni, Waldmannstr. 17a | Café-Bar das Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa Lorraineladen, Lorrainestr. 23 | Luna Llena Gelateria Rest. Bar, Scheibenstr. 39 | Rest. Genossenschaft Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 | Rest. Löscher, Viktoriastr. 70 | Rest. Sous le Pont – Reitschule, Neubrückstr. 8 | Rösterei Kaffee und Bar, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 | Café Paulus, Freiestrasse 20 | Becanto GmbH, Bethlehemstrasse 183 | Phil’s Coffee to go, Standstrasse 34 IN BIEL Treffpunkt Perron bleu, Bahnhofplatz 2d IN ZÜRICH Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | Quartiertreff Enge, Gablerstrasse 20 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 | Kafi Freud, Schaffhauserstrasse 118 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistrasse 76 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestrasse 47 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN MÜNCHENBUCHSEE tuorina boutique & café, Bernstrasse 2 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstrasse 3a

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise 2

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TITELBILD: FABIAN WEISS

Editorial

Im Verborgenen Ich muss gestehen, mich fasziniert das sehr: Wie eine Gesellschaft es schafft, alles, was sie stört, was unangenehm ist oder ihr nicht in den Kram passt, zu verbergen oder unsichtbar zu machen. Ökologische Krisen zum Beispiel, soziale Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung der Tiere, Altersarmut, häusliche Gewalt, Kinderarbeit, Prostitution. Die Liste des Verborgenen ist lang, verdammt lang. Wir machen vieles unsichtbar, indem wir nicht darüber reden wollen und stattdessen einfach das Thema wechseln. Oder indem wir so tun, als würde uns all das nichts angehen, weil es ohnehin immer nur die «Anderen» betrifft – um sie dann an den Rand der Gesellschaft zu drängen oder gar wegzusperren. Das hier ist mein erstes Editorial für Surprise. Als Freunde mich fragten, wieso gerade dieses Magazin, hatte ich die Antwort sofort parat: weil Surprise das Verborgene in unserer Gesellschaft sichtbar macht.

Ja, das sind grosse Worte und der Ehrgeiz dahinter schon fast aberwitzig. Doch sei’s drum. Der amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair schrieb einmal, vieles, das in unserer Gesellschaft passiere, sei «wie ein Verbrechen, das in einem Verlies begangen wird, unbemerkt und unbeachtet, vor aller Augen verborgen und sogleich aus dem Bewusstsein verdrängt». Und er war auch überzeugt: Je mehr wir verdrängen und vor uns selber verbergen, umso mehr verhärtet sich unser Mitgefühl. Ich glaube, der Mann hat recht. Auch deswegen sind Geschichten so wichtig, denn sie öffnen uns die Augen. Davon gibt es auch in diesem Heft wieder viele: über vergessene Waldbrände, versteckte Armut und Orte, die wir schon lange nicht mehr beachten. Doch lesen und schauen Sie selbst. KL AUS PETRUS

Redaktor

4 Aufgelesen 6 Vor Gericht

Wir, der Rechtsstaat

7 Moumouni …

... und die Stille

8 Die Sozialzahl

Das Zerrbild der Gerontokratie

10 Waldbrand

Ein Tropfen auf den heissen Torf

18 Armut

Mit schlechten Karten

22 Theater

Choral vs. Glencore

25 Kino

Joel Basman auf der Baustelle

26 Kino

Lebensabend Deluxe

26 Schweiz schreibt

Ein eigenes Buch

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27 Tour de Suisse

Pörtner am Paradeplatz

28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Surprise-Porträt

«Wie ein Fels, ruhig und freundlich»

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Europas grösste Graffiti-Galerie Lagerhallen, Container, Kräne und Schienen säumen die drei grossen Wasserbecken im Linzer Hafen. Aus dem Wunsch, die grauen Fassaden der Hafengebäude zu verschönern, ist eine der grössten zusammenhängenden Graffiti-Galerien in Europa entstanden. Inzwischen zieren mehr als 300 teils überdimensionale Graffiti von Kunstschaffenden aus etwa dreissig Nationen die Fassaden von alten Industriebauten und Häuserwänden. Besucher und Besucherinnen können die Kunstwerke von «Mural Harbor» mit einem fachkundigen Guide entdecken oder selbst mit der Sprühdose Spuren im Linzer Handelshafen hinterlassen.

KUPFERMUCKN, LINZ

In der Sprayerszene gilt der Spruch: «Ein Polizist ist kein Freund». Anders auf diesem Graffiti mit dem Bruderkuss, entworfen vom Linzer Karikaturisten Gerhard Haderer. 4

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Der letzte Schritt «Was ich tun möchte, ist vielleicht nicht, was ich tun sollte», schrieb Bengt Viktorsson seiner Tätowiererin Jenny Boström. «Ich kann dann wahrscheinlich nicht mehr auf Kreuzfahrten oder Hobbymessen gehen, wie ich es bisher getan habe. Wenn ich mein Gesicht tätowieren lasse, ist das der Preis, den zu zahlen ich bereit sein muss.» Dreissig Jahre ist es her, seit sich der 73-Jährige sein erstes Tattoo stechen liess. Heute sind es über 200. Nun sind Kopf und Gesicht an der Reihe: Wenn Viktorsson im nächsten Frühjahr seine Perücke abnimmt, wird sein Kopf von Blumen und Schmetterlingen bedeckt sein. «Du solltest deine Tattoos mit Stolz tragen und dich nicht deswegen isolieren», findet Tätowiererin Boström. «Leb weiter wie bisher und geh auf deine Kreuzfahrt!»

FAKTUM, SCHWEDEN

Rechte für Wohnungslose

Eine riesige Schlange des Street-Artists Nychos ziert ein Gebäude des Linzer Hafens.

Das Recht auf Nutzung des öffentlichen Raums, das Recht zu wählen und das Recht auf Privatsphäre sind drei von mehr als zehn Grundrechten für Wohnungslose, deren verbriefte Garantie derzeit in der britischen Stadt Brighton diskutiert wird. 2500 Bürgerinnen und Bürger forderten dies in einer entsprechenden Petition, die Ende Juli dem Stadtrat überreicht wurde. Erstellt wurde der Grundrechtskatalog im Rahmen der Kampagne «Be Fair, Europe» von verschiedenen Non-Profit­­­­­­­-Organisationen, die Wohnungslosenhilfe in Europa betreiben oder diese unterstützen.

THE BIG ISSUE, LONDON

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Anstieg Antisemitismus

Zwischen 2007 und 2017 haben sich judenfeindliche Online-Kommentare auf den Seiten deutscher Medien wie FAZ, Spiegel, Süddeutsche, taz etc. mehr als verdreifacht: von 7,51 auf 30,18 Prozent. Nach einer Studie von 2016 vertritt ein Zehntel der deutschen Bevölkerung klassisch antisemitische Positionen, bis zu einem Drittel bejaht sogenannte sekundär-antisemitische Aussagen wie «Juden nutzen den Holocaust zu ihrem Vorteil», und mehr als 20 Prozent teilen Ansichten des israelbezogenen Antisemitismus.

ASPHALT, HANNOVER

Mindestlohn unzureichend

In Deutschland gibt es neun Millionen Niedriglohn-Beschäftigungsverhältnisse – mehr, als das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bisher angenommen hatte. Als Niedriglohn gilt ein Bruttolohn, der selbst bei einer Vollbeschäftigung nicht existenzsichernd ist. Der gesetzliche Mindestlohn habe zwar die Stundenlöhne im untersten Zehntel überproportional ansteigen lassen, aber den Anteil der (in der Schweiz häufig Working Poor genannten) Niedriglohnbeschäftigten nicht gesenkt.

BODO, BOCHUM/DORTMUND

Was die Jungen wollen

25,9 Prozent der jungen Österreicherinnen und Österreicher möchten autofreie Innenstädte. Das fand der «Jugend Trend Monitor 2019» heraus. 2263 Menschen zwischen 14 und 29 Jahren wurden hierfür befragt. Von ihnen wollten ausserdem 72,4 Prozent ihren Körper nach einem Idealbild formen, 13 Prozent wurden schon einmal Opfer von Online-Mobbing.

MEGAPHON, GRAZ

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Vor Gericht

Wir sind der Rechtsstaat Wer Netflix hat und «When They See US» noch nicht gesehen hat: einschalten. Der Vierteiler behandelt die Vergewaltigung einer Joggerin im New Yorker Central Park im Jahr 1989. Deren Aufklärung führte zu einem der grössten Skandale der US­ Justizgeschichte. Immer wieder wird er nacherzählt, in Doktorarbeiten, Dokfilmen, als Oper. Denn er ist ein Lehrstück über strukturellen Rassismus und wie Angst den Rechtsstaat formen kann. Im April jenes Jahres marodierten Dutzende junge Männer durch den Central Park. Griffen Leute an, raubten sie aus. Passanten entdeckten die Joggerin geknebelt, gefesselt, verletzt; ob sie überleben würde, war unklar. Verhaftet wurden: Antron McCray. Korey Wise. Yusef Salaam. Kevin Richardson. Raymond Santana. Zwischen vierzehn und sechzehn Jahre alt, vier sind schwarz, einer ist Latino. Besser bekannt sind sie als «Central Park Five». Diese Bezeichnung steht für vieles: Den Horror einer Stadt, die man damals «Crime Central» nannte, 1905 Morde und 3254 Vergewaltigungen waren es 1989. Aber auch für Paranoia. Das Label steht auch für Donald Trumps erste Einmischung in öffentliche Angelegenheiten. Das Opfer, eine weis­se Investment-Bankerin, war noch nicht aus dem Koma erwacht, als er ganzseitige Zeitungsinseraten schaltete: «Bring Back the Death Penalty». Er sagte: «Ich hasse die Leute, die dieses Mädchen vergewaltigt haben. Ich will, dass alle sie hassen.» Und es steht für das Ende der Vorstellung, in einem modernen Rechtsstaat seien Ge-

richte immun gegen solche Kräfte. Denn auch die Justiz kehrte ihren Grundsatz um: schuldig bis zum Unschuldsbeweis. Polizeibeamte befragten die Jungen teils über Tage, ohne Eltern oder Anwälte – bis sie gestanden. Ihre Aussagen waren grob widersprüchlich und lebensfremd. Dass sie vor Gericht zugelassen wurden: unverständlich. Sonst keine physischen Beweise, keine Augenzeugen, keine Indizienkette. Dennoch gelangte die Jury zu einem Schuldspruch. Die Männer sassen zwischen sieben und dreizehn Jahren im Gefängnis. Korey Wise sass solange, bis der wahre Täter 2002 ein Geständnis ablegte. Die DNA auf der Socke des Opfers – sie konnte zuvor nicht zugeordnet werden – war seine. Man nennt die Geschichte einen Justizirrtum. Doch der Begriff führt in die Irre. «Das sind keine Fehler, das System ist so gebaut», sagt Regisseurin Ava DuVernay. Schon in ihrem Dokumentarfilm «13th» untersuchte sie schlüssig den Zusammenhang zwischen Sklaverei und dem heutigen Industrial Prison Complex. Die Geschichte der «Central Park Five» hat sie als leicht fiktionalisiertes Bürgerrechts-, Polit- und Familiendrama verfilmt. Sie bleibt aktuell: Trump sitzt heute im Weissen Haus und beschimpft Minderheiten. Einerseits. Andererseits findet der Fall neue Resonanz: Man spricht über einseitige Polizeiarbeit und Masseninhaftierungen. Am Tag der Erstausstrahlung wurde die Serie auf den sozialen Netzwerken zum Hit. «Das ist unsere Horrorstory», twitterten junge Afro-Amerikanerinnen. Und niemand, sagt Ava DuVernay, könne behaupten, ein solcher Fall sei heute nicht mehr möglich. In den USA sowieso. Auch uns zeigt er, dass ein Rechtsstaat nicht abstrakte Justiz ist. Wir alle machen ihn aus. Y VONNE KUNZ  ist Gerichtsreporterin in

Zürich. Surprise 458/19


ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

gesucht haben. Mir wird klar, dass ich nicht schon wieder darauf hätte hereinfallen sollen. Auf das Versprechen: Ich erlebe etwas ganz Besonderes. Ich und die Fledermäuse. Tourismus ist das Verlangen, sich als etwas Besonderes zu fühlen. Ich und der Machu Picchu, ich und das Taj Mahal, fast für mich gebaut, ich und der Strand auf der Insel, wo «The Beach» gedreht wurde. Ich, ich, ich und tausend andere. Wir und die Ruhe vor dem Alltag, die in echt gar keine Ruhe ist, weil ständig jemand im eigenen Kauderwelsch «schau mal» sagt oder kichert oder murmelt oder über den Selfiestick flucht. Die Reiseführerin hat gerade eine Schweigeminute verordnet, um die Stille der Höhle nachzuempfinden, aber ich kann mich wegen der dicken, laut schnaufenden Kinder neben mir nicht konzentrieren. Ich denke stattdessen über die verlorene Stille nach. Einmal, als ich in der Wüste war, wurde es auf einmal so still, dass ich mich kurz fragte, ob ich schlagartig gehörlos geworden war. Stille ist die Frage, ob man selbst noch existiert, oder von mir aus auch: das Realisieren von rauschendem Blut in Adern und das Schlagen von Herzen. Ich habe ein schlechtes Gewissen wegen der vertriebenen Fledermäuse.

Moumouni …

… und die Stille Es gibt keine Stille mehr. Nachdem die Stille Tag und Nacht durch jede grössere und sogar die eine oder andere kleinere Stadt der Welt gejagt worden war, starb sie endgültig, als ein paar – oder eben, und das war das Problem, sehr viele – Touris die Höhlen der Ägypter, der Inkas, der Christen und der meisten Asketen mit ihren Selfiesticks und Chips essenden, laut atmen­den Stadtkindern überfielen. Die Stille starb und mit ihr das Sakrale und die Andacht. Alles wurde ein Brei im Schlund der Sensationssucht. Die Menschen waren steckengeblieben zwischen ihrer Aufmerksamkeitsstörung und der ewigen Ungestilltheit ihres Konsumwillens. Geritten von einer kurzlebigen Faszination für Kunst, fremde Religionen, Archäologie oder halt Weltwunder, eilten sie durch die Gedenkstätten, einSurprise 458/19

samen Buchten und Tempel dieser Welt, um dann eine Eiffelturm-Miniatur, ein Alpakafell oder ein Singha-T-Shirt zu kaufen. Ein Wärter in der Sixtinischen Kapelle schreit alle drei Minuten «No photos!», in der Alhambra-Moschee kichert jemand über das ungewohnte Kopftuch in die Kamera, woanders muss jemand Fotos von der Ayahuasca-Zeremonie für seine Insta-Story machen, jemand anders sucht im Louvre den Raum, den sie im Beyoncé-Video gesehen hat. Und ich stehe in irgendeiner Höhle. Die grösste von einem beliebig gewählten geografischen Raum, denn Touris stehen auf Superlative. Eigentlich bin ich wegen der Fledermäuse gekommen, stattdessen zeigt uns die Reiseführerin Fäkalspuren von Fledermäusen, die längst das Weite

Ein Kind bricht einen Teil eines mühsam gewachsenen Stalaktiten ab. Es murmelt ein Schweizer, dass man sich so nicht benehme. Das akkumulierte Murmeln aller Schweizer und Schweizerinnen auf der Welt, die finden, so benehme man sich nicht, ist wohl lauter als das akkumulierte Schnaufen der dicken Kinder, die von ihren Eltern in irgendwelche Höhlen, Gedenkstätten und hügelige Altstädte geschleppt wurden. Ich frage mich, ob ich in der Wüste auch Eidechsen vertrieben habe, und habe ein noch grösseres schlechtes Gewissen.

FATIMA MOUMOUNI  ist im Urlaub gern allein. Ausserdem war sie noch nie im Louvre, wohl aber im Museumsshop vom MoMa.

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Wandel würde die Schweiz über die Zeit verarmen lassen. Aus diesem Stoff wird dann ein Generationenkonflikt gewoben und die Jungen werden gegen die Alten in Stellung gebracht.

Das Zerrbild der Gerontokratie Droht unserem Land eine Herrschaft der Alten, eine Geron­ tokratie? Der demografische Wandel beeinflusst auch die poli­ tischen Entscheidungsprozesse. In der Schweiz nimmt nicht nur der Anteil der älteren Menschen zu, auch jener der älteren Stimm- und Wahlberechtigten steigt. 2020 wird die Zahl der über 55-jährigen Schweizerinnen und Schweizer auf 2468 Mil­ lionen angestiegen sein. Zwanzig Jahre später werden es 2947 Millionen sein. Damit nimmt das Gewicht der älteren Schweizerinnen und Schweizer an der Urne von 46 auf 51 Prozent zu. Berücksichtigt man zudem, dass sich ältere Wahl- und Stimmberechtigte deutlich häufiger an Personenwahlen und Abstimmungen beteiligten, so haben die 55plus schon heute eine satte Mehrheit in der Schweiz. Aber ist das Alter alleine schon eine politische Position? Sind sich die 55plus – nur, weil sie derselben Altersklasse ange­ hören – immer einig? Wäre dem so, könnten die älteren Schweizerinnen und Schweizer in den kommenden Jahren bestimmen, wo es politisch langgeht. Die jüngeren Generationen hätten das Nachsehen und blieben der Urne erst recht fern. Es werden darum Stimmen laut, die eine eigentliche Ausbeutung der Jungen durch die Alten befürchten. Die Alten würden sich gute Renten genehmi­ gen und die Jungen hätten dafür zu zahlen. Sie würden sich für mehr Sicherheit aussprechen und bei Bildung, Forschung und Entwicklung sparen wollen. Die Schweizer Gesellschaft würde so an innovativer Zugkraft verlieren und an wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit einbüssen. Der demografische

Doch trifft dieses Zerrbild einer Gerontokratie für die Schweiz tatsächlich zu? Ist es so, dass ältere Menschen nur an sich denken und nicht daran, was ihre politischen Entscheide für ihre Kinder und Enkel bedeuten könnten? Sollte man das Stimmgewicht der älteren Schweizerinnen und Schweizer über 70 deshalb auf die Hälfte beschränken, wie das schon vorgeschlagen wurde? Oder das Wahl- und Stimmrechtsalter auf 16 Jahre senken? Gemäss Studien werden die politischen Positionen von Men­ schen nicht nur und nicht zu allererst durch das Alter, sondern vielmehr durch die soziale Herkunft, den Bildungsstand und das Einkommen geprägt. Das Meinungsspektrum wird darum im Alter nicht enger. Auch unter älteren Menschen gibt es solche, die für oder gegen das garantierte Grundeinkommen waren, die für oder gegen die Masseneinwanderungsinitiative stimmten oder die SP oder SVP wählen. Allerdings beeinflussen sozio-ökonomische Faktoren wie das Elternhaus oder der erreichte Wohlstand auch die Wahl- und Stimmbeteiligung. Gut gebildete und besser Verdienende nehmen deutlich häufiger an Wahlen und Abstimmungen teil als solche mit einem tieferen Bildungsstand und geringerem Ein­ kommen. So gesehen droht der Schweiz weniger eine Gerontokratie als eine Herrschaft des Geldes, eine Plutokratie!

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL  ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Anzahl Wahl- und Stimmberechtigte 3 000 000

2 500 000

2 000 000

2010

Anzahl 18- bis 54-jährige Wahlberechtigte

8

2020

2030

2 946 632

2 851 570

2 781 202

2 798 815

0

2 467 823

500 000

2 869 134

1 000 000

1 994 807

1 500 000

2 991 162

INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK (2019): BEVÖLKERUNGSSTATISTIKEN, NEUCHÂTEL.

Die Sozialzahl

2040

Anzahl 55plus-jährige Wahlberechtigte

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Ein Tropfen auf den heissen Torf Waldbrand Jedes Jahr wüten in Russland riesige Wald- und Torfbrände.

Der Staat tut kaum etwas gegen die Katastrophe. Doch einige Freiwillige stellen sich dem Feuer entgegen. TEXT  MARTIN THEIS FOTOS  FABIAN WEISS

RUSSLAND

Selenginsk

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Yura Kostenko, 22 Jahre alt, stämmige Statur, Baseballkappe auf dem Kopf, sitzt in einem Kleinbus auf dem Gepäck im Gang und rappt die laut aufgedrehten Songs aus den russischen Charts mit. Die Sitze hat er den Kollegen überlassen, Ehrensache. Drei Stunden nachdem er in einer orthodoxen Kirche noch rasch um Gottes Segen für seinen Einsatz gebeten hat, erreicht die Truppe ein Birkenwäldchen. Der Bus schaukelt über den Feldweg, dann wird er langsamer. Yura richtet sich auf, zeigt aus dem Fenster: «Dort, ein Torffeuer!» Draussen zwischen den Stämmen zieht dichter Rauch über den Boden. Yura und seine Mitstreiter steigen aus und stapfen in einen Gespensterwald. Oben wirken die Birken noch grün und lebendig, unten ist die weisse Rinde schon schwarz verkohlt. Einige Bäume sind umgekippt, die Wurzeln zu Stumpen verkohlt. «Ich könnte heulen, wenn ich das sehe», sagt Yura. Der toxische Rauch beisst in Augen und Lunge. Er zündet sich erstmal eine Zigarette an. Die Freiwilligen in ihren olivgrün-orangen Uniformen schaffen benzinbetriebene Wasserpumpen aus dem Bus, rollen Feuerwehrschläuche aus und verteilen ein Dutzend Schaufeln. Sie treiben Thermometerstangen in den Boden und messen die Temperaturen, um die unterirdischen Ränder des bis zu 500 Grad heissen Torffeldes zu finden. Dann beginnt der Kampf. Wochenlang nur Smog Vor Sowjetzeiten waren hier, nahe der kleinen Stadt Selenginsk in der sibirischen Region Transbaikalien, grosse Moorgebiete – bis die Menschen sie für Landwirtschaft und Torfabbau trockenlegten und damit eine tickende Zeitbombe schufen. In Russland gehen jedes Jahr Millionen Hektaren Wald und ausgetrocknete Moore in Flammen auf. Mit dem Klimawandel nehmen die Feuer

zu – und Torfbrände sind dabei ein besonderes Problem. Sie können im Vergleich zu einem Waldbrand das Tausendfache an Rauch entwickeln, auch weil sie oft monatelang andauern, selbst bei starkem Regen. Die Torfschichten sind über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen entstanden. Verbrennen sie, entweichen besonders grosse Mengen des Treibhausgases CO2. Zudem bleibt der Rauch nahe am Boden und verbreitet sich hunderte Kilometer weit. Als 2010 die Moore um Moskau brannten, verschwand die Stadt wochenlang im Smog. Die Sterberate in der Hauptstadt verdoppelte sich schlagartig. Wenn nicht gerade Moskau betroffen ist, werden die Feuer von Behörden und Medien meist ignoriert oder ihr Ausmass drastisch heruntergespielt. Deshalb organisieren sich immer mehr Menschen aus der Bevölkerung und bilden eigene Löschtrupps. So wie Yuras Gruppe: die Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal. Ihr Revier ist die Region östlich des Baikalsees. Eine Woche vor ihrem Einsatz gegen das Torffeuer stehen diese Vorboten einer neuen russischen Zivilgesellschaft am Sandstrand des Baikalsees und eröffnen ein Trainingscamp. Es sind gut drei Dutzend Leute, Umweltschützer, Studierende und Freiwillige aus anderen Regionen, die meisten nicht einmal Mitte zwanzig. Sie alle hatten ihren eigenen, ganz persönlichen Weckruf, ein Ereignis, nach dem sie nicht mehr wegschauen wollten. In diese jungen Leute setzt Andrey Borodin, 42, der Gründer der Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal, all seine Hoffnung. «Ich habe vor zwei Jahren verstanden, dass wir uns nicht nur auf den Staat verlassen können», sagt er. Damals brannten in Russland rund 85 000 Quadratkilometer Wald und Torf, eine Fläche grösser als Österreich. In seiner Heimatstadt Ulan Ude,

«Wir können uns nicht nur auf den Staat verlassen.» ANDRE Y BORODIN, 42, GRÜNDER DER FREIWILLIGEN FEUERBEK ÄMPFER

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Die Brände lassen die Taiga versteppen, sie bedrohen die Artenvielfalt und belasten die Gewässer.

berühmt für die grösste Leninbüste der Welt, wo der Rauch von Frühling bis Herbst zur Wettervorhersage gehört wie Sonne oder Regen, konnte Andrey nicht mal mehr bis zur anderen Stras­ senseite sehen. Sechs Wochen Smog. Die Wald- und Torfbrände befördern die Versteppung der Taiga, bedrohen die Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt und belasten die Gewässer durch den Ascheregen. Ein vermeidbares Übel – denn für neun von zehn dieser Feuer sind Menschen verantwortlich. Sie setzen nach alter Sitte Grasland in Flammen, um den Boden fruchtbarer zu machen. Sie verbrennen ihren Müll, weil es keine geregelte Abfallentsorgung gibt. Sie legen Feuer in Waldstücken, um einem grösseren Brand vorzubeugen oder die verkohlten Bäume gegen eine niedrige Gebühr fällen zu dürfen. Sie verlieren oft die Kontrolle. Im Kampf gegen die Feuer ist Bildung deshalb wichtiger als Wasser. Hartes Training Andrey Borodin, ein feingliedriger Mann, hat die geschliffene Sprache von einem, der es gewohnt ist, die Welt um sich herum durch kühne Strategien und das richtige Netzwerk zu verändern. Er war PR-Verantwortlicher bei einer Telefonfirma, Chef des städtischen Tourismusbüros und hat in einem Hotel die ersten Raves organisiert, als im postsowjetischen Ulan Ude noch tote Hose war. Heute ist er hauptberuflich mit der Entwicklung Burjatiens betraut, einer Republik der russischen Föderation. «Ich Surprise 458/19

habe mich der Feuer angenommen, weil ich die einflussreichen Leute der Gegend gut kenne», sagt er. Sie muss er auf seine Seite bringen, und das möglichst diplomatisch. Keine Behörde lässt sich gerne von einem Freiwilligen erklären, dass sie ihre Arbeit nicht richtig macht. Das Trainingscamp ist straff organisiert. Von morgens früh bis abends spät werden Theorie- und Praxiseinheiten unterrichtet. Pünktlichkeit wird angemahnt, ebenso wie das strikte Alkoholverbot und die Nachtruhe um 23 Uhr. Disziplin, ein nüchterner Geist und unmissverständlich verteilte Verantwortung sind in der brennenden Taiga überlebenswichtig. Andrey träumt von einem Schulungszentrum, das die landesweit verstreuten Helfer ausbildet und vernetzt. Ihr Engagement ist nicht selbstverständlich: In der Sowjetunion gab es keine solchen Graswurzelbewegungen, und in der Zeit danach waren die Leute zunächst mit der wirtschaftlichen Krise und sich selbst beschäftigt. «Noch immer können viele Menschen in Russland nicht verstehen, warum jemand so eine Arbeit erledigen sollte, ohne dafür bezahlt zu werden», sagt Andrey. «Doch die Zeiten ändern sich auch hier.» Nach den zerstörerischen Bränden von 2016 fand er schnell Gleichgesinnte. Sie löschten erste kleine Feuer und halfen suchen, wenn mal wieder jemand beim Beerensammeln in der Taiga verschollen war. Sie gingen in Schulen, Dörfer und Universitäten, um mit den Menschen über das Feuer zu sprechen. 13


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Wie man es vermeidet. Wie man es löschen kann. Sie waren zu fünft – heute haben die Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal 150 Mitglieder. Und das soll erst der Anfang sein. Yura Kostenko, der Rapper mit der Baseballkappe, bewegt sich mit der Gelassenheit eines sibirischen Bären durch den Pinienwald, in dem die Trainingsgruppe ihre Zelte aufgeschlagen hat. Er blickt rauchend auf das eisklare Wasser, das sich bis zum Horizont erstreckt. Neben Rapmusik liebt Yura den lieben Gott und, ja, auch seine Heimat – obwohl er findet, dass die russische Politik sich nicht um die einfachen Leute schere. Um Leute wie ihn. Sonst hätte er doch längst einen bezahlten Job bekommen und die Chance, das zu tun, was er unbedingt will: helfen, retten, löschen. Er sah keine Perspektive – bis Andrey Borodin an die Universität kam, an der er Rettungsingenieurwesen studierte: «Er lud uns ein, mit ihm zu den Feuern zu fahren und zu lernen, wie man sie bekämpft.» Yura und ein paar Freunde machten mit. Die Freunde blieben irgendwann zuhause. Yura hat das Gefühl, er wird noch gebraucht. Putins Spiel mit dem Feuer An professionellen Feuerbekämpfern fehlt es den staatlichen Stellen ebenso wie an Ausrüstung und Benzin für die Einsätze. Vielleicht fehlt es auch an Motivation: Die Regierung Wladimir Putins hat den Schutz der russischen Wälder aus wirtschaftlichen Überlegungen gelockert und die Waldaufsicht auf die unvorbereiteten Regionalverwaltungen übertragen. In den ohnehin unterbesetzten Forstbehörden, die für die Brandbekämpfung in den Wäldern zuständig sind, wurden auf einen Schlag an die 70 000 Stellen gestrichen. Nur die Feuer wurden nicht weniger. Für Yura, bei den Freiwilligen Feuerbekämpfern Transbaikal bereits zum Anführer des Suchtrupps für Vermisste aufgestiegen, ist es daher so gut wie unmöglich, in seinem Bereich Arbeit zu 14

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Zu Beginn waren die Freiwilligen Feuerbekämpfer Transbaikal zu fünft, jetzt sind sie 150. Und das soll erst der Anfang sein. 4

1 Neun von zehn Bränden sind von Menschen verursacht. 2 Bis 500 Grad heiss werden die Torffelder unter der Erde. 3 Tausend Liter Wasser braucht es, um einen Quadratmeter Torffeuer zu löschen. 4 Die Torfschichten sind über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen entstanden. 5 Neben Rapmusik mag Yura Kostenko, 22, den lieben Gott und, ja, auch seine Heimat. 6 Die Feuerbekämpfer treiben ihre Spaten und Schaufeln in den Boden, um alle Schichten zu durchdringen.

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finden. Wäre es anders, bräuchte es nicht so viele Freiwillige. Yura wohnt in einer Wohnung mit seiner Mutter, seinen Grosseltern und zwei jüngeren Geschwistern. Das Geld ist knapp. «Du brauchst bald einen richtigen Beruf», sagt seine Mutter, wenn er wieder hinaus in die Wälder fährt, um tagelang Feuer zu löschen oder Vermisste zu suchen. «Das ist mein Beruf, Mama», sagt Yura dann. Sieben Tage lang lernen die Freiwilligen in dem Camp am See, wie sich Feuer ausbreiten, wie sie Geld für Löschaktionen über Fundraising-Plattformen im Internet sammeln können und wie sie am besten mit der Presse umgehen. Sie schmettern Kommandos durch den Wald, weichen kippenden Baumstämmen aus und bergen Verletzte mit aufgeschminkten Brandmalen inmitten qualmender Rauchbomben. Nicht alle, die hier mitmachen, werden später Brände bekämpfen. Doch alle werden ihr Wissen weitergeben. Mehr Helfer als Geld Dafür sorgt auch Ekatarina Grudinina. Die 36-Jährige baute das Trainingscamp schon Tage vor der Eröffnung mit auf und sie half es leiten, nachdem Andrey Borodin zu einer Konferenz nach Moskau aufgebrochen war. Sie hielt Vorträge und besorgte im Auftrag der Feldköchinnen immer wieder Verpflegung im nahen Dorf. Ekatarina Grudinina ist harte Arbeit gewohnt. An den Schläfen unter ihrem gelben Kopftuch kräuseln sich die ersten grauen Haare. Sie ist Mutter, IT-Beraterin, Kassiererin im Obstgeschäft und war bis vor Kurzem noch in einem Büro angestellt. Mittlerweile arbeitet sie für Greenpeace, das die freiwillige Feuerbekämpfung in Transbaikalien koordiniert – und sie engagiert sich in Andreys Truppe. Ihr letzter Urlaub ist sechs Jahre her.

«Die Leute finden schon gut, was ich tue, auch wenn manche meinen, das sei kein Job für eine Frau.» EK ATARINA GRUDININA , 36

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«Meine Arbeitsplätze habe ich oft gewechselt», sagt Ekatarina. «Mir wurde immer langweilig, wenn sich die Situationen nur noch wiederholten.» Mit dem Feuer sei es anders. «Es zwingt mich, jedes Mal neu zu denken.» Am Abend des letzten Camp-Tages trommelt Ekatarina eine Gruppe zusammen, die mit ihr am nächsten Tag noch in Richtung ihrer Heimatstadt Selenginsk aufbrechen soll, um dort ein Torffeuer zu löschen. «Smoketown», raunt Yura, der natürlich dabei ist, wie immer. Tags darauf biegt Ekatarina zehn Kilometer von Selenginsk entfernt mit ihrem Lada von der Landstrasse in einen Waldweg ein. Der Bus mit der lauten Rapmusik, in dem Yura auf dem Gepäck sitzt, folgt ihr. Als sie den Rauch in dem Birkenwäldchen sieht, hält sie an und steigt aus. Die Leute in Selenginsk fänden schon gut, was sie tut, sagt sie. Auch wenn manche meinten, dies sei kein Job für eine Frau. Viele ihrer Freundinnen und Freunde hätten ihr Hilfe zugesichert. «Aber wenn es dann darauf ankommt und ich sie anrufe, haben sie keine Zeit.» Ekatarina hat gelernt, das nicht persönlich zu nehmen. Sie sieht Yura und die anderen in den Wald stapfen, der Rauch beisst in der Lunge. Bis zu tausend Liter Wasser braucht es, um einen Quadratmeter Torffeuer zu löschen. Es hilft aber nicht, das Wasser einfach auf die Oberfläche zu spritzen. Du musst den Boden umrühren wie ein Frühstücksporridge, sagen sie, mindestens einen Meter tief, bis auch der letzte Klumpen in der Brühe verschwunden ist. Die Freiwilligen Feuerbekämpfer treiben ihre Spaten und Schaufeln in den Boden, um alle Schichten zu durchdringen. Das Wasser aus einem nahegelegenen Kanal schiesst aus den Schläuchen, mit einem lauten Zischen steigen Dampfschwaden auf. Bald stehen sie bis zu den Schienbeinen im Matsch und arbeiten sich am widerspenstigsten aller möglichen Feuer ab. Nach fünf Stunden haben zwei Dutzend Menschen mit all ihrer Kraft etwa vierzig Quadratmeter gelöscht. Ekatarina Grudinina hat auf der anderen Seite des Kanals längst neue Brandherde entdeckt. Sie sind grösser, und es sind viele. «Wir haben Leute, die sie löschen würden», sagt sie. «Aber wir haben kein Geld mehr.» Nach dem Feuerjahr 2016 bekamen die Freiwilligen 1,5 Millionen Rubel von der Regierung Burjatiens, umgerechnet etwa 22 000 Schweizer Franken. Das Geld ging für Ausrüstung, Mietbusse, Benzin und Verpflegung drauf. Das Verhältnis der Behörden zu den Freiwilligen ist gespalten. Wie politisch sind ihre Anliegen? Was ist die Agenda derer, die es wagen, den Staat zu kritisieren? Mit einem neuen Gesetz wollen sie die Gruppen dazu bringen, sich zu registrieren. Sie bekämen dann feste Gebiete zugewiesen, es winken Krankenversicherungen und finanzielle Unterstützung. Dafür müssten sie sich mit den Behörden abstimmen, Berichte schreiben, Rechenschaft ablegen. Die Freiwilligen sind skeptisch: Sind wir dann nur noch kostengünstige Handlanger eines Staates, der es versäumt hat, genügend professionelles Personal auszubilden? Wollen sie uns am Ende doch nur unter Kontrolle bringen? Ekatarina sagt, sie könne gut ohne Registrierung leben. Müde steigt sie in ihren Lada. Nach dem Trainingscamp und dem Löscheinsatz freut sie sich auf ihren Sohn, auf ein richtiges Bett und auf die frische Milch aus ihrem Dorf. Wie ein Schiff bei Wellengang schaukelt der Wagen über die löchrige Landstrasse. Hinter ihr steigt Rauch auf. Bald schon wird Ekaterina Grudinina den Kampf gegen das Feuer wieder aufnehmen. 17


«Ich hatte nie einen Franken in der Tasche, mit dem ich etwas für mich selbst hätte machen können.» ANNA RHYNER KUBLI

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Mit schlechten Karten Armut Gewöhnlich spricht Surprise-Stadtführer Hans Rhyner

selbst über Armut und Ausgrenzung. Für einmal aber überlässt er das Wort seiner 85-jährigen Mutter Anna. TEXT  AMIR ALI FOTOS  FLURIN BERTSCHINGER

«Meine Mutter in Elm, Anna Rhyner Kubli, geb. 01.02.1934 steht 1971 mit 6 Kindern alleine als Wittfrau da. Dieser Mensch hätte einiges zu erzählen über Armut, die es in der reichen Schweiz gibt seit jeher. Bitte um Rückruf.» Mit diesen Zeilen, sorgfältig mit blauem Kugelschreiber auf ein quergelegtes, weisses A4-Papier geschrieben, schliesst Surprise-Verkäufer und -Stadtführer Hans Rhyner den Brief, der Ende April die Redaktion erreicht. Einen Monat später sitzen Hans Rhyner und Anna Rhyner Kubli kurz vor Mittag im kleinen Garten der Bierstube Scheidegg in Zürich Wiedikon. Die Plastikstühle unter den Feldschlösschen-Sonnenschirmen sind gut besetzt, man spielt Karten oder schaut still vor sich hin, trinkt Bier oder Rosé. Auf dem Tisch von Mutter und Sohn stehen zwei Gläser Mineral, doch auf den Alkohol werden sie an diesem Mittag immer wieder zu sprechen kommen. Aber erstmal wird bestellt, Hans lädt ein, darauf besteht er. Peter Conrath, ebenfalls Surprise-Stadtführer und -Verkäufer, wirbelt am Grill, seit diesem Frühling kocht er hier in der Scheidegg. Am Nebentisch macht Surprise-Kollege Ruedi Kälin Mittagspause. Hans hat seine Mutter hierher mitgenommen, von Elm im hinteren Sernftal, 7 Einwohner pro km2, in den Zürcher Kreis 3, 5723 Einwohner pro km2, um ihr seine Welt zu zeigen. Nach dem Mittagessen werden sie dem Zürcher Surprise-Büro einen Besuch abstatten, dann wird Hans seine 85-jährige Mutter Surprise 458/19

wieder zurück nach Elm begleiten. Sie lebt noch immer in dem Haus, in dem sie Hans mit seinen drei Brüdern und zwei Schwestern aufzog. «Seit zwei, drei Jahren habe ich das Gefühl, der Hans hat sein Leben im Griff», sagt Anna. Hans bläst den Rauch seiner Zigarette aus, sagt erst nichts, um schliesslich ein gelassenes «Ja, ja» von sich zu geben. Aber es soll hier nicht um ihn gehen. Jetzt soll seine Mutter von sich erzählen, von einem Leben, das für viele steht in Annas Zeit, vor allem für die Frauen. Ein Leben, in dem man nicht danach gefragt wurde, wie man es denn gerne hätte, sondern tat, was einem gesagt wurde. «Bei ihr ging es immer um das Müssen. Da gab es keine Wahl», sagt Hans. Die Männer in dieser Geschichte trinken entweder, oder sie sterben. So wie Annas Vater, Mineur in den Schieferminen von Elm, der seiner Staublunge erliegt, als sie in der ersten Klasse ist. Sie sind sechs Kinder, die Mutter geht waschen und putzen, die Grossmutter schaut zu den Kindern. Mit 12 beginnt für Anna das Arbeitsleben: Nach der Schule muss sie bei einer Bauersfrau den Haushalt machen, putzen, waschen, Bsetzistei fegen. Dann besorgt sie den Haushalt eines Wittwers, ohne Lohn, nur für Kost. «Das Essen dort war schrecklich, das beste waren noch die geschwellten Kartoffeln», erinnert sie sich. Später hilft sie bei einer Bäckerfamilie im Dorf, hütet deren Zwillinge, arbeitet in der Backstube mit, hackt und schleppt Holz für den Ofen. 19


«Seit zwei, drei Jahren habe ich das Gefühl, der Hans hat sein Leben im Griff.» ANNA RHYNER KUBLI

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Nach der Konfirmation, mit etwa 16 also, holt eine Tante sie nach Zürich. «Herrenhaus» nennt sie den Ort, an dem sie dort als Privatköchin arbeitet. Sie kocht schon immer gerne, die Arbeit gefällt ihr. Eine Lehre darf sie aber nicht machen: «Meine Brüder wollten nicht, dass ich in der Stadt bleibe, aus Angst, ich könnte in schlechte Gesellschaft geraten», erinnert sie sich. «Sie war sehr hübsch», sagt Hans, weil es Anna nicht sagt. Zurück im Kurort Elm arbeitet sie in einem der Hotels, erst um acht Uhr abends kommt sie jeweils heim. Daneben geht ihr Leben weiter wie zuvor: Sie hilft beim Bäcker aus, putzt, wäscht. Schliesslich kommt sie als Putzhilfe zu einer Bauernfamilie. Der Sohn des Hauses verguckt sich in das schöne Dienstmädchen, und im Alter von 19 Jahren heiratet Anna den 12 Jahre älteren Jakob. «Ob er sie liebhatte, weiss ich nicht», sagt Hans über seinen Vater. «Momoll», sagt Anna. «Eifersüchtig war er, aber Angst musste ich vor ihm keine haben. Er war kein Alkoholiker und er hat nicht geschlagen.» Der Vater arbeitet im Dorf als Nachtwächter, und wenn er mal nicht kann, geht Anna und nimmt Hans mit. Auf der nächtlichen Runde wird im Dorf zum Rechten geschaut. Elm ist ein Föhndorf, und wenn der Wind kommt, darf keine Glut herumliegen. Raucher, die in der Nacht herumstehen, werden ermahnt und die Öfen der Haushalte kontrolliert. Ein Leben im engen Tal Hans ist der zweitälteste Sohn. Als er 15 ist, stirbt der Vater. Nach dem zweiten Herzinfarkt am selben Tag meint der Arzt bloss, er solle jetzt liegen, dann werde das schon wieder. Nachts um halb eins kommt der dritte Infarkt. Der Vater stirbt im Bett neben Anna, «mit ausgebreiteten Armen». Als die kleinste Tochter ins Zimmer kommt, will sie ihm die Augen wieder aufmachen. «Das sind die Sachen, an die man sich erinnert im Leben», sagt Anna. Sie ist jetzt 37 und hat sechs Kinder. Die Witwenrente reicht nicht. Sie arbeitet als Mädchen für alles im Hotel Sardona, in der Küche, auf der Etage, in der Waschküche. Das Land, auf dem die Familie noch Heu gemäht hat, um das Futter dann an andere Bauern zu verkaufen, verpachtet Anna. Die Söhne gehen ins lokale Gewerbe: Der Älteste fährt bei Elmer Citro, der Jüngste lernt Maler. Hans macht eine Schlosserlehre bei der Therma Küchenfabrik in Schwanden. Und er beginnt zu trinken. Das fremdbestimmte Leben im engen Tal, das seine Mutter so klaglos meistert, setzt ihm zu. Als er nach der Ausbildung keine feste Stelle bekommt, trinkt er immer mehr und fängt an zu spielen. Schliesslich zieht es ihn nach Zürich, wo es damals, in den Siebzigern, genug Arbeit gab. Und Partys. «Beim Feiern habe ich nichts ausgelassen, und die Jobs wechselte ich wie andere Leute die Unterhosen», sagt Hans. Der Vater habe ihm gefehlt. «Ich höre bis heute seine Worte: Geh achtsam mit dem Geld um, trink nicht zu viel, sei pünktlich bei der Arbeit. Aber eben, es kam anders.» Nach dem Tod des Mannes bekommt Anna eine Beiständin. Sie könne mit dem Geld nicht umgehen, heisst Surprise 458/19

es. «Dabei hatten wir keine Schulden», so Anna. Ihr Mann hat zwei Jahre vor seinem Tod noch eine Liegenschaft verkauft. Aber eine Frau alleine mit sechs Kindern? In der Schweiz der Sechzigerjahre kann man sich nicht vorstellen, dass das gut geht. Der Mann der Beiständin ist der Buschauffeur im Dorf. Jeden Monat, so Anna, habe er im Hotel Sardona ihren Lohn abgeholt und zu seiner Frau aufs Amt gebracht. Auch der Pächter des Graslandes lieferte den Zins direkt ans Waisenamt. Anna muss regelmässig bei der Behörde vorbei, um das Geld abzuholen und Rechenschaft über ihre Ausgaben abzulegen. Sie erhält immer gerade so viel, wie sie für den Einkauf und die Rechnungen braucht. «Ich selbst hatte nie einen Franken in der Tasche, mit dem ich etwas für mich selbst hätte machen können», erinnert sie sich. «Das war der Neid, der spielt hier oben eine grosse Rolle», sagt Hans. «Sie haben ihr einfach den Freund nicht gegönnt.» Die Witwe Anna beginnt ein Verhältnis mit einem Angestellten des Hotels, bald zieht er bei ihr ein. «Sie war verliebt», sagt Hans. «Das ist doch nicht verboten, dass sich eine Witwe verliebt, oder?» Anna muss ihre Kinder immer wieder mit Geld unterstützen, «vor allem die Buben, die Mädchen sind da ja etwas anders», sagt sie, ohne vorwurfsvoll zu klingen. Hans’ Brüder haben schwierige Ehen. «Alkoholikerinnen», sagt Anna, «die nichts beigetragen haben zum gemeinsamen Leben». Wohl auch deshalb mischt sich das Amt ein, vermutet sie. Irgendwann platzt ihr der Kragen. «Wenn ich mit einem von euch ins Nest gehen würde, hätte ich auch mehr Punkte bei euch», sagt sie einmal zu den Beiständen. «Danach musste ich schleunigst gehen, aber ab dem Tag liessen sie mich in Ruhe.» Auch Hans droht man mit einem Beistand. «Wenn er gesoffen hat, war er ein ganz Wüster, hat alles umgezerrt», sagt sie. Er macht zwar mehrere Entzüge, hat aber wieder Rückfälle. Anna lässt ihn trotz allem immer ins Haus, weist ihn nie ab. Heute macht Hans einen Bogen um Situationen, in denen die Versuchung zu gross werden könnte. Er ist regelmässig in Elm, um bei Anna nach dem Brennholz zu schauen. Und meist bleibt er auch beim Haus der Mutter: «Im Dorf treff ich nur wieder Leute, die sagen dann: Komm, nimm doch auch so ein einheimisches Kafi, das macht dir doch nichts. Und dann glaub ich denen, statt mir selbst. Das kommt nicht gut.» Er hofft, dass Anna so lange wie möglich im Haus wohnen bleiben kann. «Wenn du jemandem etwas zuliebe tust, wirst du davon auch nicht wüster» – das habe er von der Mutter gelernt, so Hans. Und dass man mit wenig zufrieden sein könne. Zum Schluss erinnert sich Hans an den «SamschtigJass». Als das Schweizer Fernsehen vor Jahrzehnten mit Monika Fasnacht aus Elm sendet, sitzt Anna mit am Tisch und jasst. Sie hat schlechte Karten bekommen, spielt aber gut. «Das kann sie», sagt Hans. «Gut jassen, auch mit schlechten Karten.» «Und verlieren kann ich auch», wirft Anna ein. «Wer nicht verlieren kann, der kann auch nicht jassen.» 21


Chorale versus Glencore Theater In Dorine Mokhas und Elia Redigers Bühnenstück «Herkules von Lubumbashi»

warten Kongolesen darauf, dass der antike Held ihnen den Stall ausmistet. Griechische Mythologie im Krisengebiet: Der Regisseur Milo Rau hat es bereits vorgemacht. TEXT  VALERIE THURNER

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«Génération un, génération deux»: Der Chor zählt durch bis in die Vergangenheit, als Belgien den Kongo kolonialisierte.

Ein Chor in Schuluniformen steht andächtig unter der Mittagssonne vor dem Krater einer stillgelegten Mine im Südosten des Kongos. Sie setzen zur Ouvertüre an: «Genération un, génération deux», rufen sie rhythmisch bis auf zwanzig. Zwanzig Generationen, so lange etwa reicht der historische Raubzug der europäischen Kolonialmächte zurück, als Belgien den Kongo unterjochte. Während Jahrzehnten und durch alle Regimewechsel hindurch nahm eine einzigartige Ausbeutung ihren Lauf, in der neben der politischen Elite insbesondere die Rohstoffkonzerne profitierten. Das Stück «Herkules von Lubumbashi» ist ein Gemeinschaftswerk des kongolesischen Choreografen und Tänzers Dorine 22

Mokha und des Schweizer Musikers und Sängers Elia Rediger, dem breiten Publikum als Gründungsmitglied der Band «The bianca Story» bekannt. Rediger ist Impulsgeber für das Projekt und wollte damit ein Versprechen einlösen. Nämlich, wie vor Jahren im Schweizer Fernsehen angekündigt, dem in der Schweiz ansässigen Rohstoffkonzern Glencore ein musikalisches Bühnenwerk zu widmen, das dem Unternehmen stellvertretend für eine ausbeuterische Weltwirtschaft den Spiegel vorhält. Mittels Mythen und Chorälen. Dem CEO von Glencore, einem fiktionalisierten Ivan Glasenberg, legt Rediger eine Arie in den Mund. In hohem Falsett flötet er in feinster Barockmanier eine wört-

lich zitierte Passage aus einer Glencore-Pressemitteilung. Sie versichert der Welt, dass sich die Aktivitäten des Konzerns positiv auf die lokalen Gemeinschaften vor Ort auswirkten. «Wir bringen Wohlstand», singt ein Glasenberg, der klingt, als hätte er Kreide gegessen. Es ist die andächtige Rezitation der eigenen Greenwashing-Strategie. «Wir haben verlernt, utopisch zu denken. Aber man darf das Entwerfen von Utopien nicht einfach der Wirtschaft überlassen», sagt Elia Rediger. Das berühmte Epos des Halbgottes Herkules, der den Augiasstall ausmistet, dient dem Oratorium als Grundlage, um aus dem kulturellen Erbe beider Weltregionen eine neue Erzählung zu kreieren. «Herkules aus Surprise 458/19


FOTOS: PAMINA DITTMANN (1), ZVG (2), ZVG (3)

Lubumbashi» ist aus musikalischen Tableaux Vivants sowie assoziativen Episoden aus Tanz, Musik und gesprochener Erzählung gebaut und musikalisch inspiriert vom Barockkomponisten Georg Friedrich Händel. Das Ziel ist, europäisches Kulturerbe mit alten kongolesischen Mythen und populärem Afro-Beat zu fusionieren. Das Problem des Wartens Erzählt wird die utopische Befreiungsgeschichte der Bevölkerung rund um die Kupfer- und Kobaltminen von Katanga. Herkules zwingt Glencore dabei durch eine List und mithilfe der afrikanischen Wassergöttin Mami Wata in die Knie. Dann steht dank hohen Summen von Rückzahlungen an die lokale Bevölkerung dem industriellen Aufschwung im Kongo, wo die Fabriken rattern und die Menschen glücklich sind, nichts mehr im Weg. Doch dies ist eine Utopie, denn der Herkules, der kommt nicht in den Kongo. Und so warten die Menschen im Bühnenwerk seit Langem auf einen Befreier, der ihnen die Verfügung über die Reichtümer in ihrer Erde zurückgeben soll. Dorine Mokha findet deutliche Worte, wenn er die Passivität seiner Landsleute – auch ausserhalb des Fiktiven – anprangert: «Ich habe nie verstanden, warum wir Kongolesen immer auf jemanden warten, der kommt und unsere Probleme löst, um uns von unserem Leiden zu befreien, und uns neue Hoffnung schenkt. Dieses Warten wurde zu einer Krankheit, die uns glauben lässt, dass die anderen uns in die Zukunft führen können», sagt er im Youtube-Trailer zum Stück. Afrikanische Gesellschaften funktionieren stark hierarchisch, die Religion spielt eine grosse Rolle. Viele Menschen sind sich ihrer individuellen Handlungsmächtigkeit

«Wir bringen Wohlstand», singt ein fiktiver Ivan Glasenberg, der klingt, als hätte er Kreide gegessen. Surprise 458/19

Elia Rediger (Mitte) ist sich seiner nicht unproblematischen Rolle als Europäer bewusst. Ihn interessieren vor allem die Gemeinsamkeiten.

nicht bewusst, oder sie ist ihnen aufgrund der Lebensumstände schlicht nicht gegeben. Zudem hat ihnen die Geschichte der Fremdherrschaft das passive Warten beigebracht. Die Kongolesen wurden über 150 Jahre ausgebeutet, zuerst vom belgischen Königreich, später vom eigenen Despoten Mobutu Sese Seko, der lieber Villen am Genfersee kaufte, als sich um den wirtschaftlichen Aufbau seines Landes zu kümmern. Glencore betreibt in der Region die grösste Kobaltmine und mehrere weitere Kupfer- und Kobaltminen. Vor gut zwei Jahren deckten die sogenannten Paradise Papers auf, wie der Konzern mit juristischen Tricks und zweifelhaften Geschäften mit Mittelsmännern vor rund zehn Jahren viel zu billig an Bergbaulizenzen kam. Für Elia Rediger ist dieses Projekt eine Herzensangelegenheit. Ihn verbinden mit dem Kongo seine ersten vier Lebensjahre, die er als Sohn von Basler Entwicklungshelfern dort verbracht hat. Er ist sich bewusst, dass Kritiker ihm vorwerfen könnten, er verpflanze in eurozentrischer Manier griechische Mythen in den Kongo: Immerhin wird ein klassischer europäischer Stoff in einem nicht-europäischen Kontext abgehandelt. Der «white discussion» könne man nicht entrinnen, sagt auch Rediger selbst. Mokha und er seien sich aber einig, dass beide der ebenbürtige Austausch über die Figur des Herkules interessiere, die auch

hier alle kennen, denn auch im Kongo zählt die Sage zum schulischen Pflichtstoff. In «Herkules von Lubumbashi» stehen die gesprochene Erzählung, der Gesang und der Tanz im Zentrum. Vieles bleibt der Imagination überlassen. Das ist eine Hommage an die Griot-Kultur, die in west- und zentralafrikanischen Gesellschaften bis heute tief verankert ist. Griots sind Geschichtenerzähler, die für die Überlieferung von Wissen und der Ahnengeschichte zuständig sind. Persönliche Erinnerungen und kollektive Narrative verschmelzen. Schauplätze der globalen Wirtschaft Seit etwa zehn Jahren stehen in der europäischen Theaterszene vermehrt Koproduktionen mit Künstlern in Krisenregionen und an Brennpunkten der Weltwirtschaft auf den Spielplänen. In diesen Kontext gehört auch «Herkules von Lubumbashi». Der wohl berühmteste Vertreter und personelle Angelpunkt eines wachsenden Netzes von postkolonialem Theater mit dem Anspruch, in die Realität einzugreifen, ist der Schweizer Theaterschaffende Milo Rau. Er fordert dezidiert einen «globalen Realismus», indem er der Weltwirtschaft mittels dramatischer Kunst den Spiegel vorhält. Lange genug habe sich das Theater und das Bühnenschaffen im selbstreferenziellen Loop der Postmoderne aufgehalten, findet Rau. Es sei an der Zeit, dass die darstellenden Künste ei23


«Das Warten wurde zu einer Krankheit, die uns Kongolesen glauben lässt, dass die anderen uns in die Zukunft führen können.» DORINE MOKHA , CO-REGISSEUR

Dorine Mokha und Elia Rediger graben in den Machenschaften der Weltwirtschaft.

nen Schritt weitergingen, als Realität nur darzustellen. Sie sollten zumindest symbolisch Wege und Auswege aus einer letztlich ruinösen globalen Wirtschaftsordnung finden. Rau leitet seit zwei Jahren das Stadttheater Gent in Belgien und ist Verfasser des Genter Manifests, das – ähnlich wie die dänischen Filmbewegung Dogma 95 – verbindliche künstlerische Regeln aufstellt. Eine Regel verlangt, dass das Theater sich aus den geschützten Proberäumen und Bühnen Europas an die (Kriegs-)Schauplätze unserer globalen Wirtschaft begibt. Also auch in den Irak oder in den Kongo. Das bisher wohl konsequenteste Projekt,

das den Anspruch an Raus sogenannten utopischen Pragmatismus verfolgte, ist das «Kongo Tribunal». Rau führte es 2015 mit einem Team von europäischen und kongolesischen Künstlerinnen und Menschenrechtsvertretern durch: ein symbolisches Tribunal zum Morden im Ostkongo, wo seit über zwanzig Jahren ein unübersichtlicher Bürgerkrieg herrscht und die internationalen Rohstoffkonzerne als Komplizen des Unrechts Milliardenumsätze generieren. Im Irak inszenierte Rau letztes Jahr in der zerbombten Stadt Mossul die griechische Tragödie «Orestes», ebenfalls mit einem gemischten Ensemble. Auch er bedient sich gerne bei den alten Griechen, nicht

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ohne Grund: «Sprechen die griechischen Tragiker über ‹Troja› und überhaupt die Vorgeschichte der europäischen Zivilisation, dann sprechen sie über diese Region», schreibt er in einem Essay in der Berliner Tageszeitung taz. So dokumentiert Rau im Mittleren Osten und im Ostkongo nicht einfach den Schrecken des IS oder die sinnlosen Massaker der Rebellen. Sondern er macht sich auf zu Theater-Reisen, die aus dem bürgerlichen Wohlfühltheater zurück in den zivilisatorischen Kontext führen, in dem die Dramen ursprünglich geschrieben wurden. Die zeitgenössischen Schauplätze finden wir im Nordirak, wo sich heute real Tragödien dieses antiken Ausmasses ereignen. Rau scheint damit zum Vorbild für weitere Projekte geworden zu sein, die künstlerisch zusammenführen, was wirtschaftlich längst miteinander verknüpft ist: zum Beispiel kongolesische Minenarbeiter mit der europäischen Mittelklasse.

Dorine Mokha und Elia Rediger: «Herkules von Lubumbashi», 20. und 21. September, je 20 Uhr, Kaserne Basel. 2020 sind Vorstellungen in Lubumbashi und Belgien geplant. kaserne-basel.ch Surprise 458/19


Realitäten aus dem Biergarten Kino Der junge Schweizer Regisseur Hans Kaufmann beweist mit «Der Büezer», wie aktuell ein Arbeiterfilm im heutigen Zürich ist. TEXT  DIANA FREI

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Bild zu sehen ist und den Film problemlos trägt. Sigi wirkt hilflos-unsicher, aber es arbeitet sichtlich in ihm, er sucht sich angestrengt seinen Platz in dieser Welt. Im Biergarten, wo das Gespräch stattfindet, hat Kaufmann jeden einzeln begrüsst, den braungebrannten Hündeler, den Zigarrenraucher im altgedienten Anzug, die Serviererin mit den blonden Locken und dem geblümten Kleid. Das Lokal war ein Drehort für den Film. «Im Film stecken Themen, die mich und meine Mitmenschen beschäftigen, sie sind für mich sehr lebensnah», sagt Hans Kaufmann. «Die Figuren reden gleich wie Freunde von mir. Ich konnte es einfach abschreiben», sagt er, und er hört sich beim Erzählen fast gleich an wie Sigi, der Büezer. FOTO: ZVG

Als Sigi (Joel Basman) aufsteht, ist es noch dunkel draussen, das Tram fährt ihm vor der Nase weg, erst mal eine Zigi, dann geht’s vom Stadtrand hinein ins Zentrum der Gentrifizierung, auf die Baustelle im Zürcher Kreis 4. Der Arbeitsweg ist mit den Anfangstiteln des Films unterschnitten, der Alltag zerfällt in gehetzte Fetzen, und die Jump Cuts verraten uns: Sigis Leben fliesst nun einmal nicht in einer eleganten Erzählung dahin. Die Filmsprache ist roh und nah am Leben, sie wirkt dokumentarisch. «Je länger du Sigi folgst, desto stärker merkst du, dass mit dieser Figur etwas passiert. Dass die einsam ist», sagt der 28-jährige Regisseur Hans Kaufmann, der mit Joel Basman befreundet ist und die Rolle für ihn geschrieben hat (im Bild: Kaufmann steht, Basman sitzt). Büezer – das Wort heisst Arbeiter. Es meint harte, körperliche Arbeit, und trägt im Grunde eine Portion Berufsstolz in sich. Doch im Ausgang in einer der Szene­ Bars, wie er sie selbst hochzuziehen hilft, hat Sigi damit schlechte Karten. Sein Tinder-Date verschwindet, als sie erfährt, dass er auf einer Baustelle arbeitet. Nebenberuflich entstopft Sigi für Walti (Andrea Zogg) auch mal das WC in einem Gammelhaus. Walti ist ein jovialer Typ, der schmierige Geschäfte am Laufen hat. Aber er wird zur Vaterfigur und steckt ihm jeweils ein weisses «Couveerli» mit schwarzem Geld drin zu. Auf der Suche nach einer Beziehung landet Sigi aus Versehen in einer Freikirche, wo sie sagen: «Mit Gottes Hilfe kannst du zu einem besseren Selbst werden.» Und ein besseres Selbst, das will er ja durchaus werden. «Die Freikirche will ich gar nicht als solche kritisieren», sagt Kaufmann dazu. «Aber ich beobachte, dass unsere Werte absurderweise immer prüder werden. Plötzlich wird auch die Ehe für viele junge Leute wieder wichtig, dabei haben sich unsere Eltern gerade noch dagegen gewehrt. Das kommt mir vor wie in den 50er-Jahren.» Kaufmann sieht im schwarzen Anzug und mit hängendem Schnauz wiederum aus, als käme er aus den 70ern – einer Zeit, in der Leute wie Rainer Werner Fassbinder den Arbeiterfilm neu aufs Tapet brachten. «Der Büezer» ist ein Blick auf die Lebenswelt 2019. Die Gentrifizierung steckt drin, die Selbstdarstellung in den sozialen Medien, Baustelle und Szene-Bar, Milieu und Werbung, Freikirche und Gammelhäuser. Und er ist eine Art Kammerspiel für Joel Basman, der in fast jedem

Hans Kaufmann: «Der Büezer», CH 2019, 83 Min., mit Joel Basman, Andrea Zogg, Cécilia Steiner u. a. Läuft ab 12. September im Kino. 25


ILLUSTRATION : TILL LAUER

Das grosse Warten Kino Goldene Zeiten für reiche Senioren, aber

vor allem für jene, die dabei verdienen: «Golden Age» zeigt eine luxuriöse Seniorenresidenz.

In siebzehn Wochen zum eigenen Buch

Opulente Teppiche bedecken den Marmorboden. Betagte, elegant gekleidete Menschen sitzen in Grüppchen zusammen und lauschen einem Pianisten, der seinem Instrument Melodien aus alten Filmklassikern entlockt. Die Schweizer Regisseure Beat Oswald und Samuel Weniger gewähren in ihrem kunstvoll inszenierten Dokumentarfilm «Golden Age» einen exklusiven Einblick ins «The Palace» in Miami, eine der teuersten Seniorenresidenzen der USA. Wer das entsprechende Budget hat, kann sich hier ab 5000 Dollar pro Monat das Warten auf die letzte grosse Reise mit unzähligen Zerstreuungen versüssen lassen: Es gibt Kostümfeste, jeden Tag eine Happy Hour, exquisite Essen. «Golden Age» schafft Bilder, die so gar nicht zu einer herkömmlichen Vorstellung vom Altwerden passen. Hier wird gefeiert, diskutiert und viel gelacht. Die Bewohner des Palace kümmern sich umeinander und geben sich gegenseitig Halt. Trotzdem sind sie sich bewusst, dass diese endlose Aneinanderreihung von Unterhaltungen nur von der Tatsache ablenkt, dass jedes Fest das letzte sein könnte. Manche sprechen es offen an, andere winken ab. In Würde alt zu werden ist möglich – allerdings hat ein solches Privileg einen stolzen Preis. Das Geschäft mit dem Alter ist hart umkämpft und beschert jenen, die sich in diesem Business etablieren, selbst ein Golden Age. «Alte und Kranke wird es immer geben», bringt es der Gründer und Inhaber des «Palace» im Film abgeklärt auf den Punkt. Der Dokumentarfilm nimmt die Haltung eines neutralen Beobachters ein und ermöglicht, in diese teils surreal anmutende Bildwelt einzusinken wie in eine gelenkschonende Matratze. Er lässt dabei aber auch die Frage zu, wie eine immer älter werdende Gesellschaft mit den damit verbundenen Herausforderungen umgehen soll. Und darüber hinaus: Wie will ich einmal alt werden? Und wer soll dafür MONIK A BET TSCHEN bezahlen?

Die Schweiz schreibt Das Kulturprojekt

FOTO: ZVG

Edition Unik ermutigt alle Menschen, Geschichten aus ihrem Leben aufzuschreiben.

Beat Oswald, Samuel Weniger: «Golden Age», CH 2019, 85 Min. Läuft ab 12. September im Kino. 26

Wie oft hört man den Satz: «Schreib doch ein Buch darüber», wenn jemand eine spannende Anekdote aus seinem Leben erzählt. Aber nur wenige lassen sich auf das Abenteuer ein, die Ereignisse für die Nachwelt aufzuschreiben. Zu gross ist die Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sei es, weil man kein routinierter Schreiber ist oder weil man schlicht nicht weiss, ob der eigene Stoff etwas taugt. Das Schreibprojekt Edition Unik hat diese Zweifel vieler Menschen, die von einem eigenen Buch träumen, erkannt und bietet seit 2015 einen Rahmen, in dem Interessierte während siebzehn Wochen ihre Geschichte zu Papier bringen können. Pro Jahr gibt es zwei Schreibrunden. Jede ist unterteilt in drei Etappen: Erinnerungen sammeln, Geschichten sortieren, Buch gestalten. Die Teilnehmenden arbeiten mit einer eigens entwickelten Schreib-App, und es gibt Lesungen und Veranstaltungen, wo man sich über das Schreiben austauschen kann. «Wir übernehmen Struktur und Organisation, damit sich die Teilnehmenden ganz auf den Inhalt ihrer Geschichten konzentrieren können. In der Edition Unik gibt es auch keine inhaltlichen Vorgaben. Darum ist die Bandbreite der behandelten Themen riesig», sagt Projektleiter Frerk Froböse. Nun könnte man versucht sein zu denken, dass so etwas schnell einmal in einer Ego-Show mündet. «Das Gegenteil ist der Fall», sagt Froböse. «Die Teilnehmenden erleben das Projekt als Chance, sich ernsthaft schreibend mit einschneidenden Erlebnissen zu beschäftigen, entweder nur für sich selbst oder um Erfahrungen weiterzureichen.» Bei den Schreibenden gebe es zwei Kategorien. «Es gibt jene, die genau wissen, worüber sie schreiben möchten und dafür im Buch den passenden Ausdruck suchen. Und es gibt solche, die noch nicht wissen, wohin die Reise geht, also mehr am Prozess interessiert sind. Edition Unik wird beiden Bedürfnissen gerecht, sodass alle am Ende der Schreibrunde ein fertiges Buch in den Händen halten können.» Mittlerweile hat die Edition Unik bereits über 350 Bücher hervorgebracht. Die nächste Schreibrunde startet im Januar 2020. MONIK A BET TSCHEN Infos und Anmeldung unter: www.edition-unik.ch Surprise 458/19


Tour de Suisse

Pörtner am Paradeplatz Surprise-Standort: Paradeplatz, Zürich Einwohnerinnen und Einwohner Stadt Zürich: 428737 Durchschnittseinkommen brutto in CHF: 7820 Sozialhilfequote in Prozent: 4,8 Anzahl Kühe: 332

«Vorwärts nach Zürich Paradeplatz», heisst es im Monopoly, und nicht nur im Spiel führt der Weg dorthin mitunter über das Gefängnis. Stolz steht sie da, die Grossbank Credit Suisse, nur in den Schnörkeln der Fenstergitter findet sich noch die Abkürzung SKA, für Schweizerische Kreditanstalt, die, von Alfred Escher gegründet, ein Symbol des Bundesstaates von 1848 war, genauso wie die Bahnhofstrasse, genauer genommen der Bahnhof oder noch genauer die Eisenbahn. Damals wurden die Traditionen erschaffen, die so lange hielten und nun nach und nach verschwinden. Die altehrwürdigen Häuser, Sprüngli, seit 160 Jahren hier und für die Schokolade verantwortlich, das Hotel Savoy Baur en Ville, 180 Jahre am Platz, mit der Uhrenboutique Surprise 458/19

im Erdgeschoss. Banken, Uhren, Schokolade, Tourismus. Was landschaftlich die Berge und Seen sind, das sind diese Branchen wirtschaftlich. Die Identität der Schweiz. Doch die Zeiten ändern sich. Das Gold, das der Legende nach unter dem Pflaster lagert, hat Konkurrenz bekommen vom «grauen Gold», den Immobilien, die exorbitante Preise erzielen. Swatch kaufte das Griederhaus auf der anderen Strassenseite für eine gemunkelte halbe Milliarde Franken. Grieder ist eines der letzten Schweizer Traditionsgeschäfte, die Namen der umliegenden Kleiderhäuser lauten Armani, Zegna, Choo, Hilfiger, Dolce & Gabbana. Wo einst die Schalterhallen waren, die heute nur noch ein Nischendasein fristen, sind edle Modeboutiquen angesiedelt.

Warum auch einzahlen, wenn man ausgeben kann? Der Franken muss rollen. Der Paradeplatz ist kein Platz zum Ausruhen. Im Untergeschoss des ovalen Gebäudes in der Mitte des Platzes gibt es keine Goldvorräte zu sehen, aber ein Züri-WC, die Benutzung kostet einen Franken oder Euro, das ist unten Hans was Heiri, während oben die kleinste Verschiebung im Franken-Euro-Kurs zu veritablen Erdbeben führen kann. Bis in die Achtzigerjahre gab es eine ganze Reihe öffentlicher Duschen, weil diese lange Zeit in den Wohnungen der Angestellten keine Selbstverständlichkeit waren. Eine Kabine ist geblieben, der Preis für die Benutzung beträgt zehn Franken. Im eigentlichen Tramhäuschen sind zwei Kioske und eine «ZVV Contact» genannte Beratungsstelle der Verkehrsbetriebe untergebracht. Löblicherweise wurde keine Mikrofiliale eines Caféoder Imbissanbieters eingebaut, wie sonst überall in Zürich, wo die Gefahr besteht, dass es zu Ansammlungen von Menschen ohne Konsumabsicht kommen könnte. Dabei bekommt, wer sich auf die bequemen, geschwungenen und gedeckten Bänke setzt, durchaus etwas geboten. Im Minutentakt spucken nicht weniger als acht Tramlinien Menschen auf den Platz. Zielstrebig davoneilende Angestellte der Finanz- und Warenhäuser in Business Casual, zwischen den Louis-Vuitton-Taschen auch mal ein Coop-Plastiksack: Umsteigepassagiere, die unmutig die Warteminuten am Handy wegwischen. Die sich etwas verwirrt orientierenden Touristen, bereit für den Rundgang vorbei an den alten Häusern und durch die romantischen Gassen, das Postkartenzürich, das nur noch als Fassade existiert.

STEPHAN PÖRTNER  Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

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IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

Echtzeit Verlag, Basel

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Waldburger Bauführungen, Brugg

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Rhi Bühne Eglisau

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Philanthropische Gesellschaft Union Basel

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Mitarbeitende Forbo Siegling CH, Wallbach

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TopPharm Apotheke Paradeplatz

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Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti

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RLC Architekten AG, Winterthur

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Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

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LIVEG Immobilien GmbH, Adliswil

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VXL, gestaltung und werbung, Binningen

13

Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich

14

Brother (Schweiz) AG, Dättwil

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Fischer + Partner Immobilien AG, Otelfingen

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Velo-Oase, Erwin Bestgen, Baar

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Physiopraxis M. Spring/S. Zeugin, Basel

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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Cantienica AG, Zürich

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Madlen Blösch, Geld & so, Basel

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Schluep & Degen, Rechtsanwälte, Bern

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Ozean Brokerage & Shipping AG, Muttenz

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Beat Vogel, Fundraising-Datenbanken, Zürich

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InhouseControl AG, Ettingen

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Nicole Huwyler Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 50 I marketing@surprise.ngo

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkaufenden fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkaufenden zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten Josiane Graner, Juristin, wurde in ihrem Leben von schweren Schicksalsschlägen getroffen. Sie kämpft und steht immer wieder auf. Ein Geschäftsprojekt, das sich zum Flop entwickelte, führte sie 2010 zu Surprise. Ihr Geschäftspartner hatte sich ins Ausland abgesetzt und sie mit dem Schuldenberg allein gelassen. Um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten, verkauft Josiane Graner in Basel das Strassenmagazin. Zudem ist sie für den Aboversand zuständig. Dank des SurPlus-Programms erhält sie ein ÖVAbonnement und Ferientaggeld. Diese Zusatzunterstützung verschafft der langjährigen Surprise-Verkäuferin etwas mehr Flexibilität im knappen Budget.

Die ganze Geschichte lesen Sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 15 Verkaufende des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlusProgramm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise #453: Ein Spiel für Gentlemen

#453: Abgrundtief

«Vergnügen»

«Die Freude am Spiel» Herzlichen Dank für den tollen Artikel zum Thema Fairness im Fussball. Es war toll zu hören, dass es in den Anfängen des Fussballs nicht so sehr ums Siegen ging, sondern um die Freude am Spiel. Ich wünsche mir wieder eine Liga, wo Fairness oberste Priorität hat, wo Schwalben und absichtliche Fouls tabu sind und auch schon mal ein Penalty absichtlich verschossen wird, wenn er nicht gerechtfertigt ist. Fairness dient nicht nur dem Spielfluss, sondern erzeugt auch ein ganz anderes Klima im Stadion: Freude und Begeisterung statt Pfiffe, Beleidigungen und Schlägereien.

Diese Literaturausgabe hat mir sehr gut gefallen. Das Geschichten­erzählen sollte wieder mehr Wert bekommen in der Alltags­kultur. Das Lesen dieser Beiträge hat mir Vergnügen bereitet. B. CURSCHELL AS,  Bern

#454: Himmelhoch

«Kann man nicht lesen»

Diese Ausgabe war wieder mal besonders surprisemässig gut.

Wir gehörten früher zu den regelmässigen Lesern vom Surprise. Aus Zeitmangel haben wir bis jetzt auf das Heft verzichtet und den Verkäufern jeweils 2 Fr. gegeben. Jetzt haben wir doch das Heft gekauft, von den sechs Kurzgeschichten habe ich jede etwa zur Hälfte gelesen und dann aufgehört. So ein Mist. Ich gab das Heft an meine Frau weiter. Auf meine Frage, ob sie die Geschichten gelesen habe, erhielt ich zur Antwort: So etwas kann man nicht lesen, ich hab nur die erste gelesen, das reicht mir. Das einzige Lesenswerte ist das Surprise-Porträt sowie Kreuzworträtsel und Sudoku. Ich werde in Zukunft den Surpriseverkäufer/innen wieder 2 Fr. geben und auf das Magazin verzichten.

B. ZBINDEN,  Bern

F. MAURER,  Liestal

W. MÖRITZ , Zürich

«Besonders gut»

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T  +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T  +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T  +41 61 564 90 90 M+41 76 325 10 60 anzeigen@surprise.ngo Redaktion
 Verantwortlich für diese Ausgabe: Klaus Petrus (kp) Diana Frei (dif), Sara Winter Sayilir (win) Reporter: Andres Eberhard (eba), Simon Jäggi (sim) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99
 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

Surprise 458/19

Ständige Mitarbeit
 Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Semhar Negash, Stephan Pörtner, Sarah Weishaupt, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Amir Ali, Flurin Bertschinger, Martin Theis, Valerie Thurner, Fabian Weiss Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck  AVD Goldach Papier  Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäuferInnen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

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FOTO: KLAUS PETRUS

Surprise-Porträt

«Wie ein Fels, ruhig und freundlich» «Surprise gibt mir schon zum zweiten Mal Halt im Leben und ermöglicht mir, einen wichtigen Zustupf zu verdienen, damit ich besser über die Runden komme. Beim ersten Mal stand ich nach einer gescheiterten Beziehung ohne Wohnung und ohne Arbeit da. Nach einem halben Jahr im Passantenheim der Heilsarmee fing ich im Februar 2008 an, in der Christoffel-Unterführung im Berner Hauptbahnhof Surprise zu verkaufen. Wenige Monate später fand ich eine Wohnung in Münsingen und eine Stelle in einer Eier-Verpackungsfirma in Bern. 2017, nicht ganz zehn Jahre später, bekam ich nach der vierten Hüftoperation von der Eier-Firma die Kündigung. Das kam so: 2015 brauchte ich auf der rechten Seite ein neues Hüftgelenk. Die Operation und die Heilung verliefen problemlos. Dann war im März 2016 die linke Hüfte dran, aber dieses Mal wollte mein Körper das Gelenk nicht annehmen. Es brauchte zwei weitere Operationen, die letzte war im August vor einem Jahr. Das Resultat: Um meine linke Hüfte steht es bis heute nicht gut, und mein langjähriger Arbeitgeber hat mich entlassen. In die nächste Besprechung mit dem Spezialisten setze ich aber wieder grosse Hoffnung; sie wird noch Ende Sommer sein. Mein Hausarzt meint, man könne meine Hüfte mit einer erneuten Operation vielleicht wieder hinkriegen. Mein längerfristiges Ziel ist ganz klar, ich will wieder eine Stelle finden und mich vom RAV abmelden. Momentan ist die Arbeitssuche aber harzig, weil ich gemäss Arzt nur fünfzig Prozent leichte Arbeit verrichten soll. Wenn ich wieder ‹instand gestellt› bin, würde ich gerne in einem Lager, in der Logistik oder im Sicherheitsdienst arbeiten, da habe ich überall schon Erfahrung. Eine Lehre habe ich nie gemacht. Ich bin in einer Pflegefamilie auf dem Bauernhof aufgewachsen – dort war ich mehr Verding- als Pflegkind. Meinen Vater habe ich nur einmal im Leben gesehen, die Mutter zum letzten Mal an der Konfirmation. Keine Ahnung, ob ich noch Geschwister habe. Als vorigen März meine Ex-Freundin nach nur drei Monaten Knall auf Fall aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist, habe ich für einen Moment den Boden unter den Füssen verloren. Ich habe mir überlegt, was ich jetzt machen soll. Da kam mir Surprise in den Sinn. Beim Heftverkauf würde ich auf andere Gedanken kommen und dazu noch ein willkommenes Sackgeld verdienen. Mein früherer Verkaufsort im Bahnhof war natürlich nicht mehr frei, dafür bekam ich einen Platz vor dem Coop in einem Aussenquartier, wo man sich eine 30

Tinu Jost (57), früher im Sicherheitsdienst tätig, verkauft Surprise im Brunnmatt-Quartier in Bern.

Stammkundschaft aufbauen kann. Und so ist es auch gekommen: Ich kenne schon einige Leute in diesem Brunnmatt-Quartier und habe einen sehr guten Kontakt zum Personal der Coop-Filiale. Wenn möglich, bin ich täglich für ein paar Stunden an meinem Platz, und dann stehe ich dort wie ein Fels, ruhig, freundlich und hilfsbereit. Wenn zum Beispiel jemand mit einem vollbepackten Velo kommt, biete ich an, auf das Gepäck zu schauen, damit er oder sie schnell ihre Besorgungen im Coop machen kann. Dass man mich wahrnimmt, merke ich daran, dass mich die Leute fragen, wo ich war, wenn ich einen Tag nicht vor dem Coop stehe – das freut mich sehr. Weil ich Münsingen vor allem wegen der Episode mit der Ex-Freundin so bald als möglich vergessen und hinter mir lassen möchte, bin ich auf der Suche nach einer Wohnung in Bern. Im Brunnmatt-Quartier könnte ich es mir gut vorstellen, aber es kann auch anderswo sein. Eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern genügt mir – nur einen Wunsch habe ich: Es sollte ein grosser Tisch darin Platz haben, auf dem ich nach und nach eine Modelleisenbahn aufbauen kann. Das ist ein langgehegter Wunsch von mir.»

Aufgezeichnet von ISABEL MOSIMANN Surprise 458/19


HAUPTSPONSOR DER SURPRISE STRASSENFUSSBALLLIGA Ein attraktives und erfolgreiches Fussballspiel braucht eine geschickt zusammengesetzte Mannschaft. Die Vielfalt prägt die Stärke einer Mannschaft massgeblich mit. Ausgrenzung schwächt ein Team. Surprise unterstützt Menschen in sozialen Schwierigkeiten und will mit der Kraft des Strassen-Fussballs ihr Selbstvertrauen stärken. Die Swiss Football League trägt dieses Engagement gerne mit.

Claudius Schäfer

Foto: Ruben Hollinger

CEO SFL

INS_Kurzportraet_GzD_Layout 1 09.05.17 15:43 Seite 1

Kultur

Solidaritätsgeste

STRASSENCHOR

CAFÉ SURPRISE

Lebensfreude

Entlastung Sozialwerke

BEGLEITUNG UND BERATUNG

Unterstützung

Job

STRASSENMAGAZIN Information

Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten

STRASSENFUSSBALL

Erlebnis

Expertenrolle

SOZIALE STADTRUNDGÄNGE Perspektivenwechsel

SURPRISE WIRKT Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen 456/19 und aufSurprise die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie.

NS_Kurzportraet_GzD_Layout 1 09.05.17 15:43| IBAN Seite 1 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 CH11

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T BES T EE R T S ER C C SO

Sonntag, 22. September 11 – 17 Uhr Bundesplatz Bern

SURPRISE STRASSENFUSSBALL-LIGA SCHWEIZERMEISTERSCHAFT 2019 Offizieller Partner:

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Unterstützt durch:

Surprise ist Partner von:

Surprise 456/19


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