Traudl Kukuk: „Wir waren die Seele des Heiligenhofs“ (Seite 3)
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 161. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 74 | Folge 25 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 24. Juni 2022
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Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien und Rumänien reisten gemeinsam nach Kiew
Ukraine wird EU-Beitrittskandidat: Was bedeutet das für Europa? Bildungsminister Petr Gazdík.
Korruptionsaffäre
Minister Gazdík tritt zurück
Sonntag, 9.55 Uhr: Petr Gazdík, Bildungsminister im Kabinett von Petr Fiala und stellvertretender Stan-Vorsitzender, twittert eine Meldung in eigener Sache, die ein politisches Beben auslöst: Seinen Rücktritt.
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ch habe mich entschieden, am 30. Juni vom Amt des Bildungsministers zurückzutreten. Dabei bin ich mir keiner Schuld bewußt, auch nicht auf sachlicher, geschweige denn auf strafrechtlicher Ebene. Allerdings werfen meine Kontakte zu einigen Leuten auch einen Schatten auf die Stan-Bewegung. Ich will weder die Regierung noch die Koalition an der Schwelle zur EU-Ratspräsidentschaft erschüttern“, erklärt Gazdík. Ebenfalls via Twitter antwortete Fiala: „Ich nehme die Entscheidung von Petr Gazdík, als Minister zurückzutreten, zur Kenntnis. Vielen Dank für seine bisherige Arbeit. Ich begrüße seinen Schritt und werte ihn als Ausdruck des politischen Kulturwandels, den diese Regierungskoalition anstrebt.“ Hintergrund ist ein Korruptionsskandal rund um die Prager Verkehrsbetriebe, dessen ganzes Ausmaß derzeit scheibchenweise an die Öffentlichkeit kommt. Im Mittelpunkt steht der umstrittene Unternehmer Michal Redl, zu dem Gazdík private Kontakte gehabt haben soll. Redl befindet sich laut tschechischen Medienberichten neben dem stellvertretenden Prager Oberbürgermeister Petr Hlubuček (Stan) seit Freitag in Untersuchungshaft. Zuvor hatte die Polizei eine Razzia in den Prager Verkehrsbetrieben durchgeführt. Redl, Hlubuček und elf weitere Personen werden verdächtigt, systematisch Positionen bei den Verkehrsbetrieben besetzt zu haben, um Ausschreibungen zu beeinflussen und Bestechungsgelder einzustreichen. Gazdík gehört nach aktuellem Ermittlungsstand nicht zum Kreis der Verdächtigen, soll aber Redl mehrfach getroffen und mit ihm über nicht abhörbare Mobiltelefone kommuniziert haben. Redl war bereits 2003 im Zuge eines Millionenbetrugs um die Firma Technology Leasing ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Damals entging Redl einer Anklage und möglichen Haftstrafe, weil Gutachter ihm bescheinigten, verhandlungsunfähig zu sein. Seitdem steht Redl unter der Obhut eines Vormunds. TF
Es ist ein starkes Zeichen europäischer Solidarität: Mit Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Mario Draghi und Klaus Iohannis haben sich die Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien und Rumänien bei ihrer Reise nach Kiew dafür ausgesprochen, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen.
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ückblende: Auf dem 72. Sudetendeutschen Tag, der über Pfingsten in Hof stattgefunden hat, sind Klaus Iohannis und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj mit den Karls-Preisen 2020 und 2022 der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgezeichnet worden. Während Selenskyj kriegsbedingt nicht zur Karls-Preisverleihung reisen konnte, war Iohannis vor Ort und nutzte die Gelegenheit, um anschließend mit Bernd Posselt, dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, ein ausführliches Vier-Augen-Gespräch über die Ukraine zu führen. Posselt war zwanzig Jahre Abgeordneter des EU-Parlaments, ist im CSU-Parteivorstand Beauftragter für Mittel- und Osteuropa und seit 1998 Präsident der Paneuropa-Union. Als ausgewiesener Experte für Mittel- und Osteuropa verfügt Posselt über exzellente Verbindungen zu den dortigen Bürgerrechtlern. So war er beim Zusammenbruch des Ostblocks und der Sowjetunion an Ort und Stelle und trieb im Europaparlament die EU-Osterweiterung voran. Als erster Politiker hatte Posselt in einer Rede unter dem Titel „Blut für Öl“ vor dem EU-Parlament am 7. Oktober 1999 vor Putin gewarnt, also mehrere Monate, bevor dieser Präsident wur-
Die Karls-Preisträger Klaus Iohannis und Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Links: Ministerin Ulrike Scharf und Bernd Posselt begrüßen Iohannis in Hof. F: Administrația Prezidențială /TF de. Putin war damals für kurze Zeit Premierminister unter Boris Jelzin und verantwortlich für den völkermörderischen Angriffskrieg gegen das tschetschenische Volk, den sogenannten zweiten Tschetschenienkrieg. 2015 wurde Posselt mit 88 weiteren Kritikern von Putin auf eine Schwarze Liste gesetzt und mit
einem Einreiseverbot nach Rußland belegt. Die Initiative der vier Regierungschefs, die Ukraine möglichst schnell in die Europäische Union aufzunehmen, beherrschten die Schlagzeilen in ganz Europa. Dabei sind die Hürden für einen EU-Beitritt normalerweise hoch, das Verfahren kom-
plex und zeitraubend. Die Türkei ist seit 1999 Beitrittskandidat, die Verhandlungen liegen aber wegen Rückschritten bei Menschenrechtsfragen seit 2016 auf Eis, Nordmazedonien hat sich 2004 um eine EU-Aufnahme beworben, Montenegro und Serbien 2008, Albanien 2009 sowie Bosnien und Herzegowina 2016. Das Kosovo ist ebenfalls „potentieller Beitrittskandidat“, hat aber als einziger Balkanstaat noch keinen EU-Beitrittsantrag gestellt. Für die Ukraine soll jetzt alles schneller gehen, sehr schnell. Doch es gibt bereits erste kritische Stimmen. „Wir müssen sicherstellen, daß dieselben Maßstäbe angewandt werden wie auch bei anderen Beitrittswerbern aus dem Westbalkan. Vor diesem Hintergrund wäre es für mich etwa nicht vorstellbar, der Ukraine einen Kandidatenstatus zu gewähren und zugleich Länder wie Bosnien-Herzegowina weiterhin außen vor zu halten“, meldete der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer Bedenken an. Festgelegt sind die Bedingungen, die ein EU-Bewerber erfüllen muß, in den „Kopenhagener Kriterien“, die aus drei Bereichen bestehen: Erstens: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität der Institutionen, Achtung und Schutz von Minderheiten sowie Menschenrechten. Zweitens eine funktionierende Marktwirtschaft. Und drittens die Übernahme der gemeinschaftlichen Regeln und Standards der EU. Kritiker werfen der Ukraine vor, wesentliche Elemente der „Kopenhagener Kriterien“ derzeit nicht vollständig zu erfüllen. Warum Widerspruch gerade aus dem Nicht-Nato-Staat Österreich kommt, dürfte auch in der Bei-
standspflicht begründet sein, die im Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union festgeschrieben ist. Dort heißt es: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“ Auch wenn die ursprünglich vorgesehene Version „müssen Hilfe und Unterstützung leisten“ in „schulden“ abgemildert wurde, ist es für Österreich und die anderen Nicht-Nato-EU-Mitglieder entscheidend, deutlich zu machen, daß der Artikel 42 keine automatische Beistandsverpflichtung wie der Artikel 5 des Nato-Vertrags auslöst. In einem Gutachten hat die Landesverteidigungsakademie für das österreichische Verteidigungsministerium bereits klare Grenzen gezogen: „Artikel 42 (7) EU‐Vertrag kann in keiner Weise mit dem Prinzip der kollektiven Verteidigung verglichen werden, das kennzeichnend für die Nato ist.“ Falls sich Österreich tatsächlich an einem Beistand innerhalb der EU beteiligen möchte, so warnt die Landesverteidigungsakademie, „müßte Österreich unter Einhaltung des verfassungsgesetzlich vorgesehenen Verfahrens das Neutralitäts‐BVG vom 26. Oktober 1955 aufheben, in der Folge müßte auch die Abkehr vom Neutralitätsstatus der Staatengemeinschaft notifiziert werden“. Solch ein fundamentaler Kurswechsel ist in Österreich nach wie vor undenkbar. So haben sich in einer aktuellen Umfrage 71 Prozent dafür ausgesprochen, daß Österreich neutral bleibt. Torsten Fricke
Analyse des Institutes für Weltwirtschaft zeigt, welche Länder wie unterstützen
Solidarität mit der Ukraine
Um die hohen Kriegskosten zu finanzieren und einen weiteren Wirtschaftskollaps abzuwenden, erhält die Ukraine massive Unterstützung, zeigt eine Analyse des Institutes für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.
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u den großen Geberländern gehören allerdings ausschlie-
lich Nato-Staaten sowie Australien als „Major non-NATO ally“. Dabei könnten laut Artikel 51 der Gründungscharta der Vereinten Nationen, wonach allen UN-Mitgliedsstaaten das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ zusteht, auch andere Nationen die Ukraine unterstüt-
Die USA, als größter militärischer Unterstützer der Ukraine, haben bislang knapp die Hälfte der zugesagten Waffen, geliefert. Grafiken: IfW Kiel
zen, zumal in Kapitel VII der UNCharta im Detail „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ geregelt sind. Prof. Dr. Christoph Trebesch, der beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel das Projekt „Ukraine Support Tracker“ leitet, erklärt die dramatische Lage: „Neben Waffen wird finanzielle Hilfe zunehmend dringlich für die Ukraine. Der Krieg läßt die Steuereinnahmen einbrechen und verursacht zugleich enorme Kosten, etwa zur Bezahlung der Soldaten oder zur Reparatur essenzieller Infrastruktur. Das bringt den Staatshaushalt unter Streß.“ Nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds steht die Ukraine vor einer gigantischen Finanzierungslücke von fünf Milliarden Euro – pro Monat. Torsten Fricke
Geld, humanitäre Hilfe und Waffen: Nach den USA, der EU und Großbritannien ist Deutschland der viertgrößte Geber für die Ukraine.
Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt sind es vor allem die baltischen Staaten sowie Polen, die große Kraftanstrengungen unternehmen.