Pavel Novotny: „ Putins Ukraine-Krieg erinnert mich an Prag 1968“
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 161. Jahrgang
HEIMATBOTE
Jahrgang 74 | Folge 9 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 4. März 2022
VOLKSBOTE
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Wladimir Putin
Schulhof der Weltgeschichte Von Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Wladimir Putin hält die Welt in Atem. Gleichzeitig bespielte er mit Chinas Präsident Xi die Pekinger Olympiabühne und bedroht alleine den ganzen Raum von der Ostsee über den Kaukasus und den Balkan bis hin nach Syrien und Westafrika. Inzwischen hat er mit aller Gewalt in der Ukraine zugeschlagen, deren Existenzrecht er seit 20 Jahren ganz offen in Frage stellt.
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ie Hinter- und Abgründe des schmächtigen Mannes mit dem weltweiten Macho-Gehabe sind für die meisten Analytiker rätselhaft. Zumindest vier Putins sind jenen, die sich intensiv mit seiner Biographie und seinem Denken auseinandergesetzt haben, eine einigermaßen erhärtete Tatsache. Der erste ist der Vollwaise, der von den Mitschülern verprügelt wurde und sich den Weg nach oben mit den Fäusten erkämpfen mußte. Der zweite ist der Enkel von Stalins Leibkoch, der in den Geheimdienst KGB, wo er stets durch Spitzenleistungen auffiel, eintrat wie in ein Kloster, das ihm zur Ersatzfamilie wurde. Der dritte erlebte den Zusammenbruch des Ostblocks als in der DDR residierender KGB-Chef für Deutschland, der mehrere deutsche Dialekte beherrscht. Er empfand die Auflösung der Sowjetunion als Jahrhundertkatastrophe auch für sich persönlich und will die UdSSR in der einen oder anderen Form wiederherstellen, ja, er geht mit seiner Vision einer „Eurasischen Union“ inzwischen weit darüber hinaus. Der vierte Putin ist der, der durch einen mörderischen Krieg gegen das Bergvolk der Tschetschenen an die Macht kam und diese bis heute mit größter Brutalität ausübt. Jetzt hat er seine fünfte Rolle angetreten, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Wird er, wie die meisten Nationalisten, letztlich das eigene Land ruinieren? Kann es sein, daß ihm Militärs und Oligarchen in den Arm fallen, weil sie für den Fall seines Scheiterns Nachteile befürchten? Besteht umgekehrt die Gefahr, daß er dauerhaft ein Regime etabliert, das auf die Destabilisierung Europas und anderer Weltregionen setzt? Ist, wie einige von ihm pensionierte Generäle befürchten, sein Flirt mit China letztlich zum Schaden Rußlands? Wie das Spiel auf dem Schulhof der Weltgeschichte ausgeht, wird auch von der Haltung des Westens abhängen, die bislang allzu schwach ist.
Weltweites Entsetzen über die russischen Kriegsverbrechen an der ukrainischen Bevölkerung
Putin, stopp den Völkermord
Das Entsetzen ist grenzenlos. Putins Truppen haben die Ukraine überfallen, bombardieren seit Tagen Städte und Wohnhäuser und machen auch nicht davor Halt, Zivilisten zu erschießen.
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utin will „die ganze Ukraine erobern, Europa zersplittern und eine Eurasische Union errichten, die er noch weit über die frühere Sowjet-Union ausdehnen will”, warnt Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, langjähriger Abgeordneter des Europaparlaments und Mitglied des CSU-Parteivorstandes. Erst vor wenigen Tagen habe Putin Staaten des Westbalkans als Ziele genannt und seinen Außenminister Lawrow behaupten lassen, albanische, kosovarische und bosnische Söldner würden angeblich von der Ostukraine aus Rußland bedrohen. „Dies ist ein völlig absurdes, aber gefährliches Propagandaszenario“, so Posselt, der von Putin bereits 2015 wegen seiner kremlkritischen Haltung mit einem Einreiseverbot belegt worden ist. Der CSU-Außenpolitiker rief dazu auf, „eine starke europäische Verteidigungs- und Energie-Union zu errichten, die Stabilisierungs- und Friedensbemühungen auf dem Balkan, wo Putin ebenfalls zündelt, zu intensivieren und die Ukraine massiv zu unterstützen.“ Die Lieferung von Equipment für die ukrainische Armee und eine wahrscheinlich bald entstehende ukrainische Widerstandsbewegung dürfte dabei kein Tabu sein. Bereits am Freitag, einen Tag nachdem Putin den souveränen Nachbarstaat angegriffen hatte, verabschiedete das Präsidium der Seliger Gemeinde einstimmig eine Resolution gegen den Krieg. „Im Wissen um die schicksalhafte Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verurteilen wir aufs Schärfste den
Ein Vorbild an Führung und Haltung: Trotz der akuten Bedrohung durch russische Scharfschützen und Söldner richtete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mitten in Kiew per Videobotschaft an seine Bürger. Seine klare Botschaft: Ich bleibe, wir kämpfen. Foto: Twitter
Sudetendeutsche Landsmannschaft ehrt das mutige Staatsoberhaupt der Ukraine
Europäischer Karls-Preis für Präsident Selenskyj Die Sudetendeutsche Landsmannschaft wird ihren nach Kaiser Karl IV. benannten Europäischen Karls-Preis dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj verleihen.
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amit wollen die Sudetendeutschen, so der Sprecher und damit oberste politische Repräsentant der Sudetendeutschen Volksgruppe Bernd Posselt, „gegen Putins Angriff auf Herz und Seele Eu-
ropas protestieren und Solidarität mit dem tapferen ukrainischen Volk bekunden. Selenskyj ist durch seine Tapferkeit und sein Augenmaß einer der bedeutendsten Europäer der Gegenwart.“ Der Europäische KarlsPreis der Sudetendeutschen wird für „Verdienste um eine gerechte Völkerordnung in Mitteleuropa verliehen“. Selenskyj stammte aus einer jüdischen Familie, von der mehrere Angehörige von den Nazis im KZ ermordet wurden.
Der frühere Schauspieler und Regisseur ist seit Mai 2019 Präsident der Ukraine. Obwohl Putin ein Kopfgeld auf Selenskyj ausgesetzt und Söldner nach Kiew geschickt hat, hat das ukrainische Staatsoberhaupt ein Angebot der Amerikaner abgelehnt, ihn außer Landes zu bringen. „I don‘t need a ride, I need more ammunition“, sagte Selensykyj: „Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit. Ich brauche mehr Munition.“
russischen Angriff auf die Ukraine, der einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht und auf die globale Friedensordnung darstellt.“ Weiter erklärte die Seliger Gemeinde, man sei „fest davon überzeugt, daß Konflikte zwischen Staaten im 21. Jahrhundert auf einem friedlichen Weg gelöst werden müssen“. Gestern wie heute würden „Minderheiten instrumentalisiert, um Gebietsforderungen stellen zu können“. Am Dienstag war Putins Völkermord an den Ukrainern auch Auslöser für eine Sondersitzung des Europäischen Parlaments. Die Abgeordneten verabschiedeten nicht nur eine Resolution, in der sie weitere Sanktionen gegen Putin forderten, sondern stuften Rußland als Schurkenstaat ein. Unterdessen hat die Nato ihre militärische Präsenz an der Ostflanke des Bündnisses massiv verstärkt – auch mit Beteiligung der Bundeswehr. „Dadurch senden wir ein deutliches Signal der unerschütterlichen Bündnissolidarität an unsere Nato-Partner, aber auch und gerade an Rußland“, stellte General Eberhard Zorn, der Generalinspekteur der Bundeswehr, am Dienstag in seinem Tagesbefehl fest. Diesen schloß General Zorn mit Worten ab, die die Stimmung in Deutschland treffend widerspiegeln: „Meine Gedanken sind in diesem Moment auch bei der Bevölkerung der Ukraine und bei den ukrainischen Streitkräften, die unter der Führung ihrer mutigen Regierung nicht nur für die demokratische und freie Zukunft ihres Landes kämpfen, sondern auch für unsere europäischen Werte. In dieser schweren Zeit stehen wir zusammen. Jeder und jede von uns zählt im Kampf für den Frieden.“ Torsten Fricke