Sudetendeutsche Zeitung Ausgabe 24 vom 18.06.2021

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Interview mit Zeitzeugin Christine Rösch über die wilde Vertreibung (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 73 | Folge 24 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 18. Juni 2021 Gedenken in Lidice

1 CZK = 0,0393 EUR 1 EUR = 25,418 CZK

Milena Jesenská

Lesung als Erinnerung an die Prager Journalistin S. 7

Galonzer Bijouterie

Zuzana Slámová produziert Kunst aus Glasperlen S. 12

Subventionen an Agrofert

EU-Parlament stellt sich gegen Babiš Das Europäische Parlament hat in der vergangenen Woche mit überwältigender Mehrheit einen Interessenskonflikt des tschechischen Premierministers Andrej Babiš wegen dessen Beteiligung an dem Konzern Agrofert festgestellt.

B 6543

Karlspreis für Daniel Herman: „Brückenbauer und Versöhner“

KURSE

Das ungewöhnliche Leben von Heinz Sagner S. 5

Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · Entgelt bezahlt Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH · Hochstraße 8 · D-81669 München · eMail zeitung@sudeten.de

Verleihung auf dem Sudetendeutschen Tag in München

Deutscher Botschafter legte Kranz nieder S. 2

Singender Apotheker

VOLKSBOTE

Beim 71. Sudetendeutschen Tag, der pandemiebedingt verkleinert im Münchner Kulturzentrum Gasteig stattfindet, wird die Sudetendeutsche Landsmannschaft ihren Europäischen Karlspreis dem ehemaligen tschechischen Kulturminister Daniel Herman verleihen.

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eim Festakt am Samstag, 17. Juli 2021, nachmittags wird auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als Schirmherr des Vierten bayerischen Stammes und Festredner teilnehmen. Der Sprecher, also oberste politische Repräsentant, der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt betont, daß Daniel Herman „ein christlicher Brükkenbauer und Versöhner wie kaum ein anderer“ sei. Er ha-

be 2016 als erstes Mitglied einer tschechischen Regierung bei einem Sudetendeutschen Tag gesprochen und die Vertreibung der mehr als 3 Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig verurteilt. Sowohl als Pressesprecher der tschechischen Bischofskonferenz als auch später als christ-demokratischer Politiker sei Herman führend am Dialog zwischen den „tschechischsprachi-gen und den deutschsprachigen Kindern der Böhmischen Länder im Herzen Europas“ betei-ligt gewesen, so Posselt. Dies habe sich unter anderem in seiner bis heute andauernden Arbeit als Ratsmitglied des von den Regierungen in Prag und Berlin eingerichteten Deutsch-Tschechischen

Daniel Herman auf dem Sudetendeutschen Tag 2016.

Gesprächsforums niedergeschlagen, aber auch in der Aushandlung eines bayerisch-tschechischen Kulturabkommens mit dem seinerzeitigen Kultusminister des Freistaates, Ludwig Spaenle, in die die Sudetendeutschen in vorbildlicher Weise einbezogen ge-wesen seien. Persönlichkeiten wie Daniel Herman bieten nach Ansicht Posselts „allen Anlaß für die Hoffnung, daß auch in den kommenden Jahren in der Tschechischen Republik Kräfte gestärkt und geweckt werden, die die sudetendeutschtschechische Zusammenarbeit fortsetzen und intensivieren“. Der Europäische Karlspreis der Sudetendeutschen ist nach Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sowie böhmischer und deutscher König aus

dem Hause Luxemburg, benannt. Unter den bisherigen Karlspreisträgern waren Persönlichkeiten der tschechischen Zivilgesellschaft wie Bischof Josef Koukl und der ehemalige Sprecher der Freiheitsbewegung Charta 77, Petr Uhl, der Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi, und sein Nachfolger Otto von Habsburg, herausragende deutsche und bayerische Politiker wie Bundespräsident Karl Carstens und Ministerpräsident Franz Josef Strauß sowie Repräsentanten der verschiedenen Religionsgemeinschaften wie der Wiener Kardinal Christoph Schönborn und die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, Charlotte Knobloch.

Dokumentationszentrum

Die ersten Bilder aus Berlin

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intergrund ist ein Streit um die von Andrej Babiš gegründete Agrofert-Holding. Babiš hatte seine milliardenschwere Unternehmensbeteiligung offiziell an zwei Treuhandfonds übertragen, damit Agrofert weiter von EU-Subventionen profitieren konnte, nachdem er Ende 2017 Regierungschef geworden war. Doch nach Ansicht der EURechnungsprüfer hat Babiš de facto weiterhin Einfluß auf das Unternehmen und war deshalb unzulässigerweise selbst Nutznießer der Fördermittel. Die Resolution ist allerdings nicht bindend, sondern soll den politischen Druck auf andere EU-Institutionen und die Tschechische Republik selbst erhöhen. Auf Twitter sprach Babiš von einer Intrige der Opposition, um die Parlamentswahlen im Oktober zu seinen Ungunsten zu beeinflussen. Die Resolution enthalte „Lügen und Verleumdungen“. Und die Einmischung der EU „in die inneren Angelegenheiten“ seines Landes sei inaktzeptal, so der tschechische Regierungschef. JŠ

Mit einem Festakt, an dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kultur-Staatsministerin Prof. Monika Grütters teilnehmen, wird am Montag um 15 Uhr das neue Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin eröffnet.

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irekt vor der Bundeskanzlerin wird Christine Rösch als Zeitzeugin von der Vertreibung der Sudetendeutschen berichten (siehe Seite 3). Der Festakt wird auch als Livestream im Internet übertragen (www.fluchtvertreibung-versoehnung.de) Bereits am Mittwoch hat Direktorin Dr. Gundula Bavendamm den neuen Erinnerungs- und Dokumentationsort vorgestellt. Für den Publikumsverkehr ist das Dokumentationszentrum ab Mittwoch, 23. Juni, zugänglich. Öffnungszeiten: täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung befindet sich in der Nähe des Anhalter Bahnhofs Bilder: Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung / Michael Gröteke

Polen weigert sich nach wie vor, eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofs zu respektieren und baut weiterhin Braunkohle in Turów ab

Die Zerstörung der Heimat schreitet weiter voran Der Streit um den Braunkohleabbau in Turów bei Reichenau in der Oberlausitz spitzt sich zu.

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a Polen sich weiterhin der Anordnung des Europäischen Gerichtshofs widersetzt, den Kohleabbau in Turów zu stoppen, hat die Tschechische Republik das Gericht aufgefordert, eine Strafe von fünf Millionen Euro pro Tag gegen Polen zu

verhängen. Gleichzeitig zeigt der Streit exemplarisch, wie schwer man sich in der EU beim grenzüberschreitenden Umweltschutz tut. Seit 1945 liegt das ehemals deutsche Braunkohleabbaugebiet, in dessen Nachbarschaft viele Sudetendeutsche bis zur Vertreibung gelebt hatten, in einem Dreiländereck. Nationale Interessen führen hier dazu, daß

man sich immer wieder an der Landschaft und ihren Bewohnern versündigt. In Polen, an der Lausitzer Neiße, ist durch den Kohleabbau bereits eine Senke entstanden, die bis zu 300 Meter unterhalb des Flußbetts eine riesige Wunde in die Landschaft gerissen hat. Mehrere historische Orte sind dabei verschwunden. Auch die Luftverschmutzung ist wegen der

Braunkohleverstromung besonders hoch – und sie ist grenzüberschreitend. Um die eigene Energieversorgung sicherzustellen, kommt es immer wieder zur mittelalterlich amutenden Konflikten zwischen den Ländern Deutschland, Polen und der Tschechichen Republik, die doch alle Mitgliedsländer der Europäischen Union sind. Der Tagebau bedeutet etwa

für die tschechische Seite eine starke Verschlechterung des Zugangs zum Wasser – die Wasserquellen versinken in der Tiefe, die Abgase der Kraftwerke schaden der Umgebung in allen drei Ländern. In Turów argumentiert man hingegen mit der Energiesicherheit und den Arbeitsplätzen. Nach der Tschechischen Republik hat jetzt auch die Europäische Kommission Klage beim

EuGH gegen Polen eingereicht. Dagegen wird der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nach wie vor nicht müde zu erklären, daß Polen den Tagebau nicht schließen werde. Die in Deutschland favorisierte Energiewende mit dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energiequellen sieht man in Warschau weiterhin mit großer Skepsis. Jaroslav Šonka


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