Sudetendeutsche Zeitung 17 30.04.2021

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Der ehemalige Europaabgeordnete Martin Kastler im Interview (Seite 3)

Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang

HEIMATBOTE

Jahrgang 73 | Folge 17 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 30. April 2021

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Neuinszenierung von „Don Giovanni“ im Ständetheater

Endlich wieder Oper Ohne Publikum im Saal, aber live im TV und weltweit im Internet abrufbar: Am Samstag hat die Neuinszenierung von „Don Giovanni“ im Ständetheater in Prag Premiere gefeiert.

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In der Titelrolle als „Don Giovanni“ brilliert der slowakische Bariton Pavol Kubáň.

Corona-Pandemie

Schwieriger Weg aus dem Lockdown

Die Zahl der Neuinfektionen sinkt, und der Druck nach Öffnungen steigt, dennoch leidet die Tschechische Republik unter einer der höchsten Sterblichkeitsquoten der Welt.

A

m 3. Mai sollen alle Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe sowie Galerien, Museen und Sehenswürdigkeiten öffnen, sagt Gesundheitsminister Petr Arenberger – vorausgesetzt, die Zahl der Neuinfizierten sinkt weiter und die Inzidenz bleibt unter 100. In der Tat ist in den vergangenen Wochen die Zahl der Corona-Ansteckungen deutlich zurückgegangen. Während Anfang März noch über 16 000 Fälle pro Tag verzeichnet wurden, sind es aktuell jeweils nur ein paar hundert. Dennoch ist die Öffnungsinitiative nicht ohne Risiko. Derzeit sind nur 9 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, für eine Herdenimmunität wären rund 70 Prozent notwendig. Und noch immer verzeichnet die Tschechische Republik mit 2 711 Todesfällen auf eine Million Einwohner eine der höchsten Sterblichkeitsraten der Welt. Nur in Ungarn (2 799) und Gibraltar (2 791) ist das Risiko noch höher. Zum Vergleich: Deutschland liegt mit 983 Todesfällen pro Million Einwohnern weltweit auf Rang 44. Viele Experten erklären sich die hohe Todesrate in der Tschechischen Republik mit einem schlechten Lebensstil, aber vor allem mit zu frühen Lockerungen, die dann wieder ein exponentielles Wachstum auslösen. „In einer Situation, in der andere Länder einen Lockdown ankündigten, wurde in der Tschechischen Republik gelockert. Das geschah sowohl nach den letzten Sommerferien als auch vor Weihnachten. Und jetzt denkt die Regierung schon wieder darüber nach“, kritisiert Václav Hořejší, Immunologe der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

Bild: Jan Pohribný, Nationaltheater Prag

as Ständetheater ist ein historischer Ort. Am 29. Oktober 1787 feierte die Prager Gesellschaft die Welturaufführung von „Don Giovanni“. Dirigiert wurde das Werk damals vom Meister selbst. Es habe „lautesten beyfall“ gegeben, schrieb Wolfgang Amadeus Mozart ein paar Tage später in einem Brief. Jetzt, mehr als 200 Jahre später, endete die Oper nach zweieinhalb Stunden ohne Beifall. Pandemiebedingt hatte die Premiere ohne Publikum stattfinden müssen. Dafür wurde die Neuinszenierung live vom tsche-

chischen Fernsehen übertragen und ist weltweit noch bis Samstag in der Mediathek von Česká televize abrufbar (siehe unten). Einstudiert hat die Neuinszenierung der deutsche Dirigent und Mozart-Spezialist Karsten Januschke zusammen mit dem Orchester des Prager Nationaltheaters. „Natürlich fehlt der Applaus. Und ohne Publikum ist es sehr viel emotionsloser. Es ist ein leerer Raum, den wir da bespielen. Dennoch bin ich im Moment der Aufführung so auf das Werk konzentriert, daß ich das ein bißchen ausblenden kann“, beschreibt Januschke die Pandemie-Premiere in Prag. Link zur Mediathek: https://www.ceskatelevize.cz/ ivysilani/13985141535-w-a-mozart-don-giovanni/22154215083

Wegen Verbindungen zu Rußland: Opposition wirft dem tschechischen Staatsoberhaupt Hochverrat vor

Die Wut auf Präsident Zeman wächst Politisch steht die tschechische Regierung am Abgrund. Doch die Chance für die Opposition, Premierminister Andrej Babiš mit einer Zweidrittel-Mehrheit zu stürzen, ist weiterhin gering. Ein Land zerrissen zwischen Ost und West. Und mit einem Präsidenten an der Spitze, dessen Nähe zu Moskau immer mehr Fragen aufwirft.

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m Sonntag holte Präsident Miloš Zeman zum Gegenschlag aus. Über eine Woche hatte das Staatsoberhaupt zu den Vorwürfen geschwiegen, russische Agenten hätten 2014 zwei Bombenattentate auf ein Munitionsdepot im ostmährischen Wirbietitz verübt. Dabei entstand nicht nur erheblicher Sachschaden, sondern es kamen auch zwei Menschen ums Leben. Bei den Tätern soll es sich um dieselben Agenten handeln, denen auch die Vergiftung des ExDoppelagenten Sergei Skripal und seiner Tochter Julija in Salisbury zur Last gelegt wird. Der Kreml bestreitet die Vorwürfe der Prager Regierung vehement. In seiner Fernsehansprache versuchte der rußlandfreundliche Zeman jetzt Zweifel an den Erkenntnissen seiner eigenen Ermittlungsbehörden zu streuen. So gäbe es „keine Beweise oder Zeugenaussagen, daß diese beiden Agenten in der Gegend von Wirbietitz waren“, behauptete Zeman, obwohl bereits tschechische Medien nicht nur gegenteilige Aussagen veröffentlicht, sondern sogar Bilder gezeigt hatten. Das Staatsoberhaupt spekulierte dennoch offen über einen Unfall oder über eine Aktion irgendwelcher Geheimdienste. Zumindest mit dem Verdacht, daß auch westliche Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben könnten, steht Zeman nicht alleine da, denn der Zeitpunkt der Veröffentlichung war aus russischer Sicht verheerend. Am Montag, 19. April, hätte Tschechiens Vize-Premiermi-

Staatspräsident Miloš Zeman am Sonntag im tschechischen Fernsehen.

„Velezrada“ – „Hochverrat“ haben Unbekannte auf die Burg, den Dienstsitz des tschechischen Präsidenten projektziert . nister Jan Hamáček in Moskau sein wollen, um dort über den Kauf des Vakzins Sputnik V zu verhandeln. Außerdem galt Rußland als aussichtsreicher Kandidat für einen Mega-Auftrag, den Ausbau des Kernkraftwerks im südmährischen Dukowan. Am Samstag, 17. April, platzte dann die Bombe. Premierminister Andrej Babiš informierte die Öffentlichkeit und sagte: „Aufgrund eindeutiger Beweise, die durch die Ermittlungen unserer Sicherheitsdienste gewon-

nen wurden, muß ich feststellen, daß es einen begründeten Verdacht auf die Beteiligung von Offizieren des russischen Militärgeheimdienstes GRU, Einheit 29155, an der Explosion auf dem Munitionsdepot im Gebiet Wirbietitz im Jahr 2014 gibt.“ Die tschechische Regierung warf Rußland in der ersten Erregung sogar „Staatsterrorismus“ vor und alarmierte die NatoPartner. Außerdem wurden umgehend 18 russische Diplomaten des Landes verwiesen – was

Moskau postwendend mit der Das Staatsoberhaupt müßte Ausweisung tschechischer Di- nach einem erfolgreichen Mißplomaten beantwortete. trauensvotum das Unterhaus Der Flug von Jan Hamáček auflösen und Neuwahlen anbenach Moskau wurde abgesagt, raumen, sagen Verfassungsexund Rosatom erneut aus dem Bie- perten. Nur: Zeman sieht das terkreis für das Atomkraftwerk in anders und spricht von einer Dukowan ausgeschlossen. Da- Kann-Bestimmung. Das Worstmit gilt jetzt das US-Unterneh- Case-Szenario sieht dann so aus, men Westinghouse, das sich ne- daß Zeman erneut eine ihm geben dem französischen Konzern treue „Experten-Regierung“ einEDF und dem südkoreanischen beruft und damit bis auf weiteres Unternehmen KHNP bewirbt, als die uneingeschränkte Macht beaussichtsreicher Kandidat. hält. Für die Opposition wäre das Diese wirtschaftlichen Inter- noch schlimmer als die jetzige essen verstärken die Zweifel, ob Lage. Und der Regierung bleibt der zeitliche Ablauf wirklich rei- derweil nichts anderes übrig, als ner Zufall war. Tschechische Me- bis mindestens August durchdien berichten, daß den Sicher- zuhalten. Drei Monate vor der heitskräften schon seit Monaten Wahl, so heißt es in der Verfasdie Hauptverdächtigen bekannt sung, darf das Unterhaus nicht waren. Diese geheimen Ermitt- mehr aufgelöst werden. lungsergebnisse sollen sogar bis Im Oberhaus versucht man zum Staatspräsidenten vorge- derweil, mit einer Verfassungsdrungen sein, der dann, vor einer klage gegen Zeman vorzugehen. Reise nach „Die Das Staatsoberhaupt droht Moskau, Handnach weitelungen mit „ernsten Konsequenzen“ ren Details des Präverlangt hatte – allerdings ver- sidenten in den letzten Tagen geblich. zeigen, daß er nicht im InteresIn seiner TV-Ansprache droh- se der Tschechischen Republik te Zeman jetzt mit Konsequen- handelt. Dies kann nicht länger zen, sollte es den Ermittlungs- ignoriert werden“, erklären die behörden nicht gelingen, die Tä- Initiatoren. Allerdings kann das terschaft der beiden russischen Oberhaus eine Verfassungsklage Agenten zweifelsfrei zu bele- nur vorschlagen, entscheidend gen. Denn daraus folge, so Ze- ist das Votum im Unterhaus. Und man, „daß es sich um ein nach- dort ist im vergangenen Jahr ein richtendienstliches Spiel handel- ähnlicher Vorstoß gescheitert. te, das ernsthafte Konsequenzen Mittlerweile gibt es auch eifür unser innenpolitisches Leben ne Petition gegen Zemann, die haben könnte“. Wie diese Konse- bereits tausende Bürger unterquenzen aussehen könnten, ließ zeichnet haben. Darin fordern der Staatspräsident offen. die Initiatoren, der ehemaliDerweil wächst die Kritik der ge Menschenrechtsminister Mitschechischen Öffentlichkeit an chael Kocáb, die Anwältin Hader Regierung und dem Präsi- na Kordová Marvanová und der denten ein halbes Jahr vor den Philosoph Václav Němec, das Parlamentswahlen ins Uferlose. Oberhaus auf, eine Klage gegen Bereits vor zwei Wochen ent- Zeman einzureichen – wegen zogen die Kommunisten der Hochverrats, was auf tschechisch Minderheitsregierung ihre pas- „velezrada“ heißt. Und genau sive Unterstützung. Doch ein dieses Wort wurde vor wenigen Mißtrauensvotum ist trotzdem Tagen von Unbekannten auf die in weiter Ferne – auch weil nie- Prager Burg, den Amtssitz des mand vorhersagen kann, wie Prä- Präsidenten, projiziert. sident Zeman reagiert. Jaroslav Šonka/Torsten Fricke


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